Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Axel Körner: Hegemonie und Gemeinschaft. Die kulturelle Konstruktion sozialer Wirklichkeit als gesellschaftliches Herrschaftsmodell bei Tönnies und Gramsci.

Arbeitspapiere "Gemeinschaften" Band 14.
Gedruckt mit Unterstützung des Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbank

Diese Arbeit ist aus Diskussionen in zwei wissenschaftlichen Projekten hervorgegangen: "Urbane Leitkulturen. Leipzig, Lubljana, Linz, Bologna" an den Universitäten Linz und Graz und "Projekt Gemeinschaft" an der Humboldt-Universität Berlin und dem Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Für wichtige Anregungen möchte ich Reinhard Kannonier und Bo Stråth danken. Martin Daunton hat mich im gemeinsamen Seminar "Theories and their Applications" am Fachbereich Geschichte des University College London zur klärenden Darstellung meiner Ideen motiviert.

1. Einleitung

Die soziale Konstitution von Gesellschaft beruht auf ihren ökonomischen Bedingungen und auf einer Vielfalt bewußtseinsbildender Identitäten. Wenn sich Identität in kultureller Praxis ausdrückt, entwickelt sie eine soziale Dynamik, welche unter bestimmten Umständen Klassenbewußtsein befördern, dieses aber auch durch konkurrierende Identitäten überlagern und durchbrechen kann. Kulturelle Praxis bildet den Motor bei der Herausbildung sozialer Realität(1) und so bei der Entstehung von Gemeinschaften, die ihre kollektive Identität mit dem Anspruch auf Exklusivität vertreten. Die hierbei zwischen verschiedenen Identitäten zu Tage tretenden Spannungen kennzeichnen die Gesellschaft.(2)

Die folgende Skizze stellt zwei vom Erkenntnisinteresse unterschiedliche Ansätze sozialtheoretischer Forschung einander gegenüber, welche die Untersuchung kultureller Grundlagen von Gemeinschaft unmittelbar betreffen: die natürliche Konstitution historischer Gemeinschaften bei Ferdinand Tönnies und die kulturelle Konstruktion hegemonialer Gemeinschaften bei Antonio Gramsci. Versteht Tönnies sein Gemeinschaftskonzept als ein kulturell vorgegebenes Modell sozialer Wirklichkeit, so beruht Gramscis Hegemoniekonzept auf dem aktiven Umgang mit der Kultur zur Formung sozialer Wirklichkeit. Damit läßt sich Gramscis Neubewertung des menschlichen Subjekts in Beziehung zu Talcott Parsons voluntaristischem, auf der motivierenden Bedeutung von Ideen beruhenden Theorie sozialen Handelns setzen,(3) ohne jedoch vom utopischen Modell normativer "common values" als Grundlage des Handelns auszugehen.(4) Grundlage von Gramscis Modell der modernen Gesellschaft ist wie bei Tönnies der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital.(5)

In stärkerem Maße als die erste Gramsci-Renaissance Ende der sechziger Jahre, hat der 100.Geburtstag Gramscis im Jahre 1991 vor allem zu einer politisch motivierten Fragestellung ­ "Von Antonio Gramsci lernen?" ­ geführt.(6) Gramsci wurde von Reformkommunisten, Sozialdemokraten und Radikaldemokraten gewissermaßen als Rezeptbuch gelesen. Es erscheint in Anbetracht der sich seitdem eher verstärkenden Krise der Linken fraglich, ob diese aktualitätsbezogene Lektüre zu einer Neukonzeption politischen Denkens beitragen konnte. Die drei Gramsci-Jubiläen des Jahres 1997 ­ der siebzigste Jahrestag der Verhaftung, der sechzigste Todestag und fünfzig Jahre seit der ersten Veröffentlichung der Werke Gramscis ­ bieten Anlaß, Gramsci wieder stärker in den philosophischen und soziologischen Zusammenhang einzuordnen, auf den Gramsci in den Gefängnisheften selbst Bezug nimmt: die Philosophie, die Soziologie und die Politikwissenschaft in Italien und Deutschland zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts. Neben Croce und Gentile, Pareto, Mosca und Michels bezieht sich Gramsci dabei immer wieder auch auf Max Weber und berührt damit wichtige Grundlagen der modernen Soziologie in Deutschland.(7) Trotz der Auswertung nicht nur von Originalwerken, sondern auch von unzähligen Rezensionen bleibt hingegen Ferdinand Tönnies in Gramscis Werk unerwähnt. Ohne diesen Umstand biographisch oder wissenschaftshistorisch näher erläutern zu wollen, zeigt eine Untersuchung bestimmter Begriffe und Erklärungsmodelle bei Tönnies und Gramsci zahlreiche Bezugspunkte, welche einander ergänzend zum Verständnis sozialer Wirklichkeit beitragen können. Tatsächlich ging es Gramsci in den Gefängnisheften nicht um Anleitungen zum politischen Alltagskampf, sondern um die wissenschaftliche Analyse historischer Gesellschaftsstrukturen:(8) Wie Gramsci mit Bezug auf Goethe in seinem Brief vom 26. März 1927 an Tatiana Schucht schreibt ­ eine Forschung "für ewig".(9)

Auf Grund des unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Zusammenhangs und ähnlich unterschiedlicher politischer Konnotationen muß eine Konfrontation zwischen Tönnies Gemeinschaftsbegriff und Gramscis Hegemoniekonzept auf den ersten Blick Widerspruch hervorrufen. Doch Tönnies' Gemeinschaftsbegriff, wie auch Gramscis Konzept der Hegemonie beruhen auf "organischen" Beziehungen zwischen Individuen: "Gemeinschaft (nach Tönnies) ist zwischen allen organischen Wesen",(10) aber auch Gramscis "moderne[r] Fürst [] kann nicht als reales Wesen, sondern nur als ein Organismus verstanden werden".(11) Kultur spielt als konstitutiv bestimmendes Element sozialer Wirklichkeit in beiden organischen Strukturen eine zentrale Rolle: Kultur bildet die Grundlage für die Konstitution historischer Gemeinschaften im Sinn von Tönnies, aber auch Gramscis Modell hegemonialer Herrschaftsbeziehungen innerhalb der Gesellschaft beruht auf der Analyse gemeinschaftsstiftender, sozialer und kultureller Identitäten.

Der erkenntnistheoretische Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht darin, daß Tönnies ein exklusives, an bestimmte historische Bedingungen gebundenes und in sich stabiles Konzept von Gemeinschaft beschreibt, während Gramscis Untersuchung der "rapporti di forza", d.h. der innergesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, ein dynamisches Modell für die kulturelle Konstruktion von Hegemonie und darauf beruhender Identität von Gemeinschaft darstellt. Beide Modelle zur Beschreibung sozialer Realitäten sind kulturell begründet, doch einmal, im Fall von Tönnies, ist Kultur das in sich statische Produkt eines evolutionären Prozesses, während bei Gramsci die Kultur soziales Medium handelnder Subjekte ist. Ist das Erkenntnisinteresse der Sozialforschung an der kulturellen Konstruktion von Gemeinschaft ausgerichtet ist, deutet sich bereits der Vorteil von Gramscis, die innergesellschaftlichen Spannungsverhältnisse zugrunde legenden Modells an. Beschreibt Tönnies einen strukturellen, aus äußeren Bedingungen evolutionär hervorgegangenen Zustand von Gemeinschaft, verweist Gramsci auf die Konstruktion von Hegemonie und damit auf ein der kulturellen Identität zugrundeliegendes dynamisches Element. In der erkenntnistheoretischen Gegenüberstellung ergibt sich eine Spannung zwischen Struktur und Dynamik, zwischen Kultur als objektiver Gegebenheit und Kultur als subjektivem Medium,(12) welche sich als wesentliches Merkmal in den methodischen Konzeptionen der modernen Sozialwissenschaften wiederfindet.

Um soziale Phänomene aus ihrer historischen Begründbarkeit zu erklären, untersucht die Geschichtswissenschaft vor allem Veränderungen in zeitlicher Dimension. Während dessen ist die klassische Fragestellung der Anthropologie ­ entsprechend ihrer naturwissenschaftlich-induktiven Methode ­ in erster Linie an strukturell verankerten und damit über den zeitlichen Wandel stabilen Erscheinungen menschlicher Gesellschaften orientiert.(13) Kultur erscheint hier als von Generation zu Generation unveränderlich weitergereichtes, weniger aus dem historischen, als aus dem sozialen Zusammenhang erklärbares Identitätsmerkmal. Anthropologischen Untersuchungen folgend, führt Kultur zur Festschreibung bestimmter sozialer Zustände. Ist die Kultur hingegen Gegenstand einer historischen Untersuchung, erfolgt ihre Erklärung weniger aus dem sozialen Zusammenhang, als aus ihrer historischen Entwicklung. Kultur wird dann als dem zeitlichen Wandel unterworfen und von Subjekten geschaffen wahrgenommen. In der Praxis ­ vor allem bei der Verwendung methodisch umfassender, sozialhistorischer Fragestellungen(14) - ergänzen sich beide Ansätze: Anthropologische Methoden haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich,(15) seit den fünfziger Jahren in Großbritannien und seit den siebziger Jahren auch in Italien und Deutschland die Geschichtswissenschaft auf unterschiedlichen Grundlagen entscheidend beeinflußt.(16) In Konsequenz dieser wissenschaftstheoretischen Synthesen kann die Erforschung einer über den historischen Wandel stabilen Kultur zeigen, wie mit ihrer Hilfe Sozialbeziehungen auch über die Wahrnehmung historischen Wandels hinaus festgeschrieben werden. Gleichzeitig begründet sich das Interesse des mit anthropologischen Ansätzen arbeitenden Historikers an der Kultur aber auch darin, daß Kultur als historische Quelle zum Verständnis einer sich seitdem gewandelt habender Sozialbeziehung dient: Die Kultur gibt dem Historiker dokumentarische Informationen über die Periode, in der diese Kultur ihren historischen Ursprung findet.

