Henrik-Steffens-Vorlesungen im Sommersemester 2007
Vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. März 2009 war Herr Prof. Dr. Helge Høibraaten Inhaber der Henrik-Steffens-Gastprofessur. Studentische Mitarbeiterin war Katharina Bock.
Eine freiheitliche Verfassung mit einem Judenverbotsparagraphen: Norwegen 1814
Humboldt-Universität zu Berlin
Die Vorlesung stellt – nach einem kurzen Überblick über das Programm des Semesters – die norwegische Verfassung von 1814 dar: eine sehr freiheitliche Verfassung, zustande gekommen in ziemlich demokratischer Manier in der kurzen Zeit zwischen der Leipziger Völkerschlacht 1813 und Napoleons endgültiger Niederlage in Waterloo 1814. Aber mit einem Haken: einem Paragraphen, wonach Juden und Jesuiten keinen Zugang zum Reich hatten, der am Ende vorgeschlagen wurde, dem keiner sich widersetzte und der bis 1851 Geltung behielt.
Deutschlands Verfassungen und das Verhältnis zur Französischen Revolution
Universität Flensburg
Hauke Brunkhorst, Professor für Soziologie in Flensburg, arbeitet auch im Spannungsfeld zwischen politischer Philosophie und Staatsrecht, u. a. im Blick auf Prozesse der Konstitutionalisierung über den Nationalstaat hinaus, z.B. in der EU. Unter seinen vielen Büchern ist die international viel beachtete Studie über Solidarität (auch engl.) zu nennen, sowie seine Einführung in die Geschichte politischer Ideen (2000).
Volksabstimmung als demokratisches Verfassungselement: Deutschland und Norwegen im Vergleich
Humboldt-Universität zu Berlin
Norwegen und Deutschland bilden einen merkwürdigen Kontrast. Auf der einen Seite steht Norwegen, das im Laufe seiner 100jährigen Geschichte ein halbes Dutzend nationaler Volksabstimmungen abgehalten hat, nicht zuletzt über die EU, und dies obwohl Volksabstimmungen im norwegischen Grundgesetz mit keinem Wort geregelt sind. Auf der anderen Seite steht Deutschland, das im Hinblick auf direktdemokratische Partizipation eine der reichsten Verfassungstraditionen Europas aufweist, wo jedoch seit über 50 Jahren keine nationale Volksabstimmung mehr stattgefunden hat und wo eine Volksabstimmung über die EU nahezu undenkbar wäre. Die Vorlesung erörtert diesen deutsch-norwegischen Kontrast und zeigt dadurch grundlegende Probleme von Volksabstimmungen im nationalstaatlichen und europäischen Kontext auf. Von Dr. Carsten Schymik, Mitarbeiter am NI, erschien 2006 Europäische Anti-Föderalisten. Volksbewegungen gegen die Europäische Union in Skandinavien.
Ibsens heroismem
Universität Bergen
Atle Kittang, Professor der allgemeinen Literaturwissenschaft in Bergen, ist Norwegens bekanntester Literaturwissenschaftler. Unter seinen vielen Büchern sind nicht zuletzt die Monographien über Hamsuns Desillusionsromane (urspr. 1984) und über Henrik Ibsens Heroismus (2002) zu nennen, aber auch Bücher zu Freud und zu Rimbaud und zur Literaturtheorie. In seinem Vortrag werden außer Brand nicht zuletzt Kaiser und Galiläer Gegenstand der Erörterung sein.
Nordic Orientalism
Universität Oslo
The talk is based on my book Nordic Orientalism – Paris and the Cosmopolitan Imagination 1800-1900 (2005). The question asked is how the Orient has functioned as a Scandinavian "other" during the 19th century. As it turns out, the relationship between the Nordic and the Oriental differs from that pertaining to Europe and the Orient described by Edward Said in Orientalism (1978). Denmark especially tended to import Orientalism as a French fashion in order to establish a Parisian, cosmopolitan national identity during the first half of the century. With Peer Gynt, the Norwegian playwright Henrik Ibsen captured the effect of increased contact with the "real" Orient in the second half of the century. My focus will be on Norwegian literature from the second half of the century. I will read works by Ibsen and Knut Hamsun ("Dronningen av Saba", I Æventyrland and "Under Halvmånen") in light of other Orientalist discourses such as the World Exhibit in Paris in 1867, new spaper correspondences and Orientalist fin-de-siècle paintings.
Stiftungen in Norwegen, Deutschland und Europa: Innovation und Unruhestifter oder Establishmentpflege und Elitismusförderung?
