Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Gabriela Häfner: Ellen Key und das kulturelle Selbstverständnis Schwedens zwischen Tradition und Moderne

Arbeitspapiere "Gemeinschaften" Band 18
Gedruckt mit Unterstützung des Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbank

Im Schweden der Jahrhundertwende begann sich eine ideologische Umorientierung in der Debatte um das kulturelle Selbstverständnis des Landes abzuzeichnen: An die Stelle eines nostalgischen Nationalismus, der sich noch vorwiegend aus dem Mythos der schwedischen Großmachtvergangenheit speiste, traten zunehmend die Visionen von einem modernen Schweden, dessen Zukunft in industrieller Entwicklungsfähigkeit, sozialem Reformwillen und Offenheit gegenüber den Prozessen einer modernen Gesellschaftsentwicklung gesehen wurde. Zu den herausragenden Persönlichkeiten, die in dieser Debatte Perspektiven für einen gesamtgesellschaftlichen Erneuerungsprozeß aufzuzeigen versuchten, gehörte die Frauenrechtlerin, Reformpädagogin, Literatur- und Sozialkritikerin Ellen Key. In ihrem Werk fragte sie nach den Möglichkeiten für das Entstehen eines neuen nationalen Gemeinschaftsgefühls, das neben dem kulturellen Erbe des Landes auch dem Gegenwartsleben und der Alltagskultur einen Platz einräumte und das dem neuen technisch-industriellen Zeitalter gewachsen wäre.

Dala-Pferd und schwedisches "Volksheim" - Krise einer kollektiv sinnstiftenden kollektiven Mythe?

"Nach dem Volksheim" (Efter folkhemmet) - so lautet apodiktisch der Titel einer kleinen, 1996 erschienenen Veröffentlichung, die in essayistischer Form Genese, Aufstieg und Niedergang des schwedischen Wohlfahrtsstaates nachzuskizzieren versucht.(1) Aufmachung und Titel der Publikation setzen inmitten der Flutwelle von Forschungsliteratur, die in den letzten Jahren die politisch-ökonomische Krise in Schweden zu analysieren versucht, zur eigenen Profilierung auf provokative Signalfunktionen: Die Illustration des Buchumschlags zeigt vor dem Hintergrund eines leuchtenden Wiesengrüns ein ausgemergeltes Dala-Pferdchen. Hängenden Hauptes balanciert es auf vier klapprigen Beinen. Das farbenprächtige Ziergeschirr in der traditionellen Dala-Motivik, das das Tier um seine eingefallenen Lenden und hervorstehenden Rippen trägt, bildet gleichsam eine nostalgische Reminiszenz an vergangene Zeiten einstiger Größe und Vitalität. Unter der Abbildung ist der programmatische Untertitel des Buchs zu lesen -"Eine Agenda für die Erneuerung Schwedens" (En agenda för Sveriges förnyelse).

Mauricio Rojas, der Autor des Buches, hält die Tage des politischen und ideologischen Projekts des folkhem, des "schwedischen Volksheims", für gezählt. Die Krise des Landes liege dabei nicht hauptsächlich in den ökonomischen und gesellschaftspolitischen Problemen, die sich im Prozeß der Transformation des wohlfahrtsstaatlichen Modells ergäben. Sie beruhe - und darauf wird in dem ebenso polemischen wie markanten Bild der Dala-Mähre abgehoben - vielmehr auf einer grundlegenden Verunsicherung des nationalen Selbstverständnisses Schwedens, das in diesem Jahrhundert in spezifischer Weise an das politische Projekt des "Volksheims" wohl gebunden gewesen ist:

Der schwierigste Knoten in der schwedischen Krise ist weder intellektueller noch praktischer, sondern psychologischer Art. Er besteht in einer aufgeladenen Nostalgie, die unsere Sinne gefangen hält, unsere Gedanken lähmt, die uns ohnmächtig macht angesichts einer Zukunft, die mit sich bringt, daß alles sich ändern muß, sogar die Grundfesten unserer kollektiven Identität. Die schwedische Krise ist eine zehrende Trauer, ein erzwungener Auszug aus einem verlorenen Paradies, und unser Volk wird das Wort Volksheim auf seinen Lippen haben bis zu dem Tag, an dem wir unser neues Zuhause finden.(2)

Der Abschied vom "Volksheim" ist der Abschied von einer sinnstiftenden Metapher, die im Schweden dieses Jahrhunderts eine wichtige ideologische Funktion in der Konstruktion einer nationalen Identität innehatte. "Tradition" und "Moderne" seien in dieser Metapher, wie Rojas meint, in ein spezifisch schwedisches Verhältnis zueinander getreten. Die Stärke der Metapher des "Volksheims" habe dabei in ihrer Fähigkeit gelegen, Kontinuität zu vermitteln inmitten der Diskontinuität, die der historische Modernisierungsprozeß mit sich führte, und somit eine Brücke zwischen "alter" und "neuer" Zeit zu schlagen:

Die Stärke des Volksheims lag genau in dieser Fähigkeit, die Geschichte und die Zukunft des Landes, seine besonderen Traditionen und das Versprechen des Industrialismus von einem Leben in materiellem Wohlstand miteinander zu verflechten. Das Volksheim wuchs zusammen mit der Vergangenheit und der eigenen Zeit.(3)

Das Dala-Pferdchen fungierte über Jahrzehnte als nationales Symbol für diese historische Kontinuität: An ihm reflektiert sich die Geschichte eines ungemein erfolgreichen gesellschaftlichen Transformationsprozesses - dem Wandel Schwedens von einer am Ende des letzten Jahrhunderts noch armen Agrargesellschaft zu einer reichen Industrienation in diesem Jahrhundert, einer auf Egalität und soziale Sicherheit bauenden Wohlstandsgesellschaft, einem Land, das auf der internationalen politischen Landkarte als der Ort für Fortschritt und Moderne schlechthin gelten sollte.(4) Das Symbol, aus dem nationales Selbstbewußtsein bezogen werden konnte, scheint in den 1990er Jahren verschlissen. Die Umschlagsillustration zu Mauricio Rojas Buch präsentiert uns ein demontiertes Symbol und proklamiert damit das Ende der Mythe vom schwedischen Modernisierungsweg, in dessen Verlauf auf den Grundlagen eines gemeinsamen kulturellen Erbes nationale Größe im Zeichen sozialer Gerechtigkeit und industrieller Entwicklung erreicht werden konnte.

In dem Moment, in dem der Bau des Volksheims wankt, wanken auch unsere nationale Identität, unsere im Tiefsten verankerten Traditionen und Träume, das Erbe von Jahrhunderten. Und deshalb wird die Erneuerung, die wir zu bewältigen haben, ungleich schwieriger sein als die Änderung einiger unangemessener Steuersätze oder die Abschaffung einer Reihe von unzeitgemäßen Regelungen. Das, was es umzuformulieren gilt, ist nichts geringeres als unsere kollektive Identität, unsere Institutionen und Verhaltensweisen, die ihre Kraft aus einem historischen Urgestein beziehen, das den unsichtbaren aber überwältigenden Boden darstellt, auf dem unsere spezifische Modernität ruht.(5)

Rojas Grundthese vom Zusammenhang der politischen und ökonomischen Krisensituation und der Dekonstruktion nationaler Identität ist nicht neu. Sie ist so wenig neu, daß sie hier dramatisiert und zugespitzt auftreten muß, um Aufmerksamkeit zu erregen. In seinem 1984 in Dagens Nyheter als Artikelserie veröffentlichten Aufsatz "Det moderna Sveriges myter"(6) hatte Arne Ruth bereits diesen Zusammenhang hergestellt und einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.

Auch Ruth sah den Grund für die ausgesprochen "neurotische Atmosphäre"(7) in der Debatte um den schwedischen Wohlfahrtsstaat weniger in den realen ökonomischen Schwierigkeiten des Landes begründet als vielmehr in der Beschädigung eines über Schweden hinaus wirksamen Mythos - eben jenes Mythos von Schweden als Inkarnation der Idee von Fortschritt und Moderne. Anders als Rojas allerdings verlegt sich Ruth weniger darauf, den Faktor der kollektiven Verunsicherung als Argument für die Notwendigkeit eines grundlegenden Erneuerungsprozesses anzuführen. Für Arne Ruth stellt sich die Stimmung des Selbstzweifels, die das politische Klima des Landes präge, eher als zwangsläufig wiederkehrendes Motiv dar: Sie erinnere an die kulturelle Krisenstimmung in der Zeit vor fast genau hundert Jahren, als das Land sich ebenfalls inmitten eines tiefgreifenden strukturellen Umbruchs auf gesamtgesellschaftlicher Ebene befand. Nicht zufällig sei diese Wiederkehr, da nunmehr nicht weniger als die kritische Aufarbeitung der ideologischen Erbschaft dieser Zeit anstehe: die Auseinandersetzung mit den Entwürfen und Visionen eines modernen Schweden, die in der Zeit um 1900 Hochkonjunktur hatten und - wie Ruth aufzeigt - ideologisch bereits den Boden bereiteten, auf dem dann in den 1930er Jahren der schwedische Wohlfahrtsstaat sich etablieren konnte.

Die Szenarien einer "schwedischen Apokalypse"(8) in den 1990er Jahren, auch in Rojas ansonsten sehr kritischen Untersuchungen immer wieder auftauchend, scheinen nur im Zusammenhang mit der Vorgeschichte des sozialdemokratischen "Volksheim"-Projektes verständlich. In dieser werden die Komponenten einer nationalen Identitätskonstruktion deutlich erkennbar, die in der späteren Erfolgsgeschichte des Wohlfahrtsstaates über Jahrzehnte nicht hinterfragt werden mußten.

Um die Jahrhundertwende war die Selbstreflxion der schwedischen Elite von einem in ganz Nordeuropa gängigen und wirksamen Klischee geprägt: dem Bild Schwedens als einer unwiederbringlich veralteten, hoffnungslos rückständigen Nation, deren Zukunft im Vergleich zu den Nachbarländern Dänemark und Norwegen sowohl sozial als auch ökonomisch blockiert zu sein schien.(9) Das alte politische System drohte in eine Legitimationskrise zu geraten. Seine Morbidität meinte man ablesen zu können an der industriellen Rückständigkeit des Landes, in der Unfähigkeit, im Emigrationsproblem, in der Unionskrise mit Norwegen und in den innenpolitischen Konflikten der Zeit - hier vor allem die Auseinandersetzungen um die Ausweitung des Wahlrechts. Vor dem Hintergrund dieser Probleme sollte die Frage nach den Möglichkeiten, einen neuen sinnstiftenden gesellschaftlichen Zusammenhang zu entwickeln, zu einer grundlegenden in der kulturellen wie politischen Debatte des Landes werden.

Im Werk der Frauenrechtlerin, Reformpädagogin, Literatur- und Sozialkritikerin Ellen Key schlug sich die Aufbruchsstimmung dieser Zeit in der emphatischen Begrüßung eines Prozesses von kultureller "Erneuerung" und "Verjüngung" nieder, für den Key Perspektiven aufzuzeigen versuchte.

Ellen Key und der Umbruch im kulturellen Selbstverständnis Schwedens um die Jahrhundertwende

Ellen Key (1849-1926), Tochter des Reichstagsabgeordneten und Mitbegründers der Bauernpartei (Lantmannapartiet) Emil Key, wuchs auf dem Herrengut Sundsholm bei Västervik in Småland auf.(10) In dem liberal gesinnten Elternhaus spielte die Auseinandersetzung mit den politischen Ideen der Zeit und das Interesse für internationale Literatur eine wichtige Rolle. Eine Atmosphäre familiärer Geborgenheit und aufgeklärter Intellektualität gehörte zu den als prägend empfundenen Kindheitseindrücken der späteren Sozialreformerin.(11)

Einen Namen sollte sich Ellen Key - nach anfänglicher Arbeit als Sekretärin ihres Vaters und als Lehrerin an verschiedenen Sonntags- und Mädchenschulen - in den 1880er Jahren zunächst mit ihren Vorlesungen in Kulturgeschichte am Stockholmer Arbeiterinstitut machen, zunehmend auch mit Vorträgen für verschiedene Arbeiter-, Frauen- und Studentenvereinigungen. Daneben schrieb sie Artikel für Zeitschriften wie Tidskrift för hemmet, ein Forum der frühen bürgerlichen Frauenbewegung, Revy i litterära och sociala frågor und Verdandis småskrifter, beides Sprachrohre des Kulturradikalismus der 1880er Jahre, dem Key in den damaligen Jahren von verschiedener Seite dann auch vorschnell zugerechnet wurde.(12)

Ab der Jahrhundertwende begann sich Key allmählich ganz ihrer schriftstellerischen Arbeit zuzuwenden. Ihre bedeutendsten Werke entstanden in dieser Zeit, darunter 1900 Barnets århundrade. Das Buch - in Deutschland unter dem Titel Das Jahrhundert des Kindes zwischen 1902 und 1926 in 17 Auflagen erschienen, des weiteren in nicht weniger als 13 Sprachen übersetzt(13) - machte Ellen Key über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt. Es sollte zum Schlagwort einer Epoche reformpädagogischer Bestrebungen werden, in deren Mittelpunkt die Idee eines natürlichen Aufwachsens des Kindes, jenseits der autoritären Erziehungsmethoden der Zeit, stand. Nach einer Phase zahlreicher internationaler Reisen und längerer Auslandsaufenthalte ließ sich Key dann 1910 bei Omberg am See Vättern nieder, wo sie ein Haus nach ihren Wohn- und Einrichtungsideen bauen ließ: die Villa Strand.

Obwohl Ellen Key ihren Zeitgenossen eine Galionsfigur des anbrechenden neuen Jahrhunderts war, geriet ihr Name in Europa schnell wieder in Vergessenheit. Ola Stafseng nennt sie eine höchst bedeutende, aber unbekannte Klassikerin der Gesellschaftswissenschaften in Schweden.(14) Als Ronny Ambjörnsson 1976 seine Anthologie Hemmets århundrade, eine Sammlung der vielleicht wichtigsten Essays der Gesellschaftsutopistin, herausbrachte, waren Keys Werke in Schweden im Buchhandel nicht mehr erhältlich. In den Bibliotheken waren sie in der Regel in den Magazinen verschwunden, und in den Literaturhandbüchern wurde von Key das Bild einer romantischen Moralpredigerin mit Ideen, die schnell unmodern geworden waren, gezeichnet.(15)

Daß das Werk Keys Mitte der neunziger Jahren wieder verstärkt zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungsarbeit wird(16), mag sicherlich auch auf die Wiederentdeckung des Werkes durch Ambjörnsson zurückzuführen sein. Der Tatbestand läßt sich allerdings auch in einen größeren Zusammenhang stellen: Er kann als eines von vielen Indizien dafür gesehen werden, daß in der Krise des Wohlfahrtsstaates sich nunmehr ein Bewußtsein dafür entwickelt, daß die Modernisierung der schwedischen Gesellschaft einherging mit der Befriedigung von Bedürfnissen nach kollektiver Identität im Bezugsrahmen des Nationalen - ein Zusammenhang, der in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Schweden aufgrund einer politischen Kultur, die von Diskursen nationaler Identität Abstand nahm und sich gerade hierin als avanciert verstand, lange Zeit verschleiert geblieben war.

Dieser Zusammenhang war um die Jahrhundertwende evident. Die Konzepte einer gesellschaftspolitischen Modernisierung des Landes waren hier noch ganz eingebunden in das übergeordnete Programm, eine effiziente ideologische Grundlage für ein neues nationales Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Dieser nationale Identitätsdiskurs sollte jedoch zunehmend in dem Maße in den Hintergrund treten, in dem ab den dreißiger Jahren und vor allem in der Nachkriegszeit der "Mythos des modernen Schwedens", wie Ruth es nennt, über die eigenen Grenzen hinaus wirksam wurde und nicht mehr als eine nationale Ideologie von innen her formuliert werden mußte. Schweden schien den Schlüssel zu einer harmonischen Bewältigung des Konfliktpotentials moderner Gesellschaftsentwicklung gefunden zu haben, das "schwedische Modell" bekam internationale Vorbildfunktion, fungierte nunmehr als Ausdruck eines universellen Vernunftprinzips.

Schwedens nationale Interessen schienen sich ganz und gar mit den Bedingungen für den internationalen Fortschritt zu decken. Das, was gut war für die Schweden, war auch gut für die Welt.(17)

Eine Politik des Internationalismus und der Verwirklichung von humanitären Idealen wurden dabei zu Grundlagen des eigenen politischen Selbstverständnisses. Für Schweden, das somit lange Zeit seinen nationalen Stolz gerade aus dem Verzicht auf nationalistische Gefühle beziehen konnte - bis zu den achtziger Jahren waren Fragen der nationalen Identität mit einem mehr oder weniger programmatischen Tabu belegt(18) - mußte die Erkenntnis, in den neunziger Jahren einen Rückfall in eine neue Blüte des Diskurses um "Schweden und das genuin Schwedische" zu erleben, zunächst schockieren. Gleichzeitig damit aber sollten sich auch neue Blickwinkel auf die eigene politische Geschichte des Landes in diesem Jahrhundert ergeben - auf die Momente einer nationalen Sinnproduktion, die auf ideologischer Ebene das politische Projekt des 'Volksheims' immer begleitet hatte. Daß nun also Ellen Key als eine progressive Vordenkerin des schwedischen Modernisierungsweges in den neunziger Jahren wiederentdeckt werden kann, scheint mir mit dem hier beschriebenen Paradigmenwechsel zusammenzuhängen. Keys sozialreformerisches Erneuerungsprogramm der Jahrhundertwende stand ganz unter dem Vorzeichen einer Sinnproduktion für das Konstrukt der Nation. In Zeiten, in denen für die Öffentlichkeit die Idee des Nationalen aber Konnotationen des Reaktionären trug, mußte auch die Einsicht in die Bedeutung, die die Ideen Keys für die Genese des eigenen kulturellen Selbstverständnisses hatten, versperrt bleiben. Daß die gesellschaftsreformerischen Visionen und Ideen Ellen Keys aber tatsächlich weit über ihre Zeit hinaus wirksam wurden und in Schweden mitarbeiteten an einem Fundus nationaler Metaphorik, soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden.