Trotz der sich auf diese Weise in der historischen Anthropologie oder einer anthropologisch orientierten Geschichtswissenschaft ergänzenden Methoden wird in der anthropologischen und in der historischen Methode eine jeweils unterschiedliche Forschungsrichtung prädestiniert. Einmal wird Kultur als feststehende und so die Sozialbeziehungen bestimmende Struktur verstanden. Im anderen Fall ist die Kultur das Medium über das Wandel erzeugt und erkennbar wird, in dem sich verändernde Sozialbeziehungen widerspiegeln und mit Hilfe dessen soziale Strukturen geschaffen und charakterisiert werden. Genau dieser Gegensatz findet sich in den hier dargestellten Modellen von Gemeinschaft: in den nach Tönnies auf kulturellen Strukturen beruhenden historischen Gemeinschaften und den kulturell konstruierten, hegemonial konzipierten Gesellschaftsbeziehungen bei Gramsci. Die mögliche Spannung zwischen historischen und anthropologischen Forschungsansätzen wird trotz des Interesses der Sozialwissenschaften an sich ergänzenden Methoden nur selten problematisiert.(17) Fragt man jedoch nach der Kultur als identitätsstiftendem Element von Gemeinschaft ­ positiv als Bewußtwerdungsprozeß oder negativ in Definition des Anderen ­ steht diese Unterscheidung zwischen anthropologisch strukturellen Merkmalen von Kultur und historisch der Konstruktion gesellschaftlicher Kräfteverhältnissen dienenden Kulturerscheinungen plötzlich im Mittelpunkt.

2. Der Gemeinschaftsbegriff bei Tönnies(18)

Gemeinschaft und Gesellschaft sind bei Tönnies keine theoretischen, in der empirischen Sozialwissenschaft deskriptiv verwendbaren Kategorien. Sie sind keine Idealtypen im Weberschen Sinne,(19) obwohl Tönnies verschiedene interessante Bestandteile eines Handwerkzeugs der modernen Soziologie entwickelt. Dazu gehören zum Beispiel unterschiedliche Kategorien von Rationalität, die in ihrer Konzeption an Webers Begrifflichkeit erinnern, oder psychologisch begründete Erklärungsmuster sozialer Phänomene, womit Tönnies eine neue wissenschaftliche Dimension für die noch in Entstehung begriffene Soziologie verwendbar macht.(20)

Tönnies zentrales und meist beachtetes Werk ­ Gemeinschaft und Gesellschaft ­ läßt sich nicht durch einen eindeutig erschließbaren Entstehungszusammenhang erklären.(21) Die erste Auflage stammt aus dem Jahre 1887: Hier umschreibt Tönnies erstmalig Gemeinschaft und Gesellschaft mit den Modellen Kommunismus und Sozialismus, beide verstanden als empirische Kulturformen.(22) Doch in den folgenden Jahren entstehen zahlreiche Neuauflagen, immer wieder erweitert und gekürzt, mit neuen Titeln versehen und verändertem Index, was das Einwirken späterer, vom historischen Wandel der wissenschaftlichen Diskussion bestimmter Einflüsse nahelegt. Weitreichende Bedeutung erreicht das Werk erst mit der späten Auflage von 1916, doch selbst in seiner Soziologie aus dem Jahre 1931 nimmt Tönnies aus einer neuen Perspektive noch einmal Bezug auf die Kategorien von Gemeinschaft und Gesellschaft.(23)

Diese Komplexität der Editionsgeschichte ist nicht nur von soziologiegeschichtlichem Interesse, sondern hilft vor allem, das Werk in einem weiteren Zusammenhang der Entwicklung verschiedener neuer Disziplinen zu verstehen. Die lange Arbeitsphase, in der Tönnies das Verhältnis von Gemeinschaft und Gesellschaft untersucht ­ 44 Jahre von 1887 bis 1931 ­, findet ihren Ursprung in Reflexionen zu Diltheys hermeneutischer Methodenentwicklung, umfasst die Anfänge der psychoanalytischen Forschung, die Entwicklung von nationalökonomischen Fragestellungen zur neuen Disziplin der Soziologie und die Adaption neuer sozialtheoretischer Konzeptionen innerhalb der französischen Geschichtswissenschaft. Die methodische Vielseitigkeit der Wissenschaftsdiskussion dieser Jahre konnte Tönnies kaum verborgen geblieben sein, was sich in den vom methodischen Ansatz bewußt breit gefächerten Erklärungsmustern für die sozialen Erscheinungen von Gemeinschaft und Gesellschaft widerspiegelt.

Tönnies begreift die Konzepte Gemeinschaft und Gesellschaft als historisch einander abfolgende, ihren jeweiligen Zeiträumen zuzuordnende Phänomene. Es sind keine aufeinanderbezogenen System- oder Ordnungsbegriffe, wie sie die moderne Soziologie oder die historischen Sozialwissenschaften verwenden.(24) Tönnies geht von einem historischen und damit der Vergangenheit zugehörendem Zustand menschlichen Zusammenlebens aus, den er als "Gemeinschaft" definiert. Auf Grund ökonomischer Veränderungen hat sich dieser gemeinschaftliche Urzustand menschlichen Zusammenlebens (Tönnies Modell folgend können wir den Begriff der Gesellschaft hier nicht verwenden) erst in den modernen Zustand der "Gesellschaft" entwickelt. Gesellschaft ist somit ein Phänomen der Neuzeit ­ was nicht bedeutet, daß Gesellschaft aus sich selbst heraus modern sei, sondern daß sie historisch in die Epoche der Moderne/ Neuzeit gehört.

Umschreibt und erklärt Tönnies die historische Gemeinschaft mit den Begriffen Volk, Kultur, Sitte, so kann er dem für den sozialen Zustand der modernen Gesellschaft die Begriffe Staat, Zivilisation und Gesetzesrecht gegenüberstellen. Der historisch-natürlich gewachsenen Gemeinschaft des Hauses und des Dorfes steht die moderne Gesellschaft der Großstadt gegenüber, an die Stelle der Religion tritt als legitimierende Kraft die Wissenschaft; ausgleichende Harmonie und natürliche Gerechtigkeit des gemeinschaftlichen Lebens haben sich in gesellschaftliche Spannung und Kompetition verwandelt:(25) "Hier steht ein jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung gegen alle übrigen."(26) Geschlechtsspezifische Charakterisierung spiegelt sich in der Konstruktion von Weiblichkeit in der gemeinschaftlichen und von Männlichkeit in der gesellschaftlichen Erfahrungswelt wieder.(27) Wird Kultur als menschlicher Naturzustand gemeinschaftlichen Zusammenlebens beschrieben, tritt in der modernen Gesellschaft das Artefaktum der Zivilisation an ihre Stelle.(28) Während die historische Gemeinschaft organisch als ein Selbstzweck gewachsen ist, so stehen sich in der modernen Gesellschaft zweckrational miteinander verbundene Interessensubjekte gegenüber.(29) An die Stelle des kulturellen Status ist das Zivilisationsmerkmal des Vertrags getreten.(30) Diese Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft ist vom Forschungsansatz zunächst nicht als wertende Zivilisationskritik verstanden. Vielmehr handelt es sich auf dieser Ebene der Forschung um eine empirische Bestandsaufnahme.

Die soziale Organisation beider Zustände menschlichen Zusammenlebens umschreibt Tönnies mit dem gemeinschaftlich-historisch definiertem Begriff des Kommunismus und dem gesellschaftlich-zeitgenössisch verstandenen Begriff des Sozialismus. Kommunismus und Sozialismus sind hier nicht im marxistischen Sinne als Kategorien des Eigentumsrechts verstanden, sondern als empirische Kulturformen, welche die Gesamtheit des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Zusammenlebens soziologisch umschreiben.

Versteht Tönnies dieses historisierende Modell einer Entwicklung von der Gemeinschaft zur Gesellschaft als Resultat empirischer Forschung, so wird es ­ teilweise in Anlehnung an Herbert Spencer ­ jedoch gleichzeitig aus biologischen oder zumindest naturalistischen Vorstellungen hergeleitet.(31) Sein Modell baut in romantischer Verklärung auf evolutionistischen Theoremen auf, die er empirisch-historisch kaum nachweisen kann.

Bei einer derartigen Auseinandersetzung um den wissenschaftlichen Anspruch von Tönnies Forschung geht es nicht um eine moralische Bewertung seines Lebenswerks. Doch wie Manfred Riedel mit Bezug auf die Tönnies­Kritik von René König zeigt, sind Tönnies Begriffe trotz seiner historischen Bezugnahme nicht empirisch-historisch fundiert. Etymologische Quellenuntersuchungen ergeben beispielsweise eine mittelalterliche und frühneuzeitliche Definition von Gemeinschaft, die auf bestimmten Kommunikationsstrukturen beruht, aber die sozialwissenschaftliche Umschreibung von Tönnies kaum bestätigt:(32) Kommunikativ begründete Intersubjetivität ergibt eine Institution von Gemeinschaft, ein Verbandsverhältnis, dessen Motor meist die gemeinsame Beziehung zu Sachen ist, ohne daß sich darin die von Tönnies beschriebenen Legitimationsformen der Gemeinschaft finden. Den ethymologischen Forschungen folgend, wird dieser Begriff von Gemeinschaft mit dem der Gesellschaft weitgehend synonym verwendet. Auch wenn Gemeinschaft häufig auf Wertgefühlen basierende Personalbeziehungen umschreibt, sind Gemeinschaft und Gesellschaft nach etymologischen Erkenntnissen keine einander ausschließenden Begriffe. Die Tatsache jedoch, daß auf diese Weise der Historiker Tönnies empirisch widerlegt werden kann, widerspricht noch nicht dem Wert und der Verwendbarkeit seiner sozialen Kategorien. Ähnliches wurde auch in der Debatte um Weber als Historiker zugestanden: Das idealtypische Artefaktum kann als Vergleichseinheit in der empirischen Forschung durchaus von Nutzen sein.