Stiftung Fritt Ord (Freies Wort), Oslo / Berlin
Was sind Stiftungen? "Die gute Tat der toten Hand"? Oder aktives Eingreifen in die Welt von jungen Bürgern? Die Fragen auf diesem Gebiet sind viele, und die zwei Beiträgen werden sowohl die Lage in Norwegen wie auch in Deutschland und im übrigen Europa vorstellen. Erik Rudeng ist Direktor der norwegischen Stiftung Freies Wort (Fritt Ord) und ehemaliger Leiter des norwegischen Volksmuseums. Ulrich Brömmling, M.A., hat Skandinavistik in Berlin und Norwegen studiert und ist Stiftungsberater, Journalist, Kommunikationsberater.
Symbolische Politik und inszenierte Staatlichkeit. Identitätsprägung durch Nationalfeiertage in Norwegen und Deutschland seit dem frühen 19. Jahrhundert
FernUniversität Hagen
Professor Peter Brandt – Sohn Willy und Rut Brandts – leitet den Arbeitsbereich Neuere Geschichte an der FernUniversität Hagen, der die deutsche und europäische Geschichte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert betreut. Er hat mit einer Untersuchung zum Wiederaufbau der Arbeiterbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg promoviert und sich mit einer Arbeit über studentische Bewegungen und Frühnationalismus um 1800 habilitiert. Weitere Schwerpunkte seiner Forschungen liegen in den Gebieten "deutsche Frage" im 19. und 20. Jahrhundert und neuerdings in der vergleichenden europäischen Verfassungsgeschichte.
Kaiser Julian, Henrik Ibsen und das Problem der Macht
Die Vorlesung ist gedacht als eine mögliche Einführung in die Thematik eines deutsch-norwegischen Symposiums zu Henrik Ibsens Stück "Kaiser und Galiläer" und dessen Rezeption in Deutschland, das vom 14.6-16.6 stattfindet. Sie kann auch als (sehr ungenügenden!) Ersatz für das, was in diesem Symposium stattfinden wird, funktionieren, denn ich werde keine Kenntnisse voraussetzen. Ich werde heute teils die historische Gestalt des Kaisers Julian (332-363) vorstellen, der die alten Götter nach der konstantinschen Einführung des Christentums als Staatsreligion wieder rehabilitieren wollte, und sodann schildern, was Ibsen mit dieser historichen Figur in seinem Stück macht, unter der Fragestellung: was ist Macht? Wie kann sie aufgebaut werden? Gibt es so etwas wie ohnmächtige Allmacht, oder auch Ohnmacht, die schliesslich mächtig wird? Die totalitären Regimes des zwanzigsten Jahrhunderts haben gezeigt, dass Allmacht auf Erden fast verwirklicht werden kann. Es kamen dann aber auch die Leipziger Montags-Demonstrationen. Wie ist das im römischen Reich des zunächst unterdrückten, dann aber siegreichen Christentums gewesen? Julian war unter einem christlichen Kaiser aufgewachsen, der seine Eltern ermordet hatte. Er wollte als Kaiser seine Macht großzügig-tolerant praktizieren, damit alle gewinnen könnten. Es kam aber sehr anders.
Deutsch-Norwegisches Symposium zu Henrik Ibsens Stück Kaiser und Galiläer und dessen Rezeption in Deutschland
Veranstalter: Henrik-Steffens-Professur
Donnerstag 14. Juni (s. Ankündigung unten, R. 1.204)
18.15 Eröffnung mit der Henrik Steffens-Gastvorlesung von Prof. Dr. Lisbeth Pettersen Wærp: Ibsen´s Third Empire
Freitag 15. Juni R. 3.246 Fakultätsraum
10.00 Wenige einleitende Worte vom Veranstalter, Helge Høibraaten
10.15 Dr. Hubert Cancik, Berlin: Antike Quellen zu Julian
11.00 Diskussion, danach eine kleine Kaffepause
11.30 Prof. Erik Østerud, Trondheim: Ibsen´s "Emperor and Galilean" as a Rite of Passage
12.15 Diskussion.
12.30-14.00 Lunch.
14.00-14.20 Dr. Christian Janss, Zentrum für Ibsen-Studien, Universität Oslo: Die historisch-kritische Ausgabe Henrik Ibsens Skrifter. Danach Diskussion.