Die ersten beiden Jahrzehnte nach der Jahrhundertwende waren für Schweden eine Zeit friedlicher - deshalb aber nicht minder revolutionärer - sozialer und politischer Umbrüche. Sie schufen das Fundament, auf denen in den dreißiger Jahren der schwedische Wohlfahrtsstaat sich dann etablieren konnte. Wie Arne Ruth beschreibt, schlugen sich diese Umwälzungen außenpolitisch in der Aufgabe eines nostalgischen Nationalismus nieder, an dessen Stelle die zunehmende Ausrichtung auf Internationalismus und humanitäre Ideale trat. Innenpolitisch habe sich eine allmähliche Verlagerung der wichtigsten Bereiche staatlicher Ausgaben von der Verteidigung zu sozialer Wohlfahrt und Erziehung abgezeichnet.(19) Dabei wurde der allmähliche Durchbruch eines industrialisierten, urbanisierten und demokratischen Schwedens vorbereitet und begleitet von einer intensiven Debatte um das kulturelle Selbstverständnis des Landes. Ein traditioneller, autoritärer, militaristischer Standpunkt, der seine Vorstellungen von nationaler Identität noch aus dem Mythos von Schwedens Großmachtvergangenheit speiste, stand den Visionen von einem jungen Schweden gegenüber, dessen Zukunft abhängig schien von industrieller Entwicklungsfähigkeit, sozialen Reformen und Offenheit gegenüber den Prozessen einer modernen Gesellschaftsentwicklung.(20) Als bemerkenswert in der Auseinandersetzung um diese beiden konträren Ansätze erscheint, daß die Bilder des neuen Schwedens lanciert wurden von der kulturellen Elite der "alten Zeit", und - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Emigration und der Herausbildung einer Industriearbeiterklasse - integrative gesellschaftliche Funktionen hatte.(21)

Die hier skizzierte ideologische Umbruchssituation sollte sich kurz vor der Jahrhundertwende symptomatisch in einem Disput zweier für die kulturelle Öffentlichkeit der Zeit bedeutenden Persönlichkeiten niederschlagen: Verner von Heidenstam veröffentlichte 1897 in Ord & Bild den Aufsatz Om svenskarnes lynne(22), eine kleine volkspsychologische Studie, in der er die Möglichkeiten einer Wiederbelebung des schwedischen Nationalgefühls reflektierte. Einer solchen, so das Fazit des Textes, stünde die für das schwedische Volk charakteristische Eigenart im Wege, die Bedeutung des Landes als alte Kulturnation zu verleugnen. Dieser Verleugnungsakt ginge einher mit einer lächerlichen Überschätzung der kulturellen Leistungen des Auslands. In einem offenen Brief reagierte Ellen Key auf die Darlegungen des befreundeten Heidenstam. Dieser Brief, unter dem Titel "Om patriotism. Öppet brev till min vän Verner von Heidenstam"(23) 1897 in Författareföreningens Vintergatan erschienen, soll im weiteren im Zentrum meiner Untersuchung stehen. Er scheint mir den Anbruch eines neuen Paradigmas in den schwedischen Begründungen einer kulturellen Besonderheit und nationalen Eigenart zu belegen.

Das altersschwache Schweden - Keys Kritik an einem Patriotismus nationaler Festtagsrhetorik

Key entwirft in ihrem Text zunächst das zeittypische Bild von Schweden als einer "altersschwachen, entvitalisierten" Nation, die in ihrer kulturellen Entwicklung zurückgeblieben scheint und der es an einem zukunftsorientierten Nationalbewußtsein mangelt. Sie sieht jedoch nicht wie Heidenstam einen schwedischen Hang zu Selbstverleugnung und Selbstzweifel als Ursache hierfür, sondern vielmehr die gesellschaftliche Dominanz einer veralteten ideologischen Begründung von nationaler Zusammengehörigkeit, die unfunktional geworden sei.

Heidenstam setzt Schweden gleich mit einem alten, weitgereisten Weltmann, der bei großen Ereignissen der europäischen Kulturgeschichte mitgemischt habe, dessen Erfahrung und Altersweisheit ihn nun aber daran hinderten, sich ungehemmt für seine vitalen Interessen einzusetzen:

Die schwedische Nation gleicht einem weitgereisten alten Mann von Welt, der bei allem dabei war und alles probiert hat. Er hat die Tiefen in den unreinen Gewässern der Politik gemessen. Er hat den Vatikan mit seinen Hermelinen und silbernen Glöckchen und Versailles mit seinen Elchlederhandschuhen und Stulpenstiefeln verblüfft. Er hat Gnadenbrot beim Sultan gegessen und deutsche Bürger zu Springbrunnen voll Wein geladen. Seine Geschichte ist schillernder als Karl Knutssons Lebensgeschichte, und weltklug und allerfahren reibt er sich die Hände und beugt sich und beugt sich. [&133;] Ein großartigeres Ende kann wohl kaum auf ein altes Volk warten, als mit den reifen Früchten des Wissens im Schoß und der Selbstanklage auf den Lippen die Augen zum Schlafe zu schließen; das Gesetz des Lebens befiehlt aber, vor dem Abgrund zurückzuweichen, und das Gemüt der Schweden ist noch immer zu reich an Möglichkeiten, als das die durchsichtig kalten Tage, in denen diese einander betrachten, notwendigerweise die des Herbstes sein sollten.(24)

Es ist genau dieses veraltete Prinzip, die kulturelle und politische Bedeutung des Landes aus der behaupteten Anciennität der schwedischen Nation herzuleiten, gegen das Key sich in ihrem Aufsatz wendet.(25) Ihre Kritik formuliert sie in einem karikaturhaften Gegenbild zu Heidenstams Untergangsmetaphorik:

Deine Karikatur der schwedischen Nation als ein alter, weigereister Mann von Welt, der seinen Nachbarn gegenüber mit einer Verbeugung sich selbst jedwede Bedeutung abspricht, ist eher amüsant als zutreffend. Auf mich wirkt unsere Nation vielmehr wie ein alter, schöngeistiger Adeliger, der seine Verrichtungen am Hofe als Lebensaufgabe und sein literarisches Schaffen - obgleich noch so bedeutend - als Zeitvertreib betrachtet; und der deshalb beim Besuch der Nachbarn rasch sein Manuskript in der Gesäßtasche seiner Uniform verschwinden läßt und seinem Biographen nicht die Titel seiner Bücher, sondern die seiner Orden mitteilt.(26)

Schwedisches Nationalbewußtsein erschöpfe sich demnach in einer Orientierung an der zeremoniellen Festtagsrhetorik des Hofes, ohne sich einer der wichtigsten Herausforderungen der neuen Zeit zu stellen - dem Versuch einer nationalen Kulturalisierung des Alltags.

Dem Land, so konstatiert Key, mangele es keinesfalls an patriotischen Gebärden in großen Gedenkreden und Jubelfesten, an der Deklamierung einer ehrwürdigen Geschichte mit großen Taten und heldenhaften Ahnen. Nur sei diese Mythisierung der Vergangenheit vollkommen untauglich, eine Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte zu bewirken, die das Land aus dem Zustand von Apathie und Lähmung führen könnte. Gegen diese Form von Patriotismus wendet sich Keys ganze Polemik: "Dieser veraltete Patriotismus ist es, der das Selbstwertgefühl der Nation in den letzten Jahrzehnten buchstäblich von Steinen statt von Brot leben ließ - von Gedenksteinen, Grabsteinen und Gedenkstatuen."(27)

Ein Anzeichen dafür, daß ein im Sinne Keys progressives Verständnis von Nationalität in Schweden noch in den Kinderschuhen steckte, sah Key auch in dem Umstand gespiegelt, daß Schwedens einzige Nationalhymne der Zeit ein Huldigungsgesang für den Monarchen war.(28) Genau diese Gleichsetzung von Nation und Krone, von Patriotismus mit Loyalität gegenüber dem Königshaus, verstand Key als Relikt einer vergangenen Zeit:

Sie [die Nationalhymne, G. H.] ist [&133;] unwürdig, das einzige Lied des Volkes für eine modern empfindende und denkende Nation zu sein. [&133;] Sogar der russische Alleinherrscher wird in Finnland mit "Unser Land" begrüßt. In Norwegen begegnet man seinem König mit "Ja, wir lieben dieses Land", und damit erweist das Volk dem König die größtmögliche Ehre, nämlich ihm Glauben zu schenken, daß er die Natur des Landes liebt, dessen große Vergangenheit, Gegenwartsleben, Zukunft - das Land der Kinder ebenso wie das ihrer Väter - mit derselben Hingabe, mit der das Volk selbst dies alles liebt. Wir Schweden aber entehren in großen nationalen Augenblicken diesen unseren König und uns selbst, indem wir seine und unsere Gefühle für das Vaterland vollständig begrenzen auf - allein wohlwollende Wünsche für das Königshaus.(29)

In der Kritik an Schwedens Nationalhymne läßt sich bereits erkennen, welche Elemente nach Key nunmehr identitätsstiftende Funktionen für das schwedische Selbstverständnis bekommen sollten: Neben die eigene Kulturgeschichte wird hier die Natur und die Zukunft des Landes in den Blickpunkt gerückt, das Volk wird zum wichtigen Akteur im "Projekt der Nation" bestimmt. Dem Nachbarland Norwegen fällt dabei eine Vorbildfunktion zu, worauf später noch genauer eingegangen werden soll.

In der Frage, wie ein Bewußtsein von schwedischer Nationalität bei ihren Zeitgenossen entstehen könne, kommt Key also zu einem anderen Ergebnis als ihr Schriftstellerkollege Heidenstam: Ein solches müsse nicht etwa nur wiederbelebt, sondern grundsätzlich neu geschaffen werden: "Unser nationales Bewußtsein bedarf deshalb eher der Erziehung als einer Erweckung."(30)

Key und Heidenstam divergieren in ihren Argumentationen in einem entscheidenden Punkt: Key erahnt, welche neuen Möglichkeiten für eine Nationalisierung des Landes der gesellschaftliche Modernisierungsprozeß bereithält. Heidenstam dagegen macht diesen selbst für die Krise des Nationalen verantwortlich. Er tritt als Verfechter einer rückwärtsgewandten Ideologie auf: Schweden fehle es an einem zuverlässigen Konservatismus, der unabdingbar sei, um zu einem nationalen Verständnis des eigenen kulturellen Lebens zu gelangen, es sei die für Schweden charakteristische "Jagd nach Modernität", eine mangelnde Widerstandskraft gegen die aus dem Ausland hinüberströmenden Einflüsse der Moderne, die die Ausprägung eines solchen Verständnisses verhinderten.(31) Für Heidenstam zeigt Schweden das aufgesetzte Gesicht einer modernen, jungen Nation, die durch ihre Orientierung auf die Kultur des Auslands geschichtslos geworden und materialistischen Werten anheimgefallenen sei - ein kraft- und profilloses Land inmitten eines auf die eigene Tradition bedachten und in diesem Sinne konservativen Europa:

Die äußerliche Modernität der Schweden, ihre rastlose Hast, sich alle Neuheiten zu eigen zu machen, sind gerade die Eigenschaften, die dieselben heute mehr als gerecht wäre unauffällig machen. Sie stellen die kosmopolitischste und modernisierteste Nation der germanischen Rasse dar. [&133;] Sie sind ein Spiegel, in dem der Ausländer mehr oder minder deutlich sich selbst wiedererkennt. [&133;] Ihren Gebäuden, ihren Sitten und Bräuchen fehlt die nationale Prägung, sie ergeben nur die Summe des zur Zeit Modernsten [&133;], und ein Fremder ohne Kenntnisse könnte Schweden für ein neues Land ohne Geschichte halten.(32)

Ellen Key wirft Heidenstam vor, daß er die tatsächlichen Verhältnisse verdrehe: Der Mangel an Vitalität resultiere gerade aus dem konservativen Festhalten an einer nationalen Ideologie, die sich lediglich auf die Verherrlichung der eigenen Geschichte konzentriere und sich als unfähig erweise, die moderne kulturelle Entwicklung des europäischen Auslands nachzuvollziehen.(33) Der Konservatismus in Schweden zweckentfremde dabei lediglich die Sache des Nationalen, in dem er seine eigenen Partikularinteressen mit dem Gewand desselben kostümiere, um sie zu legitimieren. Notwendige soziale und politische Reformen würden auf diese Weise blockiert. Die nationale Rhetorik des Konservatismus sei in diesem Sinne "eine Maskerade [&133;]; ein patriotisches Gerede über Verbesserungen, das sofort in unerbittlichen Widerstand umschlägt, sobald jemand Worte in Handlung übergehen lassen will."(34)

Keys Hauptkritik an Heidenstam ist daher, daß er bei der Frage, wie das Wiederbeleben eines schwedischen Nationalgefühls zu erreichen sei, in der symbolischen Gestaltung den dekorativen Anordnungen der alten Zeit verhaftet bliebe.(35) Als ideelles Fundament für ein Nationalbewußtsein, das auf die Zukunft orientiert sei, funktionierten sie jedoch nicht. Ein solches könne nur in der Verbindung von einer neuen gesellschaftlichen Ordnung mit einer neuen Lebensanschauung entstehen.(36)

Wie sehr Key mit dieser Auffassung den Nerv der Zeit traf, mag anhand einer Episode um die Errichtung eines schwedischen Nationalmonuments aus dem Jahr 1909 verdeutlicht werden: Auf Initiative eines schwedischen, in Frankreich lebenden Gesandtschaftssekretärs wird in diesem Jahr ein Wettbewerb ausgeschrieben zur Errichtung eines Svea-Monuments, das zur Stärkung des schwedischen Nationalbewußtseins beitragen sollte. Geplant wurde, das prämierte Werk später vor dem Reichstag aufzustellen. In seiner Form, so die Vorgabe, sollte es andere Monumente an Größe deutlich überbieten. Die Resultate dieses Wettbewerbs können heute im Skissernas Museum in Lund betrachtet werden. Unter den 1909 eingesandten Vorschlägen hatte insbesondere einer nachhaltige Wirkung: Sven Bobergs "Sov i ro", der eine fette und schnarchende Moder Svea auf ihrem Thron mit verrutschter Krone zeigt, flankiert von den Heldenkönigen Gustaf II Adolf und Karl XII, die jeweils in ihren übergroßen Stiefeln zu versinken drohen. Dem Modell ist die Anweisung beigefügt, daß das Monument inmitten des Eingangsbereichs des Reichstags plaziert werden solle, um Ein- und Austretenden den Weg zu versperren.(37) Das eingesandte Modell nahm der ganzen Idee zur Errichtung eines Nationalmonuments ihre Überzeugungskraft und trug maßgeblich zum Scheitern des Wettbewerbs bei. Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse - dem Generalstreik von 1909 und dem Problem der Emigration - schien spätestens zu diesem Zeitpunkt die traditionelle nationale Rhetorik nicht mehr so recht zu funktionieren. So resümiert Orvar Löfgren zum Scheitern des Wettbewerbs:

Bezeichnenderweise waren es die gesammelten traditionellen Symbole der Vaterlandsliebe, die sich nunmehr als unbrauchbar erwiesen. Weder das Königshaus, noch die Staatskirche, Armee oder Schule waren länger die Zusammenhalt stiftenden und disziplinierenden Institutionen, die sie früher gewesen waren. Was uns im Schweden der Jahrhundertwende entgegentritt, ist eine zerfallende Rhetorik und Praxis, in der das Nationale eher einen Konfliktschauplatz als einen Sammelpunkt darstellt.(38)

Es bedurfte nun offensichtlich anderer Strategien, um die Vorstellung von einer nationalen Zusammengehörigkeit breitenwirksam zu evozieren. Welche genau hatte Key anzubieten?

Die Forderung nach Demokratisierung der kulturellen Verhältnisse

Für die Grundlegung eines neuen schwedischen Nationalbewußtseins sah Key eine Demokratisierung des Landes als unabdingbar. Erst durch die Beteiligung des ganzen Volkes am politischen Leben könne ein Fundament geschaffen werden, auf dem eine Identifikation der eigenen Lebensverhältnisse mit den Interessen der Nation tatsächlich auch in allen Bevölkerungsschichten möglich würde. Denn finde auch das Nationale seinen essentiellen Ausdruck in der Sphäre des Kulturellen, metaphorisch gleichgesetzt mit den Sonn- und Feiertagen im Leben einer Nation, so sei es doch das Tagesgeschäft der Politik, das das "Arbeitskleid des Vaterlandsgefühls"(39) darstelle: "Soll Vaterlandsliebe eine Sache des Alltags und nicht nur eine Festtagsangelegenheit werden, so müssen dafür neue und beweglichere politische Verhältnisse eintreten."(40)

Keys Forderung nach Demokratisierung ist dabei aber nicht primär das Ergebnis einer Gesellschaftskritik, die etwa die Ableitung politischer Machtansprüche aus den bürgerlichen Besitz- und Bildungsverhältnissen vollends in Frage stellte. In Keys Gesellschaftsentwurf einer "aristokratischen Demokratie"(41) bzw. eines "aristokratischen Radikalismus"(42) leben vielmehr Züge eines elitären Menschenbildes fort, in dem erst ein neuer, durch evolutionäre Entwicklung und kulturelle Bildung zur großen Persönlichkeit gereifter Menschentypus zum wirklichen Träger der neuen Gesellschaftsordnung werden kann. Zu einer solchen kollektiven Entfaltung individueller Geistesgröße bedürfe es jedoch freiheitlicher, d. h. für Key vom Druck kapitalistischer Gesellschaftsstrukturen befreiter, Verhältnisse im Arbeits- und Familienleben.(43) Keys Sozialismusbegriff war in diesem Sinne eher menschheitsgeschichtlich evolutionär als revolutionär:

In der sozialistischen Gesellschaft würde die Auswahl der physisch fehlerfreien und der hochstehenden Individuen allmählich dazu führen, daß der Durchschnittsmensch der Zukunft die Höhe einnehme, die nunmehr nur kennzeichnend für die geistige Elite ist.(44)

In ihrer Vorstellung von einem neu heranreifenden Menschentypus mag Ellen Key beeinflußt worden sein von den Ideen Nietzsches, als dessen "schwedische Prophetin" sie um die Jahrhundertwende denn auch gelegentlich betitelt werden sollte.(45) Key verwendete z. B. den Begriff des "Übermenschen", der den Schlußpunkt in dem "Prozeß einer Veredelung des menschlichen Geschlechts" bildete.(46) Wie Ambjörnsson allerdings sehr richtig hervorhebt, ist das Bemerkenswerte an den Ideen Keys, daß sie "Nietzsches einsamen Übermenschen" wieder mit einem Kollektiv in Zusammenhang bringt.(47) "In dem zukünftigen Reich des Glückes sollen die Vielen die großen [Individuen, G. H.] sein."(48) Wenn Ellen Key in einer Notiz von 1870 ihre Vision einer egalitären Gesellschaft in dem Wunsch ausdrückt, daß "die Berggipfel gekappt und die Täler erhöht würden"(49), so mag diese Bildlichkeit irreführend sein: Zwar galt es für Key, soziale Disparitäten zu nivellieren, allerdings auf dem Niveau einer veritablen Hochebene.

Trotz der intelligenzaristokratischen Färbung, die ihrem Demokratiemodell unterlag, sollte Key in der Frage, wer Träger der anstehenden gesellschaftlichen Umwälzungen sei, zu anderen Ergebnissen als der ebenfalls an dem Ideal einer Intelligenzaristokratie orientierte Heidenstam kommen. Dieser hatte in seinem Artikel von 1896 gemeint, daß die politische Kraft zu einer nationalen Renaissance bei den gebildeten Klassen in Form einer neu zu entstehenden "Aufklärungspartei" liege. In völliger Divergenz hierzu glaubt Key, daß die potentielle politische Kraft des Landes bei den unteren Klassen, insbesondere beim Bauernstand als Träger einer genuin schwedischen Identität, zu suchen sei.(50) Diese Identität allerdings, so räumt sie ein, könne erst zur vollen Entfaltung kommen durch eine gegenseitige Erziehung und wechselseitige kulturelle Befruchtung von Bauernstand und gebildeter Klasse.

Die Almqvistrezeption Keys

Mit ihrer Argumentation meinte Ellen Key an Carl Jonas Love Almqvists Essay "Svenska Fattigdomens betydelse"(51) von 1838 anzuknüpfen, aus dem sie in ihrem Aufsatz immer wieder in langen Textpassagen zitiert. In der auch von Key geteilten konventionellen Lesart der Jahrhundertwende hatte Almqvist - "um hundert Jahre seiner Zeit voraus"(52) - den schwedischen Nationalcharakter in einer Weise skizziert, in der "Wahrheiten [&133;] offenbart wurden einem neuen Evangelium gleich."(53) 1894 hatte Key in Ord & Bild einen vielbeachteten Aufsatz über Almqvist unter dem Titel "Sveriges modernaste diktare" veröffentlicht, in dem sie, Strindberg gleichsam entthronend, Almqvist zum "modernsten" Dichter Schwedens ernannte, der "dem gesamten nun am Ende des Jahrhunderts hervorbrechenden neuen Zeitbewußtsein den reichsten Ausdruck verleiht".(54) Key gab mit ihrem Aufsatz den Auftakt zu einer Almqvist-Renaissance in den 1890er Jahren.

