Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Disputationen – 2007

 

Helge Dauchert

Disputation am 6. Juni (Betreuer: Bernd Henningsen, Sten Berglund)
Dissertation: >Anwalt der Balten< oder Anwalt in eigener Sache? Deutschlands Beziehungen zu den baltischen Staaten zwischen 1991 und 2004

Die auffällige Zurückhaltung gegenüber Estland, Lettland und Litauen trug der Bundesregierung schon in den neunziger Jahren den Vorwurf ein, sie vernachlässige die baltischen Kleinstaaten zu Gunsten einer auf nationale Interessenmaximierung fixierten und an Russland orientierten Großmachtpolitik. Diese gängige Interpretation wird in der Untersuchung zurückgewiesen. Grund für die deutsche Zurückhaltung gegenüber den Balten waren die umfassenden Pläne zur Schaffung eines friedlichen und integrierten Europas, welche die Bundesregierung bereits in den frühen neunziger Jahren in eine doppelte Zwickmühle brachten: Zum einen erwies es sich als ungeahnt schwierig, sowohl die institutionelle Vertiefung der EU als auch deren Erweiterung zeitgleich voranzutreiben. Zum anderen stießen die deutschen Bemühungen, Russland an die westlichen Strukturen heranzuführen, auf den Widerstand der übrigen MOE-Staaten, die sich um eine Abgrenzung von Russland bemühten.

 

Constanze Gestrich
O, Wunderwerk! O, Augenblick. Liebe, Alterität und Kino in Annette K. Olesens "En til en" (DK 2005)
Disputation am 28. Juni (BetreuerInnen: Stefanie von Schnurbein, Stephan Michael Schröder/Universität Köln)
Dissertation: Die Macht der dunklen Kammern. Die Faszination des Fremden im frühen dänischen Kino

Die Dissertation untersucht Alteritätsdiskurse im dänischen Stummfilmkino. Dabei ergeben sich ähnliche Zuschreibungen an das Kino, wie man sie in Konstruktionen literarischer Alterität findet. Alteritätspostulate erweisen sich somit als zentrale Paradigmen für Prozesse der Medienkonkurrenz. In den 1910er Jahren gehen in Dänemark mit der Etablierung von Film als Kunst Versuche der Normalisierung und Institutionalisierung einher, etwa durch die Literarisierung des Kinos oder Annäherungen an die Theaterpraxis. Die Entwicklung einer eigenen filmischen Sprache steht deshalb im Spannungsfeld von Normalisierung und Alterisierung. Das Kino dient als nationaler Faktor, wird zugleich aber auch zur Arena eines anderen, fremden und subversiven Ortes. Beide Tendenzen überlagern sich in den von Gestrich untersuchten exotistischen und orientalistischen Stummfilmen. Ein ähnliches Spannungsfeld ergibt sich in der auf der Handlungsebene und durch Blickachsen hergestellten Konstruktion von (klein)bürgerlichen, als »weiß« gekennzeichneten Ordnungen, die oft jedoch zugleich dekonstruiert und aufgelöst werden. Die in vielen Stummfilmen ausgespielten Dualismen von gut und böse, schwarz und weiß, vertraut und fremd, die auf den ersten Blick einfach und eindeutig wirken, bergen somit eine tiefer liegende Ambivalenz.

 

Tanja Schult
Heldenbilder am Ende eines unheroischen Jahrhunderts. Über die kulturgeschichtliche Wirkung Raoul Wallenbergs
Disputation am 30. Oktober (Betreuer: Bernd Henningsen, Jan Brockmann)
Dissertation: The many faces of Raoul Wallenberg. Portraits of a Hero in Contemporary Monuments

Grundlegende Fragestellung der Arbeit war, welches Bild die Denkmäler von Raoul Wallenberg vermitteln und welches Heldenverständnis damit in ihnen zum Ausdruck kommt. Das Phänomen der Wallenberg-Denkmäler verweist auf die anhaltende Popularität des Genres des Personendenkmals und das nach wie vor große Bedürfnis nach Helden- oder Vorbildfiguren. Die künstlerische Qualität der Wallenberg-Denkmäler ist dabei so verschieden wie die gewählten Lösungen. Doch ihre Vielfalt veranschaulicht vor allem, dass es in den jeweiligen Demokratien, in denen sie errichtet wurden, keinen einheitlichen Kanon mehr gibt, wie ein Monument auszusehen hat, ebenso wenig wie ein verbindliches Heldenkonzept. Dies scheint der wesentliche Unterschied zu den ideologisch einseitig vereinnahmten Heldendenkmälern in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts zu sein. Pluralistische Gesellschaften bedienen sich Wallenbergs, vereinnahmen ihn auch für ihre Zwecke, doch sind diese eben so pluralistisch wie die Gesellschaften selbst.

 

Katrin Steinbrenner
Die Europa-Skepsis des Nordens — Rhetorik vs. Politik
Disputation am 2. November (Betreuer: Bernd Henningsen, Sten Berglund)
Dissertation: Schwedens erste EU-Ratspräsidentschaft: Kam Europa nach Schweden?

Die erste EU-Ratspräsidentschaft Schwedens 2001 mit den drei >E's< — enlargement, employment, environment — und den fehlenden >E's< wie den Euro und die Diskussion um Europas Zukunft steht im Mittelpunkt dieser Dissertation. Politik ist es, zu wollen — sagte Olof Palme; Göran Perssons Motto 2001 war, Europa nach Schweden zu holen. Aus schwedischer Sicht war die erste EU-Ratspräsidentschaft das herausragendste europäische Ereignis seit dem Beitritt 1995. Zum ersten Mal seit dem Wiener Kongress konnte das Land wieder mit den großen Mächten gleichberechtigt die Politik in Europa bestimmen.
Mit ihrem engagierten Einsatz für die Themen Erweiterung, Beschäftigung, Umweltschutz und Informationsfreiheit hat sich die schwedische Regierung von ihrem Image als reluctant European verabschiedet. Als reluctant Federalist kann sie aber immer noch gesehen werden.