Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Heike Graf: Fernsehen als gemeinschaftsstiftende Instanz? Fernsehen und Alltag in den Anfangsjahren von Sveriges Radio

Arbeitspapiere "Gemeinschaften" Band 14.
Gedruckt mit Unterstützung des Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbank

Fernsehen wurde in Schweden relativ spät eingeführt. Neben technischen Schwierigkeiten standen insbesondere kulturelle Implikationen des neuen Mediums im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskurse. Jedoch erboten sich bei positiver Beschäftigung mit dem Apparat neue Möglichkeiten für die Instrumentalisierung im Volksheim. Als Kulturträger im Dienst der Gesellschaft sowie der Haushalte wurde TV unter der Obhut des Staates mit einer stark familienideologischen Komponente versehen. Was einst die Petroleumlampe war, die die Familie um den Tisch versammelte, sollte nun das Fernsehgerät werden.

Einleitung

30 Jahre nach der Einführung des TV(1) in die schwedische Gesellschaft ist das Fernsehgerät in den Rang einer Lebensnotwendigkeit aufgerückt und darf im Falle der Zahlungsunfähigkeit nicht gepfändet werden. TV hat wie kaum ein anderes Kommunikationsmedium zuvor die Wahrnehmungswelt, den Alltag und die gesellschaftliche Kommunikation verändert. Es soll hier nicht als neutrales Medium verstanden werden, das lediglich Informationen überträgt, verbreitet und verteilt, sondern als Sozial- und Zeichensystem, das nach seinen internen Strukturen Wirklichkeitsentwürfe anbietet und zum Nutzen auffordert. Daß es über Jahrzehnte oft im Hintergrund bleiben konnte, zeigt seine enorme Strukturierungsleistung. Oft fällt die Unterscheidung schwer, ob Erfahrungen via TV oder im "wirklichen" Leben gemacht wurden. Denn Fernsehberichte vermitteln das Gefühl, in Echtzeit dabei zu sein, Ereignisse mit eigenen Augen zu sehen. Nicht ohne Grund war das Motto der Internationalen Funkausstellung 1953: "Die Welt in Deinem Heim"(2). Damit wurde versprochen, daß das Fernsehgerät das mediale Dabei-Sein organisiere und als eine Art "Fenster zur Welt" fungiere. Mediales Dabei-Sein gewann schließlich denselben Status wie körperliche Partizipation. Die Hauptfragen des Projektes, dessen erste Ergebnisse hier vorgestellt werden, lauten: Wie wurde mit welchen Akteuren der Fernsehfunk in Schweden in den fünfziger Jahren eingeführt, und welchen Beitrag leistete und leistet er als Sozial- und Zeichensystem im Modernisierungsprozeß der schwedischen Gesellschaft? Eine Antwort auf letztere Frage wird wenig mit der traditionellen "harten" TV-Forschung gemein haben, da diese auf eine handfeste Qualität anhand empirisch ausgeklügelter Untersuchungen setzt, sondern wird sich vielmehr im Präliminären und manchmal vielleicht auch im Spekulativen bewegen müssen. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf die fünfziger und sechziger Jahre, weil gerade eine historische Beschreibung der Genese neuer Kommunikationsformen die Umbrüche in der Alltagskultur konturieren kann.

Zu einigen theoretischen Ansätzen

Im Rahmen der Kommunikations- und Medientheorie gibt es eine Fülle von Theorien, die den elektronischen Medien verschiedene Rollen zuweisen. Insbesondere mit den Wirkungs- und Rezeptionsanalysen wurde den Medieninhalten konkrete Auswirkungen auf das Handeln der Menschen nachgesagt (z.B. Noelle-Neumann mit der Theorie der Schweigespirale). Hinter den Ergebnissen der amerikanischen Kommunikationsforschung um Harold Lasswell (1948): "Wer sagt was, in welchem Kanal, zu wem, mit welcher Wirkung?" steht die These, daß die modernen Kommunikationsmittel Werkzeuge sind, die von bestimmten Personen oder Agenturen für bestimmte Ziele eingesetzt werden, und deshalb wird als "Moral von der Geschichte" vor den "Konsequenzen von falschem Gebrauch von Massenkommunikationsmitteln"(3) gewarnt. Jedoch wurden dabei oft die komplexen Handlungszusammenhänge vernachlässigt.