In "Svenska Fattigdomens betydelse" schien Almqvist den vermeintlichen Mangel einer nationalen Prägung der schwedischen Kultur zu beklagen.(55) Almqvist entwirft in seinem Text ein Gesellschaftsbild, in dem sich die Lebenswelten von herrschender Oberschicht und Volk - letzteres bei Almqvist wie bei Key vornehmlich verkörpert durch den Bauernstand - von einer gemeinsamen kulturellen Orientierung lösten. Die oberen Klassen in Schweden seien kulturell an dem europäischen Ausland orientiert und in diesem vermeintlichen Kosmopolitismus unfähig zur Ausbildung einer nationalen Identität. Der Bauernstand dagegen sei zwar der potentielle Verwalter eines schwedischen Kulturerbes, es fehle ihm jedoch an einer intellektuellen Elite, die dieses Potential aus alltäglicher Beschränktheit auf eine Ebene ideeller und ästhetischer Gültigkeit und Weltläufigkeit heben könnte.(56)

Sowohl in Keys Almqvist-Rezeption als auch in Almqvists Vorstellungen spielen organizistische Denkmodelle eine bedeutende Rolle. Nationale Zusammengehörigkeit schien auch Almqvist nicht herzuleiten aus den mechanischen und funktionalen Vergesellschaftungsprozessen der Moderne(57), sondern aus Momenten lebensweltlicher Nähe und ursprünglicher Gemeinschaft. Bei Almqvist wird das in seiner den ganzen Text strukturierenden Metaphorik des Hauses deutlich: Ein Gemeinschaftsgefühl müsse geweckt bzw. wiederbelebt werden, das in der "häuslichen Poesie" des Zusammenlebens im romantisch verklärten bäuerlichen Heim sein Ideal finde.(58) Die "Kraft" und "Vitalität", die dem schwedischen Bauernstand eigen sei, so argumentiert Almqvist, resultiere daraus, "daß bei ihm das Band zwischen Dienstherren und Bediensteten noch ursprünglich und nicht in Auflösung begriffen" sei.(59) Knechte und Mägde wären in das familiäre Leben ihrer Herrschaft integriert, beide sozialen Gruppen bildeten eine von Unmittelbarkeit gezeichnete Gemeinschaft:

Ist dieses Häuschen auch noch so eng, seine Fensterscheiben klein und seine Wände ziemlich schwarz, so lebt darin doch jene Poesie, die den Menschen aufrecht erhält: Hier ist eine Stimmung, eine fruchtbare Zuversicht, Fürsorge, Fleiß und all die Tugenden, die in so manchem großen, hellen, gut möblierten Herrschaftshaus beim bloßen Vorsatz stehen bleiben.(60)

Eine solche Gemeinschaftsidylle wird nun als Gesellschaftsutopie in die Zukunft projiziert: Auch zwischen herrschender Klasse und Volk müßte ein Verhältnis lebensweltlicher Gemeinsamkeit wieder hergestellt werden, um die gesellschaftliche Splitterung durch Standes- und Klassenunterschiede zu überbrücken. Andernfalls "würde das Mißverhältnis hierzulande so groß, daß der Staat daran zerbrechen könnte."(61)

Die vielleicht patriarchal und konservativ anmutende Topik Almqvists mag den Blick verstellen für den radikal-demokratischen Impuls der Schrift selbst. Das nationale Programm, das Almqvist in seinem Essay zu entwerfen scheint, ist aber in seinem Kern eine kritische Analyse der bestehenden sozialen Machtverhältnisse.(62) Es sind die herrschenden Klassen, von denen eine Orientierung auf das Volk und seine Bedürfnisse eingefordert wird. Ihre nationale Ideologie wird als Farce enttarnt, zum eigentlichen Statthalter des Nationalen dagegen das Volk bestimmt. Genau diese Verbindung eines integrativen Konzepts von Gesellschaft mit einer nationalen Programmatik, die in ihrem Kern auf soziale Veränderungen drängt, macht Almqvists Aufsatz für Ellen Key, wie noch gezeigt werden soll, so interessant.

Zunächst einmal muß aber noch auf einen zweiten Berührungspunkt zwischen den Texten Almqvists und Keys verwiesen werden: Es ist das Auftauchen einer symbolischen Assoziierung des "Schwedischen" mit Jugend und Jugendlichkeit, die in Almqvists Text auf einer rhetorischen Ebene einsetzt und für Key gegen die Konstruktion eines schwedischen Nationalcharakters durch eine mythisierende Ahnen- und Geschichtsforschung(63) mit den Enwürfen einer imaginären altnordischen Vorzeit polemisiert:

Auf die Namen Odin, Tor, Frigga, Nore, Svea - ob sie nun im Vers, auf Postkutschen oder Dampfbooten zu finden sind - kommt es nicht an. [&133;] Das Schwedische besteht nicht aus einer Einbildung, einer archäologischen Verstaubtheit, einer affektierten Langweiligkeit oder einer Art patriotischer Steifheit und Aufdringlichkeit - es besteht vielmehr darin, schwedisch zu sein als zu verlautbaren, daß man es ist.(64)

Für Almqvist ist es - in der Lesart Keys - nicht die Geschichte und Tradition des Landes, sondern in erster Linie die Natur, aus der das nationale Element hergeleitet wird, gleichsam als ein zeitloses Phänomen. Die Natur aber ist es auch, aus der in der Rhetorik Almqvists der jugendliche Charakter des schwedischen Volkes resultiere:

Kommen wir nun auf unser Land zurück, auf seinen Charakter und sein Volksgemüt, so finden wir es als das Land in Europa, das sich neben seinem Armsein vornehmlich durch sein Jungsein auszeichnet. Nicht historisch gesehen: denn die nordischen Völker siedeln in ihren heutigen Ländern schon über längere Zeiträume als viele der übrigen, die auf unserem Kontinent ihr Zuhause haben. Aber im Hinblick auf die Natur. Das ganze skandinavische Gebiet ist relativ wenig erschlossen, und wird es wahrscheinlich niemals ganz sein. Ebenso hat der schwedische Mensch nur wenig von der Kultur (zu Weisheit oder Talent aufgearbeitete Fähigkeiten), die Europa als Kultur anerkennt und so benennt. Aber er verfügt über jene Fähigkeit, schnell und mitten durch die Dinge hindurch zu sehen, die man auch den schwedischen gesunden Verstand nennt. Im Grunde handelt es sich um ein junges Gemüt, in dem es zehn Uhr morgens im Kopf wie im Herzen ist.(65)

Während die Vegetation des Südens nahezu das ganze Jahr über produktiv und entwicklungsfähig sei, wären für die schwedische Natur die langen nordischen Wintermonate kennzeichnend. Durch sie wären Land und Leute in Schweden in einem Zustand von Jugendlichkeit gehalten worden, da ja das Klima nur das halbe Jahr über Entwicklungsprozesse begünstige. In diesem Sinne - so belegt Almqvist in einem atemberaubenden Rechenbeispiel - sei Schweden, trotz seiner weit zurückreichenden Geschichte, wie auch jeder einzelne Nordländer selbst immer nur halb so alt wie der Südeuropäer und seine Kultur. Almqvists Essay schließt mit einem Lobgesang auf die Jugend und den nordischen Winter.(66)

Wie erwähnt, ist das Jugendthema hier vor allem als polemische Spitze gegen eine rückwärtsgewandte nationale Ideologisierung zu verstehen. Es transportiert aber auch Bedeutungsmomente, die im Zusammenhang mit Almqvists Vision einer wiederherzustellenden Organizität von Gesellschaft gesehen werden können: Jugend steht bei Almqvist für einen Zustand der inneren Ausgewogenheit, geistig-seelischen Balance und einem Prinzip originärer Ganzheitlichkeit.(67) In der Idealisierung eines zur Jugend zurückgekehrten Zustands menschlichen Daseins manifestiert sich einmal mehr der Wunsch nach der Aufhebung all derjenigen Spaltungen und Brüche, die das Individuum und die Gesellschaft im Zuge der Moderne zusehends erfahren mußten.

Nationale Einheit durch kulturelle Homogenität

Wo nun tritt in Keys Text das Moment eines organizistischen Entwurfs von Gesellschaft in Erscheinung? Key zieht zunächst einmal den Vergleich zu den physiologischen Vorgängen in der Pflanzenwelt, um das organische Zusammenspiel der unterschiedlichen sozialen Schichten zu beschreiben: Die landarbeitende Bevölkerung sei durchgehend die Wurzel, durch die die gebildeten Klassen nicht nur materiell, sondern auch geistig genährt würden und durch die sie wachsen könnten.(68) Eine Vorstellung vom Bauernstand als Wiege der schwedischen Gesellschaft taucht aber auch an anderer Stelle noch einmal auf - hier als waghalsiges Experiment, die soziale Ausfächerung der Gesellschaft im Rückblick zu nivellieren und auf den gemeinsamen Nenner einer ursprünglichen Abstammung aus dem Kreis der Landbevölkerung zu bringen:

Du vergißt, daß der Bauer der Großvater von neun unter zehn Genies in Schweden ist und daß in jedem Jahrgang geistig produktiver Köpfe eine große Anzahl aus dem Stand der körperlich, vor allem landwirtschaftlich Arbeitenden kommt. Du antwortest, daß diese geistig Produktiven ja nun nicht länger Bauern seien. Nein, aber sie sind die Söhne ihrer Väter, und zwischen den Anlagen von Vätern und Söhnen gibt es für gewöhnlich einige Berührungspunkte.(69)

Die Ableitung der schwedischen Kultur aus einem bäuerlichen Erbe dient hier zunächst einmal dazu, die Forderungen nach einer Demokratisierung der politischen Verhältnisse legitimativ zu untermauern. Gleichzeitig kann sie jedoch auch als Fortsetzung des in der Romantik begonnenen Versuchs gelesen werden, der eigenen Nation eine Biographie zu geben. Diese wurde notwendig, als im Zuge der demokratischen Bewegungen des 18. Jahrhunderts das Volk zum Träger der nationalen Identität avancierte. Es begann die Suche nach den Ursprüngen und der Geschichte dieses Volkes, dessen charakteristische Besonderheiten einen Nationalcharakter begründen sollte. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Auflösung der alten Ständegesellschaft und der politischen und ökonomischen Umwälzungen kam dem Bauern als Verwalter des nationalen Kulturerbes dabei die mythische Funktion eines Stabilität und Kontinuität gewährleistenden Symbols zu.(70)

Allerdings ist die Auslegung dieser Textstelle mit dem Hinweis auf den Bezug zum nationalromantischen Ideenhaushalt im Falle Keys noch nicht hinlänglich erschöpft. Der schwedische Bauer ist für Key hier nicht so sehr Gegenstand einer nostalgischen Schwärmerei für die gute alte Zeit, als vielmehr Träger eines zu berücksichtigenden Materials kultureller Identität, das allerdings erst in einem kulturellen Wandlungsprozeß zu seiner vollen Entfaltung kommen könne. Denn das oben evozierte Bild einer harmonischen sozialen Schichtung innerhalb der Gesellschaft wird von Key nicht nur in die Vergangenheit, sondern als gesellschaftlicher Idealzustand auch in die Zukunft projiziert. Dabei gewinnen Keys Überlegungen allerdings Züge einer progressiven Strategie in der Konstruktion von nationaler Gemeinschaft.

Eine lebensweltliche Nähe von Volk und herrschender Klasse - so hatte das Konzept gesellschaftlicher Integration bei Almqvist ausgesehen. Key sollte dies radikal weiterdenken: Nicht mehr nur um lebensweltliche Nähe sollte es nunmehr gehen, sondern um eine ganz neue Form von kultureller Homogenität.

In den starken Divergenzen zwischen den Lebenswelten und -werten der unterschiedlichen sozialen Schichten lag für Key ein schwerwiegendes Hindernis für das Entstehen einer nationalen Bewegung:

Eine neue Form gegenseitig erziehender Gemeinsamkeit zwischen den Volksklassen - das ist der Weg nicht nur zu einem neuen Patriotismus, sondern auch zu einem tiefgreifenden aristokratischen Radikalismus. Oder mit einem Wort: Jedes nationale und kulturelle Bestreben sollte darauf zielen, die Lebenswerte des Volkes zusammenzuführen und nicht zu spalten, wenn es darin Erfolg haben will, das Nationalgefühl nachhaltig zu steigern und eine Nationalkultur hervorzubringen.(71)

Erfolgreiche Ansätze zur Verwirklichung einer nationalen Sammlung über Klassen- und Parteigrenzen hinweg sieht Key in den Nachbarländern Norwegen und Dänemark gegeben. Norwegen fungierte unter den auf radikale Reformen drängenden gesellschaftlichen Kräften der Zeit als eine Art Gegenbild zu Schweden. Es galt als "junge" und "vitale", zukunftsorientierte Nation, der aufgrund der Lebendigkeit ihres kulturellen und politischen Lebens große Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb Europas offenstünden.(72) An Dänemark preist Key den allgemein hohen Bildungsstand auch der unteren sozialen Schichten, den sie auf ein halbes Jahrhundert Volkshochschulbewegung zurückführt. Durch das Zusammenwirken von gebildeter Klasse und Volk seien ungeheure geistige Kapazitäten, die in Schweden brachlägen, geweckt worden, was auch eine ökonomische Stärkung des Landes zur Folge gehabt habe: So sei z. B. die Arbeitskraft des dänischen Bauern, nunmehr geistig in der Lage, die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft für seine Produktion zu nutzen, gesteigert worden. Den Weg, der in Norwegen und Dänemark zu diesen Erfolgen geführt hatte, beschreibt Key als einen Prozeß der Homogenisierung von ursprünglich divergierenden politischen Interessen, kulturellen Traditionen und moralischen Wertsystemen der einzelnen Bevölkerungsschichten:

Aber dieser Patriotismus ist das Resultat davon, daß die nationalen Traditionen und Gefühle aller Klassen, ihre politischen Interessen und staatsbürgerlichen Lebenswerte zunehmend verschmolzen sind, nicht nur miteinander, sondern auch mit dem modernen europäischen Leben.(73)

Das Szenario, das Key hier entwirft, ist nicht weniger als die Utopie einer möglichen Harmonisierung aller Konfliktpotentiale der Zeit hin zu einer vollkommenen gesellschaftlichen Konsensorientierung. Tatsächlich gab es im Schweden der Jahrhundertwende ein kulturelles Ereignis, in dem Key ihren Wunsch für einen Moment, wie noch zu zeigen sein wird, verwirklicht sah: die Stockholmer Kunst- und Industrieausstellung von 1897.

Zunächst jedoch muß dieses Plädoyer für eine stärkere kulturelle Homogenität näher erläutert werden, scheint sich hier doch ein Widerspruch in Keys Denken aufzutun: In ihren reformpädagogischen Bestrebungen, in ihrer Kritik an konformistischen und persönlichkeitsnivellierenden gesellschaftlichen Strukturen allgemein,(74) aber auch in ihrer Ablehnung eines "Sozialismus der Massen"(75) betonte Key immer wieder die Notwendigkeit individueller Entwicklungs- und Enfaltungsmöglichkeiten. Der Konflikt zwischen Individualität und Kollektivität gehörte dabei zu den wichtigsten Themen im Werk der Autorin.(76) Der Schlüssel zur Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs kann aber in Keys bereits oben näher beleuchteten Vision einer "aristokratischen Demokratie" gefunden werden, in der Individualität und Sozialität in einem harmonischen Gleichgewicht stehen sollten, in der das neue Kollektiv eines der großen individuellen Persönlichkeiten war.

Die Verwirklichung dieser Vision fiel dabei in den Aufgabenbereich der Erziehung: Mit den kommenden Generationen sollte ein durch Bildung und ästhetisches Feingefühl 'veredelter' neuer Menschentypus enstehen, der in der Lage wäre, die Notwendigkeit moderner industrieller Entwicklung in Einklang zu bringen mit den menschlichen Bedürfnissen nach moralischer und ästhetischer Lebensgestaltung. Wie jedem Entwurf eines Idealtypus, so mußte natürlich auch diesem neuen Menschenbild eine normative Standardisierung von menschlichen Erfahrungsmustern implizit sein. Genau dieser Aspekt wird bei Key kenntlich in der Kombination von ihrem neuen Erziehungskonzept mit dem Programm einer neuen Wohnkultur.

Im Erziehungskonzept Keys spielte das Heim eine wichtige Rolle: Es sollte die konventionelle Schulanstalt als Ort einer Bildung des Kindes ablösen. Key war Kritikerin des traditionellen Schulwesens, dem sie vorwarf, durch formale Lehrpläne, die Vermittlung eines abstrakten und aus dem Zusammenhang gerissenen Lernstoffes und autoritäre Disziplinierungsmethoden die seelisch-geistige Entwicklung des Kindes zu blockieren. Statt selbständig agierender Persönlichkeiten produziere sie lediglich "Wissensmaschinen".(77) Dagegen sollte die inspirierende Atmosphäre eines nach ästhetischen Gesichtspunkten gestalteten häuslichen Milieus den Raum schaffen, in welchem dem Kind eine individuelle sinnlich-geistige Aneignung von Erfahrung und Wissen möglich würde.

Das am nachhaltigsten 'konstruktive' Moment in der Erziehung eines Menschen ist die gefestigte und Ruhe ausstrahlende Ordnung des häuslichen Heims, sein Frieden und seine Schönheit. Es ist Herzlichkeit, Arbeitsfreude und die Schlichtheit im Hause, die Güte, Arbeitslust und Einfachheit beim Kind entwickeln. [&133;], keiner verletzt die Rechte des anderen, aber alle sind willig, einander zu helfen, wenn dies vonnöten ist - in dieser Atmosphäre erhalten sowohl Egoismus als auch Altruismus ihr rechtes Maß, die Individualität ihre rechte Freiheit [&133;].(78)

Keys reformpädagogisches Programm läßt sich in ihrem Werk Barnets århundrade nachlesen: An die Stelle von Strafen trat in der neuen Pädagogik ein einsichtsvoller und geduldiger Umgang mit der "ureigenen Natur" des Kindes. Statt durch abstrakte Verbote dem Kind ein Wertesystem zu oktroyieren, sollte dieses selbst zu moralischen Grundsätzen finden, indem es die Folgen seiner Handlungsweisen bei der Erforschung seiner Umwelt erfuhr. Erziehung war in diesem Sinne die Aufgabe, einen Spielraum für die Sensibilisierung des Kindes hin zu einem Verständnis von Gut und Böse zu schaffen. Die Rolle des Erziehers wandelte sich dabei zu der eines zurückhaltenden und verständnisvollen Begleiters, der kraft der Authentizität seiner Person Orientierung in der Entwicklung bot. Liebe und Humanität, Feingefühl und Vertrauen wurden zu Schlagworten, die dafür bürgen sollten, daß bestimmte Eigenschaften des Kindes - Lebensmut, Altruismus, Individualität und eine Liebe zur Natur - in Verbindung mit einer Fähigkeit zu Eigeninitiative und einem eigenen Urteilsvermögen zur Entfaltung gelangten. Genau hier eröffnet sich aber das immanente Problem einer Pädagogik, deren Ideal sich darauf richtet, auf eine Manipulation der Entwicklung des Kindes und seiner "wahren Natur" zu verzichten: Sie gerät in den Verdacht der Inkonsequenz, wo sie nicht umhin kommt, eine Bestimmung dieser "wahren Natur" vorzunehmen. Auch Key konnte diesen Widerspruch nicht auflösen: Denn gleichzeitig, wie sie den öffentlichen Raum der Schulanstalt als Ort der Erziehung des Kindes gegen den privaten Raum des Elternhauses austauschte, sollte dieser private Raum für sie auch wieder zu einer Sphäre von gesellschaftlicher Relevanz werden, auf die es Einfluß zu nehmen galt.