Läßt sich die historische Begründung von Tönnies Gemeinschaftskonstruktion etymologisch nicht nachweisen, bedarf sein Argument anderer Belege. Tönnies leitet die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft hermeneutisch nicht aus einem dem Menschen eigenen sozialen Bewußtsein her, sondern aus der individuellen Psyche, aus dem Fühlen, dem Denken und Handeln des einzelnen Menschen.(33) In dieser Konzentration auf die Psyche des Individuums wird vor allem der Einfluß Diltheys erkennbar. Nach Tönnies Definition ist Gemeinschaft nicht das Produkt einer von Identität ausgehenden sozialen Dynamik und widerspricht damit der affektiven Gemeinschaft, wie sie Halbwachs am Beispiel der sozialen Konstruktion einer "mémoire collective" beschreibt: Kollektive Erinnerung ist ein Merkmal sozialer Identität, wobei kollektiv erlebte Ereignisse nach Halbwachs nur im sozialen Zusammenhang der jeweiligen Gruppe fortbestehen. Soziale Identität erscheint daher als Produkt sozialer Mechanismen.(34) Eine ähnlich der Erinnerung traditionsbezogene Affektivität beschreibt auch das Phänomen der ebenfalls dynamisch-aktiv verstandenen "Vergemeinschaftung" bei Weber.(35)

Nach Tönnies beruht Gemeinschaft hingegen auf einem ganzheitlich-expressiven Wesenwillen des Individuums, auch definiert als "stillschweigendes Einverständnis" mit dem Aufgehen in der Gemeinschaft.(36) Dieser Wesenwillen besteht passiv, ohne vom Individuum konstruktiv hinterfragt zu werden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der Wesenwillen zur Gemeinschaft irrational begründet ist.(37) Die strukturelle Dimension von Gemeinschaft beruht auf der Vernunft des Individuums, das Bestehende aus rationalen Erwägungen als einzig vorstellbare Form des Überlebens zu belassen. Das Individuum ordnet sich in eine traditionelle, insofern in seiner Konstruktion nicht hinterfragte Hierarchie ein und schließt auch instinktiv die Rebellion gegen das bestehende System aus. Trotz der originellen Aufwertung des individuellen Willens setzt sich Tönnies damit machtideologischen Absolutheitskonzepten des Willens fundamental entgegen. Die psychische Beschaffenheit der sich in die Gemeinschaft einordnenden Individuen beruht auf der Idee eines vernunftbegabten Wesens, widerspricht aber Nietzsches Konzeption des Willens zur Macht, was Tönnies in seiner Kritik des späten Nietzsche auch explizit darlegt (1897):(38) Nicht das Streben nach Macht, sondern die Akzeptanz des gemeinschaftlichen Status bestimmt das Individuum und seine Entscheidung zur Ein- und Unterordnung.

Beruht die historische Gemeinschaft also auf einem Wesenwillen, so gründet sich die moderne Gesellschaft nach Tönnies auf dem bewußt wählenden, auf Entscheidung beruhendem Kürwillen der Individuen. Der Kürwillen ist nicht wertrational, sondern zweckrational analytisch angelegt. Die Unterschiede zwischen den Modellen Gemeinschaft und Gesellschaft, sowie die Konsequenzen eines solchen Konzepts der Rationalität für die soziale Ordnung unterstreichend, bezeichnete Tönnies den Kürwillen bis 1912 gar als Willkür.(39) Schon vor Weber operiert Tönnies hier mit verschiedenen, dem Modernisierungsprozeß zugeordneten Formen der Rationalität.

In der phänomenologisch angelegten Analyse von Tönnies treten eindeutige Unterschiede zum Gesellschaftsbegriff von Hegel und Marx ans Licht, welcher nicht an eine historische Situation gebunden ist, sondern eine jegliche Form menschlichen Zusammenlebens, unabhängig von ihrem historischen Zustand beschreibt.(40) Hegel und Marx definieren Gesellschaft als ein funktionales System von Bedürfnissen und deren Erfüllung. Dieses System bringt die für sich charakteristischen Phänomene der Gesellschaft hervor: Arbeit, Arbeitsteilung, Tausch, Handel und die Reproduktion der dadurch entstehenden Rollen/Klassen. Nach Marx haben diese Rollen menschliches Zusammenleben immer gekennzeichnet und die historischen Transitionen verschiedener Gesellschaftszustände überdauert;(41) für Tönnies sind es hingegen moderne, nur auf den derzeitigen Zustand menschlichen Zusammenlebens bezogene Erscheinungen. Entsprechende Merkmale sind für Tönnies selbst in der Analyse der modernen Gesellschaft nicht Ausdruck einer natürlichen Beschaffenheit menschlicher Verkehrsformen,(42) sondern lediglich ein zeitgenössisches und somit auch vergängliches Problem: Es beschreibt das Handeln von Individuen auf der Grundlage zweckrationaler Entscheidungen zur Entgeltung von Beziehungen. Dieses Handeln ist Ausdruck eines sozialen Wollens, nicht einer natürlichen Begebenheit.(43)

Tönnies System führt zu einer trennenden Gegenüberstellung der Sozialformen historisch-kulturell verankerter Gemeinschaft auf der einen und subjektiv zweckrationaler Gesellschaft auf der anderen Seite. Die neuzeitliche Konstitution der Gesellschaft ist nicht das Produkt der Kultur, sondern wird als vertraglich konstruierte Zivilisation verstanden, die als Motor der modernen Gesellschaft wirkt. Nicht göttlich-natürliches Gemeinschaftsrecht, sondern der naturrechtliche Vertrag bewahrt hier den Menschen vor dem "Zustand des Krieges und der unbeschränkten Freiheit aller, einander zu vernichten."(44) Bezugnehmend auf Hobbes und Spinoza, basiert Gesellschaft auf der Ablösung des "natürlichen Rechts" der historischen Gemeinschaften durch die Definition eines rationalen Naturgesetzes.(45) Damit wird Gesellschaft philosophisch-staatsrechtlich dem teleologischen Naturrecht der aristotelischen Tradition entgegengesetzt. Während Gesellschaft auf handelnden Subjekten beruht und somit ständiger Spannung ausgesetzt ist, geht der Begriff der Gemeinschaft von Objekten aus, die auf höhere Fügung (den Wesenwert im Leben der Gemeinschaft) angewiesen sind. Der Staat steht in der gemeinschaftlichen Lebenswelt als eigentliche Kultur über dem sich fügenden Individuum.

Gemeinschaft ist bei Tönnies ein historisches, vormodernes Phänomen und verliert damit ­ überspitzt formuliert ­ für den Historiker der Neuzeit an Interesse. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, daß auch Max Weber historisch begründete Phänomene von Gemeinschaft verwendet, diese aber auch zur Erklärung moderner Sozialerscheinungen heranzieht. Wie seiner Erklärung bestimmter Verbandsstrukturen zu entnehmen ist (beispielsweise Religion), haben gemeinschaftliche Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenlebens bei Weber häufig den Charakter historisch überkommener (vormoderner) Reste, die erst im Rationalisierungsprozeß verschwinden.(46) Allerdings ist bei Weber der historische Bezug zur Erklärung von Gemeinschaft nicht systematisch angelegt; folglich lassen sich auch keine historisch-evolutionistischen Strukturen im Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft nachweisen. Im Gegensatz dazu schafft Tönnies mit der historischen (darüberhinaus falschen) Deskription einen Situationsbezug, welcher eine generalisierend-funktionalisierende Bestimmung soziologischer Begriffe im Weberschen Sinne ausschließt.

Erst 1931 versucht Tönnies, die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft direkt aufeinander zu beziehen, beschränkt sich jedoch darauf, eine Prägung des Gegenwärtigen ­ d.h. der Gesellschaft ­ durch die Erfahrung des Vergangenen ­ d.h. durch die Gemeinschaft ­ festzustellen.(47) Gemeinschaft und Gesellschaft bleiben dabei systematisch und in historischer Abfolge einander nachgeordnet. Gemeinschaft erscheint bei Tönnies als der "dialektische Mutterschoß",(48) aus dem in seinem zeitlichen Verlauf die Gesellschaft entspringe.

Sicherlich könnte der Historiker oder Soziologe das Konzept der Gemeinschaft und Tönnies historisierende Ordnung der Begriffe einfach übergehen und sich auf dessen zur Beschreibung der Phänomene gesellschaftlichen Zusammenlebens verwendeten Adjektive konzentrieren, wovon Tönnies einen reichen Kanon zur Verfügung stellt. Auf dieser Grundlage ließe sich ein ideologiekritischer Ansatz zur Untersuchung kultureller Begründung von Hierarchien entwickeln. Tatsächlich weist Tönnies dem Ordnungssystem seiner historischen Gemeinschaften eine harmonisierende Stabilität zu, welche Gramscis Hegemoniekonzept ­ demzufolge Gesellschaft durch Hegemonie gewissermaßen zu einer Art Gemeinschaft zusammenwächst ­ auffällig nahe kommt.

Der entscheidende Unterschied besteht hingegen darin, daß in Gramscis Konzept Hegemonie als Produkt rational berechneter aktiver Machtkonstruktion erscheint. Tönnies besteht auf dem historischen Ist-Zustand von Gemeinschaft. Auch Simmel untersucht den Prozeß der Vergesellschaftung als Zerstörung traditioneller Bindungen zwischen den Individuen in der modernen Geschichte. Er sieht diesen Prozeß jedoch als Konsequenz der Dominierung des Menschen durch seine eigenen Kulturschöpfungen.(49) Kultur in modernen Gesellschaften versteht Simmel als Produkt von Subjekten, nicht als historische Gegebenheit. Die vom Menschen schöpferisch eingebrachte Kultur fördert in diesem Zusammenhang nicht harmonisierende Gemeinschaften, sondern erzeugt vielmehr gesellschaftliche Spannungen. Im Gegensatz zu Tönnies läßt sich Simmel durch diese Erscheinungen der Moderne positiv inspirieren. Auch in der Definition von Gemeinschaft unterscheidet sich Simmel von Tönnies: Im Gegensatz zu Tönnies sind Simmels historische Gemeinschaften bereits Produkte einer sozialen Dynamik. Sie sind keine natürlichen Erscheinungen ­ wie bei Tönnies ­, sondern konstruierte Gruppen, Zirkel, Gilden, Dörfer, deren Regelwerke das Individuum vollkommen dominieren. Der neuzeitliche Prozeß der Vergesellschaftung kompliziert in diesem Zusammenhang die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens: In modernen Gesellschaften ist der Mensch nicht mehr Mitglied nur einer Gruppe/ Gemeinschaft, sondern zahlreicher verschiedener, sich teilweise widersprechender Gemeinschaften. Erzeugte Kultur zuvor durch Regelwerk harmonisierende Gemeinschaften, so führt Kultur im Prozeß der Vergesellschaftung zu Spannungen zwischen unterschiedlichen Regelwerken. Analysiert man dieses soziale Muster der Vergesellschaftung unter Verwendung von Benedict Andersons Modell der "imagined communities", welche sich gerade über den Gegensatz zum Anderen definieren,(50) so erscheint die Verwirrung angestammter Loyalitäten, die Entstehung individual-psychologischer Belastungen und sozialer Spannungen als logische Konsequenz der Vergesellschaftung. In Bezug auf die äußeren Bedingungen zum Bestand von Harmonie beschreibt Simmel Gemeinschaft und Gesellschaft ähnlich wie Tönnies: Harmonische Gemeinschaften werden den von Spannungen gezeichneten Gesellschaften gegenübergestellt.

