Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Exkursion 2025

Literarische Spuren in Dänemark und Schweden
15.–25. Mai 2025

Freitag, 16.5. (Nora Ouwerkerk, Kerstin Stolt)

Der erste Tag mit Programm. Nach dem Frühstück sammelten wir uns um 9:30 Uhr vor dem Hotel und lernten das Abzählen von 1-17, bevor wir uns bei sonnigem Wetter zum nahegelegenen Københavns-Museum aufmachten. Dort waren wir mit der Museumsdirektorin Louise Jacobsen und Vivi Lena Andersen verabredet. Vivi arbeitet zwar nicht mehr am Stadtmuseum, war aber entscheidend an der Konzeption der für den Nachmittag geplanten Digterrute über Tove Ditlevsen beteiligt.

Bevor uns Louise eine Führung durch die Ausstellung gab, erläuterten Louise und Vivi die kuratorische Arbeit des Museums. Während sich die Ausstellung ursprünglich auf lokale Autoritäten und urbane Machtzentren konzentrierte, geht es inzwischen darum, die Geschichte der Stadt aus möglichst vielen Perspektiven sichtbar und hörbar zu machen. Damit trägt man auch der Unterbringung in der Stormgade 18 Rechnung, einem Gebäude, das lange Zeit als Waisenhaus („Overformynderi“) diente. Mit Erzählungen aus allen Schichten der Bevölkerung sollen Museum und Stadt enger aneinandergebunden werden. So versucht das Museum durch Stadtwanderungen, wie die zu Tove Ditlevsen, und durch Popup-Ausstellungen auch im Stadtraum präsent zu sein.

Wie Vivi betonte, sind die Texte Ditlevsens für eine Stadtgeschichtsschreibung, wie sie das Museum anstrebt, geradezu ein Idealfall. Die Erfahrungen einer jungen Frau aus dem Arbeitermilieu in den 30er- und 40er Jahren sind in den Texten Ditlevsens eng an das Viertel Vesterbro, an bestimmte Straßennamen, lokale und örtliche Gegebenheiten gebunden. Indem man diese Orte aufsucht, wandert man sozusagen durch Tove Ditlevsens Leben.

Für diese besondere Wanderung trafen wir uns mittags vor dem Geburtshaus von Tove Ditlevsen in der Hedebygade 30A wieder, der ersten Station der „Dichterroute“, die in neun Stationen durch den Stadtteil Vesterbro führt. Die Texte zu den einzelnen Stationen sind online auf der Seite https://danskedigterruter.dk/rute/tove-ditlevsen/ abrufbar. Sie bestehen zum Teil aus einer Rahmenerzählung, zum Teil aus Zitaten aus Ditlevsens Romanen und Gedichten, die – auf Dänisch – nicht immer einfach zu verstehen sind. Deshalb trugen wir an jeder Station zusammen, worum es jeweils ging. Auffällig war, dass auch die Auszüge aus dem Roman Barndommens Gade (1943) als Teil der autobiographischen Erzählung präsentiert werden, ohne dass hier eine Grenze zwischen den Textarten markiert wird. Grundsätzlich gefiel uns aber die Möglichkeit, die Stadt durch die Augen literarischer Texte kennenzulernen und wir bedauern, dass das Projekt der Digterruter nicht weitergeführt wird. Es wäre toll, wenn es diese Stadtführung auch in anderen Sprachen gäbe (oder zumindest ein Transkript der dänischen Texte bereitgestellt werden würde).

Der Tag war durch den Museumsbesuch, das Gespräch mit Louise und Vivi und die zweieinhalbstündigen Wanderung durch Vesterbro voller Eindrücke. Das wichtigste Erlebnis des Tages war jedoch das Dänisch-Hören und Dänisch-Verstehen. Darüber, wer wie verständlich gesprochen hat, was wir überhaupt verstanden haben, und ob wir nicht doch alle noch einen Dänisch-Kurs machen sollten, haben wir uns an diesem Tag am meisten unterhalten.