Im Denken Keys hatte die materielle Umgebung des Menschen prägenden Einfluß auf seine physische und psychische Entwicklung. Key hatte sich ausgiebig mit den Vererbungstheorien des Evolutionismus auseinandergesetzt, hierunter vor allem mit der Entwicklungsphilosophie Spencerscher Prägung. Diese ging davon aus, daß zufällig im Leben eines Individuums erworbene Eigenschaften vererbbar waren, und richtete deshalb vornehmlich ihr Augenmerk auf Fragen der Erziehung, da diese gleichsam den Schlüssel zur Veränderung der menschlichen Erbanlagen bereitzuhalten schien. Die Idee, mit der Umgestaltung der materiellen Umwelt auch den Menschen in dieser verändern zu können, schlug sich nachhaltig in der Vorstellungswelt der Sozialreformerin nieder. Das Heim mußte für Key vor diesem Hintergrund ein Experimentierfeld gesellschaftlicher Veränderung sein, oder wie sie es nannte, ein Treibhaus, "aus dem ein zunehmend herrlicheres Geschlecht hervorgehen sollte".(79) Die Frage nach der richtigen Ausstaffierung des häuslichen Ambientes wurde somit zu einem notwendigen Begleitprogramm des neuen Erziehungskonzeptes der Reformpädagogin. Hinter der normativen Ausformulierung neuer wohnästhetischer Prinzipien, die ein sozio-kulturell homogeneres Schweden schaffen sollten, stand somit der Versuch, individuelle menschliche Entwicklung wieder einzubinden in den Vorgang einer Inszenesetzung von kollektiver Identität.

Keys neuer Wohnstil - Das Interieur des modernen Schwedens

Orvar Löfgren sieht mit der Etablierung eines neuen modernen Wohnstils in Schweden ab den 1930er Jahren und mit Höhepunkt in der Nachkriegszeit einen Prozeß der Homogenisierung von alltagskultureller Lebenspraxis verbunden: Er schreibt, daß ausländische Besucher immer wieder erstaunt seien darüber, wie relativ ähnlich Personen durchaus unterschiedlicher Berufsgruppen in Schweden ihr Heim einrichteten.(80) Löfgren sieht diesen Umstand als das Resultat eines mit dem Aufbau des Wohlfahrtsstaates verbundenen Modernisierungsprogramms aller gesellschaftlichen Bereiche. Das alte Schweden, so Löfgren, sei einem gigantischen Umschulungsprojekt unterzogen worden.(81) In diesem wären dem normativ geführten öffentlichen Diskurs zur Frage des richtigen Wohnens und der daraus folgenden Verinnerlichung einer verbindlichen Wohnästhetik eine doppelte Funktion zugekommen: Zum einen halfen sie, das Bild einer modernen egalitären Gesellschaft zu evozieren. Der sozio-kulturell homogenere Lebensstil sollte Ausdruck sein für die Verwirklichung der Ideen von politischer, sozialer und ökonomischer Gleichheit. Dabei schienen die alten Bindungen an regionale oder soziale Gemeinschaftsvorstellungen überwunden. So übernahm der neue Wohnstil Funktionen in der Konstruktion von kollektiver Identität: Als 'typisch schwedisch' bekam er diskursive symbolische Bedeutung für das öffentliche Selbstverständnis des Landes.

Als eine der Hauptakteure in der ästhetischen Grundlegung dieser neuen Wohnkultur um die Jahrhundertwende kann Ellen Key genannt werden. In den Anleitungen zur modernen Gestaltung des Wohnraums, wie man sie z. B. in ihrem Aufsatz "Skönhet i hemmen" von 1897 finden kann,(82) werden die ideologischen und ästhetischen Versatzstücke aufgeführt, die dem Interieur des modernen Schwedens seine spezifische Prägung verliehen haben: die Verarbeitung von Impulsen des "gustavianischen" Möbelstil des 18. Jahrhunderts mit seinen hellen Farben und leicht wirkenden Formen; die Inszenesetzung von Kargheit und Schlichtheit als moralische Qualität, wie sie auch in Almqvists Schrift "Svenska Fattigdomens betydelse" gepriesen wird; die nationalromantische Verklärung der Volkskultur und die damit verbundene Affinität zum Kunsthandwerk; daneben die in der funktionalistischen Ideologie propagierte Ausrichtung auf Zweckrationalität; daneben wiederum die starke Orientierung auf Natürlichkeit und die ländliche Idylle - um die Jahrhundertwende herum geradezu programmatisch unterstützt durch Svenska Turistföreningens årsböcker (Jahrbücher des ersten schwedischen Fremdenverkehrsverbands), ideologisch zugespitzt durch das Wirken Carl Larssons und sich niederschlagend in der spezifischen Freizeitkultur des Sommerhäuschens auf dem Lande.

Ellen Keys neuer Wohnstil wandte sich gegen die Dunkelheit und Behäbigkeit der mit Rüschen- und Plüschaccessoires überdekorierten Salons der "alten" Zeit, propagierte den lichten und luftigen, in hellen oder Naturholzfarben gehaltenen Raum und plädierte für die Einfachheit und Funktionalität der Einrichtungsgegenstände. In dem Unpretentiösen des neuen Heims sah sie einen Ausdruck für die Rückbesinnung auf moralische Werte: "Ehrlich" und "reell" sollte es nunmehr zugehen.(83) So möbliert Key den schwedischen Wohnraum en detail um, problematisiert in seitenlanger Ausführlichkeit Farb- und Formkonstellationen von Tapeten, Fußbodenbelägen und Gardinenmustern, gibt genaue Anweisungen, wie Kontrastwirkungen, z. B. zwischen Tisch und darauf plazierter Blumenvase, zu erzielen sind und wie ohne größeren Kostenaufwand der neue Stil sich in das alte Milieu einfügen konnte.

Key war in der Lancierung ihrer Wohnidee dabei auf einen Weggefährten gestoßen, der die Botschaft des neuen Lebensstils in Schweden wie kein zweiter verkündete: Auf der Stockholmer Kunst- und Industrieausstellung von 1897 wurde dem schwedischen Publikum zum ersten Mal der Bilderzyklus Ett hem des Malers Carl Larsson präsentiert. In zwanzig Aquarellen hatte der Künstler sein Sommerhaus, den vom Schwiegervater geerbten Hof Lilla Hyttnäs in Sundborn (Dalarna), porträtiert. Im Mittelpunkt der Darstellung stand dabei das Interieur des Hauses. Keys Aufsatz "Skönhet i hemmen" liest sich wie eine genaue Beschreibung des Larssonschen Künstlerdomizils. Als Besucherin der Ausstellung von 1897 hatte Key die Aquarelle zu sehen bekommen, und sie schienen den Nerv ihrer neuen Einrichtungsidee zu treffen.

Wenn nun aber dieses Zweiergespann - Key und Larsson - zu den Wegbereitern einer schwedischen Wohnkultur des 20. Jahrhunderts gezählt werden darf, so verdient besondere Aufmerksamkeit, daß ihr ästhetisches Konzept keinesfalls ein genuin schwedisches war. Um die Jahrhundertwende wurde diese Tatsache überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Larssons Einrichtungsstil wurde als "urschwedisch" und Produkt einer heimischen Tradition rezipiert, man sprach von Lilla Hyttnäs als "ein Heim für vaterländische Kultur", von seiner Einrichtung als Beispiel eines "nationalen Möbelstils".(84) Dabei ging der für die Zeit ungewöhnliche Stil zurück auf eine Neuentdeckung des englischen Landhausideals, das vor allem durch das Wirken des englischen Kunsthandwerkers und Sozialreformers William Morris und seiner Arts and Crafts-Bewegung in Europa Verbreitung erfuhr. Morris ästhetisches Programm läßt sich kurz umreißen: Grundprinzip war die Orientierung an der innenarchitektonischen Gestaltung des Landhauses. An die Stelle industriell gefertigter Einrichtungsgegenstände sollten kunsthandwerklich hergestellte aus Naturmaterial treten, an die Stelle des überladenen Ornaments der Nutzstil - die Schönheit eines Gegenstandes resultierte aus seiner optimalen Funktionalität. Einfachheit war das Motto ebenso wie der Ruf nach der nationalen Prägung des Stils bzw. Verankerung desselben in der jeweiligen kulturellen Tradition seiner lokalen Umsetzung.(85) Morris Ideen sollten nachhaltige Wirkung auf den kontinentalen Jugendstil haben und fanden unter anderem durch die Zeitschrift The Studio Verbreitung. Sowohl Key als auch Larsson waren Abonnenten dieser Zeitschrift - letzterer von der ersten Ausgabe an.(86)

Somit war der neue durch Key und Larsson propagierte Wohnstil im Grunde weniger das Resultat einer Anknüpfung an eine eigene nationale Tradition als vielmehr inspiriert durch englische Vorbilder, durch eine Kenntnis und Anknüpfung an die moderne Kunstszene, die den beiden Schweden durch Reisen, Zeitschriftenlektüre und Besuche internationaler Ausstellungen bestens bekannt war.

Eine internationale Mode - hier die in Europa florierende Idee des Landhauses im traditionellen Stil - als Motor in der Imaginationsmaschinerie von Bildern nationaler Eigenart und Besonderheit? Orvar Löfgren weist auf zwei andere kulturelle Phänomene hin, bei denen in vergleichbarer Weise dieser paradoxe Zusammenhang von internationaler Orientierung und nationaler Ideologieproduktion zu beobachten gewesen sei: Sowohl der amerikanische Kulturimport als auch der "kosmopolitische Funktionalismus" seien zwar einerseits gesellschaftliche Modernisierungserscheinungen mit Anknüpfung an internationale Entwicklungen gewesen, gleichzeitig aber sei durch ihr Wirken ein viel "schwedischeres" Schweden entstanden, da diese maßgeblich zu einer Homogenisierung schwedischer Lebensformen beigetragen hätten.(87)

Ebenso sollte der neue Wohnstil, der sich in der Nachkriegszeit in Schweden als normativ verbindlicher durchzusetzen begann, sowohl assimilierende Wirkungsmomente als auch identitätsstiftende Funktionen haben. Der Slogan "Swedish living" sollte weltweit zum Markenzeichen eines Lebensstils avancieren, in dem guter Geschmack und ein Sinn für das Praktische gleichermaßen zum Zuge kamen.(88) Der internationale Erfolg begünstigte sicherlich die Bereitschaft, diese neue Wohnkultur als einen originären Bestandteil des eigenen kulturellen Selbstverständnisses zu identifizieren. Von gravierender Bedeutung scheint hierbei allerdings auch zu sein, daß diese Wohnkultur immer Einfallswinkel in eine nationale Topik bereithielt, die in ihrer spezifischen Zusammensetzung bereits maßgeblich von Personen wie Key und Larsson mitkreiert worden war.

So jedenfalls mag die Verkaufsstrategie des schwedischen Möbelhauses Ikea nahelegen, die genau diesen Fundus an nationalen Stereotypen bemühte, um mit dem Bild des eigenen Landes auch Produkte aus diesem zu verkaufen. So bot Ikea z. B. in der deutschen Fassung seines Katalogs von 1983/84 das Bett Sundborn an mit dem Werbetext:

Schweden ist ...

... MITTSOMMERNACHT. Der längste Tag des Jahres, alles blüht, ist licht; Leute tanzen, Kinder spielen. Eine Atmosphäre des Glücks und der Freude. Weiche, helle Farben, die diesen Schlafzimmern Charakter verleihen.(89)

Wie Cecilia Lengefeld bemerkt, begründete Ikea sein erfolgreiches Verkaufskonzept mit der Inszenesetzung eines an Klischeehaftigkeit kaum zu überbietenden Schwedenbildes. Dabei bediente es sich nicht zuletzt bei der Bildtopik, die Carl Larsson in seinen Aquarellzyklen zu Lilla Hyttnäs einsetzte. Zwar läßt sich einschränkend bemerken, daß das entworfene Schwedenbild primär den deutschen Erwartungshorizont bedienen sollte, jedoch schien diese Heterostereotypik über Schweden in diesem Falle dem eigenen kulturellen Selbstverständnis keineswegs zuwiderzulaufen.

Von der Heimideologie der Jahrhundertwende zum sozialdemokratischen "Volksheim"

Wie Ronny Ambjörnsson anmerkt, kann der bei Key oft von der Nationalromantik der neunziger Jahre gefärbte Tonfall schnell zu der falschen Schlußfolgerung verleiten, Key teile auch den zumeist reaktionären Idealismus dieser Bewegung. Dagegen betont Ambjörnsson im Falle Keys die konsequente Kontinuität zu der naturalistischen und wissenschaftsorientierten Weltsicht der progressiven Bewegungen der achtziger Jahre. Es seien die materialistischen und biologistischen Paradigmen dieser Zeit, aus denen Keys Argumente resultierten.(90)

Die moderne Umgestaltung des häuslichen Wohnraums war für Key auch ein Akt der Umgestaltung des ganzen gesellschaftlichen Systems. Denn in der veränderten materiellen Umgebung, in der Schönheit, Hygiene und Funktionalität nunmehr zu den prägenden Alltagserfahrungen gehören sollten, sollte auch der Mensch ein anderer werden, gleichsam zu einer "höheren Stufe" einer gesunden und moralischen, rationalen und dabei gleichzeitig schöpferischen Lebensführung gelangen.

Der Begriff 'Heim' meinte dabei im Sprachgebrauch der Jahrhundertwende mehr als nur Wohnstätte: Er bezeichnete auch ein Muster des Zusammenlebens. Das Heim stellte in einem bestimmten Sinne das Zentrum der Welt dar, gleichzeitig aber war es auch eine Welt en miniature, ein Raum für sinnstiftende Zusammenhänge des sozialen Lebens.(91)

Als die schwedische Sozialdemokratie in den zwanziger Jahren ihre Vision einer veränderten gesellschaftlichen Ordnung skizzenhaft auszuformulieren begann, sollte es noch immer die Metapher des Heims sein, die den ideellen Gehalt des neuen sozialen Projektes umriß. Schweden sollte zu einem "guten Heim für alle Schweden werden"(92), wie es bereits in einer Schrift von Per Albin Hansson, dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei und späteren Ministerpräsidenten, aus dem Jahre 1926 heißt. Die von Klassengegensätzen gezeichnete Gesellschaft sollte zu einer neuen Form von nationaler Gemeinschaft finden, zu einem schwedischen "Volksheim" werden, in dem es galt, "Behaglichkeit und Wohlbefinden zu schaffen", in dem es "gut und warm, hell und heiter und frei"(93) sein und zugehen sollte, wie Hansson in einem Artikel in der Zeitschrift Morgonbris von 1927 schrieb. In seiner klassischen Formulierung von 1928 hieß es dann:

Zu feierlichen, übrigens aber auch zu alltäglichen Anlässen sprechen wir gerne von der Gesellschaft - dem Staat, den Kommunen - als ein für uns alle gemeinsames Heim, ein Volksheim, [&133;]. Gemeinsamkeit und Gemeinsinn bilden das Fundament des Heims. [&133;] In einem guten Heim walten Gleichheit, Umsicht, Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft. Übertragen auf das große Heim der Nation und der Bürger bedeutet dies ein Abbau aller sozialen und ökonomischen Grenzen, die heute die Bürger unterteilen in Privilegierte und Zurückgesetzte, in Herrschende und Abhängige, in Reiche und Arme, Besitzende und Verarmte, Plündernde und Ausgeplünderte.(94)

Mit dem Begriff des "Volksheims" hatte Hansson ein ursprünglich sozialkonservatives und nationalistisches Motiv aus dem jungkonservativen Ideenhaushalt vom Anfang des Jahrhunderts als griffige Leitfigur für die eigene sozialdemokratische Politik erobert.(95) Der Erfolg des Begriffes sollte dabei nicht allein aus seiner Fähigkeit resultieren, drei mächtige symbolbeladene Figuren von sozialer Integration in einem einzigen Bild harmonisch miteinander verbinden zu können: die klassenlose Gesellschaft, das familiäre Heim und die Nation. Er sollte auch als eine harmonische Lösungsformel für die konfliktreichen Spannungen, die im Antagonismus von Tradition und Moderne entstanden, dienen. Der Begriff des schwedischen "Volksheims" schien das Versprechen bereitzuhalten, daß eine moderne Entwicklung von Industrie und Gesellschaft kombinierbar sei mit einem Muster von kollektiver sozialer Geborgenheit, das als charakteristisch für das traditionelle Gemeinschaftsleben der alten Zeit galt:

Das "Volksheim" sollte eine neue Ordnung in der modernen Unordnung gewähren, eine wiederhergestellte Gemeinschaft in einer Zeit schneller sozialer Veränderung, eine Zusammengehörigkeit inmitten eines Prozesses, der unerbittlich alte Bindungen und Solidaritäten auflockerte. Das "Volksheim" bot die Möglichkeit einer "Schwedisierung" der unbändigen Kräfte der Moderne und einer Modernisierung des "Schwedischen".(96)

Es war genau jene ideologische Aufladung, die der Begriff im 19. Jahrhundert und mit Höhepunkt um die Jahrhundertwende erfahren hatte, die nunmehr in der sozialdemokratischen "Heim"-Rhetorik wirkungsvoll aufging. Der reformfreudige Impetus des Begriffs, seine Bedeutungsmomente im Hinblick auf das Projekt einer konsensorientierten Sammlung aller gesellschaftlichen Kräfte, sein utopisches Potential als Ort eines zu verwirklichenden Zustands menschlichen Glück und sozialer Harmonie, von Geborgenheit und solidarischer Gemeinschaft, aber auch seine Konnotationen in bezug auf "Vaterland" und "Heimat" - all diese symbolischen Aspekte waren bereits ausgearbeitet und mußten von den Sozialdemokraten lediglich noch für die eigene neue Gesellschaftskonzeption instrumentalisiert und in Szene gesetzt werden.(97)