Einen Versuch, Medien in das komplexe System der Gesellschaft einzubinden, stellt die Systemtheorie dar. Danach haben die im Laufe des 20. Jahrhunderts technisch enorm ausdifferenzierten und ausgebreiteten Medien ein komplexes Mediensystem als soziales System mit zahlreichen Subsystemen (wie Buch, Presse, Film, Rundfunk(4), Video etc.) entwickelt. Dieses System ist durch eine Vielzahl von internen Interaktionen und solchen mit anderen sozialen Systemen (Politik, Wirtschaft, Recht etc.) gekennzeichnet. Die systemtheoretischen Medientheorien behandeln die Stellung der Medien im System der Gesellschaftsorganisation sowie deren Interaktion miteinander auf vielfältige Weise. Der "Ich-Welt-Gegensatz" wird hier aufgelöst und durch die "System-Umwelt-Differenz" ersetzt. Ein System sind Elemente oder Objekte, die in Beziehung zueinander und in Interaktion miteinander treten und damit in einem Sinnzusammenhang stehen. Außerhalb des Systems liegt die Umwelt, die wiederum aus Systemen bestehen kann. Indem der Mensch selbst bestimmte Funktionen übernimmt, wird er zum Systemelement. Wo ein System aufhört und das andere anfängt sowie worin die Funktion des Systemelements Mensch im komplizierten Geflecht von Interaktionsbeziehungen besteht, ist mehr oder weniger erfolgreich Gegenstand der unterschiedlichen Varianten systemtheoretischer Medientheorien.(5) Während Talcott Parsons die Medien als Steuerungssysteme für die Interaktion von sozialen Systemen sieht, nehmen sie bei Niklas Luhmann eher die Rolle von Codes für die Kommunikation von sozialen Systemen, insbesondere von personalen Systemen, ein. Zusätzlich zum systhemtheoretischen Begriff der Selbstorganisation der Systeme hat er mit dem Konstruktivismus die Selbstreferenz (Autopoiesis) eingeführt und damit die "System-Umwelt-Differenz" abgeschwächt. Anthony Giddens stellt der statischen Auffassung der Systemtheorie entgegen, daß es ohne menschliches Handeln überhaupt keine menschlichen Gesellschaften oder sozialen Systeme gäbe.(6) Er geht in seiner Theorie von der Strukturierung davon aus, daß soziale Systeme innerhalb der Gesellschaften hierarchisch und horizontal organisiert sind.(7) Soziale Systeme, die in Zeit und Raum eingebettet sind, werden durch menschliches Handeln ständig reproduziert, verändert und damit immer wieder neu geschaffen. Je größer ihre Raum-Zeit-Ausdehnung, desto größer ist auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Veränderungen seitens individueller Akteure.(8)

Die Analyse des Mediensystems ist nur sinnvoll, wenn auch die technischen Mittel zur Herstellung und Verbreitung von Medienangeboten berücksichtigt werden. Auf die relativ eigenständige Rolle des Systems Technik hat Marshall McLuhan schon in den sechziger Jahren hingewiesen. Er schockierte die Fachkollegen mit der These: "The medium is the message"(9). Nicht die Inhalte der Medienprodukte würden also die Erfahrungen der Menschen prägen, sondern das Medium selbst. Er entwickelte die These, daß die Medien eine technische Erweiterung unseres Körpers und unserer Sinne seien, also das Fernsehen eine Erweiterung unseres Auges sowie Ohres. McLuhan wandte den Medienbegriff nicht nur auf Kommunikationsmedien an, sondern auf Technik schlechthin. Die Botschaft, die von der Technik überbracht wird, heißt "die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt"(10). Die neuen Medien prägen Kultur und Persönlichkeit nicht kausal und vollständig, denn um diese Prägung analysieren zu wollen ist ein kompliziertes Geflecht von sozialen, kulturellen, psychologischen Komponenten zu berücksichtigen. Paul F. Lazarsfeld hat in den vierziger Jahren - in Auseinandersetzung mit Harold Lasswell - darauf hingewiesen, daß

moderne Kommunikationsmedien [. . .] derart komplexe Instrumente geworden [sind], daß sie, wo immer sie eingesetzt werden, viel mehr als nur den von ihren Verwaltern beabsichtigten Einfluß auf die Menschen haben, und daß sie eine Eigengesetzlichkeit [entwickelt] haben [. . .].(11)

Dieser Eigengesetzlichkeit ist Joshua Meyrowitz in seiner Studie "No sense of Place" (1985) nachgegangen und hat herausgefunden, daß allein schon Veränderungen in der Kommunikationsstruktur sozialen Wandel herbeiführen würden. Er geht davon aus, daß sich infolge der neuen Informationsumwelt, d.h. insbesondere durch die Dauerrezeption von Fernsehprogrammen, die Erfahrungswelt der Menschen verändert habe. Der Fernseh-Code sei verglichen mit dem Schrift-Code ungleich schneller zu beherrschen. Infolgedessen verbreite sich die Akzeptanz des Mediums rasant, und bereits im frühen Kleinkindalter zähle man zum Publikum. Das Fernsehen wirke "wirklicher" als Buchstaben und Zeilen in einem Text. Es biete eine ungewöhnliche Perspektive auf Orte, in denen traditionellerweise keine fremden Zuschauer zugelassen seien. Dadurch habe es vorher getrennte soziale Räume, die einst durch die Buchkultur etabliert wurden,(12) aufgehoben, indem es die Beziehungen zwischen sozialen Situationen und physischen Orten schwäche, meint Meyrowitz. Die größten Auswirkungen hätte es auf solche gesellschaftlichen Gruppen, die physisch an bestimmte Orte gebunden seien, wie an den Herd, die Spielplätze usw. Die Menschen bekämen Informationen geliefert, die ihnen früher nicht zugänglich waren. Ähnlich wie bei der Einführung des Buchdrucks, der Wissen einem breiteren Publikum zur Verfügung stellte, erweitere das Fernsehen den Zugang zu Informationen. Nach seiner Meinung habe das Fernsehen einen bedeutenden Anteil am Enstehen eines öffentlichen Bewußtseins für Minderheiten und benachteiligte soziale Gruppen, indem

es uns in Themen einbezieht, von denen wir früher dachten, daß sie uns nichts angehen [. . .]. Das Fernsehen hat Autoritäten geschwächt, indem es die Distanz und das Geheimnis zerstört hat, die früher deren Aura und Prestige gefördert hatten [. . .]. Viele vorher private und isolierte Verhaltensweisen wurden auf die große öffentliche Bühne gebracht.(13)

