Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Habilitationen 2004

 

Mit dem Vortrag Holger der Däne verdeutschelt? Zur Problematik nationaler Parameter in der sog. Deutschenfehde 1789/90 konnte Stephan Michael Schröder am 7. Januar sein Habilitationsverfahren abschließen.

Im Gefolge der Uraufführung von Baggesens (Libretto) und Kunzens (Musik) Oper Holger Danske am 31. 3. 1789 in Kopenhagen kam es im dänischen Gesamtstaat zu einer polemischen Fehde, in deren Verlauf bis Ende 1790 über siebzig Schriften und Zeitschriftenbeiträge erschienen. Als angeblich erste 'nationale', ja 'nationalistische' Konfrontation zwischen dänischsprachigen und deutschsprachigen Bewohnern des dänischen Gesamtstaates nimmt diese sog. Deutschenfehde in der 1991–92 erschienenen dänischen Identitätsgeschichte Dansk Identitetshistorie einen wichtigen Platz ein. Im Vortrag ist analysiert worden, ob die sich in der Fehde angeblich manifestierende 'nationale Identität' nicht eher als das anachronistische Resultat eines retrospektiven Nationalismus zu deuten ist, wie es dem Projekt einer dänischen Identitätsgeschichte fast zwangsläufig inhärent ist. Der Begriff der 'Deutschenfehde' ist signifikanterweise erst nachträglich geprägt worden. Inwiefern können nationale Parameter in den Texten zur sog. Deutschenfehde überhaupt schon Anwendung finden; wie wurde kollektive Identität konstruiert?

Die Habilitationsschrift Weiße Wiedergängerkunst, schwarze Buchstaben. Zur Interaktion von dänischer Literatur und Kino bis 1918 untersucht die vielfältigen Relationen zwischen der dänischen Literatur und einem als kulturelle Praxis verstandenen Kino, wobei zwei historisch distinkte Phasen herausgearbeitet werden: Zum einen eine Phase bis 1909, die vor allem durch die produktive, komparatistisch äußerst frühe Rezeption des Kinos in Texten von Autoren wie Johannes V. Jensen oder Sophus Claussen charakterisiert ist, zum anderen eine Phase von 1909 bis 1918, also das sog. 'Goldene Zeitalter' des dänischen Films, als dieser große internationale Bedeutung genoss. In dieser Phase wird die ästhetische Relation zwischen Kino und Literatur reziprok, weil aufgrund des mittlerweile sich als Norm etablierten narrativ-fiktionalen Films eine direkte Mitwirkung der literarischen Intelligenz als Narrationsproduzent in der Filmproduktion möglich wurde.

Untersucht werden in diesem Zusammenhang auf der Basis international einzigartiger Quellen u. a. die dänische Entstehung des Genres Drehbuch und seine Autoren. Eine Analyse der Diskurse der dänischen Kinodebatte sowie der Reflexion des Kinos in der dänischen Literatur 1909 bis 1918 mündet abschließend in eine Diskussion der spezifischen Öffentlichkeit des Kinos und dessen Korrelation mit zeitgleichen parteipolitischen Öffentlichkeitskonzeptionen. Umfangreiche biographische, statistische und quellenreproduzierende Anhänge beschließen die Arbeit.
Nach der Aussprache des Fakultätsrates und der Habilitationskommission wurde Stephan Michael Schröder die Venia Neuere skandinavische Kulturen und Literaturen verliehen.

 

 

Am 9. Juni fand der das Verfahren abschließende Habilitationsvortrag von Antje Hornscheidt zu dem Thema Bedeutungsveränderungen rassistischer Begrifflichkeiten in autorisiertem dänischen Sprachgebrauch. Lexikografische und wortsemantische Analysen statt.