Eine konkrete sprachliche Übertragung des Begriffs Heim als Metapher für die Gesellschaft im Großen läßt sich dabei auch schon bei Ellen Key beobachten. In ihrem Konzept der Samhällsmoderlighet ("Gesellschaftsmütterlichkeit") forderte sie eine Erweiterung der Funktionen des Staates um ein vermeintlich weibliches Prinzip der Fürsorge und Wohltätigkeit.(98) Der Forderung lag eine Vorstellung von der genuinen Grundverschiedenheit männlicher und weiblicher Eigenschaften zugrunde. Mit ihren Positionen zur Frage der Gleichstellung von Mann und Frau sollte Key dabei in den Konflikt mit der zeitgenössischen Frauenbewegung geraten: Dieser warf sie vor, eine Emanzipation der Frau forcieren zu wollen, bei der der Frau selbst ihre weiblichen Eigenschaften verloren gingen. Key sah die Verschiedenheit der Geschlechter dagegen als etwas, das es eher zu erhalten und zu vervollkommnen, keineswegs aber zu beseitigen gelte. Die Frage der Gleichstellung mußte daher nach ihrer Meinung vielmehr eine der gesellschaftlichen Anerkennung der weiblichen Eigenschaften als den männlichen gleichwertige sein und dürfte nicht auf eine bloße Reproduktion eines männlichen Prinzips zielen. Als "männlich" galten dabei ganz traditionell intellektuelle Fähigkeiten und ein Vermögen zu abstrakter und rationaler Organisation, als "weiblich" ein intuitives Weltverständnis, fürsorgende Fähigkeiten und reproduktive Eigenschaften. Im familiären Heim entstünde in der Balance zwischen diesen beiden Antipoden eine soziale Harmonie, die von Key nun als ein Idealzustand auf das gesellschaftliche System projiziert wird: "Wie in der Familie - dem ersten 'Staat' - müßte der Staat sich schließlich dahin entwickeln, daß er eine Einheit des männlichen und weiblichen Prinzips bildete. Oder mit anderen Worten eine 'Staats-Ehe', und nicht wie bisher nur ein Staatszölibat."(99) Das ausschließliche Vorherrschen eines männlichen Prinzips gesellschaftlicher Ordnung - unter anderem durch die Nichtanerkennung der staatsbürgerlichen Rechte von Frauen hervorgerufen - war für Key der Grund für eine augenscheinliche Dysfunktionalität des gesellschaftlichen Systems:

[&133;]; aber erst wenn jeder der beiden [Mann und Frau, G. H.] mit seiner jeweiligen Eigenart hervortritt, werden Gesetzgebung und Verwaltung allseitig. Aber Allseitigkeit ist noch kein Zusammenhang. Wenn man mit einem Finger auf einem Instrument klimpert oder mit allen zehn, wird daraus noch keine Musik. Erst wenn jeder Finger seine Sache beherrscht - und mit den übrigen zusammenspielen kann - entsteht Harmonie, egal ob es nun um instrumentale oder soziale Musik geht. Im Hinblick auf die letztere ist der derzeitige politische Zustand - unter der Auflösung alter und dem Hervorbringen neuer Wohlfahrtsbegriffe - so chaotisch, daß man bei der Behandlung jeder großen Frage an Geijers Ausruf erinnert wird: daß schon ein Funke von Zusammenhang die Glückseligkeit wäre! Bevor dieser Zusammenhang, der den Sachen immanent ist - mit anderen Worten die Sozialpolitik - nicht die Politik des Eigeninteresses und Klasseninstinktes ablöst, wird die Lebenskraft vieler noch verschlissen werden [&133;].(100)

Die Sozialpolitik wird hier zu dem zentralen Bereich gesellschaftspolitischer Arbeit bestimmt. Über diese scheint sich, nach Meinung Keys, das gesellschaftliche Gefüge überhaupt erst als ein zusammenhängendes und sinnstiftendes Gebilde konstituieren zu können. Im sozialpolitischen Bereich - als der Ort, in dem eine Reorganisation und Ausbalancierung von sozialen und politischen Interessensgegensätzen möglich werde -, läge der Schlüssel zu einer höheren Stufe gesellschaftlicher Funktionalität: Durch das Gemeinwohl aller Mitbürger und einen neuen Zustand "sozialer Harmonie" würde das gesellschaftliche Gefüge sich zu einem effizienteren Gebilde wandeln. Dabei sollten nunmehr weder die Begriffe von "Barmherzigkeit" und "Wohltätigkeit" handlungsleitend sein, sondern vielmehr die Erkenntnis einer politischen und sozialen Verantwortung von Staat und Gesellschaft.(101)

Aber auch auf einer anderen Ebene als dieser sprachlich-rhetorischen läßt sich Kontinuität behaupten zwischen der Heimideologie der Jahrhundertwende und dem ideologischen Potential der sozialdemokratischen Politik beim Bau des schwedischen "Volkheims": nämlich in der Vorstellung, daß das Heim nicht nur ein geeignetes ideelles Muster für die Konzeption der eigenen reformpolitischen Bestrebungen abgebe, sondern darüber hinaus auch ganz konkret ein wichtiges Objekt derselben sei, daß also über die Umwandlung der vielen kleinen Heime auch das große Gebäude der Gesellschaft verändert werden könne.(102)

Als mit Beginn in den 1930er Jahren und mit Schwerpunkt in der Nachkriegszeit die Sozialdemokraten begannen, den schwedischen Wohlfahrtsstaat aufzubauen, war dieser Vorgang zu einem nicht unbedeutenden Anteil tatsächlich auch ein Akt des Bauens im wörtlichen Sinne. Bereits 1933 war ein großer Forschungsbericht zur sozialen Wohnungssituation (Bostadssociala utredningen) in Auftrag gegeben worden. Er bildete eine erste wichtige Grundlage für spätere wohnungsbaupolitische Konzepte und stellte den Auftakt dar zu einer breitenwirksamen Offensive gegen Wohnungsnot und schlechte Wohnverhältnisse im Schweden der Nachkriegszeit.(103) Daß auf diese Weise der Wohnungsbau zu einem zentralen Bereich der politischen Reformbestrebungen wurde, kann als Bestandteil eines umfassenderen Prozesses gesehen werden: Yvonne Hirdman meint in ihrer Arbeit zur Ideengeschichte der Politik des schwedischen "Volksheims" (Att lägga livet till rätta) feststellen zu können, daß Familie und Heim sich im sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat gegen den Arbeitsmarkt als traditionellen Bereich sozialpolitischer Arbeit zunehmend durchgesetzt hätten.(104) Hirdman wendet sich dabei in ihrer Analyse gegen die These, daß die schwedische Sozialdemokratie im Zuge ihrer Wandlung von einer Klassenpartei zu einer Volks- und schließlich Staatspartei zunehmend einer utopischen Dimension ihrer Politik verlustig geworden wäre - diese wiederum gemessen am revolutionären, marxistischen Erbe. Dagegen sieht Hirdman lediglich eine Verschiebung der utopischen Intention: Statt weiterhin um Fragen von Sozialisierung der gesellschaftlichen Produktionsmitteln zu kreisen habe sich diese verlagert zu einer Konzentration auf die vermeintlich privaten Enklaven im familiären und häuslichen Bereich. Sie bildeten nunmehr die gesellschaftspolitischen Bereiche, in denen soziale Harmonie und individuelles Glück sich als kollektives Phänomen verwirklichen lassen sollten. In der Idee einer rationalen Planbarkeit von Gesellschaft hin zu größtmöglichem Glück und geringst möglichem Unglück läge also das utopische Moment der neuen wohlfahrtsstaatlichen Politik verborgen.(105) Ein Zitat aus Kris i befolkningsfrågan von Alva und Gunnar Myrdal, den Portalfiguren der neuen "Ingenieurskunst" sozialpolitischer Planung von Gesellschaft, mag den hier skizzierten Paradigmenwechsel plastisch veranschaulichen:

In Zukunft wird es nicht mehr als eine gesellschaftlich irrelevante Frage angesehen werden, was die Bevölkerung mit ihrem Geld anfängt: welchen Wohnstandard sie hat, welches Essen und was für Kleider sie kauft und vor allem in welchem Ausmaß Sorge getragen wird für den Konsumbereich in bezug auf das Kind. Die Entwicklung wird sich in jedem Fall auf gesellschaftspolitische Organisation und Kontrolle hinbewegen, nicht nur in dem Bereich einer gesellschaftlichen Einkommensverteilung, sondern auch in bezug auf die Konsumausrichtung innerhalb der Familien. (106)

Der Versuch, mit einer an der Ideologie des Funktionalismus geschulten Vorgehensweise, das "Leben im Kleinen" zu ordnen und notfalls auch zu reformieren, hätte dabei, so Hirdman, eine nicht unbedeutende Vorgeschichte gehabt - nämlich in den utopischen Visionen vom "guten und warmen Heim" des 19. Jahrhunderts.(107)

Auch Nils Edling betont diese Kontinuität von der Heimideologie insbesondere der Jahrhundertwende zum ideologischen Potential der Politik des schwedischen "Volksheims".(108) Als das fehlende Verbindungsglied in dieser Kontinuität sieht er die Eigenheimbewegung (Egnahemsrörelsen) zu Beginn dieses Jahrhunderts, eine politische Strömung, die staatliche Förderungen zur Schaffung von Eigenheimen vorwiegend für minderbemittelte Landarbeiterfamilien durchzusetzen versuchte. Die Bewegung war eine Reaktion auf die anhaltende Emigration und zunehmende Landflucht in die Städte und zielte darauf, die Lebensumstände der landarbeitenden Bevölkerungsgruppen so zu verbessern, daß diese auf dem Lande und in ihrem Heimatland blieben. Daneben gab es aber auch Bemühungen um eine Verbesserung der Wohnstandards von Arbeiterfamilien in den Städten.(109) Eine Welle von Musterbüchern mit Modellzeichnungen des idealen Eigenheims überschwemmte das Land im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, darunter Ragnar Östbergs erfolgreiche Schrift Ett Hem, das 1905 in der Reihe Verdandis småskrifter erschien.(110) Östberg plädierte hier für eine Einrichtungsgestaltung, die sich an den praktischen Anforderungen des Alltags orientierte und Abstand nahm von den bürgerlichen Repräsentationsfunktionen des Wohnraums - also auf den Salon bzw. in kleinerem Maßstab auf die "gute Stube" für Festtage und den fremden Besucher verzichtete.(111) Ellen Key lobte in großer Begeisterung das Werk als den für die Allgemeinheit wohl gebrauchsfähigsten Leitfaden inmitten der neuen Flutwelle einer Eigenheimliteratur.(112) Daß die Schrift ganz ihren eigenen Ideen zum neuen Wohnen entgegenzukommen schien, war nicht zufällig: Ellen Key - wie auch Carl Larsson - zählten mit ihren wohnästhetischen Programmen, vor allem aber mit der symbolischen Aufladung des Begriffs "Heim" zu den einflußreichsten Ideenträger der Eigenheimbewegung. Der Bezug von Östbergs Musterbuch zu Keys Aufsatz Skönhet i hemmet von 1897 ist kaum zu übersehen.(113) Im Frühjahr 1899 hatte Ellen Key sogar selbst zusammen mit dem Künstlerehepaar Gerda und Richard Bergh das Modell eines einfachen, aber ästhetisch anspruchsvollen Arbeiterheims entworfen, das am Arbeiterinstitut Stockholm zur Schau gestellt wurde.(114)

Weder Key noch Larsson engagierten sich zwar direkt in der tagespolitischen Debatte um die staatliche Bewilligung von Zuschüssen, doch mit der konkreten Ausformulierung eines bestimmten Typus von "Heim" - vorzugsweise unter ländlichem Vorzeichen, in jedem Falle aber mit volksbildenden und -erzieherischen Funktionen, mit einer nationalen Stilprägung und Ausrichtung auf eine alltägliche Funktionalität - beeinflußten sie nachhaltig die ideologischen Kursbestimmungen der Bewegung und hatten wohl auch maßgeblich am gesellschaftspolitischen Erfolg derselben teil.(115)

Mit der Bewilligung von staatlichen Darlehn zur Schaffung von Eigenheimen im Zeitraum von 1904 bis 1948 schien das Ideenpotential des "guten Heims" dann einen ersten Niederschlag als konkrete Politik der Reformierung des "großen vaterländischen Heims" über eine Konzentration auf die vielen kleinen Heime zu finden. (116)

Das kulturelle Erbe, die Natur und die moderne Alltagskultur als Arbeitsfelder des Nationalen

Wie Nils Edling schreibt, bildete die politische Eigenheimbewegung einen wichtigen Baustein im Prozeß einer kulturellen Konstruktion von schwedischer Identität. Das typisch schwedische Holzhäuschen, klein, rot gefärbt (in den 1890er Jahren noch keinesfalls Merkmal eines nationalen Baustils) und inmitten einer ländlichen Idylle gelegen - das sei zu einem nicht unbedeutenden Anteil Produkt eben jener Imaginationsmaschinerie zum idealen Eigenheim der Jahrhundertwende.(117) Der agrarromantische Einschlag in dieser scheinbar vorindustriellen Idylle, die bis heute Gültigkeit als Signum eines genuin "Schwedischen" behalten hat, kann dabei leicht den Blick verstellen auf das tragfähige Fundament, das der erfolgreichen Entwicklung Schwedens zu einer modernen Industrienation in diesem Jahrhundert unterlag.

Zumindest in den Ideen Keys waren dabei die Momente von Moderne und Tradition nicht unbedingt einander ausschließende Kräfte. Ihre Kritik an dem sich ankündigenden Industriezeitalter war eher komplementärer als konfrontativer Art: Als Vertreterin eines evolutionistischen Fortschrittsoptimismus begrüßte sie im Grunde den Prozeß der zivilisatorischen Weiterentwicklung von Mensch und Gesellschaft. Problematisch erwies sich dieser lediglich in bezug auf Keys Wunsch nach einer ästhetischen Vervollkommnung des Menschen. Wogegen Key sich wandte, waren die negativen Effekte des Industrialismus auf den Menschen und seine Umwelt - so etwa die Häßlichkeit der neuen modernen Großstädte, das verödete und mechanisierte Leben in den Fabriken, die Ausbeutung der Natur.(118) Anders als z. B. der Zivilisationskritiker John Ruskin sah Key die Lösung nicht in einer Rückkehr zu den Produktionsmitteln einer vorindustriellen Zeit, sondern vielmehr in einer Versöhnung der Sphären von Industrie und Kunst: "Schönheit" war das Prinzip, das alle Lebensbereiche durchdringen sollte. "Schön" - das war wiederum, was auch funktional und alltagstauglich war.

In dem Text "Om patriotism", der im ersten Teil dieser Arbeit im Mittelpunkt der Untersuchung gestanden hatte, kommt Key auf ein kulturelles Ereignis zu sprechen, das im Erscheinungsjahr des Textes in der schwedischen Öffentlichkeit für Furore gesorgt hatte: die Stockholmer Kunst- und Industrieausstellung von 1897. Key nannte diese Ausstellung ein "großes nationales Ereignis", bei dem die "nationale Begeisterung und das nationale Selbstgefühl eine Renaissance" hätten erleben dürfen.(119) In seinem Buch Den utställda världen hat Anders Ekström versucht, die Wirkungsstrategien der Ausstellung und die ideologischen Impulse, die von ihr ausgingen, zu analysieren. Die Ergebnisse seiner Arbeit können hier helfen, Keys enthusiastisches Urteil über die Ausstellung zu erklären und in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Von Mai bis Oktober 1897 bekamen Besucher aus dem In- und Ausland im Stockholmer Stadtteil Djurgården die Exponate vorwiegend schwedischer, aber auch norwegischer, dänischer und russischer Aussteller zu sehen. Im Mittelpunkt stand jedoch die Präsentation von herausragenden technischen Errungenschaften der schwedischen Industrie - auch schon rein visuell hervorgehoben durch ein eigens hierfür errichtetes riesiges Gebäude, die Industriehalle, die das ganze übrige Gelände dominierte. Neben Technik, Naturwissenschaften und Wirtschaft wurden auch Entwicklungen in den Bereichen Kunst, Musik, Theater, Tourismus, Gesundheit und Hygiene gezeigt. Integriert in das Ausstellungsgelände war das Nordiska museet, in unmittelbarer Nähe lag das Freilichtmuseum Skansen mit Zeugnissen alten bäuerlichen und kleinstädtischen Lebens und einem zoologischen Garten der nordeuropäischen Tierwelt.

Anders Ekström beschreibt in seiner Arbeit, wie auf Djurgården 1897 auf diese Weise ein Mikrokosmos der schwedischen Nation entworfen wurde, in dem das kulturelle Erbe des Landes, seine Natur und seine industrielle Entwicklung einer Art Inventarisierung unterzogen wurden. Dabei sei es zu einer Harmonisierung der Gegensätze von Tradition und Moderne gekommen, da diese hier nicht als konkurrierende Kräfte aufgefaßt wurden, sondern vielmehr polare Eckpunkte in einer Gesamtschau von kulturellen und zivilisatorischen Leistungen bildeten. Ein entscheidendes Konfliktpotential der Zeit sei damit beigelegt worden. Nicht zuletzt hierdurch habe die Ausstellung auch die ungeheure Woge nationaler Begeisterung hervorrufen können, die damals durch nahezu alle politischen Lager und gesellschaftlichen Schichten gegangen war.(120)

Die Ausstellung funktionierte als eine Art "symbolisches Universum", aus dessen Geschlossenheit heraus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Landes in einen organischen Zusammenhang rückten.(121) Der Schlüsselbegriff, durch den ein solcher Effekt erzielt wurde, war "Zivilisation": Einerseits war dieser zwar mit negativen Konnotationen verbunden - wo er assoziiert wurde mit der technischen und ökonomischen Entwicklung der Moderne und ihren Phänomenen der Rationalisierung und Materialisierung, des Verlusts von Gemeinschaft, von tradierten Strukturen und normativen Wertsystemen. Andererseits aber wurde er eingesetzt, um genau dieser Entwicklung eine Form zu verleihen, um dem historischen Prozeß ein normierendes und ordnendes Ideal aufzusetzen: In der Vorstellung einer sukzessiven Weiterentwicklung von Mensch und Kultur zu immer neueren - und das bedeutete edleren - Zivilisationsstufen wurde diesem Prozeß eine innere Logik und ein moralisches Ziel, eine Teleologie zugesprochen.(122) Vor dem Hintergrund dieses evolutionären Fortschrittsoptimismus konnte somit aber neben das kulturelle Erbe des Landes auch seine Gegenwartskultur, vor allem auch seine Alltagskultur, als legitimes Arbeitsterrain des Nationalen treten.