Meyrowitz behandelt die Dimensionen des kulturellen Wandels am Beispiel der Kategorien Männlichkeit und Weiblichkeit, Kindheit und Erwachsensein sowie politische Führer und Gefolgschaft und kommt zu dem Ergebnis, "daß die elektronischen Medien vorher strikt getrennte Rollen ineinander übergehen lassen"(14). Das Aufkommen neuer sozialer Bewegungen wie die Frauenbewegung oder auch das öffentliche Auftreten von Minderheiten, die frühzeitigere Erlangung der Geschlechtsreife bei den Mädchen zeigen nach Meyrowitz exemplarische Veränderungen. Das Fernsehen sieht er als Triebkraft, - im Gegensatz zu vielen Feministinnen - das geschlechtstypische Verhalten abzulegen, da die Frauen Zugang zu Welten erhielten, die ihnen früher verschlossen waren. Die Programminhalte mögen zwar kurzfristig alte Stereotype bestärken, aber langfristig könnte die Tatsache, daß beide Geschlechter beiden Rollenmodellen ausgesetzt sind, bewirken, daß sich die traditionellen Unterschiede verringern.(15) Der soziokulturelle Wandel hat wiederum einen relativen Verlust an Macht und Einfluß für vorhandene Institutionen der Gesellschaft zur Folge. Meyrowitz hat nachgewiesen - wie Siegfried J. Schmidt es formuliert -, daß die modernen Massenmedien "die Thematisierung gesellschaftlich relevanter Dichotomien verändert haben"(16).

Der radikale Konstruktivismus von Siegfried J. Schmidt versucht, die Medien in den komplexen kognitiven Wirkungskreis zu bringen. Er denkt die Menschen als autopoietische Systeme, d.h. als organisationell geschlossen, die durch vielfältige Tätigkeiten (Wahrnehmen, Denken, Handeln, Kommunizieren) Erfahrungswirklichkeiten konstruieren. Da heute fast alle Tätigkeiten infolge der Omnipräsenz der Medien - allen voran das Flaggschiff Fernsehen - medienvermittelt sind, läßt sich die von den Menschen konstruierte und sie umgebene Kultur vorrangig als Medienkultur verstehen:

Wenn Mediensysteme die Aufgabe haben, kognitive Systeme und soziale Systeme zu koppeln, d.h. Interaktionen trotz der operationalen Geschlossenheit dieser Systeme zu ermöglichen, dann kann Kultur [. . .] in Gesellschaften, die über Mediensysteme verfügen, nur als Medienkultur verstanden werden [. . .].(17)

Die Medien entwickelten sich zu Instrumenten der Konstruktion von Wirklichkeit, und es wird heute kaum noch davon ausgegangen, daß das Fernsehen die Wirklichkeit abbildet. "[. . .] der Übergang vom Bild der Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Bilder scheint unaufhaltsam", ahnt Schmidt.(18) An anderer Stelle heißt es bei ihm prononciert: "Mit dem Fernsehen öffnet sich kein Fenster zur Welt, sondern ein Fenster zu unserer Kultur und Gesellschaft".(19) Die Wirklichkeitsmodelle von Gesellschaften und Gemeinschaften entstehen also unter den Bedingungen allgegenwärtiger Medien aus der Interaktion und Kommunikation. "Je bedeutsamer medienvermittelte Kommunikation in einer Gesellschaft wird", akzentuiert Schmidt, "desto größer wird der Einfluß von Medien und Kommunikation auf die Anwendung und Interpretation des Programms Kultur [. . .]".(20) Diese Erfahrungswirklichkeit kann nach Schmidt nur auf ihre Gangbarkeit hin überprüft werden, nicht aber auf ihre Übereinstimmung mit einer wahrnehmungsunabhängigen Realität.(21) Insofern lassen sich Medienangebote nicht

als Abbilder von Wirklichkeit bestimmen, sondern als Angebote an kognitive und kommunikative Systeme, unter ihren jeweiligen Systembedingungen Wirklichkeitskonstruktionen in Gang zu setzen. Werden diese Angebote nicht genutzt, 'transportieren' Medienangebote gar nichts. Werden sie genutzt, geschieht dies je systemspezifisch.(22)

Aus diesem Grund riet James Halloran bereits: 1975 "We must get away from the habit of thinking in terms of what the media do to the people and substitute for it the idea of what people do with the media".(23)

Diese Aufforderung verläßt die These von einer willenlosen Masse atomisierter Individuen, die vor dem Fernsehgerät implodiert. Sie setzt dagegen ein Publikum, das aus sozial eingebetteten Mitgliedern besteht und je nach vorstrukturierter kultureller "Formatierung" Medienbotschaften decodiert. Die Zuschauer reagieren also auf die Medienbotschaften, indem sie auf ihre jeweilige kulturelle Prägung oder die der Gruppe, der sie angehören, zurückgreifen. David Morley weist darauf hin, daß TV vor allem ein privates Medium ist (mit Ausnahme der Anfangsjahre, wo Fernsehen oft in öffentlichen Räumen stattfand) und vorwiegend in der Familie rezipiert wird. Insofern ist Fernsehen als sozialer Akt zu verstehen, der im familiären Kontext, verstanden "als ein Muster sozialer Relationen", stattfindet.(24)