 

Samstag, 17.5. Blixen und Bara Bada Bastu (Rebekka Wend, Soley Kroy)

Nach einem sehr frühen Frühstück (7 Uhr) im Hostel und einer kurzweiligen halbstündigen Zugfahrt entlang der idyllischen dänischen Küste erreichen wir Rungsted Kyst. Von hier führt uns Hanna durch ein paar Felder und ein kleines Waldstück zum Karen-Blixen-Museum. Nach anderthalb Tagen inmitten des Kopenhagener Großstadttrubels erheitert die sonnenbeschienene Landschaft sogleich das Gemüt. Wir erreichen Blixens Anwesen durch den dazugehörigen Garten von der Rückseite. Die Bäume tun sich auf und eröffnen den Blick auf einen Teich, grüne Wiesen und gut gepflegte Hecken und schließlich ein großes weißes Haus, in dessen Rücken das Meer liegt. Wir befinden uns an dem Ort, wo die dänische Schriftstellerin 1885 geboren wurde und 1962 verstarb. Hier verbrachte Blixen abgesehen von ihrer Zeit in Afrika den Großteil ihres Lebens, wovon die in weiten Teilen noch original erhaltene extravagante Einrichtung zeugt.

Eine Museumsmitarbeiterin erwartet uns zur Führung durch die Räume. In der Eingangshalle sind Gemälde und Zeichnungen Blixens ausgestellt, welche einen Einblick in ihr künstlerisches Schaffen gewähren. In Blixens opulentem Esszimmer ist der Tisch für sechs Personen gedeckt; der Platz am Tischende ist gemäß des Platzkärtchens der “Baroness” vorbehalten. Ihre Küche soll für Blixen einer der Räume gewesen sein, auf welchen sie besonders stolz war. In schnörkeliger Schrift steht hier geschrieben: “... denne kvinde er i stand till at forvandle hvert enkelt måltid på Café Anglais til en kærligheds affære, et ophøjet og romantisk elskovsforhold.” (aus Babettes Gæstebud). Ein besonders kurioses Detail der Einrichtung Rungstedlunds sind die Waffen, die in Blixens Schreibzimmer an der Wand hängen. Bei der Führung durch ihre ehemaligen Wohnräume sehen wir auch zahlreiche Objekte aus der Zeit in Afrika, Blixens Schreibmaschine sowie das Grammophon, das Denys Finch Hatton ihr geschenkt hatte, werden präsentiert. In einem weiteren Raum können wir – wie es sich für das Haus einer Schriftstellerin gehört – einen Blick auf Blixens umfangreiche Bibliothek werfen. Die Führung endet im Obergeschoss in Karen Blixens Schlafzimmer, wo sie im Alter von 77 Jahren verstarb.

Da sich die Museumsmitarbeiterin große Mühe gibt, langsam und deutlich zu sprechen und die Jahreszahlen netterweise auf Schwedisch sagt, können wir der Führung gut folgen, auch wenn nur eine von uns tatsächlich Dänisch studiert. Ein großer Teil der Führung handelt von Blixens Kindheit und ihrer Familie, außerdem wird immer wieder auf die Dreiecksbeziehung zu Bror Blixen und Denys Finch Hatton eingegangen. Blixen wird als die Baroness, als Ikone, inszeniert. Die Führung vermittelt mit dem Zusammenspiel aus den historischen Räumlichkeiten und Anekdoten aus dem alltäglichen Leben Blixens das Bild einer extravaganten und starken Persönlichkeit. Die Tendenz zur idealisierenden Darstellung lässt dabei kritische Zwischentöne im Ausstellungskontext jedoch insgesamt etwas kurz kommen. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Leben in Afrika und ihrem Buch Den afrikanske farm findet in der Führung gar keine und in der Ausstellung nur eine beiläufige Erwähnung. Auch auf Blixens Schreiben wird leider nur sehr wenig eingegangen.

Nach der Führung erkunden wir noch Blixens Garten und den daran anschließenden Wald, welche auf ihren Wunsch zu einem Vogelreservat transformiert worden sind. Dann teilt sich die Gruppe: Für einige geht es mit dem Zug noch weiter nach Norden Richtung Louisiana, einem Museum für moderne Kunst, die anderen fahren zurück nach Kopenhagen oder wandeln auf den Spuren von Karen Blixen die sogenannte Blixenruten.