Während sich Marxismus und kritische Gesellschaftstheorie am Deutungsschema der Gemeinschaft orientieren, streben die bürgerliche Theoretiker des modernen Rechtsstaats nach Gesellschaft als Idealzustand.(51) Doch im Gegensatz zu beispielsweise Dahrendorfs älterer Einschätzung muß Tönnies Gesellschaftskritik nicht unbedingt als romantische Zivilisationskritik verstanden werden.(52) "Die Sehnsucht nach Synthese" (Dahrendorf) nimmt bei Tönnies eben keine irrationalen Formen an.(53) Wie selbst René König anerkennt, tritt Tönnies vor allem als Pionier einer soziologischen Untersuchung des Vernunftbegriffs hervor, und entwickelt Begriffe, welche die Vorraussetzung für Vergleichbarkeit und die kritische Beurteilung verschiedenster sozialer Eigenschaften bilden.(54) Aus diesem Instrumentarium entwickelt er neue Modelle von Sozialbeziehungen, die dem Zustand der Gesellschaft gerecht zu werden versuchen: So hat sich Tönnies politisch bereits seit den 1880er Jahren im linksliberalen Umfeld des Kaiserreichs engagiert und richtet sich in den Jahren der Weimar Republik explizit gegen biologistische Mißbräuche des für ihn eindeutig historisch vergangenen Gemeinschaftsbegriffs. Eine besondere Rolle spielte in seinen politischen Überlegungen zur Überwindung gesellschaftlicher Spannungen der Genossenschaftsgedanke. Ausgehend von der Erfahrung gesellschaftlichen Wandels als einer modernen Ordnungskrise, erkennt Tönnies das gegenwärtige Gesellschaftsphänomen des Sozialismus als Herausforderung an, ohne auf der Grundlage eines im marxistischen Sinne verstandenen Kommunismus oder nationalistisch-rassistischer Konzeptionen zum Urzustand der Gemeinschaft zurückkehren zu wollen.(55) Letztlich übernimmt die Kultur in Tönnies politischen Ideen eine aktive, auf die modernen gesellschaftlichen Konflikte harmonisierend einwirkende Rolle.

Nicht der historische Nachweis, sondern die Ausschließlichkeit der Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Tönnies(56) bilden das Problem ihrer Integration in ein Modell, das an der kulturell begründeten Dynamik sozialer Prozesse orientiert ist. Tönnies Instrumentarium zur Erforschung von Gemeinschaft verbietet die systematische Bezugnahme auf einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Gemeinschaft sei nicht das Produkt zweckgerichteter kultureller Konstruktionsprozesse und ließe sich folglich nicht als eine Erscheinungsform der modernen Gesellschaft interpretieren. Gerade diese Möglichkeit eröffnet Gramscis Hegemoniekonzept.

Gemeinschaft Gesellschaft

Kommunismus Sozialismus
verstanden als empirische Kulturformen

historisch modern
Volk Staat
Kultur Zivilisation
natürliches Recht Naturrecht
Sitte Gesetz
Religion Meinung/Wissenschaft
Status Vertrag
Wesenwille Kürwille

3. Gramscis Hegemoniekonzept als kulturelle Konstruktion von Gemeinschaft

Antonio Gramsci erklärt die Beständigkeit von Herrschaft in der Gesellschaft durch einen hegemonial strukturierten Konsensus, d.h. durch die kulturelle Festschreibung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse ("rapporti di forza"). Auch Ferdinand Tönnies umschreibt sein Konzept von Gemeinschaft mit dem Begriff "consensus" als "gegenseitig-gemeinsame, verbindende Gesinnung".(57) Die Idee des Konsensus läßt sich in beiden Fällen als Konstruktion einer die natürlichen Spannungen der Gesellschaft übergreifenden Gemeinschaft verstehen.

Der Beständigkeit gemeinschaftlicher Beziehungen liegt ein Gefälle des sozialen Status, eine durch soziale Hierarchien erzwungene Sozialbeziehung zu Grunde. Dieses grundlegende Element politischer Philosophie findet sich so auch bei Tönnies und Gramsci. Ähnlich wie Tönnies erläutert Gramsci die Akzeptanz vorgegebener Herrschaftsstrukturen durch psychologische Erklärungsmuster.(58) Auch auf dieser Grundlage bietet sich der Vergleich zwischen Tönnies Gemeinschaftsbegriff und Gramscis Hegemoniekonzept an. Tönnies beschreibt in seiner Einführung in die Soziologie eine Beziehung zwischen Herrschern und Beherrschten, die in ihrer Substanz an Gramscis Erklärung zur Bewahrung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse durch kulturelle Konstruktion von Hegemonie erinnert: "Wenn ich jemandem das Recht gebe, mir zu befehlen, [] so heißt das zugleich: ich will auch das Befohlene selber" (sonst würde ich gegen die Hierarchie revoltieren).(59) Zwar spricht Gramsci nicht von einer legitimierten Herrschaft, in der das Recht zu herrschen von den Beherrschten aktiv erteilt wird, doch besteht ein gesellschaftlicher Konsensus über die gemeinschaftsstiftenden hegemonialen Beziehung. Kulturelle Bestimmung und soziale Entfremdung begründen die Akzeptanz von Hegemonie und die Beständigkeit der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse durch die Massen.

Gramsci erklärt Hegemonie als die grundsätzliche Dominanz einer herrschenden Gruppe über die Strukturen von Öffentlichkeit. Die Herrschaft der Kirche im Vatikanstaat, die sozialen Strukturen im liberalen Italien, die nationalistisch-imperialistisch begründete Diktatur des Faschismus oder aber auch der Principe Nuovo in der proletarischen Diktatur der Zukunft beruhen allesamt auf Hegemonie, d.h. auf einem kulturell-moralischen Konsensus über die gesamtgesellschaftlich bestehenden Kräfteverhältnisse.

Das Mittel zur Gestaltung dieser Hegemonie und der Katalysator zur Verbreitung einer entsprechenden Moral und Kultur ist im Gramscianischen Sinne seit der Neuzeit die Philosophie, verstanden als politische Philosophie der Praxis.(60) Darum stützen sich Gramscis historische Erklärungsmuster bewußt auf die Renaissance und den Humanismus, in deren Folge er das Risorgimento und die Europäische Moderne (verstanden als Epoche) einordnet. In seiner Analyse des zeitgenössischen Italiens versteht er die Hegemonie der Kirche als Widerspruch zur Philosophie einer einheitlichen Nationalkultur. Auch nach 1860 setzt sich eine Hegemonie der risorgimentalen Werte nur ansatzweise durch. Vor allem im Norden und im Süden zeigen sich starke Widerstände gegen eine auf der Grundlage der philosophischen Nationalerziehung beruhenden kulturellen Einigung, welche die Grundlage einer noch in Entstehung begriffenen nationalen Gemeinschaft bildet.

Was setzt Gramsci der historischen Erfahrung der italienischen Einigung entgegen? Entsprechend der normativen Konzeption der Philosophie der Praxis soll die politische Macht im liberalen Staat nicht als Form traditioneller Herrschaft von quasi-religiös legitimierten Institutionen ausgehen, sondern von den kulturellen Werten der Staatsbürger. Deutlich tritt hier der Unterschied zu Tönnies Gemeinschaftsidee hervor: Gemeinschaft wird kulturell aus den Widersprüchen der Gesellschaft konstruiert. In der auf dem aktiven Subjekt beruhenden Konzeption des liberalen Staates zeigt sich Gramscis enger Bezug zu Croces im Ursprung hegelianisch geprägtem Idealismus. Motiviert wiederum durch die Lektüre von Marx, entwickeln Croce und Gentile ihre eigene Philosophie des Geistes, welche von der schöpferischen Intuition des Intellekt ausgeht, die sich aber dabei bewußt von metaphysischen Konzepten absetzt.(61) Die darin angelegte neuartige Beziehung zwischen Hegel und Marx dient Gramsci als Anknüpfungspunkt. Der Fortschrittsoptimismus und die Betonung des Individuums in der Philosophie der Praxis werden bei Croce und Gramsci in Verbindung zum Marxismus gesetzt. Darin widerspricht Gramsci Kautskys Interpretation des wissenschaftlichen Sozialismus als historischem Materialismus, welchen der Italienische Sozialismus Giolittischer Prägung in den 1890er Jahren zunächst abgelegt hatte, der jedoch nach dem ersten Weltkrieg, zur Zeit von Gramscis politischem Wirken in Turin, im mehrheitlichen Maximalismus wiederbelebt wurde.(62)

'Philosophie der Praxis' beruht auf dem Konzept des aktiven Individuums, das auch bei Gramsci mit der Funktion des "Intellektuellen" in der kulturellen Konstruktion von Sozialbeziehungen im Mittelpunkt steht. Die Herausbildung kollektiven Bewußtseins einer wirtschaftlich dominierenden Klasse und deren Einwirkung auf die Entstehung von Öffentlichkeit geht bei Gramsci der kulturellen Konstruktion von Hegemonie voraus und bildet damit die erste Voraussetzung zur Entstehung eines "gemeinschaftlich" strukturierten Staatswesens. Dieses Konzept beruht auf einem Dreischritt, in dem die ökonomische Interessenlage ein soziales Bewußttsein hervorbringt, welche ein politisch-kulturelles Handeln begründet: die Konstruktion der hegemonialen Herrschaftsbeziehung.(63) In dieser Beziehung zwischen wirtschaftlichem Interesse und politisch-kultureller Aktion läßt sich ein Bezug zu Parsons sinnhafter Motivation des Handelns herstellen. Die Herausbildung einer politischen Klasse wird bei Gramsci nicht als mechanistische Konsequenz der ökonomischen Bedingungen, sondern mit der positiven Dynamik aktiver geschichtlicher Subjekte begründet. Darin besteht Gramscis Beziehung zur Philosophie der Praxis des aktiven Individuums: Staat und Kultur sind nicht die Folge oder Wirkung der wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern das Mittel, um die wirtschaftlichen Verhältnisse zu sichern. Klassenherrschaft beruht auf der kulturellen Verankerung der bestehenden Kräfteverhältnisse, weshalb sie als legitim von den Massen anerkannt wird.(64) In dieser aktiven Rolle der Kultur bei der Stiftung gemeinschaftlichen Konsensus deutet sich die Neukonzeption im Verhältnis von Basis und Überbau an.(65)