Key schreibt in ihrem Text, daß wohl nur wenige Besucher die nationale Ausrichtung in den Bereichen der Architektur, des Kunsthandwerks und der Kunst bewußt zur Kenntnis genommen hätten. Anders verhalte es sich dabei mit der ungeheuren Tatkraft und kreativen Schaffenslust, die in den Ausstellungsbereichen Industrie und technische Erfindungen zum Ausdruck kämen: Die Summe der nationalen Kraft und Intelligenz, die sich hier offenbarte, sei an niemandem spurlos vorübergegangen. Und so resümiert sie:

Und keiner unter all den Hunderttausenden, die durch die Ausstellung wogten, konnten vollkommen unberührt von dem Gefühl einer nationalen Solidarität bleiben. Alle verstanden, daß dies ein gemeinsames Eigentum, ein gemeinsamer Stolz war; alle kamen zusammen in dem vergnügten Bewußtsein: Dies hier hat mein Volk hervorgebracht, dieser Arbeitsruhm ist meiner, so groß sind die Kapazitäten meines Landes, so reich seine Natur, so stark und begabt ist meine Nation.(123)

Ellen Key sah ihren Wunschtraum nach einer gesellschaftlichen Einigung Schwedens in diesem Bild des von Solidaritätsgefühlen ergriffenen Besucherstroms der Ausstellung verwirklicht - und übersah dabei natürlich, inwieweit dieses Ereignis gerade auch legitimierende Funktionen für das alte politische Establishment hatte.(124) Dennoch aber verstand sie, was es bedeutete, daß den Themenkreisen Industrie, Technik und Wissenschaft ein so großer Platz in der Ausstellung eingeräumt wurde. Gerade diese Bereiche seien es gewesen, so schreibt sie, die für die Manifestation eines neuen nationalen Selbstbewußtseins ausschlaggebend gewesen wären. Sie allein seien es auch, die "den neuen Wertmaßstäben der Zeit standhielten".(125) Eröffneten sich mit dem Einzug von alltagspraktischen Themenkreisen in die "feinen Stuben der Hochkultur"(126) völlig neue Spielräume für einen nationalen Identitätsdiskurs, so war es vor allem neben Wissenschaft und Technik der Bereich der Industrie, der nunmehr, so bestätigt Ekström, zu einer gemeinsamen Angelegenheit in einem Ausmaß hätte avancieren können, das zu früheren Zeiten vollkommen unbekannt war.(127)

Das Neuartige der Ausstellung von 1897 scheint mir symptomatisch den ideologischen Umbruch, der sich um die Jahrhundertwende im Hinblick auf ein schwedisches Selbstverständnis vollzieht, anzuzeigen: Es ist nicht das gemeinsame kulturelle Erbe allein, das hier die Funktionen einer nationalen Sinnstiftung übernimmt. Vielmehr scheint es die Suggestion einer ungeheueren Entwicklungsfähigkeit der eigenen Nation und die Aussicht auf eine großartige Zukunft im Zeitalter technisch-industrieller Aufrüstung zu sein, die hier ein neues nationales Pathos hervorbringen konnten und einen neuen Sinn für gemeinsame Ziele zu schaffen in der Lage waren. Schwedens nationale Heldengalerie sollte in den kommenden Jahrzehnten zunehmend eine Umbesetzung erfahren. An die Stelle der kriegerischen Könige der Großmachtzeit traten zusehends die Innovateure und Ingenieure des technologisch modernisierten Schwedens.(128)

Der Vorgang der "Inventarisierung" des Nationalen sollte sich nunmehr auf alle Lebensbereiche ausbreiten. Besondere Bedeutung gewinnt er bei Key auch in bezug auf die Natur, hier zunächst einmal noch als Politikum: Die Möglichkeit der Erfahrbarkeit von Natur - gemeint ist hier die mit Konnotationen des Nationalen belegte Natur - birgt die Frage nach der konkreten Erfahrbarkeit von Nation in sich. In diesem Sinne muß Natur, vor dem Hintergrund einer zunehmenden wirtschaftlichen Ausbeutung des Waldes und der Binnenkolonialisierung des Landes, zum Gegenstand staatlicher Gesetzgebung werden. Die Frage nach billigeren Bahntarifen, die eine Entdeckung und Erkundung des Landes und seiner Natur allen Bevölkerungsgruppen ermöglichen sollten, war für sie eine Frage der Förderung von Nationalbewußtsein: "Aber mehr noch als durch alle Säkularfeste glaube ich, daß eine Stärkung des nationalen Bewußtseins erreicht werden kann [&133;] durch ein Gesetz zum Waldschutz, das uns größere Möglichkeiten bietet, unser Land zu bewahren, und durch Bahntarife, die uns größere Möglichkeiten bieten, es zu beschauen."(129) Key folgte hier ganz dem kulturellen Diskurs ihrer Zeit: Mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts hatte z. B. der Tourismus in Schweden erste Grundlagen zu einer Organisation in größerem Umfang gefunden. 1885 wurde die Svenska Turistföreningen gebildet, die in ihren Jahrbüchern eine Kartographie der Sehenswürdigkeiten von der Natur und Kultur des Landes entwarf. Formuliertes Ziel war es, "im Interesse des Vaterlandes das Fremdenverkehrswesen in Schweden zu entwickeln und auszubauen sowie für die Verbreitung von Kenntnissen über Land und Leute zu arbeiten."(130) Die Nation - so das Projekt Keys und ihrer Zeitgenossen - sollte für den Einzelnen nunmehr zu einem konkreten Erfahrungsraum aus Natur, Land und Leuten werden.(131) Von selbst versteht sich, daß das auf diese Weise entstehende Bild von Schweden ein höchst zusammengestückeltes sein mußte, aussagekräftig wohl vor allem im Hinblick auf die ideologischen Wertsetzungen, anhand derer die Auswahl des für die Nation Repräsentativen verlief.(132) Dennoch konnte mit der Fokussierung auf die Natur als neues Arbeitsfeld eines nationalen Identitätsdiskurses - mit der "Verankerung des Nationalen in anderem Material als Bronze und Granit" - um die Jahrhundertwende eine Version des "typisch Schwedischen" entstehen, die in ihren Versatzstücken demokratischer und auf die Überbrückung von Klassengegensätzen orientiert war. 1909 sollte zwar kein Svea-Monument in Schweden errichtet werden, dafür aber wurde im Reichstag der Vorschlag zur Einrichtung von Nationalparks diskutiert.(133)

Tradition als Kontext von Moderne

Als symbolischen Schlußpunkt einer Umbruchphase des kulturellen Selbstverständnisses Schwedens ab der Jahrhundertwende sieht Arne Ruth die funktionalistische Stockholmer Ausstellung von 1930: Auf ihr habe ein neues industrialistisches Ethos seinen ideologischen Durchbruch erfahren und den Mythos von Schweden als Land des Fortschritts und der Moderne begründen können.(134)

In der Ausrichtung auf Industrialismus und Funktionalismus sei dabei aber - das scheint der entscheidende Punkt in Ruths Überlegungen zu sein - der alte Traum von einer europäischen Großmachtsstellung des Landes keinesfalls aufgegeben worden.(135) Vielmehr habe sich der "Großmachttraum der alten Zeit" in die neue Zeit hinüberretten können - nunmehr nicht hergeleitet aus einer militärischen, sondern ökonomischen Stärke des Landes und aus der internationalen Modellfunktion, die seinem gesellschaftspolitischen System zukam.(136) Nationales Selbstbewußtsein sei quasi durch den Export schwedischer Vorstellungen von Politik und Gesellschaft in globalem Maßstab - etwa in Form des Engagements in der UNO oder bei der Vermittlung in internationalen Konflikten - bezogen worden.(137) Arne Ruth benennt mit seiner Argumentation einen Aspekt, der mir im Hinblick auf die Konstitution eines kulturellen Selbstverständnisses im Schweden dieses Jahrhundert von grundlegender Bedeutung scheint:

Schweden ist es gelungen, gegen den allgemeinen Strom des Jahrhunderts anzuschwimmen, der die kleinen Staaten anscheinend in die Position von Herrschaftsgebieten der Großmächte zurückwarf. Der Erfolg dieser Anstrengung förderte eine nationale Ideologie, in der sich scheinbar widersprechende Elemente verbunden wurden. Es entstand ein Sinn für gemeinsame Ziele, der stärker war als alles, was sich die romantischen Nationalisten des 19. Jahrhunderts je geträumt hätten, aber nicht an vorindustrielle Werte gebunden, im Gegenteil. Ein rationalistischer Funktionalismus nahm den Platz der Religion ein; gesellschaftlicher und technologischer Wandel wurde nicht nur als unabwendbar empfunden sondern als moralisch zwingend. Anti-Traditionalismus wurde paradoxerweise zu einer herrschenden Tradition.(138)

Die These von einem schwedischen Anti-Traditionalismus mag zunächst zum Widerspruch anregen, wenn man sich die Rhetorik einer nationalen Bildersprache in Schweden vor Augen führt: Vom Mittsommerfest bis zum "typisch schwedischen" Weihnachtsfest, vom Dala-Pferdchen bis zum traditionellen Krebsessen, von den Lucia-Umzügen bis zum kleinen roten Sommerhäuschen und dem blonden Sommermädchen mit blumenbekranztem Haar bezieht sich der nationale Symbolfundus auf Traditionalismus und ein vermeintliches kulturelles Erbe. Bezeichnenderweise gewannen jedoch viele dieser typisch schwedischen Traditionen erst um die Jahrhundertwende, teilweise sogar erst in den dreißiger Jahren, ihre heutige Ausprägung und für das ganze Land allgemeingültige Bedeutung.(139)

Anne Eriksen hat in ihrem Artikel "Den nasjonale kulturarven - en del av det moderne"(140) einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tradition und Moderne zu formulieren versucht, der den hier skizzierten Widerspruch aufzulösen vermag. Am Beispiel Norwegens demonstriert Eriksen, daß der Entwurf von nationaler Tradition generell als ein Phänomen der Moderne verstanden werden muß. Die Anfänge in der Geschichte der Volkskunde fielen nicht zufällig zusammen mit der beginnenden grundlegenden Modernisierung der norwegischen Gesellschaft Mitte des vorigen Jahrhunderts. Bei der Schaffung einer Nationalkultur aus den lokalen Volkskulturen des Landes seien Auswahlkriterien zum Tragen gekommen, die durchweg bestimmt waren von den Bedürfnissen moderner Identität. Anne Eriksen nennt hier: Alter als Garant für Stabilität und Kontinuität; eine exotische Qualität des kulturellen Phänomens, die seiner eigentlichen Repräsentativität aufgrund größerer Auffälligkeit vorgezogen wurde; eine bestimmte ästhetische Qualität, die man vor allem im Kunsthandwerk fand; und das Moment anonymer kollektiver Hervorbringung dieser Kultur anstelle des individuellen Kunstwerks. Die Tradition bildete dabei einen Kontrastpunkt zur Moderne: Während diese sich durch Mobilität und Verflüchtigung fester Strukturen auszeichnet, steht Tradition für Stabilität und Kontinuität. Dem modernen Wertepluralismus wird das normative Weltbild traditioneller Lebensformen entgegengehalten. Erhebt die Moderne das Individuum zum kulturellen Akteur, so das Traditionelle die Gemeinschaft und das Kollektiv. Gegen die soziale Aufsplitterung der modernen Gesellschaft wird die relative Homogenität traditioneller Gesellschaften gesetzt.(141) In diesem Programm gewinne nach Eriksen die Tradition zahlreiche Funktionen für die Moderne: Sie könne unter anderem zu einer Kulturkritik benutzt werden, die den Mangel an bestimmten Werten in der Moderne betone. Sie könne aber auch zur Profilierung der eigenen Modernität eingesetzt werden. Erst im Verhältnis und im Kontrast zur Tradition kann sich "das Moderne" als kulturelles Phänomen überhaupt materialisieren. Die Tradition bilde in diesem Sinne den Kontext, in dem Moderne kenntlich werden könne, und arbeite auf diese Weise an der Entstehung derselben mit.(142)

Daß die Stockholmer Kunst- und Industrieausstellung von 1897 bei ihren Zeitgenossen einen so nachhaltigen Eindruck hinterließ, mag mit genau diesem Funktionszusammenhang von Tradition und Moderne zu tun haben: Denn in der figuralen Anordnung der Ausstellungsbereiche bildete das kulturelle Erbe des Landes nun nicht mehr den Hauptattraktionspunkt. Vielmehr entwickelte sie die historische Kulisse, vor deren Hintergrund die modernen Entwicklungen im sozio-ökonomischen Bereich akzentuiert aufgeführt werden konnten. In der Kontrastwirkung zu dieser Kulisse mußte der Eindruck von der kulturellen Modernität der eigenen Zeit bei den Besuchern aber um so überwältigender ausfallen. Mit anderen Worten: Die Vorstellung, auf der Leiter einer zivilisatorischen Entwicklung eine der obersten Stufen einzunehmen, konnte um so leichter evoziert werden, je weiter der Blick zurück auf die hinter sich gelassenen Stufen schweifen konnte. Auch in dem oben angeführten Zitat Keys wird dieses Moment eines historischen und zivilisatorischen Kulminationspunktes imaginiert.

Als auf der New Yorker Weltausstellung von 1939 das "funk-tionalistische Schweden" sich der Weltöffentlichkeit präsentierte, führte der Weg in den Austellungspavillon den Besucher durch ein vor dem Gebäude aufgestelltes Dala-Pferd hindurch. Diese Ausstellung war es auch, auf der dieses Holzpferd seine durchschlagende Bedeutung als ein nationales Symbol für Schweden bekam.(143) Die Demontage des Symbols auf der Umschlagsillustration zu Mauricio Rojas Buch Efter folkhemmet zielt nicht auf eine etwaige Entmythisierung des schwedischen kulturellen Erbes selbst, sondern sie kritisiert eine Mythologie der Progressivität, an deren Inszenierung das Symbol mitarbeitet. Arne Ruth formuliert eine ähnliche Kritik, wenn er meint, daß in Schweden eine Anschauung der eigenen Geschichte gesellschaftlich dominant geworden sei, die sich als "Chronik der Sieger"(144) bezeichnen ließe: Sie käme größtenteils über die Logik des "schwedischen Modells" nicht hinaus, ginge von der eindimensionalen Vorstellung einer linearen gesellschaftlichen Entwicklung von der Dunkelheit zum Licht aus und unterschätze die Bedeutung, die das ideologische Erbe der vordemokratischen Epoche für diese Entwicklung gehabt habe. Ruth versucht die Kontinuitäten in den Blickpunkt zu rücken, hier vor allem zum konservativen Nationalismus der Jahrhundertwende, dem zwar eine traditionelle nationale Symbolik innewohnte, dem es aber in gravierender Weise an anti-industriellen Sehnsüchten fehlte.(145) Wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden sollte, bewegten sich auch Ellen Keys Visionen von einem neuen modernen Schweden in eben diesem geistigen Spannungsfeld - in Konfrontation, aber auch partieller Annäherung zu ihm.

Natur und Jugend - Begründungsmuster einer organizistischen Konzeption von Gesellschaft

Ellen Keys Ideenwelt bewegt sich ideologisch über der Nahtstelle eines Übergangs der schwedischen Agrargesellschaft in eine moderne Industriegesellschaft. Im Glauben an eine sinnvolle Weiterentwicklung von Mensch und Kultur begrüßte Key zuversichtlich das neue technisch-industrielle Zeitalter. Doch dieser Fortschrittsoptimismus hatte auch seine Grenzen: Es waren nicht die funktionalen Vergesellschaftungsmuster der Moderne, die in letzter Instanz als ordnungsstiftende Prinzipien menschlichen Zusammenlebens Geltung fanden. Vielmehr blieb Keys Denken dem Ideal einer verloren geglaubten Organizität des gesellschaftlichen Lebens verhaftet. Die Nation war das Gebilde, in dem dieses Organizitätsideal Erfüllung finden sollte. Zwei Phänomenen kam dabei zentrale Bedeutung zu: der Natur und der Jugend. Sie waren es, die als einheitlich sinnstiftendes Element (Natur) und als zu neuer Einheitlichkeit formbares Element (Jugend) Erklärungsangebote und Lösungswege bereithielten, um gesellschaftliche Totalität wiederherzustellen.

Key reflektiert ganz bewußt gesellschaftspolitische wie auch ideologische Strategien für eine moderne Inszenesetzung von Nation und Nationalität. Nationalbewußtsein ist für sie nicht primär eine Angelegenheit von Wiedererweckung, wie sie in ihrem offenen Brief an Heidenstam schrieb, sondern ein Akt gesellschaftsrefomerischer Gestaltung. Auch die Natur wird - wie wir gesehen haben - dabei diskursiv mit der Idee des Nationalen belegt, wird zum konstruierten Erfahrungsraum von nationaler Identität. Gleichzeitig aber ist es die Natur, aus der für Key nationale Identität schließlich doch als ein genuines Phänomen, unabhängig von der Sphäre kultureller Wertsetzung, entspringe. Nationalgefühl und nationale Identität, so meint sie in Anlehnung an Almqvist, seien nicht rational aneigbar. Sie seien vielmehr eine Sache des Gefühls, eine Gemütsstimmung, vermittelt durch ein frühkindliches Naturerlebnis, das identitätsstiftend wirke. Einmal mehr ist es Almqvist, der für Keys Ideen Pate steht und mit dessen Worten sie schreibt:

Was Nationalität, oder - da es sich nun hier um unser Land dreht - was Schwedischsein ausmacht, läßt sich tief empfinden: Es ist eine unsterbliche Gemütslage bei dem, der sie hat. Die schwedische Natur, mit seinem Volk, seinen Seen, Bergen und Wäldern erstehen ihm vor seinem geistigen Auge in ihren ureigenen und richtigen Farben. Dem aber, der diese Gesinnung nicht teilt, kann die Verfasserin nur wenig Auskunft darüber geben, da dieses Phänomen kaum dem Rationalen zugehört, sondern hauptsächlich im Gefühl zuhause ist.(146)

Die subtilen, geheimnisvollen und unbewußten Einflüsse, die der Einzelne schon in seiner Kindheit durch die schwedische Natur, Sprache und das schwedische Gemüt erfahre, hinterließen bleibende Eindrücke, die eine lebenslange intuitive Bindung an das Heimatland mit sich brächten. Patriotische Gefühle könnten somit nicht von dem eingefordert werden, dem diese Einflüsse nicht widerfahren sind. Nationalgefühl sei keine Sache des Pflichtgefühls und keine der Pädagogik und Erziehung, sondern eine der Mystik. Diese allerdings - so räumt Key ein und vor diesem Hintergrund will sie ihre Argumentation verstanden wissen - könne gepflegt und zur Entfaltung gebracht werden:

Und obgleich die Vaterlandsliebe, wie jedes Gefühl, im Innersten seines Wesens [&133;] vom Willen unabhängig, Mystik ist, so gleicht sie doch auch darin anderen Gefühlen, daß man sie verwahrlosen lassen oder pflegen kann und daß sie gedeiht, indem sie gepflegt, ermuntert und geschätzt wird.(147)

Hier aber genau gewinnt das moderne Nationalbewußtsein bei Ellen Key plötzlich Züge einer innerlichen Religiosität, in der - in scheinbarem Widerspruch zu ihrem nationalen Reformprogramm - die Momente der Konstruiertheit von nationaler Identität wiederum verschleiert werden. Die Nation wird damit bei Key zu dem ideellen Konzept, in dem die Verlusterfahrungen und -ängste der Moderne kompensiert werden können, das einheitlichen Sinn und idealtypische Strukturen für das neue soziale Zusammenleben und als Folge hiervon einen neuen gemeinschaftlichen Zusammenhang schaffen sollte. In der Diskussion des späten 19. Jahrhunderts wurde dabei gerade die Irrationalität des Phänomens der Nation positive Bedeutung zugesprochen. In der vermeintlich rational nicht erklärbaren Komponente von Nationalgefühl lag eine legitimative Kraft.(148)

Für Key gibt es allerdings neben den identitätsstiftenden Funktionen der Natur noch eine zweite "Quelle" für die organizistischen Qualitäten des nationalen Gemeinschaftskonzepts - die Jugend. Um den Zusammenhang in den Blick zu bekommen, muß hier noch einmal weiter ausgeholt werden.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts (und mit Höhepunkt um die Jahrhundertwende) hatte der Begriff Jugend einen grundlegenden Bedeutungswandel gegenüber früheren Epochen erfahren. Jugend wurde zunehmend weniger als eine Übergangsphase auf dem Weg des Kindes in das Erwachsenenalter gesehen, sondern gewann Aufmerksamkeit und eine positive Aufwertung gerade aufgrund ihres konfliktreichen Verhältnisses zu dem, was als genuine Eigenschaften und Werte der etablierten Gesellschaft zugeschrieben wurde. Jugend wurde als das grundlegend 'Andere' bestimmt, als Negierung des Bestehenden per se.(149) Faszinieren sollte dabei das ungeheure Entwicklungspotential, das die Zeit der Jugend, als entscheidende Phase des Umbruchs, bereit zu halten schien. Vitalität, Kraft, Ursprünglichkeit, Enthusiasmus und Spontaneität, Authentizität waren die Konnotationen, die der Begriff auf den Plan rief - ambivalent dazu jedoch auch Konnotationen von Unkontrollierbarkeit und Asozialität. Henrik Berggren versucht in seiner Studie zur Jugendrhetorik im Schweden der Jahrhundertwende, dieses Phänomen einer Definition von Jugend als gesellschaftsverändernde Kraft im öffentlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts zu erklären. Er kommt zu dem Schluß, das Phänomen als selbständigen Bestandteil des historischen Modernisierungsprozesses zu betrachten.(150) Tatsächlich scheinen sich in den Assoziationen zum Begriff der Jugend die Hoffnungen und Ängste gegenüber dem sich anbahnenden Zeitalter einer industriellen Moderne zu spiegeln, in der traditionelle hierarchische Strukturen in Familie und Gesellschaft zunehmend aufbrachen und Mobilität in bezug auf die Veränderung kultureller Wertsysteme wie auch die Veränderung der menschlichen Lebenswelt notwendig wurden. Die Jugend hielt kraft der ihr zugeschriebenen Entwicklungsfähigkeit ein Versprechen bereit, nämlich mit dem gesellschaftlichen Prozeß selbst Schritt halten zu können. Daß daran auch die Hoffnung gebunden war, auf diesen Prozeß selbst Einfluß zu nehmen, sozusagen einen Schlüssel für die Gestaltung von Zukunft in der Hand zu halten, tritt spätestens mit dem Boom wissenschaftlicher Forschungsstudien um die Jahrhundertwende zu Tage, die das Phänomen Jugend zu erklären und aufzuschlüsseln versuchten.(151)

Ellen Key gehörte mit ihrem Buch "Barnets århundrade" zu den Portalfiguren dieser Jugendrhetorik - wenn auch weniger erfolgreich in Schweden selbst als im internationalen Ausland. Als Repräsentantin des Evolutionismus glaubte sie, daß die Jugend, soweit man nur richtig mit ihr umgehe, in der Lage sei, eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheit einzuleiten. Wenn Key auf den ersten Seiten ihres Werkes mit den Vererbungstheorien ihrer Zeit argumentiert, so verfolgt sie einen konkreten politischen Sinn damit: Die Jugend wurde als das formbare Material gesehen, das es zu gestalten galt, um die gesellschaftlichen Divergenzen zu überwinden.