Aber der Tag ist noch nicht vorbei: Am Abend macht sich eine gemischte Gruppe aus ESC-Ultras, ESC-Interessierten und ESC-Neulingen auf den Weg in eine Bar, um dort das ESC-Finale zu schauen. Nach ersten Schwierigkeiten, unsere zwei Reservierungen zusammenzulegen, sodass wir alle zusammensitzen können, ist Reizüberflutung wohl das Wort, welches das, was uns in dieser Bar erwartet, am besten beschreibt. An der Decke hängen ausgehöhlte Puppenkörper, die ein zweites Leben als Lampe gefunden haben und in den Ecken stehen ausgestopfte Tiere in stylischen Anzügen. Ach ja, und dann sind da natürlich noch dänische Flaggen, soweit das Auge reicht, die keinen Zweifel daran lassen, wo wir sind, wenngleich das auch die lauten Buhrufe, wann immer die Teilnehmer aus Schweden auf dem Bildschirm zu sehen sind, erahnen lassen. Wir lernen auf jeden Fall schnell, dass man hier besser nicht zu laut für Schweden jubelt. Die ESC-Ultras tun ihr Bestes, um uns Neulinge in die Welt des ESC einzuführen und statten uns mit Hintergrundwissen aus. Doch im Laufe des Abends wird die Gruppe immer kleiner und nur die größten ESC-Ultras erfahren noch live das Ergebnis des Wettbewerbs.

 

Sonntag, 18.5. (Dorothea Brumby und Angelina Maaß)

Heute hieß es Farvel, Dankmark! Und Välkomna i Sverige!

Beim letzten Frühstück in Dänemark wurde noch ausführlich die Erfahrung des vorabendlichen Eurovision Songcontests besprochen (Bar vs. Hostelzimmer), Lieblingsperformances gekürt (u.a. bei einigen treuen Schwedenfans Bara bada bastu), die dänische und deutsche Moderation verglichen und natürlich der Sieg heiß diskutiert.

Anschließend ging es mal wieder zum Bahnhof. Ab in den nächsten Zug. Gepäck verstauen, Snacks auspacken, gemütlich machen. Und beim Fahren über die Öresundbrücke staunend aus dem Fenster schauen. Am ersten Bahnhof hinter der Grenze wechselte die Anzeige sofort von Dänisch auf Schwedisch und so saßen wir plötzlich nicht mehr im vogn sondern im vagn. Das Highlight bereits hinter uns, wurde die restliche Bahnfahrt eher zum Schlafnachholen genutzt.

Am Göteborger Hauptbahnhof waren wir zunächst von Baustellen umgeben, haben es aber schließlich doch zu unserem Boot aka Hotel geschafft. Damit war der offizielle Part des Tages auch schon erledigt und wir strömten direkt los, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Wenig überraschend zog es viele für eine gemütliche Fika ins Haga-Viertel. Gut gestärkt haben sich einige auf auf den Weg in den Slottsskogen auf ElchFOTOjagd gemacht. Wirklich schöner Park/Wald und ein empfehlenswerter kleiner Ausflug. Auch der Ausblick über Göteborg von der Festung Skansen Kronan und der Garten der Trädgårdsföreningen sind einen Besuch wert.

 

Montag, 19.5. (Rebekka Wend, Berthold Peitsch)

Bestes Wetter der gesamten Exkursion bisher (Sonne mit max. 21 Grad) — und wir verbringen den größten Teil des Tages inhouse :-( Aber wir wollen nicht meckern; das thematische Programm (und ein Original-KvinnSamKugelschreiber) werden uns entschädigen.

KvinnSam ist die Nationale Bibliothek für Genderforschung und universitätsweite Forschungsinfrastruktur der Universität Göteborg. Wir treffen uns mit Projektmitarbeitenden in der Bibliothek der Humanistischen Fakultät und erhalten zunächst einen Überblick. KvinnSam ist die größte genderwissenschaftliche Datenbank im Norden, aber auch eine Bibliothek und ein Personen-, Vereins- und allgemeines Archiv, mit Schwerpunkt auf Frauengeschichte und Genderforschung. Die Bibliothek- und Archivsammlungen belaufen sich auf ca. 600 Regalmeter, und jährlich kommen etwa 12 Regalmeter dazu. Die einzigartige Sammlung speist sich aus einem großen Netzwerk und internationaler Zusammenarbeit und wird für verschiedene Forschungsprojekte genutzt. Alleine die Datenbank verzeichnet ~20.000 Suchabfragen pro Jahr.