Kultur stiftet Gemeinschaft. In diesem Sinne kann sie auf unterschiedliche Weise ihre Wirkung entfalten. Den Herrschenden dient sie dazu, die Masse der Menschen von aktiven Individuuen zu Objekten des Systems zu machen und in eine Gemeinschaft einzufügen. Sie begründet Hegemonie, indem sie die Gegebenheit der Herrschaftsverhältnisse kulturell als Werte verankert und darüber einen gesellschaftlichen Konsensus festschreibt. Kultur läßt sich so gestalten, daß sie ein einheitliches politisches Bewußtsein hervorbringt, das keinen Widerspruch gegen das Herrschaftssystem zuläßt. Gesellschaftliche Spannung wird in gemeinschaftliche Harmonie überführt. Gramscis Revolutionstheorie fordert in dieser Konsequenz eine kulturelle Revolution vor dem Sturm auf das Winterpalais, um die neuen Herrschaftsverhältnisse akzeptabel zu machen.(66) Hegemonie ist bei Gramsci kein rein negativ belasteter, unmoralischer Begriff, sondern wertneutral. Hegemonie ist nicht Teil eines normativen Systems, sondern beschreibt auf empirischer Grundlage ein soziales Phänomen. Mit dem Mittel der Kultur geschaffene Hegemonie stellt ein Herrschaftsinstrument dar, welches unabhängig von normativen Erwägungen und daher nicht als negative Manipulation verstanden werden muß.

Gemeinschaft läßt sich in bezug auf Gramsci als eine kulturell-politisch begründete, aktiv über die Philosophie der Praxis konstruierte Kategorie der Gesellschaft beschreiben. Um ein entsprechendes Instrumentarium der Analyse zu entwickeln, bedarf es einer näheren Untersuchung der kulturellen Akteure und der Funktionen von Volkskultur und Folklore in der Konstruktion von hegemonialen Gemeinschaftsbeziehungen. Es geht im Prozeß der kulturellen Konstruktion von hegemonialen Beziehungen weniger um die Inhalte eines solchen Kulturlebens, als um dessen soziale Stoßrichtung.(67) Daher wendet Gramsci den Blick auf die herrschaftsausübende politische Klasse und die gesellschaftliche Stellung und Funktion der "Intellektuellen" im Herrschaftsapparat, wobei er sich sowohl an Moscas Modell der politischen Klasse, als auch an Webers Untersuchungen zu Parteien und politischer Herrschaft orientiert, über deren analytische Ergebnisse er jedoch hinausweist.(68) Seine Schlüsselbegriffe entwickelt Gramsci in Auseinandersetzung mit modernen Staats- und Gesellschaftsmodellen aus einer Neubewertung Niccolò Machiavellis und der Konzeption eines neuen Fürsten, des "Principe Nuovo", den er als Stellvertreter für die gesellschaftliche Position der Intellektuellen im zukünftigen Staatswesen der Revolution versteht.(69) Tatsächlich wird die Funktion des "Principe" in der zeitgenössischen Gesellschaft von den politischen Parteien, den Interessenvertretungen der ökonomisch dominanten, herrschenden Klasse wahrgenommen.(70) Gramscis Konzept zur kulturellen Begründung von Hegemonie durch den "Principe" erhält durch die genaue Einordnung in den Kontext von "Passato e Presente" empirischen Bestand:(71) die Erforschung der Vergangenheit und die Beobachtung der Gegenwart, der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, der gesellschaftlichen Struktur des Risorgimento, des liberalen und des faschistischen Italiens.(72)

Wie arbeitet der "Principe" in der neuzeitlichen Gesellschaftsordnung? Wie stehen in Gramscis Hegemoniemodell die Herrschenden der wirtschaftlich dominanten Klasse zu den ihnen "subordinierten" kulturellen Akteuren, und wie gestaltet sich deren Verhältnis zu den Massen?(73) Bezugnehmend auf den historischen Materialismus, geht Gramsci von den ökonomischen Strukturen der Produktionsverhältnisse aus: Landbesitzer, Kapitalisten und Industrielle stehen den Produktivkräften, den Massen gegenüber. Die aus der ökonomischen Struktur dominant hervorgehenden sozialen Kräfte organisieren sich als politische Kräfte; solche können in Form beruflicher Interessenverbände auftreten ­ Gramsci nennt hier die Gilden der italienischen Stadtrepubliken als Beispiel ­ oder auf einem höheren Niveau auch als Vertreter sozialer Großgruppen. Diese im Besitz des Kapitals befindliche, dominante Gruppe der Gesellschaft bestimmt Inhalte, Ziele und Werte des Staates. Gramsci nennt das die cultura und morale des Systems, welche gleichzeitig die Kernstücke der gesellschaftlichen Hegemonie über die Massen bilden. Zur Festschreibung der sozialen Kräfteverhältnisse und zur Ausübung von Herrschaft im Sinne dieser cultura und morale bedarf die sozial dominierende Gruppe jedoch der Assoziation mit weiteren, von den sozialen Kräften nur indirekt betroffene Gruppen, die Gramsci in einem weitgefaßten Begriff als die "Intellektuellen" umschreibt. Sie werden von der wirtschaftlich-sozial dominierenden Gruppe in einen gemeinsamen Interessenverband ("partito") miteinbezogen und bilden im Staat die società civile und die società politica. Nur mit Hilfe dieser "Intellektuellen" kann die sozial dominierende Gruppe einen Staat bilden und innerhalb des gesellschaftlichen Systems über alle anderen Teile der Gesellschaft ihre Herrschaft ausüben. Mit Hilfe der subalternen Intellektuellen dirigiert die gesellschaftlich dominante Gruppe ihren Staat als ein hegemoniales System. Unter den Bedingungen hegemonialer Herrschaft fließen die unterschiedlichen sozialen Kräfte der Gesellschaft in einer großen Masse zusammen, bis es innerhalb dieser Masse einer anderen Gruppe durch Ausnutzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse gelingt, mit Hilfe eigener subalterner Gruppen ­ d.h. gewandelter oder gänzlich "neuer" Intellektueller ­ eine eigene Hegemonie aufzubauen.(74)

Die der "cultura" und "morale" der Herrschenden entsprechende Staatsraison wird von den Intellektuellen als Ideologie an die Massen weitergegeben. Stellt die società politica direkt die Institute des Staates, des Machtapparates, so organisiert die società civile die Verbindung zum Privat- und Alltagsleben, ohne dabei inhaltlich eine andere Kultur oder Staatsraison als die der società politica und der herrschenden Gruppe zu verbreiten.(75) Es besteht kein Gleichgewicht und natürlicher Konsens zwischen der subalternen Gruppe der Intellektuellen und den Herrschenden, sondern die dominante Gruppe und ihr Staat bedienen sich der Intellektuellen gegen eine Vergütung mit bestimmten Privilegien. Auch das Verhältnis zwischen società politica und società civile erscheint eher komplex. Die dominante Gruppe gestattet der società politica den Einsatz von physischen Machtmitteln. Dazu stehen ihnen bestimmte politische Institutionen des strukturellen Überbaus zur Verfügung, welche in den Bereich der Zivilgesellschaft hineinreichen: Neben Militär und Polizei auch Schule, Kirche, Gerichte, sowie bestimmte Organe zur Organisation der Arbeit in der Fabrik und auf dem Feld. Selbst Gewerbeinnungen und Gewerkschaften sind Teil dieses Machtsystems, da sie die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse anerkennen und nur innerhalb der allgemein akzeptierten Gegebenheiten politisch oder sozial agieren. Auch sie werden von den Hegemonieinteressen der dominanten Gruppe bestimmt; ihre Vertreter sind Teil des staatlichen Machtapparats.(76)

Die società civile erscheint als instrumentum regni der società politica.(77) Im Gegensatz zum Herrschaftsapparat der società politica schreibt die Zivilgesellschaft gesellschaftliche Kräfteverhältnisse auf symbolischer Ebene fest. Vor allem diese Ebene läßt sich als kulturelle Konstruktion von Gemeinschaft verstehen. Die Zivilgesellschaft dient der Herausbildung gesellschaftskonformer Sozialcharaktere, welche die Festigung von Verhaltensweisen und Lebensformen sicherstellen und damit das System und die Disposition der Masse im Sinne der Herrschaft garantieren.(78) Sie spricht bestimmten Gruppen Prestige und Kompetenz zu, erklärt und bestimmt die Gesetze des Handelns und der kollektiven Logik entsprechend der herrschenden Ideologie. Sie verteilt und befestigt soziales Ansehen und bestimmt Verbreitung und Zugang von und zu Information und Bildung. Gleichzeitig wird ihr auch die Kreation von Freiräumen, künstlerischer Abstraktion und Ästhetik zugeteilt. Zu behaupten, daß Kunst unpolitisch und nicht Mittel ideologischer Propaganda sei, sei Teil dieser Strategie.(79) Ein solches Argument diene lediglich der Verschleierung von Hegemonialbeziehungen. Kulturpolitik und Leitkulturen sind wie Kirche und Religion als Herrschaftsmittel zentraler Bestandteil der società civile.(80)

In seiner Aufschlüsselung der Gemeinschaftsverhältnisse beschreibt Tönnies die Sprache als "das wahre Organ der Verständnis".(81) Ähnlich bedarf es bei Gramsci zur Bewahrung der bestehenden Hegemonie einer permanenten Kommunikation zur Vermittlung der dem Herrschaftssystem entsprechenden Kultur. Sinn der Kommunikationsstrukturen ist die schnelle Verbreitung der als "cultura" und "morale" definiert Ideologie. Wichtigstes Kommunikationsfeld der società civile ist für Gramsci die "comunicazione parlata".(82) Dazu gehören Theater, Kino, Radio und die Lautsprecher auf den öffentlichen Plätzen. Sie haben die "comunicazione scritta" (Buch, Zeitung, Manifest) schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend abgelöst. Trotzdem dienen weiterhin auch die komplexen Kulturorganisationen ­ z.B. Akademien und Universitäten ­ weniger der Erforschung von Neuem als der Befestigung und kommunikativen Verbreitung der bestehenden Ideologie.(83) Kulturpolitik und Kunstkritik erscheinen daher im Kommunikationszusammenhang als Politik:

Daß ein Politiker Druck ausübt mit dem Ziel, daß die Kunst seiner Zeit eine bestimmte Kulturwelt widerspiegelt, ist politische Aktivität, nicht Kunstkritik: wenn das Kulturleben und die Kulturwelt, für die man kämpft, eine lebende Realität und ein Bedürfnis darstellen, ist die Expansion dieser Welt nicht aufzuhalten und wird somit auch ihre Künstler finden. Wenn eine solche Kulturpolitik nicht sichtbar wird, ist das ein gutes Zeichen für die Krise eines Systems.(84)

In diesem Verständnis des direkten Zusammenhangs zwischen Kultur und Politik liegt vielleicht der deutlichste Unterschied zwischen Gramsci und dem "Kritiker des kulturellen Modernismus" Tönnies.(85)

Ähnlich Webers Verständnis vom Staat als "legitimen Monopol physischer Zwangsgewalt", wird Staat auch in Gramscis Hegemoniemodell im Zusammenhang mit physischem Zwang erklärt.(86) Zur società politica gehören Soldaten, Polizei und andere Ordnungskräfte. Von der Leninschen Interpretation des Staates, d.h. einer direkten und ausschließlichen Spiegelung der ökonomischen Kräfteverhältnisse setzt sich Gramsci durch die "civile" Erweiterung seines Staatsbegriffs jedoch ab ­ was den Zusammenhang zwischen ökonomischen Kräfteverhältnissen und politischer Herrschaft erst dauerhaft möglich macht: Es bedarf einer kulturellen Vermittlung zwischen den ökonomischen und den politischen Sphären der Gesellschaft. Der komplexe Hegemonie-Apparat des Staates erscheint bei Gramsci als kulturell-dynamisches Medium der dominanten Gruppe. Gramscis Interesse bei der Konstruktion und Behauptung von Hegemonie richtet sich daher nicht nur auf den "militärisch-physischen" Herrschaftsapparat, sondern vor allem auf die società civile und die Herausbildung einer entsprechenden Allianz der sozial dominierenden Gruppe mit den "intellektuellen" Vermittlern der Herrschaft: "Um auf die Zivilgesellschaft einwirken zu können, um ihre dominierende Stellung und die Hegemonie zu wahren, muß sich die regierende wirtschaftliche Klasse der Gesellschaft eine eigene Kategorie von Intellektuellen schaffen."(87)

Den Intellektuellen sind alle Funktionen zum Erhalt der Hegemonie und damit zur Konstruktion von Gemeinschaft unterstellt: Sie sorgen für den Konsensus der Massen und für Disziplin innerhalb des gesellschaftlichen Kräftesystems. Sie stellen das Gleichgewicht zwischen Herrschern und Beherrschten her und formen die divergierenden Kräfte der Gesellschaft in eine harmonisierende Gemeinschaft.

 

4. Schluß

Gramsci entwirft ein ethisch-politisches Konzept, welches aus der Gesellschaft mit Hilfe von Staat und Zivilgesellschaft eine Gemeinschaft formt. Der Konstruktion einer solchen Gemeinschaft liegen die sich aus den sozio-ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft ergebenden sozialen Konflikte zu Grunde. Doch werden diese durch die hegemoniale Struktur der Gesellschaft pazifiziert. Medium dieses Transformationsprozesses von Gesellschaft in Gemeinschaft ist die Kultur. Was die jeweilige Charakterisierung beider Sozialgefüge im Sinn von "Spannung" und "Harmonie" betrifft, erscheinen Gemeinschaft und Gesellschaft bei Gramsci also in ähnlicher Form wie bei Tönnies. In Tönnies Gemeinschaftskonzept wird das Recht zu herrschen aus einer spezifischen Rationalität heraus von den Beherrschten aktiv erteilt; diese Legitimation von Herrschaft stellt den Bezug zu Gramscis Hegemoniekonzept her: Die kontinuierliche und konstruktive Kommunikation von "cultura" und "morale" der Herrschenden bewirkt einen Konsens der Massen mit den bestehenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Doch tritt Tönnies statischem Konzept historischer Verwachsenheit von Gemeinschaft die soziale Dynamik kultureller Konstruktion von Gemeinschaft gegenüber. Die in der Gemeinschaft verankerten Herrschaftsverhältnisse beschreiben bei Gramsci einen relativen Zustand von Gesellschaft, der von dem Funktionieren der inneren Verhältnisse, von den "rapporti di forza" und der Kommunikationsstruktur zwischen Herrschenden, "Intellektuellen" und den Massen abhängt.

Tönnies und Simmel gehen von einem grundsätzlichen Unterschied zwischen historisch-harmonischen und neuzeitlich-konfliktreichen Sozialbeziehungen aus. Das historisch Vergangene erscheint bei Tönnies als verlorenes Ideal. Im Gegensatz zu Tönnies, Simmels und auch Georg Lukács Einschätzungen sind moderne Gesellschaften nach Gramsci hingegen nicht in dem Maß von Konflikten geprägt, wie es im kritischen und teilweise kulturpessimistischen Blick der (deutschen) Soziologie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erscheint.(88) Je nach dem Zustand der jeweiligen Kräfteverhältnisse erkennt Gramsci in den modernen Gesellschaften eher mehr oder weniger solide konstruierte "organische", auf dem Prinzip der Hegemonie begründete Gemeinschaften: Trotz folgenreicher Mängel bei der Kommunikation einer italienischen Nationalkultur beobachtet Gramsci eine die modernen Sozialwesen stark dominierende Harmonie, welche er als eine kulturell konstruierte Hegemonie erklärt. Gerade diese Harmonie und Hegemonie will Gramsci durch die Kultur eines "Ordine Nuovo" in der Turiner Rätebewegung zerbrechen. Ohne den harmonisierenden Bestand einer kulturellen Hegemonie würde sich das Gemeinwesen tatsächlich in Klassenkämpfen auflösen, wozu es jedoch auch an der Wende zu den 1920er Jahren nicht kommt.

Weniger die aus der modernen Industriegesellschaft resultierende Krise traditioneller Sozialbeziehungen (wie sie Simmel und Tönnies im Prozeß der Vergesellschaftung beobachten) versetzt Gramsci in Besorgnis, als der kulturell erzeugte Frieden, welcher jegliche Demokratisierung oder auch die revolutionäre Entwicklung zur Machtübernahme eines "modernen Fürsten" zu hemmen scheint, so lange sich die "rapporti di forza" durch neue Allianzen der "Intellektuellen" nicht umwenden.

Gramsci überführt das Konzept der Gemeinschaft vom historischen Naturzustand in einen zeitlos-gesellschaftlichen Kulturzusammenhang, in dem die hegemonialen Sozialbeziehungen Produkt kultureller Konstruktion sind. Kulturkampf befriedet den Klassenkampf der modernen Gesellschaft und besorgt die Festschreibung der Herrschaftsbeziehungen.


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Fußnoten:

1. Die Beziehungen zwischen sozialer Struktur und Kultur, die aktive Einflußnahme auf die soziale Struktur mittels der Kultur und die Freisetzung sozialer Kräfte durch die Verbreitung von Ideen werden auf theoretischer Ebene von Margaret S. Archer untersucht: Margaret S. Archer: Culture and Agency. The Place of Culture in Social Theory. Cambridge: Cambridge University Press, 1988. Einen Zusammenhang zwischen kultureller Praxis und sozialer Realität beschreibt auch Maurice Halbwachs in seiner Theorie der "kollektiven Erinnerung": Maurice Halbwachs: Les cadres sociaux de la mémoire. (1925). Paris: Albin Michel, 1994, 222. Orientiert sich Halbwachs vor allem an der Wahrung von Kontinuität sozialen Lebens durch die Mittel der Kultur/Tradition, so bedarf es dabei einer sozialen Dynamik, um über den historischen Wandel Bestand zu gewährleisten. Diese Dynamik entspricht der aktiven Rolle der Kultur bei der Gestaltung sozialer Realität. Ebd. 232.
Die der folgenden Darstellung zugrunde liegenden Erkenntnisse beruhen auf zwei empirischen Untersuchungen zur sozialen und politischen Funktion von Kultur, einmal im Unterschichtenmilieu und im anderen Fall bei der Herausbildung urbaner und nationaler Identität in bürgerlichen Mittelschichten: Axel Körner: Idee und Traum einer anderen Welt. Arbeiterlieder und alternative Kulturbewegungen in Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert. Florenz: PhD-Thesis European University Institute, 1995. Ders.: "Bologna: Leitkulturen im Spannungsfeld von Bürgersinn und Wirtschaftsinteressen. Der Kampf um die regionale Presse vor dem Ersten Weltkrieg". In: Reinhard Kannonier u. Helmut Konrad (Hg.): Urbane Leitkulturen. Bologna, Leipzig, Linz, Lubljana 1890­1914. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1995. Axel Körner: "Bürgerliche Öffentlichkeit in Bologna. Soziale und politische Bedingungen urbaner Leitkulturen nach der Italienischen Einigung". In: Reinhard Kannonier u. Helmut Konrad (Hg.): Urbane Eliten und kultureller Wandel. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1997. Axel Körner: "Von Campanilismo zur Europäischen Avantgarde. Bolognas Leitkulturen und das Teatro Comunale". In: Reinhard Kannonier u. Helmut Konrad (Hg.): Urbane Eliten und kultureller Wandel. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1997.

2. Siehe hierzu die Definition des "Ethnozentrismus", die Claude Levi-Strauss auch auf die Grenzen eines Stammes, einer Sprachgruppe, oder selbst eines Dorfes anwendet: Claude Levi-Strauss: Race et Histoire. Paris: Editions Gonthier, 1978 [1961], 21. Eine ähnliche Unterscheidung besteht in der Gegenüberstellung von den Gemeinschaft und Gesellschaft zugeordneten Merkmalen "particularism" und "universality" bei Talcott Parsons: The structure of Social Action. New York, London, 1949 [1937], 686.