Das Fernsehsystem selbst ist in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden und hat seine Funktion im Laufe seiner kurzen Geschichte gefestigt. Die Arbeit von Ien Ang (1992) beweist, daß Medienunternehmen das "Publikum" als ein Konzept verstehen, um Macht und Kontrolle ausüben zu können. Die enge Anbindung des öffentlich-rechtlichen Fernsehfunks beispielsweise an die regierenden Parteien sowie an den Staat in den meisten Ländern Westeuropas ist ein Indiz dafür, daß Rundfunk schlechthin nicht dem Selbstlauf überlassen werden sollte, sondern von Anfang an konkrete Rollen für das neue Medium - mit unterschiedlichem Erfolg - reklamiert wurden. Um diese Zusammenhänge erfolgreich analysieren zu können, empfiehlt Schmidt von Was- auf Wie-Fragen umzustellen und "die konkreten Prozesse von Kognition und Kommunikation, ihre Bedingungen, Regeln und Kriterien in den Vordergrund des Interesses" zu rücken.(25) Denn wichtig für die Produktion und Annahme von Medienangeboten ist die Analyse solcher

kommunikationsrelevanten Faktoren [. . .], die man unter Konzepte wie Rolle, Institution und Organisation fassen kann. Diese Konzepte enstehen im Diskurs. Wenn Kommunikation Aktanten als Handlung zugeschrieben wird, dann ist es bedeutsam, in welcher Rolle ein Kommunikator handelt, welcher Institution oder Organisation er angehört und welchen sozialen oder politischen Einfluß er besitzt [. . .].(26)

Schmidt fordert dabei die Berücksichtigung der wichtigen und vielfältigen Aspekte von Macht und Herrschaft ein. Da der Diskurs nicht von selbst entsteht, sondern von Kommunikatoren (Aktanten oder Institutionen) organisiert wird, sind deren Motive, Interessen, Bewertungen, Einstellungen etc. zu berücksichtigen. Diese wiederum spiegeln die sozio-politische Situation der Gesellschaft wider, denn "Television is a human construct, and the job that it does is the result of human choice, cultural decisions and social pressures".(27)

Die Genese des Fernsehsystems in Schweden

Die fernsehpolitische Situation in den vierziger und fünfziger Jahren

Der Einzug des Fernsehapparates in die schwedischen Haushalte verzögerte sich im Vergleich zur europäischen Norm(28) um einige Jahre. Erst am 4. September 1956 begann die nationale Rundfunkanstalt Radiotjänst offiziell mit dem Abstrahlen ihres regulären Programmes. Dabei steht die Wiege des Fernsehens eigentlich in Schweden, denn der Chemiker Jöns Jakob von Berzelius (1779-1848) entdeckte 1817 den Grundstoff für die spätere Entwicklung, das Selen. Auch datiert das erste schwedische Fernsehpatent immerhin aus dem Jahr 1894, dessen Inhaber, R. Berglund, den "elektrischen Fernsehapparat" namens "Telephotograph" entwickelte.(29) Aber das moderne Schweden der Nachkriegszeit begegneten dem neuen elektronischen Medium zunächst mit Zurückhaltung. Technische Gründe wurden für die späte Einführung des Fernsehens angeführt, immerhin sollte eine Fläche von 449.200 km2 in einem dünnbesiedelten Land mit knapp sieben Millionen Einwohnern erfaßt werden. Im damaligen September waren lediglich die Stockholmer mit täglichen Fernsehsendungen versorgt, und ein Jahr später war Göteborg angeschlossen. Auch begann der längst errichtete neue Sendemast in Nacka/Stockholm verzögert seinen Sendebetrieb. Der Startschuß für die Aufnahme des Sendebetriebes kam zu spät, um noch pünktlich beginnen zu können, hieß eine oft geäußerte Kritik. Vorläufig mußte noch über die Versuchseinrichtung der Königlich-Technischen Hochschule in Stockholm ausgestrahlt werden. Eine im folgenden zu untersuchende Frage soll sich damit beschäftigen, warum Fernsehen relativ spät - trotz frühzeitiger regelmäßiger Versuche - zugelassen wurde.

Erste offizielle Äußerungen zur möglichen Einführung des Fernsehfunks in Schweden datieren aus dem Jahre 1946, als das Kommunikationsministerium seinen Untersuchungsbericht zum Radio, zu dessen aktuellen Anforderungen und zukünftigen Entwicklungen veröffentlichte.(30) Nur ein kurzer Abschnitt galt dem Fernsehen. Darin hieß es, daß infolge technischer Schwierigkeiten, die mit der geografischen Weite des Landes und der niedrigen Bevölkerungsdichte korrelieren, nicht mit dem häuslichen Fernseher in naher Zukunft zu rechnen sei. Lediglich gemeinsames Fernsehschauen in Kinos oder in anderen größeren Vorführräumen wäre denkbar.(31) Die Stockholmer hatten das schon erleben dürfen, als zum ersten Mal im Dezember 1935 die schwedische Radiofirma Svenska Radioaktiebolag in Zusammenarbeit mit den Hauptstadtzeitungen einige Fernsehgeräte in Lokalen der Stadt aufstellte und gegen ein kleines Entgeld dem staunenden Filmpublikum Beiträge vorführte. Im staatlichen Bericht wurde streng darauf verwiesen, daß keine Gelder für teure Experimente auszugeben, sondern lediglich die Entwicklungen im Ausland aufmerksam zu verfolgen seien. Jedoch wurden dem staatlichen Telegrafenamt und der Radiogesellschaft erlaubt, "sich durch das Studium der einschlägigen Literatur zum Thema und der ausländischen Entwicklung eine klare Auffassung darüber zu verschaffen, wann der Zeitpunkt für Versuchsprogramme herangereift ist".(32)