Weil Frauen keine Forschungsbasis für bestimmte Themen fanden, gründeten sie Kvinnsam 1958 in privater Initiative. Über eine Zeitungsanzeige suchten drei Aktive nach Beiträgen zu einem Archiv der Frauenbewegung, und so kamen Briefe, Zeitschriften und sogar Gegenstände in die Sammlung. Das Archiv benötigte viele Jahre um zu wachsen, und in der Anfangszeit wurden die Bestände noch handschriftlich in Sammelbänden registriert. Heute steht das gesamte Archiv digitalisiert zur Verfügung und kann über das Portal "ALVIN - Platform for digital collections and digitized cultural heritage" erreicht werden [https://www.alvin-portal.org]. Die Dokumente sind hauptsächlich aus dem 20. Jahrhundert, einzelne aber auch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Seit 1971 ist die Sammlung Teil der Universitätsbibliothek Göteborg, seit 1997 gilt sie als "nationellt ansvarsbibliotek". Auf der Webseite https://kvinnsam.ub.gu.se/ finden sich Daten, Bilder und digitalisierte Zeitschriften. Daneben wird der Kanal https://www.instagram.com/kvinnsam/ betrieben. Aktuell sind dreizehn Mitarbeitende beschäftigt, die meisten sind Universitätsbibliothekar*innen.

In einer zweiten spannenden Präsentation blicken wir zurück in die Geschichte der schwedischen Frauenbewegung und ihrer Beiträge zum Archiv, auch zu einem separaten Archiv zur Geschichte von KvinnSam. Als im Jahre 1921 nach langwierigem Kampf endlich das allgemeine und gleiche Wahlrecht erstritten war, konnten erstmals fünf Frauen ins Parlament einziehen, Kerstin Hesselgren für die Liberalen in die erste Kammer, und vier weitere Frauen in die zweite Kammer des Reichstages, darunter auch Elisabeth Tamm, Besitzerin des Gutshofes Fogelstad, wo sie zusammen mit weiteren Frauen noch im selben Jahr die Kvinnliga medborgarskolan gründeten. In dieser Schule fanden unterschiedlich lange Sommerkurse statt, mit dem Ziel, das Selbstvertrauen zu stärken und Wissen zu vermitteln, dass den Frauen die Partizipation als verantwortungsvolle Bürgerinnen ermöglichte.

Nach einer willkommenen Fika gibt es die Möglichkeit, weitere Fragen zu stellen. Und dann dürfen wir in einem anderen Raum ausgewählte Materialien selbst besichtigen, besonders kostbare Einzelstücke allerdings nur mit Handschuhen.

Am Nachmittag besuchen wir die "Institution für Schwedisch, Mehrsprachigkeit und Sprachtechnologie" an der Universität Göteborg und können erleben, wie Studenten, Dozenten und Forscher dort auf jede erdenkliche Weise mit der schwedischen Sprache arbeiten. Man kann Schwedisch, Schwedisch als Zweitsprache, Rhetorik sowie Schreiben studieren, mit und ohne Lehramt. Darüber hinaus gibt es ein "Sprachberater-Programm", ein Bachelor-Studium der Linguistik über drei Jahre und mit 180 College-Credits für diejenigen, die anderen helfen möchten, besser zu schreiben oder die Kommunikation in Organisationen und Behörden zu unterstützen. Durch zwei Praktika, Studienbesuche und Workshops wird bereits früh die Verbindung zum Arbeitsleben geschaffen.

Geforscht wird zu Mehrsprachigkeit und Schwedisch als Zweitsprache, Grammatik, Lexikologie, Lexikographie und Phraseologie sowie Sprachtechnologie. Im Auftrag der Schwedischen Akademie wird auch "Svenska Akademiens ordlista" (SAOL) und das von der Schwedischen Akademie herausgegebene "Svensk ordbok" (SO) erstellt. Weiter wird "Språkbanken Text", eine Forschungsinfrastruktur zur Unterstützung linguistischer Datenforschung, gepflegt.