3. Zur Bezugnahme Talcott Parsons auf Weber und Durkheim siehe Luciano Cavalli: Il mutamento sociale. Bologna: Il Mulino, 1970, 470f. Das "voluntaristische" Element in Gramsci ­ als Abgrenzung zum orthodoxen Marxismus und Fatalismus der italienischen Maximalisten um 1919 zu verstehen ­ erläutert auch Noberto Bobbio: Profilo ideologico del '900. Mailand: Garzanti, 1990, 142, ohne jedoch vom utopischen Modell normativer und an Tönnies erinnernder "common values" als Grundlage des Handelns auszugehen.

4. Hier sei deutlich auf eine Unterscheidung zu Parsons konformistischer Sozialtheorie hingewiesen: Talcott Parsons: The social system. Glencoe: The Free Press, 1951. Zur Kritik Parsons: Luciano Cavalli: Il mutamento sociale, 490­495.

5. Antonio Gramsci: Quaderni del Carcere. Edizione critica dell'Istituto Gramsci, a cura di Valentino Gerratana. Turin: Giulio Einaudi, 1975, Bd. 3. Q.13, 1583. (Im Folgenden Quaderni). Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972, 72­83. (Im Folgenden GuG).

6. Peter Glotz: "Was kann Björn Engholms Partei von Antonio Gramsci lernen? Auf dem Weg zu einer neuen linken Identität: eine Erinnerung an den italienischen Kommunisten, der vor hundert Jahren geboren wurde." In: Die Zeit 4, 18. Januar 1991, 40. Siehe auch das Themenheft "Gramscis Partei". In: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 1, 1991, 18­54. Für die Gramsci-Reflexion zwischen 1947 und den 1960er Jahren siehe auch Zygmunt G. Baransky: "Pier Paolo Pasolini: Culture, Croce, Gramsci". In: Ders. u. Robert Lumley (Hg.): Culture and Conflict in Postwar Italy. Houndmills: Macmillan, 1990, 139­159.

7. Zur Auswertung der von Gramsci verwendeten Quellen und Bibliographie siehe die entsprechenden Verzeichnisse in Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 4. 3035­3139.

8. Valentino Gerratana, "Prefazione". In: Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 1. 11­42, 31.

9. Gramsci an T. Schucht, 26.3.1927 in Antonio Gramsci: Lettere dal Carcere. Turin: Luigi Einaudi, 1975, 58.

10. Ferdinand Tönnies: GuG, 25.

11. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 3. Q.13, 1558.

12. Zum Verständnis von Gramsci bietet sich der Hinweis auf Croces Konzeption des Dualismus zwischen "Natur und Geist" als "Objekt und Subjekt" an. Benedetto Croce: "Le due scienze mondane. L'estetica e l'economia". In: Ders.: Brevario di estetica. Aesthetica in nuce. Milano: Adelphi, 1990, 171­190, 184ff.

13. Zum Folgenden die grundsätzliche Diskussion in Keith Thomas: "History and Anthropology". In: Past and Present, 24, 1963, 3­24, 3. Hans Süssmuth: "Geschichte und Anthropologie. Wege zur Erforschung des Menschen." In: Ders.: Historische Anthropologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1984, 5­18, 8.

14. Jürgen Kocka: "Historisch-anthropologische Fragestellungen ­ ein Defizit der Historischen Sozialwissenschaften?" In: Hans Süssmuth (Hg.): Historische Anthropologie, 73­83.

15. Hier wird in erster Linie nicht an die "Ecole des Annales" gedacht, sondern an Henri Berrs Projekt einer enzyklopädischen Wissenssynthese in Form der seit 1900 erscheinenden Revue de synthèse historique. Zur Beziehung der Geschichts- mit den Sozialwissenschaften in Frankreich: Jacques Revel: "Histoire et sciences sociales: une confrontation instable". In: Jean Boutier u. Dominique Julia: Passés recomposés. Champs et Chantiers de l'Histoire. Paris: Editions Autrement (Série Mutations 150/151), 1995, 69­81.

16. Zur Beziehung zwischen der "ethisch-politischen Geschichtswissenschaft" und anthropologischen Ansätzen in Italien: Angiolina Arru: "Anthropologische Neuorientierung in Italien. Die Schwierigkeiten eines Bruches mit der historiographischen Vergangenheit". In: Historische Anthropologie. Kultur-Gesellschaft-Alltag. Bd. 3. 1995, 165­173.

17. Zur grundsätzlichen Beziehung zwischen Theorien sozialen Handelns und "historischem Wissen": Jürgen Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften (1967). Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1985, 144. Zur kritischen Auseinandersetzung italienischer Historiker mit der Kulturanthropologie und den "Gefahren des Geertzismus": Angiolina Arru: "Anthropologische Neuorientierung in Italien.", 172f.

18. Die folgende Untersuchung erhebt nicht den Anspruch einer soziologisch-begrifflichen Abhandlung zu Tönnies' Gemeinschaftsbegriff. Ausgangspunkt ist vielmehr die Zuspitzung auf den Vergleich mit Gramscis Hegemoniekonzept. Grundlage dafür sind neben den Originaltexten vor allem einführende Darstellungen, sowie vereinzelte Anhandlungen zu spezielleren Fragestellungen. Seit 1987 läßt sich in Europa eine regelrechte Tönnies-Renaissance beobachten. Hier kann auf die umfangreiche Literatur der letzten Jahre nicht im Einzelnen eingegangen werden. Einen Überblick verschafft Lars Clausen u. Carsten Schlüter (Hg.): Hundert Jahre "Gemeinschaft und Gesellschaft": Ferdinand Tönnies in der internationalen Diskussion. Opladen: Leske u. Budrich, 1991.

19. Im Gegensatz dazu Rehberg, der Tönnies "Normalbegriffe" als Idealtypen bezeichnet: Karl-Siegbert Rehberg: "Gemeinschaft und Gesellschaft ­ Tönnies und Wir". In: Micha Brumlik u. Hauke Brunkhorst (Hg.): Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Frankfurt/M.: Fischer, 1993, 19­48, 27.

20. René König: "Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies". In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 1955, Bd. 7, 348­420, 351­354.

21. Hier berufe ich mich auf den 1963 erstmals erschienenen Nachdruck der achten Auflage von 1935.

22. Manfred Riedel: "Gesellschaft, Gemeinschaft". In: Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 2. Stuttgart: Klett, 1975, 801­862, 855f.

23. Zur Editionsgeschichte: René König: "Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies", 351.

24. Manfred Riedel: "Gesellschaft, Gemeinschaft", 856f.

25. Ferdinand Tönnies: GuG, 181, 251f. Diese Unterscheidung impliziert nicht, daß beispielsweise in der modernen Gesellschaft keine Dörfer existierten oder daß die noch bestehenden Dörfer als Horte historischer Gemeinschaften zu verstehen seien. Vielmehr haben sich die Verkehrsbeziehungen der modernen Dörfer und Städte den Bedingungen des gesellschaftlichen Vertragslebens angepaßt: Ferdinand Tönnies: GuG, 245f.

26. Ibid., 40.

27. Ibid., 26f. Karl-Siegbert Rehberg: "Gemeinschaft und Gesellschaft ­ Tönnies und Wir", 25.

28. Tönnies beschreibt eine "Menge von künstlichen und natürlichen Individuen", Ferdinand Tönnies: GuG, 52.

29. Das Wirtschaftssystem der modernen Gesellschaft ist durch den Beruf des Kaufmanns als eines "zweckmäßig Handelnden" geprägt, ibid., 58.

30. Ibid., 47.

31. Cornelius Bickel spricht von "biologischen Vorstellungen zum Alterungsprozeß einer Kultur". Cornelius Bickel: "Ferdinand Tönnies". In: Iring Fetscher u. Herfried Münkler: Handbuch der politischen Ideen. Bd. 5. München, Zürich: Piper, 1987, 138­143, 139 Etwas anders Karl-Siegbert Rehberg: "Gemeinschaft und Gesellschaft ­ Tönnies und Wir", 36ff. Dagegen lehnt Gehlen die Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturmenschen ab. Arnold Gehlen: "Über Kultur, Natur und Natürlichkeit". Abdruck in ders.: Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen. Reinbeck: Rowohlt, 1961 [1958], 78­92, 78. In der Auseinandersetzung um eine klare Abgrenzung zwischen Natürlichkeit und Biologismus bleibt Tönnies ­ was die Konstruktion seines Gemeinschaftsbegriffs angeht ­ jedoch mißverständlich.

32. Manfred Riedel: "Gesellschaft, Gemeinschaft", 802f.

33. René König: "Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies", 357.

34. Maurice Halbwachs: La Mémoire Collective. Paris: PUF, 1968, 12.

35. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr, 1980, 21.

36. Ferdinand Tönnies: GuG, 22. Zu Wesenwillen und Kürwillen siehe vor allem Peter-Ulrich Merz-Benz: "Die begriffliche Architektonik von 'Gemeinschaft und Gesellschaft'". In: Lars Clausen u. Carsten Schlüter (Hg.): Hundert Jahre "Gemeinschaft und Gesellschaft", 31­64, 40­64.

37. René König: "Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies", 357.

38. Cornelius Bickel: "Ferdinand Tönnies", 141. Zu Tönnies' Kritik der Ästhetisierung und Dekadenz bei Nietzsche siehe Harry Liebersohn: "'Gemeinschaft und Gesellschaft' und die Kritik der Gebildeten am deutschen Kaiserreich." In: Lars Clausen u. Carsten Schlüter (Hg.): Hundert Jahre "Gemeinschaft und Gesellschaft", 17­30, 24­27.

39. Ferdinand Tönnies: GuG, XLI. (Aus dem Vorwort der 3. Auflage).

40. Manfred Riedel: "Gesellschaft, Gemeinschaft", 857f.

41. Ibid., 849­852.

42. Das Konzept des "Verkehrs" spielt zur Beschreibung der modernen ("industriellen" und "kapitalistischen") Gesellschaft eine zentrale Rolle, Ferdinand Tönnies: GuG, 55.

43. Zu Tausch und Verkauf von Waren in der modernen Gesellschaft bei Tönnies: ibid., 43­47. Siehe im Gegensatz dazu Tönnies auf Eigenproduktion beruhenden Hausgemeinschaft. Zur Charakterisierung zitiert er den hellenistisch-römischen Kommentator Rodbertus: "Nihil hic emitur, omnia domi gignitur." ibid., 29. Zu Tönnies Verständnis der Marxschen Werttheorie siehe den Zusatz aus dem Jahre 1911, ibid., 82f.