Der Verdienst der ersten Fernsehversuche gebührt mithin weniger staatlicher Förderungspolitik, sondern den zahlreichen privaten Fernsehenthusiasten, die öffentliche Vorführungen veranstalteten und für die Akzeptanz des neuen Mediums warben. Die erste "Pressuregroup" für die Einführung des TV in Schweden wurde mit dem "Amt für Fernsehforschung" (Nämnden för televisionsforskning) im Oktober 1947 als eine technologisch-industrielle Interessengemeinschaft gebildet. Es hatte insbesondere den Kontakt zu den unmittelbar beteiligten Forschergruppen und Interessenten (u.a. zur Radioindustrie) herzustellen sowie die laufenden Arbeiten zu organisieren. Beteiligt waren die Königlich-Technische Hochschule (KTH) in Stockholm, das staatliche Telegrafenamt (Telestyrelse), die Forschungsanstalt der nationalen Verteidigung (Försvarets Forskningsanstalt) sowie LM Ericsson. Das Projekt wurde gemeinsam, d.h. von staatlicher sowie privater Seite getragen; die größte finanzielle Unterstützung kam von der Telefonaktiengesellschaft LM Ericsson, die die erforderliche Ausrüstung in einem Wert von 250.000 SEK zur Verfügung stellte.(33) Im Frühjahr 1949 gesellte sich auch die staatliche Radiogesellschaft (Radiotjänst) dazu, die sich wegen der rasant voranschreitenden technischen Entwicklung gezwungen sah, ebenfalls den neuen Entwicklungen Aufmerksamkeit zu schenken und sich für die programmlichen Fragen zu interessieren. Auch komplettierten weitere Firmen, Svenska Aktiebolaget Gasaccumulator, Aktiebolaget Gylling & Co., Luxor Radio Aktiebolag, Svenska Aktiebolaget Philips sowie Svenska Radioaktiebolaget das Amt, befürchteten sie doch, potentielle bahnbrechende Entwicklungen zu verpassen. Die erste Präsentation der "Arbeitsergebnisse" des Amtes fand am 2. Juni 1949 mit einem von Radio-tjänst zusammengestellten einfachen Programm statt, das in erster Linie die inhaltlichen Möglichkeiten der Fernsehübertragung veranschaulichen sollte. Mehrere Versuchssendungen folgten, u.a. ein Versuchsprogramm für die Regierung im Dezember 1950 (Vgl. Tab. 1) sowie Programme mit Schulfernsehen ein Jahr später.

Tab.1: Programm der Fernsehvorführung am 11.12.1950, 15 Uhr speziell für die Regierung und höhere Militärs(34)

Moderator: Lennart Hyland.
1. Babypflege: Anziehen und Baden eines viermonatigen Mädchens mit Frau Britta Frostenson und Tochter Cecilia.
2. Musikunterricht: Quitt Holmgren gibt eine Lektion im Erlernen von Gitarrengriffen.
3. Militär: Kapitän Sillén demonstriert eine Panzerbüchse (granatgevär).
4. Wettervorhersage mit Wetterkarte.
5. Torbjörn Ståhl, 15 Jahre, zeigt ein Modell der Erde und die Bewegung des Mondes um die Sonne.
6. Frau Ingrid Bråland und Folke Olhagen am Herd: Wie backe ich einen Rosinenkuchen?
7. Museumsdirektor Torsten Althin vom Technischen Museum beim Händewaschen: Er führt eine Anlage aus dem 18. Jahrhundert vor, die einer Warmluftmaschine gleicht.
8. Gösta Bernhard als Mrs Roosevelt.
Abmoderation von Lennart Hyland.

Der Höhepunkt der Probesendungen war die sog. Sandrew-Woche, als vom 17.-23. Mai 1954 in den Ateliers der Aktiengesellschaft Sandrew-Ateljéerna in Stockholm produzierte Programme mit einem Gesamtumfang von 25 Stunden ausgestrahlt wurden. Die Sandrew-Woche zeigte ein weiteres Novum in der schwedischen Mediengeschichte: Zum ersten Mal erhielt eine private Firma, nämlich die Sandrew-Ateljéerna, die Erlaubnis zum Abstrahlen von Fernsehprogrammen, allerdings begrenzt auf eine Woche. Weitere Versuchsprogramme folgten in regelmäßigen Abständen (2-5 Stunden pro Woche), für die jedoch nur Radiotjänst die Lizenz sowie Geld aus dem Staatshaushalt erhielt.

Aber es sollten noch zwei Jahre ins Land gehen bis der offizielle Startschuß für einen regulären Fernsehbetrieb gegeben wurde. Neben der technischen Reifung sollte auch eine kulturpolitische erfolgen. Erst 1951 gab das Kommunikationsministerium eine umfassende Untersuchung zur Einführung des TV in Auftrag. Nach schwedischer Tradition, die auf einer gründlichen Befragung potentieller Interessenten beruht und auf eine konsensuale Politik orientiert, dauerte diese Arbeit drei Jahre, weitere zwei brauchte sie, um im Reichstag behandelt zu werden. Tage Erlander schrieb 1956 in einem Aufsatz der Radioprogrammzeitschrift "Röster i Radio":

Es reicht nicht, wünschenswerte Ziele für die gesellschaftliche Entwicklung aufzustellen. Das Wesentliche bleibt trotz alledem, durch eine sachliche Aufklärung eine Vorstellung davon zu gewinnen, welche Wege man zum Ziel gehen muß und durch eine geduldige Arbeit die Wirklichkeit in die Richtung, in die man strebt, zu verändern.(35)

Nach der Billigung des Untersuchungsberichtes mit nur geringfügigen Veränderungen durch den Reichstag im Jahr 1956 stand dem Fernseher in schwedischen Haushalten nun nichts mehr im Wege.