Besonders populär in Schweden ist das Radioprogramm "Språket", das seit 1997 auf dem Sender P1 läuft, mit aktuell 30 Minuten Sendezeit pro Woche sowie einem Podcast. Universitäts-Mitarbeitende unterstützen die Programmleitung dabei, aus wöchentlich hunderten E-Mails der ~300.000 Zuhörer Fragen zur schwedischen Sprache auszuwählen und zu beantworten. Typische Inhalte der Einsendungen sind morphologische, semantische, pragmatische oder etymologische Fragen wie z. B. Definitionen "förlåt vs. ursäkta" oder "tillit vs. förtroende", Variationen zwischen Dialekten usw.

Ida Västerdal, Doktorandin am Institut, präsentiert uns danach ihre Forschungsarbeiten zum Thema "Schwedisch, Ostschwedisch, Estlandschwedisch". Zunächst stellt sie vor, dass man eher von einem Dialektkontinuum in ganz Skandinavien sprechen sollte, und darüber hinaus unterscheiden müsse zwischen Landessprachen, regionalen Landessprachen, angepassten Dialekten sowie echten Dialekten. Für die ostschwedischen Sprachen sind primäre und sekundäre Diphthonge, die bewahrte Aussprache von g, h, l, d, s vor j, Apokope, drei bewahrte Geschlechter: han, hån, he sowie ein eigener spezifischer Wortschatz typische Kennzeichen. Neben dem Finnlandschwedischen, das in einer "Hochsprache" und mehreren, teils stark voneinander abweichenden Dialekten existiert, hat Ida Västerdal sich besonders intensiv mit dem Estlandschwedischen beschäftigt. Damit wird eine Gruppe ostschwedischer Dialekte bezeichnet, die von der in Estland wohnenden schwedischsprachigen Bevölkerung (Estlandschweden) gesprochen wurden, unter anderem auf den estnischen Inseln und in kleinen Gemeinden auf dem Festland. Es handelt sich dabei um vier größere Dialektgebiete mit großen Varietäten in Aussprache und Beugung. Estlandschweden gab es vermutlich seit ca. 1200, und bis zur Flucht vor der Roten Armee 1944 war Schwedisch auf diesen estnischen Inseln Umgangs- und auch Amtssprache. Heute sind nur noch wenige Dialektsprecher*innen übrig; es handelt sich also um im Aussterben begriffene Varietäten.

Warum sollte man dennoch über Estlandschwedisch forschen? Ida Västerdal kann uns einige Begründungen geben. Zunächst geht es darum, aussterbende Varietäten zu dokumentieren und zu bewahren, auch um sprachliche Varietäten innerhalb des nordischen Sprachgebietes zu kartieren. Auf die Zukunft bezogen geht es aber auch darum, unser Wissen darüber zu erweitern, wie sich die schwedische Sprache verändern kann, und letztlich zu unserem Verständnis der inneren Grammatik des Menschen beizutragen.

Ein kleiner Teil der Gruppe verlässt die Vorträge etwas früher, um zur Institutionen för litteratur, idéhistoria och religionzu kommen. Hier werden wir vom Prefekt Tobias Hägerland begrüßt und bekommen eine ausführliche Vorstellung des Instituts. Daran anschließend stellt Dörte auch uns und das Nordeuropa-Institut vor. Es folgt ein spannender Vortrag von Yvonne Leffler zu ihrem Forschungsprojekt "Swedish Women Writers on Export in the Nineteenth Century." In ihrem Vortrag geht Leffler insbesondere auf die schwedischen Schriftstellerinnen Frederika Bremer, Emilie Flygare-Carlén, Julia Nyberg, Anne Charlotte Leffler und Marie Sophie Schwartz ein. Sie untersucht die Anzahl der Übersetzungen ihrer Werke und zeigt auf, inwiefern hier ein eindeutiger Unterschied zu den männlichen Autoren zu erkennen ist.