Wie Ola Stafseng anmerkt, wurde Keys Werk problematischerweise lange Zeit in einem allzu eng gefaßten pädagogischen Rahmen interpretiert, Key selbst als Vertreterin eines "pädagogischen Individualismus" und Fürsprecherin einer "Selbstverwirklichungsideologie" verstanden. Stafseng betont dagegen die Notwendigkeit einer Interpretation, in der Keys Pädagogik als ein neues Wohlfahrts- und sozialisationstheoretisches Programm für die ganze Gesellschaft gelesen werden kann. "Sozialisation - Kindheit - Jugend - Gesellschaft" sei das Bezugsfeld, in dem Key ihre Ideen entwickelte.(152) Die Frage nach den institutionellen Lösungen, die eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung kontextualisierten und in spezifischer Weise ermöglichten, stand hierbei im Zentrum.(153)

Ellen Keys Prophezeiung, daß das kommende Jahrhundert dasjenige des Kindes und der Jugend würde, sollte sich - sicherlich nicht den Intentionen der Kindheitsrechtlerin Key entsprechend, aber den ideellen Voraussetzungen ihres Denkens folgend - erfüllen: In den auf Totalität zielenden - bis hin zu totalitären - politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts sollte 'die Jugend' immer wieder als Vorhut gesellschaftlicher Erneuerung jedweder Art glorifiziert und mißbraucht werden.


Literaturverzeichnis

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Almqvist, Carl Jonas Love: "Svenska Fattigdomens betydelse." In: Björn Linnell u. Mikael Löfgren (Hg.): Svenska krusbär. En historiebok om Sverige och svenskar. Stockholm: Bonnier Alba, 1995, 139-170.

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Fußnoten

1. Mauricio Rojas: Efter folkhemmet. En agenda för Sveriges förnyelse. Stockholm: Timbro, 1996.

2. Ebd., 16. Es handelt sich im folgenden um meine Übersetzungen der schwedischen Originaltexte. (Schwed. Original: "Den svåraste knuten i den svenska krisen är varken intellektuell eller praktisk, den är psykologisk. Det är den laddning av nostalgi som fångar våra sinnen, som lamslår våra tankar, som gör oss orkeslösa inför en framtid som innebär att allt måste förändras, till och med grundstenarna i vår kollektiva identitet. Den svenska krisen är en tärande sorg, en tvångsvandring ur ett förlorat paradis, och vårt folk kommer att ha ordet folkhem på sina läppar till den dag vi hittar vårt nya hem. ")

3. Ebd., 10. (Schwed. Original: "Folkhemmets styrka låg just i denna förmåga att fläta samman historia och framtid, landets egenartade traditioner och industrialismens löfte om ett liv i materiellt välstånd. Folkhemmet växte i förbund med både det förflutna och sin egen tid.")

4. Vgl. ausführlicher z. B. Göran Svensson: "Utländska bilder av Sverige. Bespeglingar i det moderna." In: Ulf Himmelstrand u. Göran Svensson (Hg.): Sverige - vardag och struktur. Sociologer beskriver det svenska samhället. Stockholm: Norstedt, 1988, 139-161.

5. Rojas, 10. (Schwed. Original: "När folkhemsbygget vacklar så vacklar också vår nationella identitet, våra djupast förankrade traditioner och drömmar, århundradenas arv. Och därför är den förnyelse som vi måste åstadkomma långt svårare än att ändra på några orimliga skattesatser och avskaffa en rad otidsenliga regleringar. Det vi måste omformulera är ingenting mindre än vår kollektiva identitet, våra institutioner och förhållningssätt som hämtar kraft ur ett historiskt urberg som är den osynliga men överväldigande grund som vår säregna modernitet vilar på.")

6. Arne Ruth: "Det moderna Sveriges myter". Zit. n.: Björn Linnell u. Mikael Löfgren (Hg.): Svenska krusbär. En historiebok om Sverige och svenskar. Stockholm: Bonnier Alba, 1995, 544-573. Zuerst erschienen als Artikelserie in Dagens Nyheter am 14.01., 21.01., 28.01., 04.02. und 11.02.1984 unter der Rubrik "Sverigemyter".

7. Vgl. ebd., 548.

8. Vgl. ebd., 563.

9. Siehe ausführlicher hierzu Staffan Björck: Heidenstam och sekelskiftets Sverige. Stockholm: Lunds Universitet, 1946, insbesondere 26-32.

10. Zur Biographie Keys siehe Ronny Ambjörnsson: "Ellen Key: Miljö, liv, idéer." In: Ders. (Hg.): Ellen Key. Hemmets århundrade. Stockholm: Aldus, 1976, 11-59. Des weiteren Ola Stafseng: "Ellen Key som samhällsvetenskaplig klassiker - en introduktion." In: Ellen Key: Barnets århundrade. Stockholm: Informationsförl., 1996, 11-27.

11. Vgl. Ronny Ambjörnsson: "En skön, ny värld". In: Ders.: Tokstollen och andra idéhistorier. Stockholm: Carlsson, 1995, 177-195, insbesondere 178 f.

12. Vgl. Ambjörnsson, 1976, 25.

13. Vgl. Stafseng, 24.

14. Vgl. ebd., 23.

15. Ruth Halldén: "Ellen Key - hela Europas tankeliv passerade genom hennes hjärna." In: Dagens Nyheter, 5. 8. 1976, 4.

16. Auf die Bedeutung Ellen Keys für die kulturellen Umbruchprozesse der Jahrhundertwende kommen v. a. drei umfangreiche Forschungsarbeiten aus den 1990er Jahren zu sprechen, die grundlegend auch für die in dieser Arbeit entwickelten Zusammenhänge waren: Nils Edling: Det fosterländska hemmet. Egnahemspoltik, småbruk och hemideologi kring sekelskiftet 1900. Stockholm: Carlsson, 1996; Henrik Berggren: Seklets ungdom. Retorik, politik och modernitet 1900-1939. Stockholm: Tiden, 1995, Anders Ekström: Den utställda världen. Stockholmsutställningen 1897 och 1800-talets världsutställningar. Stockholm: Nordiska museet, 1994.

17. Ruth, 1988, 566. (Schwed. Original: "Sveriges nationella intressen föreföll att helt och hållet sammanfalla med villkoren för det internationella framsteget. Det som var bra för svenskarna var bra för världen.")

18. Vgl. hierzu ausführlicher Stein Tønnesson: "Norden speiler seg: Identitetsdebatten 1986-93." In: Historisk Tidskrift 72 (1993:3), 360-397. Vgl. auch den Aufsatz von Bernd Henningsen: "Mentalität, Identität, Nationalität. Die Skandinavier auf der Suche nach dem, was sie sind." In: Hans Schottmann (Hg.): Arbeiten zur Skandinavistik. 11. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik. 8.-14. August 1993 in Sigtuna. Münster: Kleinheinrich, 1994, 400-416.

19. Vgl. Ruth, 1988, 552.

20. Vgl. z. B. auch Rojas, 24 f.

21. Auf die Bedeutung der militanten und nationalistischen Ideen eines jungkonservativen Rudoph Kjellén oder Adrian Molin kann z. B. in diesem Zusammenhang verwiesen werden, aber auch auf Gustav Sundbärgs Betrachtung Det svenska folklynnet. Vgl. hierzu Ruth, 1988, 552 f. Vgl. auch Bo Stråth: "The Swedish Path to National Identity in the Nineteenth Century." In: Øystein Sørensen (Hg.): Nordic Paths to National Identity in the Nineteenth Century. (Nasjonal identitet nr. 1/1994). Oslo: The Research Council of Norway, 1994, 55-63, 60.

22. Verner von Heidenstam: "Om svenskarnes lynne." In: Ord & Bild 1896:1. Zit. n.: Linnell/Löfgren, 224-238.

23. Ellen Key: "Om patriotism. Öppet brev till min vän Verner von Heidenstam". In: Vintergatan (1897). Zit. n. Linnell/Löfgren, 239-265.

24. Heidenstam, 224 f. (Schwed. Original: "Den svenska nationen liknar en vittberest gammal världsman, vilken varit med om allt och prövat allt. Han har mätt djupen i politikens orena flöden. Han har förbluffat Vatikanen med sina hermeliner och silverbjällror samt Versailles med sina älghudshandskar och kragstövlar. Han har ätit nådebröd hos sultanen och bjudit tyska borgare på springbrunnar av vin. Hans historia är brokigare än Karl Knutssons levnadssaga, och världsklok och allerfaren gnuggar han händerna och bugar och bugar. [&133;] Väl kan ett mer storartat slut aldrig vänta ett gammalt folk än att med vetandets mogna frukter i knät och självanklagelsen på sin mun sluta ögat till sömnen; men det är livets lag att rygga tillbaka vid ättestupan, och svenskarnes lynne är ännu för rikt på möjligheter att den genomskinligt kalla dager, i vilken de betrakta varandra, nödvändigt skulle vara höstens.") Vgl. auch andere Textstellen, z. B. ebd., 237.

25. Im Mittelalter wurden politische Machtansprüche durch Anciennitätsnachweise legitimiert: Auf dem Konzil von Basel 1434 entschieden so z. B. ein hohes Alter und ein frühes Datum der Bekehrung zum Christentum im Kleinen über die Rangfolge der einzelnen Staatsrepräsentanten bei der Tischordnung, im Großen über Würde, Ansehen und Rangfolge der einzelnen Staaten in der Hierarchie der europäischen Mächte. Vgl. hierzu Bernd Henningsen: Die schwedische Konstruktion einer nordischen Identität durch Olof Rudbeck. Berlin: Humboldt-Univerität Berlin, 1997, 13.

26. Key: "Om patriotism", 241 f. (Schwed. Original: "Din karikatyr av den svenska nationen som en gammal, berest världsman, vilken inför sina grannar bugande frånsäger sig själv all betydelse, är mer roande än riktig. Mig synes vår nation snarare likna en gammal, vitter adelsman, vilken betraktar sin hovsyssla såsom livsuppgift och sitt författarskap - om än så betydande - som sitt tidsfördriv; och vilken därför vid grannarnas besök skyndsamt gömmer sitt manuskript i bakfickan av sin uniform och för sin biograf uppger titlarna ej på sina böcker men på sina ordnar.")

27. Ebd., 242. (Schwed. Original: "Det är denna föråldrade patriotism, vilken under de senaste årtiondena låtit nationens självkänsla bokstavligen leva av stenar i stället för bröd - minnesstenar, gravstenar, minnesstoder. ").

28. Als offizielle Nationalhymne galt in Schweden zu dieser Zeit noch "Ur svenska hjärtans djup", das wegen seiner royalistischen Orientierung auch "Königshymne" (Kungssången) genannt wird. Zur Kritik an dieser und der Diskussion um den Bedarf an einer neuen, moderneren Hymne vgl. Björck, 147- 155. Siehe weiter auch Inge Adriansen: "Hymnen und Flaggen im nationalpolitischen Zusammenhang des 19. Jahrhunderts." In: Bernd Henningsen, Janine Klein, Helmut Müssener u. Solfrid Söderlind (Hg.): Wahlverwandtschaft. Skandinavien und Deutschland 1800-1914. Berlin: Jovis Verlagsbüro, 1997, 39-42. Allerdings datiert Adriansen hier fälschlicherweise die Durchsetzung von Du gamla, du fria als offizielle neue Hymne zu früh auf das Jahr 1880 (ebd., 40). Vgl. hierzu sehr viel ausführlicher Björck, 152.

29. Key: "Om patriotism", 242. (Schwed. Original: "Den är [&133;] ovärdig att vara den enda folksången för en modernt kännande och tänkande nation. [&133;] Till och med den ryske självhärskaren hälsas i Finland med Vårt land. I Norge möter man sin kung med Ja, vi elsker dette landet, och därmed visar folket konungen den största möjliga heder, det att tro honom älska landets natur, dess stora minnen, dess nutidsliv, dess framtid - barnens land lika väl som fädernes land - med samma hängivenhet som folket självt älskar allt detta. Men vi svenskar vanhedra i stora nationella ögonblick samme kung och oss själva genom att fullständigt begränsa hans och våra känslor för fäderneslandet till - välönskningar för kungahuset allenast!")

30. Ebd., 241. (Schwed. Original: "Vår nationella självkänsla behöver därför snarare uppfostran än väckelse.")

31. Vgl. Heidenstam, 227-229.

32. Ebd., 228 f. (Schwed. Original: "Svenskarnes ytterliga modernitet, deras rastlösa brådska att tillägna sig alla nyheter äro just egenskaper, som i våra dagar göra dem mer än rättvist obemärkta. De äro den germanska rasens mest kosmopolitiska och moderniserade nation. [&133;] de äro en spegel, i vilken utländingen dunklare eller tydligare igenkänner sig själv. [&133;] Deras byggnader, deras seder och bruk sakna nationell prägel och beteckna blott summan av det för tillfället modernaste [&133;], och en främling utan kunskaper skulle kunna anse Sverige för ett nytt land utan historia.")

33. Ebd., 227-229.

34. Key: "Om patriotism", 241. (Schwed. Original: "[&133;] en maskerad [&133;]; ett patriotiskt ordande om förbättringar, vilket strax slår om till oblidkeligt motstånd, så snart någon vill låta tal övergå till handling.")

35. Vgl. ebd., 240.

36. Vgl. ebd.

37. Vgl. Orvar Löfgren: "Nationella arenor." In: Billy Ehn, Jonas Frykman u. Orvar Löfgren: Försvenskningen av Sverige. Det nationellas förvandlingar. Stockholm: Natur och kultur, 1993, 22-117, 22. Abb. ebd., 23.

38. Ebd., 50 f. (Schwed. Original: "Slående nog var det den traditionella fosterlandskärlekens samlande symboler som nu visade sig obrukbara. Varken kungahuset, statskyrkan, armén eller skolan var längre de sammanhållande och fostrande institutioner som de förutsatts vara. Det vi möter i sekelskiftets Sverige är en sönderfallande retorik och praktik, där det nationella är en konfliktarena snarare än ett fokus.")

39. Key: "Om patriotism", 248. (Schwed. Original: "fosterlandskänslans arbetsdräkt")

40. Ebd., 248. (Schwed. Original: "Skall fosterlandskärleken bliva en vardagarnas och icke blott en helgdagarnas sak, då måste därför nya och mer rörliga politiska förhållanden inträda.")

41. Ebd., 257.

42. Ebd., 249.

43. Zu Keys Sozialismusbegriff vgl. ausführlicher Ambjörnsson, 1976, 49-54.

44. Key zit. n. Ambjörnsson, 1976, 53. (Schwed. Original: "I det socialistiska samhället skulle urvalet af de fysiskt felfria och de högstående individerna småningom leda till att framtidens genomsnittsmänniska nådde den höjd, snillet nu intager.")

45. Vgl. Ambjörnsson, 1976, 53 f.

46. Berggren, 44. Ellen Keys Bekanntschaft mit den Ideen Nietzsches wurde offenbar vermittelt durch einen Nietzsche-Essay von Georg Brandes in der Zeitschrift Tilskueren im August 1889, aus dem Key die Bezeichnung "aristokratischer Radikalismus" übernahm (vgl. Ulf Wittrock: "Ellen Key, Almqvist och sekelskiftets idédebatt." In: Ulla-Britta Lagerroth u. Bertil Romberg (Hg.): Perspektiv på Almqvist. Stockholm: Raben & Sjögren, 1973, 24-28, 26.). Erst in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre begann wohl eine intensivere Beschäftigung mit Nietzsche und die Lektüre seiner Werke. Allerdings sind Keys Aussagen hierzu durchaus widersprüchlich (vgl. Ronny Ambjörnsson: Samhällsmodern. Ellen Keys kvinnouppfattning till och med 1896. Göteborg: Univ., 1974, 246 f.). Key hat sich an verschiedenen Stellen dagegen gewehrt, als Sprachrohr Nietzsches verstanden zu werden, dessen Antidemokratismus sie mit starker Kritik begegnete. (Vgl. Vorwort zur 2. Auflage [1901] von Ellen Key: Individualism och Socialism. Några tankar om de få och de många. (Studentföreningen Verdandis småskrifter 55). Stockholm: Bonnier, 1895. Siehe auch Wittrock, 27). Andererseits stellte sie ein Zitat von Nietzsche aus Also sprach Zarathustra ihrem Werk Barnets århundrade voran. Wahrscheinlich müssen hier - auf der Ebene des um die Jahrhundetwende virulenten Diskurses um 'Jugend' und 'Jugendlichkeit' - die grundlegenden Berührungspunkte zwischen Key und Nietzsche gesucht werden. Die Vorstellung, daß die geschichtliche Entwicklung von Mensch und Gesellschaft kein vorausbestimmter, eigendynamischer Prozeß ist, sondern in erster Linie das Ergebnis individueller und kollektiver menschlicher Normsysteme, scheint den gemeinsamen Nenner im Denken Keys und Nietzsches zu bilden. Die Jugend war für beide eine gesellschaftliche Kraft, der eine historische Aufgabe zufiel: nämlich das dem Menschen eigene Entwicklungspotential im Widerstreit zu der etablierten Kultur und Gesellschaft der Zeit zur Entfaltung zu bringen. Für Nietzsche bedeutete dies eine Legitimation für die Herauslösung einzelner Individuen aus einer kollektiv verbindlichen Moral. Für Key jedoch war die Aufgabe des sich entwickelnden Individuums gerade die 'Veredelung' einer allgemeingültigen Moral und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Vgl. hierzu weiter die Analyse der Jugendrhetorik von Key und Nietzsche in Berggren, 40-49 und die Kommentare Stafsengs, 44f. u. 98.