Die gesellschaftlichen Diskurse

Unterschiedliche Akteure schalteten sich in die Diskussion ein, zum Teil aufgefordert durch die staatliche Untersuchungstätigkeit, und konstruierten schließlich ein Produkt, dessen Inhalt und Aufgabe sich in jahrelangen Debatten unter dem Einfluß der internationalen Entwicklung herauskristallisierte. Ausgehend vom Diskursbegriff Michel Foucaults, den ich mit dem Begriff vom Akteur verknüpfe, lassen sich in der schwedischen diskursiven Praxis zur Einführung des neuen Mediums Vereinnahmungs- und Vermachtungstendenzen feststellen, die Foucault als

eine Gesamtheit von anonymen, historischen, stets in Raum und in der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben,(36)

bezeichnet. Hier wird "die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert".(37) Zu den Prozeduren der Einschränkung und Kontrolle des Diskurses gehören äußere und innere Ausschließungssysteme. Ein zentrales Ausschließungsmoment im schwedischen Fernseh-Diskurs ist die "Verknappung der sprechenden Subjekte", um mit Foucault zu sprechen.(38) Das bedeutet, daß nur bestimmte Subjekte am Diskurs teilnehmen konnten. Einige waren stark abgeschirmt, insbesondere was die Arbeit des Amtes für Fernsehforschung anbetraf, denn erst auf Drängen von Radiotjänst wurden der Öffentlichkeit sukzessive Einblicke in die Arbeit erlaubt. Öffentlichkeitsarbeit fand in diesem Sinne nicht statt, ja die Öffentlichkeit, um die es eigentlich ging, blieb im Großen und Ganzen ausgeschlossen und war am Diskurs nicht beteiligt. Ein halbherziger Versuch, die Meinungen der "Betroffenen" einzuholen, wurde mit dem an späterer Stelle beschriebenen "Organisations-Gallup" unternommen, der letztlich zur Bestätigung herrschender Kulturpolitik mutierte. Andererseits vermochten auch die Organisationen nicht, sich auf dem aktuellen Stand der Dinge zu halten und sich aktiv in die Diskussion einzuschalten. Die Akteure können in folgende vier Gruppen eingeteilt werden:

1. Technologische Lobby/Wirtschaft: Sie war an einer möglichst frühen Einführung des TV aus entwicklungstechnologischen Gründen interessiert. Zu den Triebkräften gehörte LM Ericsson, dessen Tochtergesellschaft Svenska Radioaktiebolaget sowie das Telegrafenamt. Als es um die zukünftige Organisationsform des TV ging, bildete sich die "kom-merzielle Allianz" mit ihrer "Pressuregroup", dem "Televisionskomitee der Wirtschaft" (Näringslivets televisionskommitté). Dazu gehörten neben o.g. Firmen die Banken, die Werbewirtschaftsvereinigung, Radiofirmen wie Philips und AGA, die Arbeitgebervereinigung. Die Vereinigung der Zeitungsverleger (Tidningsutgivareförening) verließ später die Allianz der Wirtschaft, da sie auf der Seite der Regierung und von Radiotjänst gegen die Werbung im Fernsehangebot war.

2. Politiker/Staat: Tonangebend war sozialdemokratische Kulturpolitik, die sich erst spät mit der Fernsehfrage beschäftigte und das Medium für sich zu beanspruchen gedachte. Gleichzeitig verbot aber die tief in der schwedischen Gesellschaft verwurzelte Druckfreiheit eine einseitige Vereinnahmung des Fernsehfunks. Die Auseinandersetzung konzentrierte sich - nachdem die Einführung nicht mehr zu verhindern war - auf die Struktur einer zukünftigen Fernsehanstalt, entweder die Übernahme einer public-service Struktur (Stiftung oder Gesellschaft) von Radiotjänst oder ein privat-kommerzielles Modell. Befürworter letzterer Variante kamen insbesondere aus der konservativen sowie auch liberalen Partei. Jedoch war deren Stimme relativ schwach und erreichte keinen breiten gesellschaftlichen Konsens. Von staatlicher Seite beteiligten sich hauptsächlich die Radioanstalt (Radiotjänst) und das Kommunikationsministerium.

3. Gesellschaftliche Organisationen (wie Gewerkschaften, Bildungsvereine): Diese Gruppe schaltete sich erst ein, als sie offiziell dazu aufgefordert wurde. Im Zusammenhang mit den staatlichen Untersuchungen zur TV-Frage erhielten gesellschaftliche Organisationen in Form eines "Organisations-Gallups" - anstelle einer bis dato üblichen Befragung der Bevölkerung - die Aufforderung, ihre Meinung über allgemeine Richtlinien für ein zukünftiges Programm zu äußern. Zu dieser Zeit waren die Diskussionen über Werbung im Programm (ja oder nein) festgefahren. Die Organisationen äußerten sich überwiegend positiv zum neuen Medium, insbesondere wurden dessen Möglichkeiten für Kultur und Bildung hervorgehoben. Sie waren jedoch auch zum Teil überfordert, da bislang interne Diskussionen dazu nicht stattgefunden hatten.(39)