Anhand einer historischen Analyse einsprachiger dänischer Wörterbücher wurden explizite und implizite Rassismen in diesen herausgearbeitet und dargestellt, inwiefern in diesen als stark autorisierten Diskursen ein bestimmtes historisierendes dänisches Selbstverständnis in Bezug auf Kolonialismus entworfen wird. Dies muss vor dem Hintergrund gelesen werden, dass Dänemark selbst Kolonien in Afrika und der Karibik besessen hat und aktiv am Sklav/inn/enhandel beteiligt gewesen ist. Es konnte in dem Vortrag gezeigt werden, inwiefern Wörterbücher selbst als Diskurse gelesen werden müssen, die ein bestimmtes Bild des dänischen Kolonialismus entwerfen. Dazu wurden u. a. Begrifflichkeiten aus Reiseliteratur, Tagebüchern und Handelsregistern sowie Fachterminologien einschlägiger Forschungen aus den Geschichtswissenschaften mit den Darstellungen der einsprachigen dänischen Wörterbücher der letzten 150 Jahre verglichen. Auf dieser Grundlage wurde systematisch der Lemmataeintrag, die jeweilige Bedeutungserklärung, die verwendeten Gebrauchsbeispiele und die metalinguistischen Angaben und Kommentare untersucht. Es konnte u. a. festgestellt werden, dass bestimmte für die Kolonialrealität Dänemarks wichtige Begriffe keinen Eingang in dänische Wörterbücher gefunden haben, andere in den Bedeutungserklärungen und den Beispielen nur auf England und Frankreich als Kolonialmächte bezogen werden bzw. auf Deutschland im Rahmen des Zweiten Weltkrieges. Ein weiteres wichtiges Ergebnis liegt in der Feststellung von Bedeutungsverschiebungen und -erweiterungen, wenn beispielsweise Komposita mit slave- als erstem Glied heute nicht mehr als metaphorische Übertragungen früherer konkreter historischer Konstellationen in den Wörterbüchern verzeichnet werden, sondern eine Bedeutung 'harter Arbeit' zu der eigentlichen geworden ist und die historische Ableitung dieser Begriffsverwendung in den Wörterbüchern unsichtbar geworden ist. Für eine pragmatische Sichtweise auf Wörterbücher und Bedeutung ist darüber hinaus die Frage der Rolle von metalinguistischen Kommentaren, über die diskriminierende Verwendungen von Wörtern dargestellt werden sollen, von besonderer Relevanz. Der Vortrag lieferte einen Beitrag zur Forschung kollektiver dänischer Identitätsbildung in Bezug auf Kolonialismus, den aktuellen Umgang damit in einem wichtigen Medium und eröffnet darüber hinaus eine neue pragmatische Perspektive auf die linguistische Beschäftigung mit Wörterbüchern.

Die Habilitationsschrift hat den Titel Ein konstruktivistisches Modell personaler Appellation am Beispiel von Genderspezifizierung und ihrer diskursiven Verhandlung im heutigen Schwedisch. In ihr wird ein perspektivisch-pragmatisches Modell der Analyse personaler Appellation entworfen, welches die traditionelle linguistische Betrachtung von Personenreferenzformen konzeptuell und erkenntnistheoretisch neu fasst. Dies wird am Beispiel personaler Appellation im heutigen Schwedisch vorgestellt und empirisch verifiziert, wozu eine thematische Fokussierung auf Genderspezifizierungen vorgenommen wird. Anhand der empirischen Untersuchung, zu der Daten verschiedener schriftlicher und mündlicher Diskurse ebenso wie die linguistische Tradition der Betrachtung des Themas kritisch analysiert werden, kann die Interdependenz von Genderkonzeptualisierungen mit Sexualitäts- und Altersvorstellungen aufgezeigt werden. Die Habilitationsschrift stellt so ein neues Analysemodell personaler Appellation zur Verfügung, ist theoretisch von hoher Relevanz, da ein konstruktivistisches Sprachverständnis hier auf einen konkreten Gegenstand angewendet wird und zeigt empirisch interessante Ergebnisse für die sprachlich verfasste Genderkonzeptualisierung im heutigen Schwedisch. Das neu entwickelte Modell lässt sich ebenso auf andere Sprachen wie auch andere Themenschwerpunkte, beispielsweise Alters- oder Race-Konzeptualisierungen in personaler Appellation, übertragen. Es unterstreicht die Sinnhaftigkeit der Unterlegung eines konstruktivistischen Sprachverständnisses für linguistische Analysen und vermag aus dieser Perspektive die Begrenzungen und Leerstellen früherer Ansätze kritisch zu evaluieren.
Nach der Aussprache des Fakultätsrates und der Habilitationskommission wurde Antje Hornscheidt die Venia Pragmatik und skandinavistische Linguistik verliehen.