47. Vgl. Ambjörnsson, 1976, 54.

48. Ebd., 52. (Schwed. Original: "[&133;] i framtidens lyckorike skall de många bli de stora.")

49. Key zit. n. Ambjörnsson, 1976, 28. (Schwed. Original: "[&133;] bergstopparna kapats och dalarna upphöjts.")

50. Vgl. Key: "Om patriotism", 248 f.

51. Carl Jonas Love Almqvist: "Svenska fattigdomens betydelse." Zit. n.: Linnell u. Löfgren, 139-170. Zuerst erschienen als Band X von Almqvists Törnrosens bok, 1838.

52. Vgl. Key: "Om patriotism", 241.

53. Key zit. n. Wittrock, 25. (Schwed. Original: "Sanningar [&133;] uppenbarades där som ett nytt evangelium.")

54. Key zit. n. ebd., 24. (Schwed. Original: "[&133;] som gifver det rikaste uttrycket åt hela det nu i sekelslutet frambrytande nya tidsmetvetandet.")

55. Der Essay "Svenska Fattigdomens betydelse" scheint der Almqvist-Forschung große Schwierigkeiten bei einer interpretativen Auslegung und Einordnung in das Gesamtwerk des Dichters zu bereiten. (Vgl. z. B. schon Kurt Aspelin: "Det europeiska missnöjet". Samhällsanalys och historiespekulation. Studier i C. J. L. Almqvists författarskap åren kring 1840. Del I. Stockholm 1979, 197). Im Zentrum der Diskussion steht dabei immer wieder die Frage, inwieweit die hier entwickelten Ideenfiguren überhaupt als konkrete Aussagen des Dichters Almqvist zu einem schwedischen Nationalcharakter verstanden werden können. Zuletzt hat Roland Lysell in Frage gestellt, daß die Schrift tatsächlich den Versuch einer volkspsychologischen Studie bzw. einer Programmschrift darstelle. Er meint, daß der eigentliche Aussagegehalt auf der Ebene einer paradoxen literarischen Textstruktur und eines diskursiven Spiels mit Bedeutungszuweisungen zu suchen sei. (Vgl. Roland Lysell: "Realismens romantik hos Almqvist." In: Roland Lysell u. Britt Wilson Lohse (Hg.): Carl Jonas Love Almqvist - konstnären, journalisten, pedagogen. Hedemora: Gidlund, 1996, 74-100.) Die hier aufgeworfene Problematik kann und soll an dieser Stelle nicht gelöst werden. Daß in der vorliegenden Arbeit Almqvists Schrift dennoch unmittelbar auf ihre Aussagen zu einem schwedischen Nationalcharakter hin gelesen wird, läßt sich methodisch insofern rechtfertigen, als hier die Rezeption des Textes durch Key zur Debatte steht. Diese aber ist vornehmlich bestimmt durch die Problematik des nationalen Identitätsdiskurses.

56. Vgl. Almqvist, 139 u. 142 f.

57. Vgl. ebd. , 143 f.

58. Vgl. ebd., 143 ff.

59. Vgl. ebd., 145. (Schwed. Original: "Bondfolket är starkt, bland annat därföre, att hos det är bandet emellan härskande och tjänande ännu ursprungligt och icke upplöst.")

60. Ebd., (Schwed. Original: "Är denna stuga än så trång, dess fönsterrutor aldrig så små och dess väggar ganska svarta, så lever dock därinne den poesi, som ger människan makt att bära sig: där finns en stämmning, alstrande trohet, omtänksamhet, flit och dygder, som stannar vid att vara önskningsmål i så många stora, ljusa, väl möblerade herrskapshus.")

61. Ebd., 147. (Schwed. Original: "[&133;] bleve missförhållandet här i landet så stort att staten kan gå sönder.")

62. Vgl. Aspelin, 188.

63. Zum Problem des Götizismus, um den es hier geht, vgl. die Arbeit von Frauke Hillebrecht: Skandinavien - die Heimat der Goten? Der Götizismus als Gerüst eines nordisch-schwedischen Identitätsbewußtseins. (= Arbeitspapiere "Gemeinschaften", Bd. 7) Berlin 1997.

64. Almqvist, 148 f. (Schwed. Original: "På namnen Odin, Tor, Frigga, Nore, Svea - antingen de står i vers, på diligenser eller på ångbåtar - ankommer det icke. [&133;] Svenskheten består således icke i en fnurr, en arkeologisk dammighet, en tillgjord tråkighet, eller ett slags patriotisk styvhet och pock - den består i att vara svensk, mer än att ropa på att man är svensk.")

65. Ebd., 169. (Schwed. Original: "Komma vi nu åter till vårt land igen, dess karaktär och folklynne, så finna vi det i Europa vara, liksom det fattiga, så även det förträdesvis unga. Icke historiskt: ty de nordiska folken hava i deras nuvarande land ägt sin bosättning längre tillbaks i tiderna, än många av de övriga, som nu vistas i vår världsdel. Men till naturen. Hela Skandinaviens område är ganska litet uppbrukat, och blir det troligen aldrig rätt mycket. Likaså har den svenska människan endast litet av den kultur (till lärdom eller talang upparbetade förmögenheter), som Europa erkänner för kultur och så benämner. Men hon har mycket det sättet att se hastigt och tvärtigenom sakerna, vilket man brukar kalla det svenska sunda förståndet. Egentligen är det ett ungt sinnelag: det är kl. 10 på förmiddagen i huvud och hjärta.")

66. Ebd., 170.

67. Vgl. ebd., 166 ff.

68. Key: "Om patriotism", 254.

69. Ebd., 254. (Schwed. Original: "Du glömmer, att bonden är farfar till nio av tio bland Sveriges snillen och att i varje årgang av andligt produktiva hjärnor ett stort antal kommit ur kropps-, framför allt jordbruksarbetarnas stånd. Du svarar, att dessa andligt produktive ju ej längre äro bönder. Nej, men de äro sina fäders söner, och mellan fädernas och sönernas anlag finnas vanligen några berörningspunkter.")

70. Vgl. hierzu ausführlicher Jonas Frykman: "Nationella ord och handlingar." In: Ehn, Frykman u. Löfgren, 120-201, 139 ff. Zur Tradierung des Bildes vom unbabhängigen schwedischen Bauern siehe auch Hillebrecht, 17 ff.

71. Key: "Om patriotism", 256. (Schwed. Original: "En ny art av ömsesidigt uppfostrande gemensamhet mellan folkklasserna - detta är vägen ej blott till en ny patriotism utan till en djupgående aristokratisk radikalism. Eller med ett ord: Varje nationell och kulturell strävan bör syfta till att sammanarbeta, icke särskilja folkets livsvärden, ifall rörelsen skall lyckas varaktigt stegra nationalkänslan och höja nationalkulturen.")

72. Vgl. Berggren, 61.

73. Key: "Om patriotism", 258. (Schwed. Original: "Men denna patriotism är resultatet av att alla klassers nationella minnen och känslor, deras politiska intressen och medborgerliga livsvärden allt mer sammansmält, ej blott med varandra utan med det moderna, europeiska livet.")

74. So z.B. Keys Kritik an den von Bürokratie und Dogmatismus gezeichneten Strukturen der Sozialdemokratie oder an der persönlichkeitsnivellierenden Wirkung von Vereinskulturen, vgl. Berggren, 46.

75. Vgl. hierzu Keys Schrift Individualism och Socialism zum Problem des Individualismus in einer sozialistischen Gesellschaft .

76. Vgl. auch Ambjörnsson, 1976, 49-54.

77. Vgl. den Essay von Ellen Key: "Själamorden i skolarna." In: Ambjörnsson, 1976, 109-120.

78. Key zit. n. Birgit Gerhardsson: "Perspektiv på »Barnets århundrade«". In: Parnass 1997/6, 11-13, 12. (Schwed. Original: "Det starkast 'konstruktiva' momentet vid en människas uppfostran är hemmets fasta, lugna ordning, dess frid och skönhet. Det är hjärtligheten, arbetsglädjen, flärdfriheten i hemmet, som utveckla godhet, arbetslust och enkelhet hos barnet. [&133;], ingendera gör intrång på den andras rätt, men alla äro villiga att hjälpa varandra när så behöves - i denna luft får såväl egoismen som altruismen sin rätta växt, individualiteten sin rätta frihet [&133;].)

79. Key zit. n. Ambjörnsson, 1976, 41. (Schwed. Original: "ur vilket ett allt herrligare [sic!] släkte skall framväxa".)

80. Löfgren, 63 f.

81. Ebd., 58.

82. Ellen Key: "Skönhet i hemmen". In: Ambjörnsson, 1976, 79-108. Zuerst 1897 in der Zeitschrift Idun erschienen, mit dem Artikel "Hvardagsskönhet" von 1897 zusammen unter dem Titel Skönhet för alla in der Schriftenreihe Verdandis småskrifter 1899 veröffentlicht.

83. Ebd., 96.

84. Vgl. Cecilia Lengefeld: Der Maler des glücklichen Heims. Zur Rezeption Carl Larssons im wilhelminischen Deutschland. Heidelberg: Winter, 1993, 58. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Im Mittelpunkt der Untersuchung bei Lengefeld steht zwar die Rezeption Larssons in Deutschland, obige Feststellung bezieht sich aber hier auf die schwedische Rezeption.

85. Vgl. Ambjörnsson, 1976, 55 ff. u. Lengefeld 58 f.

86. Vgl. ebd..

87. Vgl. Löfgren, 64 f.

88. Vgl. ebd., 64.

89. Ikea-Katalog 1983/84, 128. Zit. n. Lengefeld, 109.

90. Ronny Ambjörnsson: "Nordiskt Ljus". In: Ders.: Tokstollen och andra idéhistorier. Stockholm 1995, 88-110, 92.

91. Vgl. auch Ronny Ambjörnsson, 1995, 177.

92. Per Albin Hansson: "Sverge åt svenskarna - svenskarna åt Sverge!" Zit. n.: Linnell u. Löfgren, 421- 432, hier 421. (Schwed. Original: "ett gott hem för alla svenskar").

93. Zit. n.: Rojas, 41. (Schwed. Original: "Vi har hunnit så långt att vi kunnat börja reda det stora folkhemmet. Det är fråga om att där skapa trevnad och trivsel, göra det gott och varmt, ljust och glatt och fritt.")

94. Zit. n.: Rojas, 39 f. (Schwed. Original: "Vid högtidliga och, för övrigt, även vid vardagliga tillfällen tala vi gärna om samhället - staten, kommunen - såsom det för oss alla gemensamma hemmet, folkhemmet, [&133;]. Hemmets grundval är gemensamheten och samkänslan. I det goda hemmet råder likhet, omtanke, samarbete, hjälpsamhet. Tillämpat på det stora folk- och medborgarhemmet skulle detta betyder nedbrytandet av alla sociala och ekonomiska skrankor, som nu skilja medborgarna i privilegierade och tillbakasatta, i härskande och beroende, i rika och fattiga, besuttne och utarmade, plundrare och utplundrade.")

95. Vgl. auch Bernd Henningsen: Der Wohlfahrtsstaat Schweden. Baden-Baden: Nomos, 1986, 312-317 u. Bernd Henningsen u. Bo Stråth: "Die Transformation des schwedischen Wohlfahrtstaates. Ende des 'Modells'?" In: Jahrbuch für Politik 2/1995, 221-246, 223-225.

96. Rojas, 35.

97. Vgl. hierzu auch Edling, 384.

98. Ellen Key: "Samhällsmoderlighet". In: Ambjörnsson, 1976, 156-185. Zuerst erschienen in: Ellen Key: Lifslinjer I, 1903.

99. Ebd., 162 f. (Schwed. Original: "Liksom familjen - den första 'staten' - torde den slutliga staten komma att te sig som en enhet av den manliga och kvinnliga principen. Eller med andra ord bli ett 'stats-äktenskap', icke såsom hittills endast ett statscelibat!").

100. Ebd., 175. (Schwed. Original: "[&133;]; men först när vardera kan komma fram med sin egenart, bli lagstiftning som förvaltning allsidiga. Men allsidighet är ännu ej sammanhang. Om man klinkar med ett finger eller med alla tio på instrument, blir därav dock ingen musik. Först när varje finger kan sin sak - och kan samspela med de övriga - uppstår harmoni, vare sig det gäller den instrumentala eller sociala musiken! Med avseende å den senare är det nuvarande politiska tillståndet - under upplösningen av gamla och daningen av nya välfärdsbegrepp - så kaotisk, att man vid varje stor frågas behandling minnes Geijers utrop: att redan en skymt av sammanhang voro lycksalighet! Innan detta 'sakernas eget sammanhang' - med andra ord socialpolitiken - avlöst egenintresse- och klassinstinktpolitiken, torde många livskrafter komma att ödas [&133;].")

101. Vgl. insbesondere ebd., 176 f.

102. Vgl. Edling, 384.

103. Siehe hierzu ausführlicher z. B. Eva Rudberg: Folkhemmets byggande under mellan- och efterkrigstiden. Stockholm: Svenska turistföreningen, 1992.

104. Vgl. Yvonne Hirdman: Att lägga livet till rätta: Studier i svensk folkhemspolitik. Stockholm: Carlsson, 1989, v. a. 92-158, 176-239.

105. Vgl. hierzu auch Rojas, 38 f. und 47 f.

106. Alva und Gunnar Myrdal: Kris i befolkningsfrågan. Stockholm: Bonnier, 1934. Zit. n.: Rojas, 46 f. (Schwed. Original: "I framtiden kommer det inte att anses samhälleligt likgiltigt vad folk gör med sina pengar: vilken bostadsstandard de har, vilken mat och vilka kläder de köper och, framför allt, i vilken utsträckning barnens konsumtion tas om hand. Tendensen kommer under alla förhållanden att gå mot samhällelig politisk organisation och kontroll, inte bara av inkomstfördelningen i samhället utan även av konsumtionens inriktning inom familjerna.").

107. Vgl. Hirdman, 81.

108. Vgl. Edling, insbesondere 323 und 383 ff.

109. Vgl. ebd., 24.

110. Vgl. ausführlicher ebd., 156 f. und 297-299.

111. Siehe auch Lennart Holm: "Bostadens form som ideologisk spegel." In: HSB:s Riksförbund u. Svenska Riksbyggen (Hg.): Bostadspolitik och samhällsplanering. Stockholm: Tiden, 1968, 67-95, 68f.

112. Edling, 297.

113. Vgl. ebd., 336 f.

114. Vgl. ebd., 157. u. Ambjörnsson, 1995, 190.

115. Vgl. Edling, insbesondere 295-321.

116. Vgl. ebd., 384.

117. Vgl. ebd., 298 f.

118. Vgl. Edling, 308 ff.

119. Key: "Om patriotism", 246 und 247. (Schwed. Original: "[&133;] den blev salunda verkligen en den nationella hänforelsens och den nationella självkänslans renässans.")

120. Siehe hierzu ausführlicher Kapitel 6 bei Ekström, 264-313.

121. Vgl. ebd., 300.

122. Vgl. ebd., 301 u. 305.

123. Key, "Om patriotism", 247. (Schwed. Original: "Och ingen enda bland alla de hundratusenden, vilka böljade genom utställningen, blev helt oberörd av den nationella solidaritätskänslan. Alla förstodo, att detta var en gemensam egendom, en gemensam stolthet; alla möttes i det glada medvetandet: Dessa har mitt folk mäktat; dess arbetsära är min; så storo äro mitt lands tillgångar; så rik är mitt lands natur; så stark och begåvad är min nation.")

124. Vgl. Ekström, 218.

125. Key: "Om patriotism", 248. (Schwed. Original: "[&133;] hålla måttet inför tidens nya värdemätare.")

126. Vgl. Ekström, 287.

127. Vgl. ebd.

128. Vgl. Rojas, 29.

129. Key: "Om patriotism", 262 f. (Schwed. Original: "Mer än av alla sekularfester tror jag, att nationalkänslan kunde höjas t. ex. [&133;] genom en skogslag, som skulle ge oss större möjligheter att bevara vårt land, och en zontariff, som skulle ge oss större möjligheter att bese det.")

130. Zit. n. Björck, 44. (Schwed. Original: "[&133;] att i fosterlandets intresse utveckla och underlätta turistväsendet inom Sverige samt arbeta för spridandet af kännedomen om land och folk.")

131. Zur Bedeutung der Natur bei Key siehe weiter z. B. Ronny Ambjörnsson: "Naturromantik och samhällsmoderlighet." In: Dagens Nyheter, 21.1.1983, 4. Auch Henningsen, 1997, 29 f.

132. So weist z. B. Staffan Björck darauf hin, daß das Wirken des Svenska Turistföreningen Anteile an der Verfestigung der Norrlandmythos hatte. Vgl. ebd., 44.

133. Vgl. Löfgren, 51 f.

134. Vgl. Ruth, 1984 547.

135. Vgl. ebd., 564.

136. Vgl. ebd., 558.

137. Vgl. ebd., 566.

138. Arne Ruth: "Die zweite 'Neue Nation': Der Mythos vom modernen Schweden". In: Stephen R. Graubard (Hg.): Die Leidenschaft für Gleichheit und Gerechtigkeit. Essays über den nordischen Wohlfahrtsstaat. Baden-Baden: Nomos, 1988, 247-290, 288 f.

139. Vgl. z. B. Jonas Frykman u. Orvar Löfgren (Hg.): Svenska vanor och ovanor. Stockholm 1991 oder siehe das Kartenwerk und den Kommentar von Atlas över svensk folkkultur. Atlas of swedish folk culture. Hg. v. Kungl. Gustav Adolfs Akademien unter Mitwirkung von Dialekt- och folkminnesarkivet. Red. v. Åke Campell u. Åsa Nyman. Uppsala: Lundequista bokh., 1976. Bd. II: Sägen, tro och högtidssed.

140. Anne Eriksen: "Det nasjonale kulturarven - en del av det moderne". In: Kulturella Perspektiv. Svensk etnologisk tidskrift. 1/1993, 16-25.

141. Vgl. ebd., 23.

142. Vgl. ebd., 24 f.

143. Vgl. Göran Rosander: "The 'nationalisation' of Dalecarlia. How a special province became a national symbol for Sweden." In: ARV Scandinavian Yearbook of Folklore 1986/vol. 42, 93-142, 138.

144. Ruth, 1988, 275.

145. Ebd., 276 f.

146. Key: "Om patriotism", 260. (Schwed. Original: "Vad nationlighet, eller - då det nu är frågan om vårt land - vad svenskhet är, det kan kännas djupt: det är ett odödligt sinnelag hos den, som har det: svensk natur, med folk, sjöar, berg och skogar, står då för ens håg i sin egen och rätta färg. Men den person, som icke har detta sinnelag, kan författaren lämna föga undervisning därom, emedan det nästan intet tillhör det rationella. Det har huvudsakligen sitt hem i känslan.")

147. Ebd., 262. (Schwed. Original: "Och eheru fosterlandskärleken, som varje känsla, till sitt innersta väsen [&133;] är oberoende av viljan, är mystik, så är den även däri lik andra känslor, att den kan vårdslösas eller vårdas och att den växer genom att vårdas, uppmuntras och uppskattas.")

148. Vgl. hierzu Ekström, 287-295, insbesondere 294. Ekström beleuchtet hier auch die kompensatorische Funktion des Nationenbegriffes im Hinblick auf den Säkularisierungprozeß der Moderne.

149. Vgl. zum folgenden ausführlicher Berggren, insbes. 27-51.

150. Vgl. ebd., 30 f.

151. Vgl. ebd., 50.

152. Vgl. Stafseng, 20 ff.

153. Vgl. ebd., 16.