4. Außerhalb des TV stehende Publizisten, Schriftsteller, Wissenschaftler: Die Beteiligung dieser Gruppe am Diskurs war gering und die anfängliche Skepsis gegenüber dem Fernsehen groß. Lediglich Vilhelm Moberg stellte auf einer vom Jugendverband der liberalen Folkpartiet organisierten Konferenz im Jahr 1957 zum Thema "Freiheit im Äther" die provozierende Frage: "Wer gab dem Staat das Recht, das Äthermonopol zu beanspruchen? Gott selbst?".(40) Nach Moberg stecke dahinter die Gefahr, daß der Staat die Mitbürger manipulieren könne. Dieser Vortrag löste eine Diskussion aus, die bislang in dieser Breite nicht stattgefunden hatte und in dieser Form auch zu spät kam. Die Weichen waren bereits gestellt. In den Tageszeitungen, in der Fachpresse, auf Konferenzen wurde das Verhältnis von Fernsehmonopol und Meinungsfreiheit diskutiert. Die konträre Auffassung zu Moberg, die sich letztlich auch durchsetzte, sah gerade das Staatsmonopol als Grundlage, um echte Meinungsfreiheit gewähren zu können. In dieser Position kommt die in Schweden gängige Verknüpfung von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck.(41) Diese Auffassung vertraten insbesondere Sozialdemokraten bzw. den Sozialdemokraten nahestehende Publizisten.

Kulturkritischer Diskurs

Der kulturkritische Diskurs, geführt von Akteuren aus allen o.g. Gruppen mit Ausnahme der Technologen, über die Einführung des Fernsehens war dadurch gekennzeichnet, daß sich viele zunächst abwartend verhielten und nur zögerlich zum neuen Medium äußerten. TV galt als noch zu unbekannt, als daß sich gesicherte Äußerungen über mögliche Implikationen hätten ergeben können. Insofern waren die Debatten disparat und flackerten in unterschiedlicher Intensität erneut auf.

Dominiert wurden sie von einer Amerikanisierungsdebatte, die in Schweden eine lange Tradition hat. Schon zu Beginn des Jahrhunderts, als über die kulturellen Veränderungen der Gesellschaft geklagt wurde, die in der Modernisierung und Urbanisierung der Gesellschaft wurzeln, war nicht selten ein neues Medium, damals hauptsächlich der Film, der Sündenbock. Erste Reichstagsdebatten über die Verfallstendenzen in der schwedischen Kultur fanden 1918 statt, als die Unterhaltungsaktivitäten der Jugendlichen untersucht wurden. Das vermehrte Praktizieren sog. schlechter Unterhaltung ("Kartenspielen, Lesen von Groschenromanen, Anschauen von sensationsorientierten Kinofilmen"), sei alarmierend, würde zur Banalisierung und Verflachung führen und letztlich die Wurzeln schwedischer Nationalkultur verdorren lassen, lauteten einige der damals häufig geäußerten Befürchtungen.(42) Die rasch anwachsende Popularität von Kinofilmen war den Hütern der schwedischen Nationalkultur ein Dorn im Auge. Staatliche bzw. kommunale Kontrolle über den Filmverleih sowie die Filmzensur schienen zunächst die einzige Antwort zu sein. 19 Jahre später stand das Thema insbesondere im Zusammenhang mit zunehmender Jugendkriminalität erneut auf der parlamentarischen Tagesordnung. Das Grundübel liege allerdings nicht im Film schlechthin, sondern in der Unterhaltungsindustrie, die durch die Gesetze des Marktes nicht nach Werten, sondern nach Profit frage, hieß es mittlerweile 1939 differenzierter.(43) Bereits drei Jahre später wurde die Problematik wieder im Reichstag debattiert und keinerlei Besserung trotz aktualisierter Restriktionen (Filmzensur, erschwerter Zugang für Kinder) festgestellt. Die Qualität jugendlicher Freizeitgestaltung habe sich nicht erhöht, sondern verringert. Insbesondere sei der Filmkonsum angestiegen, und in einem Zeitraum zwischen 1943 und 1944 käme 85 Prozent der Filme hauptsächlich aus amerikanischer Produktion. Amerikanische Filme galten in der Regel bei den Kulturhütern als wirklichkeitsfern; sie produzierten Traumwelten und Klischees, die letztlich wenig mit dem schwedischen Alltag gemein hätten. Die hereinströmenden Werte aus dem Hollywood-Studio erzeugten schließlich ein schizophrenes Verhalten: Man lebe zum einen in einer Traumwelt und zum anderen warte nach der Vorstellung der harte schwedische Alltag. Auf die Dauer könne das nicht gut gehen, lauteten die Befürchtungen.(44)

Als ein weites Feld für skeptische Äußerungen erwies sich die psychische und physiologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Es ist schon vorher kritisch beobachtet worden, daß Kinder an warmen und sonnigen Sonntagen in langen Schlangen vor den Kinotheatern warteten, um anschließend regungslos vor der Leinwand zu verharren. Bewegungsarmut, ständig neue wechselnde Eindrücke, die nur halb verarbeitet werden, würden in psychische und physische Störungen resultieren. Man berief sich auf Untersuchungen in den USA, wo statistisch nachgewiesen schien, daß ein aufregender und häufiger Kinobesuch bei Kindern und Jugendlichen die Körpertemperatur um 0,5°C erhöhe sowie zu Muskel-spannungen, Schlafstörungen sowie erhöhter Nervosität führe. Viele Kinder fühlten sich nach aufwühlenden Filmerlebnissen geistig und körperlich matt. Allerdings sei der Film nicht völlig zu verdammen, konstatierte der staatliche Bericht über "Kinder und Film" schließlich, da ein angemessener Inhalt durchaus positive Wirkungen provozieren könne.(45)