14.30 Dr. Andreas Urs Sommer, Universität Greifswald: Julian als antichristliche Integrationsfigur? Bemerkungen zu David Friedrich Strauss, Ibsen, und Nietzsche
15.15 Diskussion
15.30 Dr. Georg Dörr, Tübingen: Alfred Schulers Ibsen-Rezeption im Kontext von Schulers Entwicklung: Naturalismus, Antike-Rezeption, Esoterik
16.15 Diskussion, danach eine kleine Kaffepause
16.45 Prof. Dr. Richard Faber, Berlin: Kaiser + Galiläer = Christus Imperator Maximus. Über Ludwig Derleth und Henrik Ibsen
17.30 Diskussion, auch allgemein, so lange wie nötig
Samstag 16. Juni R. 3.246 Fakultätsraum
10.00 Dr. Martin Ruehl, Universität Cambridge: "Messiaskaiser": Ibsen, George and the Sacralization of Politics 10.45 Diskussion. Danach eine kleine Kaffepause
11.15 Professor Helge Høibraaten, Humboldt-Universität zu Berlin: Carl Schmitt und Henrik Ibsen: Politische Theologie?
12.00 Diskussion, auch allgemein und zum Plan einer Buchpublikation im Jahre 2009
Eingeladene DiskutantInnen sind:
Dr. Ståle Dingstad, Zentrum für Ibsen-Studien, Universität Oslo
Dr. Uwe Englert, München
Dr. Daniela Gretz, Universität Bonn
Prof. Dr. Frode Helland, Leiter, Zentrum für Ibsen-Studien, Universität Oslo
Prof. Dr. Bernd Henningsen, Humboldt-Universität zu Berlin
Dr. Christian Janss, Zentrum für Ibsen-Studien, Universität Oslo
Dr. Barbara Picht, Berlin
Prof. Dr. Stefanie von Schnurbein, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Julia Zernack, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Das Symposium ist öffentlich zugänglich, aber was Freitag und Samstag angeht, wird – wegen möglichen Platzmangels – um vorherige Anmeldung gebeten: Katharina.Bock@student.hu-berlin.de.
Ibsen´s Third Empire
Universität Tromsø
Henrik Ibsen gab 1873 das Drama Kaiser und Galiläer über den Kaiser Julian (332-363) heraus. Julian hat versucht, wenige Jahre nachdem das Christentum zur Staatsreligion geworden war, die alten Götter zu rehabilitieren. Ibsen bringt in seiner eingehenden künstlerischen Deutung von Julians Scheitern, die Idee eines "dritten Reiches" ins Spiel - eines Reiches, wo nicht einfach zurückgegangen wird zu den alten Göttern, sondern Heidentum und Christentum in einem Drittem aufgehoben werden. Was aber ist das? Das sehr umfangreiche Drama ist nur selten gespielt worden, wurde aber in Deutschland rezipiert – nicht zuletzt im so genannten George-Kreis. Die – noch unerforschte – deutsche Rezeption des Stückes steht im Zentrum eines Symposiums, das vom 14.6. bis 16.6. durch die Steffens-Professur veranstaltet wird.
Listbeth Pettersen Wærp, Professorin für nordische Literatur an der Universität Tromsø, hat ein Buch zum Stück geschrieben und eröffnet das Symposium mit dieser Steffens-Vorlesung.
Norsk vitalisme
Universität Bergen
Dr. Eirik Vassenden, Institut für vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Bergen, hat unter anderem über die Lyriker Kristofer Uppdal (das große, ungeheuer starke Gedicht Isberget) und Olav Nygard geschrieben. Er schreibt über seinen Vortrag: "Hvilken rolle spiller vitalismen i norsk litteratur? Gjennom nedslag i Hamsun, Vesaas og andre skal det drøftes hvilken betydning vitalismen – som filosofisk, kunstnerisk og ideologisk impuls – har i norsk litteratur i årene 1900-1930. Filosofisk spiller vitalismen en viktig rolle i Europa i perioden rundt århundreskiftet (Nietzsche, Bergson), men i Norge skjer formidlingen av disse filosofiske ideene i stor grad gjennom kunst og litteratur. Forelesningen diskuterer hvordan dette tankestoffet nedfeller seg i litteraturen, og om hvilke forbindelser det er mellom en idémessig opptatthet av, en eksplisitt tematisering av og en litterær "praktisering av vitalismen."