44. Ibid., 242.

45. Zur Begriffsgeschichte von Recht und Gemeinschaft im 17. Jahrhundert siehe Manfred Walther: "Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies und in der Sozialphilosophie des 17. Jahrhunderts oder Von Althusius über Hobbes zu Spinoza ­ und zurück". In: Lars Clausen u. Carsten Schlüter (Hg.): Hundert Jahre "Gemeinschaft und Gesellschaft", 83­106. Karl-Siegbert Rehberg: "Gemeinschaft und Gesellschaft ­ Tönnies und Wir", 31.

46. Siehe beispielsweise die Religionssoziologie in Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 245­381.

47. Manfred Riedel: "Gesellschaft und Gemeinschaft", 856.

48. Ibid., 857.

49. Georg Simmel: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin: Duncker & Humblodt, 1908.

50. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London, 1991. Grundlegend auch: Jean-Marie Benoist: "Facettes de l'identité". In: L'Idenitité. Séminaire interdisciplinaire dirigé par Claude Levi-Strauss. Paris: Bernard Grasset, 1977, 13­23, 17.

51. Manfred Riedel: "Gesellschaft, Gemeinschaft", 857.

52. Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München: dtv, 1977 [1968], 136. Cornelius Bickel: "Ferdinand Tönnies", 143.

53. Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 151.

54. Siehe zur neueren politischen Deutung von Tönnies Lars Clausen u. F.U. Pappi (Hg.): Ankunft bei Tönnies. Soziologische Beiträge zum 125. Geburtstag von Ferdinand Tönnies. Kiel, 1981.

55. So auch René König: "Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies", 414.

56. Hierzu vor allem René König: ibid., 366.

57. Ferdinand Tönnies: GuG, 20.

58. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 2. Q.6, 767.

59. Zitiert nach: René König: "Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies", 371.

60. Otto Kallscheuer: "Antonio Gramscis intellektuelle und moralische Reform des Marxismus". In: Iring Fetscher u. Herfried Münkler: Handbuch der politischen Ideen. Bd. 5. 588­601, 590.

61. Benedetto Croce: "Intorno al mio lavoro filosofico". In: ders.: La mia Filosofia. Milano: Adelphi, 1993, 11­25, 21.

62. Katharina Keller: Modell SPD? Italienische Sozialisten und deutsche Sozialdemokratie bis zum ersten Weltkrieg. Bonn: Verlag J.H.W.Dietz Nachfolger, 1994. Zur gegensätzlichen Konzeption des Marxismus bei Turati und Gramsci: Noberto Bobbio: Profilo ideologico del '900, 138f. Auf philosophischer Ebene wird deutlich, wie der PSI im Gegensatz zu Gramscis neuer Bewegung einen orthodox-reaktionären Marxismus vertritt, der sich ganz auf den natürlichen Entwicklungslauf der Produktionsverhältnisse verläßt. Zu Kautskys eigener Einschätzung des italienischen Faschismus Massimo Salvadori: Karl Kautsky and the Socialist Revolution. 1880­1938. London: Verso, 1990 [1976], 340­343.

63. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 3. Q.13, 1583.

64. Diese gegen eine positivistische Auslegung gerichtete Konzeption eines "marxismo creatore contro il marxismo dogmatico" findet sich bereits beim jungen Gramsci um 1917: Paolo Spriano: "L'ordine Nuovo" e i consigli di fabbrica. Turin: Luigi Einaudi, 1971, 20f.

65. Gramsci führt nicht nur theoretische Gründe für eine solche Neukonzeption an, sondern gibt auch praktische Nachweise, wobei er Marx als Kronzeugen einbringt. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 2. Q.2, 871­873.

66. Otto Kallscheuer: "Antonio Gramscis intellektuelle und moralische Reform des Marxismus", 598. Siehe auch Noberto Bobbio: Profilo ideologico del '900, 202. In seiner Revolutionstheorie versteht Gramsci 1919 auch die Fabrikräte, die Gewerkschaften, die Partei und die Assoziationsstruktur in deren Umfeld als "Agenti" und "gerenti" der Revolution: Antonio Gramsci: "Il partito e la rivoluzione". In: L'Ordine Nuovo. Turin: Luigi Einaudi, 1987, 167­372, 371. In den Quaderni interpretiert er diese Aktivität schließlich als Entwicklung einer neuen Kultur.

67. Carmelo Vigna: "Gramsci e l'egemonia. Una interpretazione metapolitica". In: Virgilio Melchiore, Carmelio Vigna, Gabriele de Rosa (Hg.): Antonio Gramsci. Il pensiero teorico e politico. La questione leninista. Bd. 2. Rom: Città Nuova Editrice, 1979, 11­69, 63.

68. Zur Bestimmung der Rolle der Intellektuellen setzt sich Gramsci mit Gaetano Moscas Elementi di scienza politica (1923) auseinander. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 2. Q.8, 956 und ibid., Bd. 3. Q.13, 1562. In Anlehnung an Paretos Elitenkonzept bezeichnet er Moscas "Classe Politica" als die Kategorie der Intellektuellen der dominanten Klasse. Bezugnehmend auf Moscas früheres Werk Teorica dei governi e governo parlamentare (1883), verlangt Gramsci jedoch eine sehr viel präzisere Ausgestaltung (ibid., Bd. 3. Q.13, 1607 und Q.19, 1978f.), die er mit Bezug auf Wirtschaft und Gesellschaft in Webers Untersuchungen zum "Begriff und Wesen der Parteien" findet: Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 1. Q.2, 230. (Gramsci kannte das Werk jedoch nicht im Original, sondern nur in einer Rezension von Robert Michels.) Die italienische Übersetzung einer Untersuchung Webers zu Parlament und Regierung in Deutschland (Max Weber: Parlamento e Governo nel nuovo ordinamento della Germania. Bari: Laterza, 1919.) dient Gramsci zum Nachweis der Notwendigkeit politischer Intermediärkräfte, die an sein Konzept der "società politica" angelehnt sind: Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 3. Q.12, 1527 und Q.15, 1809.

69. In der zwischen 1948 und 1951 herausgegebenen Fassung der Quanderni del Carcere erscheinen die entsprechenden Passagen des Werkes unter dem Titel Antonio Gramsci: Note sul Machiavelli, sulla Politica e sullo Stato Moderno.

70. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 3. Q.13, 1601.

71. Zum wissenschaftlichen Anspruch seiner Gesellschaftsanalyse: ibid., Bd. 3. Q.13, 1561.

72. Außer der italienischen Geschichte kommt der Erklärung der Französischen Revolution dabei besondere Bedeutung zu: ibid., Bd. 3. Q.13, 1587.

73. Zum Folgenden: ibid., Bd. 3. Q.13, 1578­1589. Siehe auch den Brief an Tatiana Schucht vom 7.9.1931, Antonio Gramsci: Lettere dal Carcere, 479­483. Eine Zusammenfassung der Quaderni bei Giuseppe Fiori: Vita di Antonio Gramsci. Roma, Bari: Laterza, 1966, 272­284.

74. Der Aufbau eines solchen "Partito" aus ökonomisch nur indirekt betroffenen, subordinierten Gruppen ist ein materiell nicht vorausbestimmter, auf freier Entscheidung beruhender Akt emanzipierter Individuen und widerspricht dem orthodox strukturalistischen Ansatz, demzufolge jeglicher auch bewußter Vorgang nur innerhalb der "réalité naturelle et sociale" vor sich geht und somit nur Teil des durch die Produktionsverhältnisse determinierten Denkapparats ist. Louis Althusser, "Du 'Capital' à la philosophie de Marx". In: Louis Althusser et al.: Lire le Capital (1965). Paris: Quadrige, 1996, 1­79, 41.

75. Zur Unterscheidung zwischen Politik und Zivilgesellschaft: Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 3. Q.13, 1599.

76. Reinhard Kannonier: Zentralismus oder Demokratie. Zur Organisationsfrage in der Arbeiterbewegung. Wien: Europaverlag, 1983, 83f.

77. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 2. Q.6, 763.

78. Otto Kallscheuer: "Antonio Gramscis Religion der Moderne". In: Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, 38, 1991, 31­37, 35. Aus der Geschichte der Französischen Revolution verwendet Gramsci das anschauliche Beispiel des Jacobinischen Kults: ein Versuch, eine Identifizierung der Zivilgesellschaft mit dem Staat herzustellen, "das Leben des Volkes und der Nation in einer Faust zusammenzufassen". Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 2. Q.6, 763.

79. Ibid., Bd. 3. Q.15, 1793.

80. Zum Begriff der Leitkulturen: Reinhard Kannonier u. Helmut Konrad (Hg.): Urbane Leitkulturen. 1890­1914. Leipzig, Lubljana, Linz, Bologna. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1995. Dies., (Hg.): Urbane Eliten und kultureller Wandel. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1997. Zur Kulturpolitik bei Gramsci siehe Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 2. Q.6, 821. Ähnlich auch 1933 Croces Analyse der Kulturpolitik, allerdings in kritischer Sichtweise mit Blick auf das nationalsozialistische Deutschland. Benedetto Croce: "Amore e Avversione allo Stato". In: Ders., La mia Filosofia, 246­259, 255­258.

81. Ferdinand Tönnies: GuG, 20.

82. Antonio Gramsci: Quaderni, Bd. 3. Q.16, 1891.

83. Ibid., Bd. 3. Q.12, 1538 und Q.16, 1891.

84. Ibid., Bd. 3. Q.15, 1793f. Zur Abgrenzung zwischen Kultur und Kunst siehe ibid., Bd. 3. Q.23, 2192 und Q.21, 2109.

85. Harry Liebersohn: "'Gemeinschaft und Gesellschaft' und die Kritik der Gebildeten am deutschen Kaiserreich", 23.

86. Otto Kallscheuer: "Antonio Gramscis intellektuelle und moralische Reform des Marxismus". 597. Ders.: "Antonio Gramscis Religion der Moderne", 34.

87. Gramsci an T.Schucht, 7.9.1931, zitiert nach: Lettere dal Carcere, 479­483, 481.

88. Harry Liebersohn: "'Gemeinschaft und Gesellschaft' und die Kritik der Gebildeten am deutschen Kaiserreich", 17ff. Siehe auch den Vergleich zum kulturellen Antimodernismus bei Georg Lukàcs: ibid., 27­30.