Schließlich kommen auch die anderen aus der Sprachwissenschaft dazu. In Anbetracht dessen, dass es bereits der dritte Programmpunkt des Tages ist, sind wir alle sichtlich erschöpft, weshalb der nun servierte Kaffee mit müder Freude begrüßt wird. Nach einem weiteren Vortrag von Håkan Möller zu unterschiedlichen Forschungsprojekten nimmt der siebenstündige Uni-Marathon bei KvinnSam und an den verschiedenen Instituten von Göteborgs Universitet ein Ende. Der Tag in Göteborg war definitiv einer der anstrengendsten Tage unserer Reise, aber auch einer der lehrreichsten.

 

Dienstag, 20.5. (Winter Siekmann und Julia Wiegand)

Nachdem der Wecker schon um fünf Uhr früh klingelte, machten wir uns nach einem schnellen Frühstück auf den Weg zum Bahnhof. Aufgrund einiger Schwierigkeiten mit der schwedischen Eisenbahn mussten wir erst von Göteborg nach Örebro fahren und dann dort in den Bus nach Karlstad umsteigen. Trotz einer etwas anstrengenden Reise kamen wir gegen 12:30 Uhr wohlbehalten im Hotel an und erfreuten uns schon auf dem Weg dorthin an der ländlichen Atmosphäre jenseits der Großstadt.

Nachdem wir unsere Koffer verstaut hatten, fuhren wir mit dem Bus zu Alsters Herrgård, dem Geburtshaus von Gustav Fröding, wo uns ein sehr lebhafter und spannender Vortrag einen Einblick in das Leben und Werk des Lyrikers gab. Im Anschluss durften wir das Haus und das umliegende Gelände auf eigene Faust erkunden. Während einige es sich auf der Wiese bequem machten, besuchten andere die zwei kleinen Shops auf dem Gut oder beobachteten u.a. Wildgänse, Möwen und Raubvögel nahe dem Wald und anliegenden Wasser.

Zu guter Letzt gingen wir, zurück in Karlstad, mit einer kleinen Gruppe an den Vänern, den größten See Schwedens. Die Wassertemperaturen luden nicht zum ausgelassenen Baden ein, weshalb wir ein kleines Picknick veranstalteten (und uns dabei gegen einige habgierige Vögel verteidigen mussten).

Unser Tag endete mit Müdigkeit, aber auch neuen Eindrücken und Erholung nach den Abenteuern der vorherigen Reiseziele.

 

Mittwoch, 21.5. (Benita Scheffold, Franziska Neuleben)

Mittwoch, 21.5. (Benita Scheffold, Franziska Neuleben) Der Mittwoch startete etwas später als gewohnt, weil wir kurzfristig eine Taxiverbindung nach Mårbacka bekommen hatten und somit später aufbrechen konnten. Alle freuten sich, dass sie ausschlafen konnten und keine zwei Stunden laufen mussten. Nach unserem ausgiebigen Frühstück hatten wir den Vormittag bis elf Uhr zur freien Verfügung. Manche nutzten dies, um in Kleingruppen Karlstad zu erkunden. Dann wurden wir von drei Taxen abgeholt und durch den Regen nach Mårbacka gefahren. Unterwegs bewunderten wir die idyllische Landschaft Värmlands.

Das Taxi fuhr uns direkt bis vor die Haustür. Kaum stiegen wir aus dem Auto, wurden wir von dem Pfau ‚Farao‘ lauthals krächzend begrüßt. Nachdem sich alle fünfzehn Minuten lang die Pfauen angeguckt hatten, schwärmten wir in Kleingruppen aus, um den Hof zu entdecken. Der von Selma Lagerlöf angelegte Obstgarten und die bepflanzten Blumenbeete bildeten ein harmonisches Gesamtbild und von der Terrasse hatte man einen schönen Blick auf die umliegenden Wälder und Felder. Mårbacka besteht aus einem Haupthaus, das zu Selmas Lebzeiten umgebaut wurde, den Stallungen, mehreren kleinen Gebäuden und einer großen Gartenanlage.