In Quest of a Democratic Social Order: The Americanization of Norwegian Social Scholarship, 19181970
Universität Oslo
Der Historiker Fredrik Thue gab als sehr junger Mann 1997 eine Studie über die Entwicklung der norwegischen Sozialforschung nach dem zweiten Weltkrieg heraus, die unter anderem die interessante, aber selektive Rezeption von Themen der Frankfurter Schule untersuchte, die in der großen Untersuchung von Adorno et. al. über The Authoritarian Personality (1950) zum Ausdruck kam. Jetzt hat er eine umfassende Habilitationsschrift vorgelegt, die das Thema unter dem Blickwinkel der Amerikanisierung untersucht - ein auch für die deutsche Nachkriegssituation wichtiges Thema. Er schreibt über seine Schrift und seinen Vortrag:
"The group which in 1950 founded the Institute for Social Research in Oslo had gathered around the seminars of philosopher Arne Næss during the war. A combined interest in the theory of science and practical philosophy invigorated the group. During the occupation the group increasingly turned toward the practical problems of postwar society, exploring the possible social and political implications of Næss' "radical empiricism". The new social sciences were embraced as possible answers to these questions, and, more generally, as means of modernizing and democratizing the Norwegian university system - a system supposed to be too historically dependent on "German" academic traditions.
I have studied the interplay between three dimensions within the postwar transatlantic "acculturation" in the social sciences:
– First, how "society" was modeled as an object of scientific cognition and professional action
– Second, the ways in which social research was institutionalized
– Third, how the social sciences were construed as a way of solving 'rationally' the conflict between liberal and socialist political values.
This "meta-political" dimension was highly important to the pioneer generation of Norwegian social research. Why were some elements of the early postwar American program in sociology, social psychology, and political science embraced and creatively adapted to the study of Norwegian society, while others were ignored, rejected, or misunderstood? To what extent did this reflect typical schisms between "American" and "European" social thought? Focusing particularly on these disciplines' models of society and their underlying 'meta-political' intensions, I will discuss this problem with special regard to three incipient fields in Norwegian social research in the 1950s: political sociology, industrial research, and gender studies."
Stiftungen in Norwegen, Deutschland und Europa: Innovation und Unruhestifter oder Establishmentpflege und Elitismusförderung?
Berlin
Was sind Stiftungen? "Die gute Tat der toten Hand"? Oder aktives Eingreifen in die Welt von jungen Bürgern? In ganz Europa ist das Stiftungswesen im Umbruch. Doch die Stiftungen müssen ihre Rolle in der Gesellschaft in den einzelnen Ländern erst noch finden. Ulrich Brömmling, M.A., hat Skandinavistik in Berlin und Norwegen studiert und ist Stiftungsberater, Journalist, Kommunikationsberater. Er hat vielfach zum Thema Stiftungen publiziert und arbeitet an einem Promotionsprojekt zum Thema.
Die Sonne und der Norden bei Herder, Novalis, Bjørnson und Däubler – und in der sogennanten Germanenideologie
Humboldt-Universität zu Berlin
Nicht zuletzt wird eingegangen auf Bjørnsons Über die Kraft und die Rezeption dieses Stückes in Deutschland. Sein missverständlicher "Pangermanismus" wird auch Thema sein. Was war der deutsche Naturalismus, der Bjørnson und Ibsen entdeckte? Realismus à la Brandes oder eine lebensreformerische Schwärmerei, die weitergeht als die Romantik? Oder etwas in der Mitte? Bei Theodor Däubler handelt es sich um Das Nordlicht. Die Germanen-Ideologie wird nur kurz skizziert.
Die Frankfurter Schule und das Osloer Institut für Sozialforschung nach dem Krieg
Humboldt-Universität zu Berlin
Fredrik Thue hielt am 26.6 eine Vorlesung über die Amerikanisierung der norwegischen Sozialwissenschaft nach dem Krieg. Høibraaten wird in dieser Vorlesung zurückkommen auf Thues Buch aus dem Jahre 1997 über Empirismus und Demokratie, wo unter anderem auch auf das Verhältnis von Forschern in Oslo zu der berühmten Studie über den autoritären Charakter eingegangen wurde, die in Deutschland zu Unrecht als ein Werk (nur) Theodor Adornos bekannt ist. Dabei war Adorno sehr zentral, aber doch nur eine leitende Person in einer interdisziplinären Forschergruppe, in der mehrere Forschungsmilieus vertreten waren. The Autoritarian Personality, das 1950 in den USA herauskam, war ein komplexes und missverstehbares Werk, das in der Frankfurter Schule mit der berühmten Studie über die Dialektik der Aufklärung (1947) untergründig kommuniziert. Høibraaten referiert Thues Analyse und spricht dann etwas allgemeiner zum Verhältnis von Frankfurter Schule und Norwegen nach dem Krieg.