Unsere Führung startete im Eingangsbereich des Haupthauses. Man durfte während der Führung keine Fotos machen und nichts berühren, weil das Haus mit den Originalmöbeln und -tapeten eingerichtet war. Unsere Taxifahrer haben sich unserer Gruppe angeschlossen. Die Führung ging durch den Eingangsbereich in den großen Salon, wo Familienporträts und Statuen zu sehen waren. Besonders schön war der Kamin mit den Malereien. Dann ging es ins Esszimmer, welches eine stattliche Porzellansammlung aufweist. Die Küche bildete den Abschluss im Erdgeschoss. Das kupferne Waschbecken und der moderne Herd waren der ganze Stolz der Köchin, die von Selma angestellt war. Selma war die größte Arbeitgeberin im Umkreis und verkaufte z.B. auch Obst aus ihrem Garten oder Haferschrot von den umliegenden Feldern.

Im Obergeschoss wartete die Bibliothek auf uns. Mit ihrer grünen Wandfarbe und den Bücherregalen, die bis zur Decke gingen, war sie ein Paradies für Literaturliebhaber*innen. Die Nobelpreismedaille war ebenfalls dort ausgestellt. Die Führung endete mit einem Tonausschnitt aus dem Radio, auf dem Selma zu hören war.

Anschließend ging es in den Museumsshop, der extra für uns geöffnet wurde. Manche von uns bewunderten erneut den Pfau, bevor es mit dem Taxi zurück nach Karlstad ging. Wenn das Wetter so toll gewesen wäre wie in Alsters Herrgård am Tag vorher, hätte Mårbacka uns sicherlich noch besser gefallen. Durch das schlechte Wetter und die wenigen Besucher wirkte es noch etwas verschlafen. Trotzdem war es sehr schön, die Buchvorlage nun in echt zu sehen.

Der Abend stand zur freien Verfügung und wurde für Spaziergänge, Fika und Saunagänge in die hoteleigene Sauna genutzt.

 

Freitag, 23.5. (Pia Borcherding Anja Büchner)

Am 23. Mai 2025, dem letzten Tag unserer Exkursion, widmeten wir uns in Stockholm verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Perspektiven auf die Stadt: mit einem besonderen Fokus auf Literatur, Handwerk und Feminismus. Der Tag begann mit einem Besuch im Laden Svensk Hemslöjd, der traditionelles schwedisches Handwerk präsentiert. Eine Mitarbeiterin nahm sich Zeit, um uns die Geschichte der schwedischen Hemslöjds-Bewegung näherzubringen. Dabei ging es nicht nur um Stickereien, Holzarbeiten und Webtechniken, sondern auch um die kulturelle Bedeutung von Handarbeit in Schweden.

Anschließend besuchten wir das August Strindberg Museum, das sich in der ehemaligen Wohnung des Schriftstellers befindet. Die original erhaltenen Räume, darunter das eindrucksvolle Arbeitszimmer mit Blick über die Dächer Stockholms, gaben einen authentischen Einblick in Strindbergs Leben und Schaffen. Besonders eindrücklich war die Verbindung von Wohnraum und Werk. Das Persönliche und das Literarische lagen hier ganz nah beieinander.

Danach ging es weiter zum Stockholms Kvinnohistoriska, dem Museum zur Frauengeschichte. Die Museumsleiterin Anna-Sascha Larsson hatte einen spannenden Vortrag über die Arbeit des Museums gehalten. Dabei wurde deutlich, dass das Kvinnohistoriska als „Museum ohne Wände“ arbeitet, also mit mobilen Ausstellungen, digitalen Formaten und Bildungsarbeit im öffentlichen Raum. Die Diskussion im Anschluss war offen und reflektiert und zeigte, wie feministische Erinnerungskultur auch jenseits klassischer Museumsräume wirken kann.

Den Abschluss des Tages bildete eine Stadtwanderung mit feministischer Perspektive zum Thema „Hembiträdet“, bei der wir Orte besuchten, die mit Frauenrechten, Protestbewegungen und feministischer Stadtgestaltung in Verbindung stehen. Der Rundgang machte deutlich, wie viele Geschichten in einer Stadt oft unsichtbar bleiben und wie wichtig es ist, sie bewusst in den Blick zu nehmen.

Trotz Regenschirmwetter war dieser letzte Exkursionstag ein gelungener Abschluss: voller spannender Einblicke, vielfältiger Perspektiven und neuer Fragen. Am Samstag fuhren wir, nach Freizeit in Stockholm, nach Berlin zurück.