Vor dem Hintergrund dieser jahrzehntelangen Diskussionen über den kulturzerstörerischen Einfluß des neuen Mediums Film vermutete man eher eine Verschärfung des Problems, wenn noch das Fernsehen dazu kommt. 1952 war in der Zeitschrift "Idun" von der Besorgnis zu lesen, daß auch die Schweden ähnlich den Chicagoer Kindern "wie Seegras im Wind vor dem Fernsehapparat 23 1/5 Stunden in der Woche wehen werden".(46) Der Schriftsteller Harry Martinson sprach gar vom "Teufel - d.h. in Gestalt eines Fernsehers - im Boot" und "wir müssen zusehen, daß wir ihn auch an Land bekommen".(47) Lange Zeit hatte man noch versucht, dem Teufel den Zutritt zum Volksheim zu verwehren, denn es wurde nichts Gutes für die nationale Kultur erwartet. Auch die Kirche hatte für das neue Medium TV nicht viel übrig. Der Bischof Manfred Björkquist prophezeite eine sich verstärkende Unruhe in Familien mit angeschalteten Fernsehern. "Gerade in der heutigen Zeit brauchen wir mehr Ruhe von den einströmenden Eindrücken", mahnte er 1955.(48) In diese Kerbe schlug auch der 19. Parteitag der SAP:

Die Ereignisse von einer breiteren Umwelt stürmen mit immer größerer Geschwindigkeit auf uns ein, beunruhigen, betören und irritieren uns [. . .] Wir schalten bloß das Radio ein und befinden uns mitten im Weltgetöse und sind disparaten Eindrücken ausgesetzt. Haben wir es satt, setzen wir uns ins Kino, um uns davon zu erholen, ohne selbst etwas zu unternehmen.(49)

Die neuen Medien provozierten sowohl Untätigkeit als auch Unfähigkeit, sich in einer komplex werdenden Umwelt zurechtfinden zu können.

Die zuvorderst kulturkritische Behandlung eines neuen Mediums ist nicht neu, und es ist deshalb auch nicht verwunderlich, daß staatliche, d.h. insbesondere sozialdemokratische Kulturpolitik dem Fernsehen eher skeptisch und abwartend gegenüber stand. Hatten sie sich doch gerade erst mit der Existenz des Radios abfinden und ihm einen Platz im Gesellschaftsgefüge zuteilen müssen. Immerhin hatte sich das Radio als Kultur-instanz durchgesetzt und seine Meriten in der Förderung qualitätsvoller Unterhaltung verdient. Orvar Löfgren beurteilt es so:

Das Radio entwickelte sich zu einem sehr kultivierten Medium. Es rekrutierte meist Akademiker und schuf eine spezielle Tonlage, nicht zuletzt durch die neuen Zentralfiguren: Die Moderatoren. Sie entwickelten eine spezielle Diktion, nämlich das gebildete Hochschwedisch - ein neues sprachliches Normalmaß. Ihr Schwedisch sollte nicht nur kultiviert, sondern auch eine natürliche Sonorität ausstrahlen.(50)

Man sprach von "den Radioherren aus Stockholm", und in Leserbriefen wurde nicht selten die geringe Volksnähe beklagt.(51) Nichtsdestoweniger erreichte das Radio eine hohe Akzeptanz, und bestimmte Sendungen fegten die Straßen menschenleer. Das Radio band die Nation zusammen, schuf einen gemeinsamen Referenzrahmen. Dem Radio wurde auf dem 19. Parteitag der SAP von 1952 die gleiche herausragende Rolle bei der Meinungsbildung zuteil wie einst der Presse: "Alles, was das Radio ausstrahlt, erlangt größte Bedeutung: Es ist unser größtes Theater, unser größtes Kabarett, unsere größte Kirche unser größtes öffentliche Forum für Vorlesungen und Diskussionen".(52) Das Radio hatte seinen Platz in der Gesellschaft erlangt, und beim Fernsehen wurde eher die Umwälzung des gesamten kulturellen Systems mit nicht kalkulierbarem Ausgang befürchtet.

Im Vordergrund der kulturkritischen Auffassung zum Fernsehen standen die negativen Film-Erfahrungen gepaart mit einer "Hollywoodisierung", insbesondere bei Kindern. Das Eindringen amerikanischer Kulturmuster würde noch verstärkt, denn Schweden verfüge als kleines Land über ein geringes Programmpotential. Konkrete negative Auwirkungen bezogen sich in der Diskussion auch auf die Medienlandschaft selbst. TV wurde für die Literatur- und Zeitungslandschaft als mögliche Konkurrenz vermutet. Die Menschen würden weniger lesen, und die Literatur müßte sich verändern. "Die Anpassung, die von den Künstlern verlangt wird, ist jedoch nicht undurchführbar", bemerkte Harry Martinson.(53) Die Befürchtungen radikaler kultureller Umwälzungen durch das Fernsehen waren also groß, und die herrschende Politik konzentrierte sich - nachdem sie das neue Medium nicht mehr verhindern konnte - auf die Zähmung des "Teufels".

Aus einem Revyprogramm von 1960: Papa und Ann-Charlott sehen fern(54)

-- Papa, warum bist Du nicht so ein Sheriff? Du hast doch auch so ein langes Kinn.
-- Ähm.
-- Papa, was haben die Leute gemacht, als es noch kein Fernsehen gab?
-- Ähm.
-- Papa, ist ein Fernseher genauso toll wie ein Auto?
-- Ähm.
-- Papa, warum sind die Programme der Großen kindlicher als Kinderprogramme?
-- Ähm.
-- Papa, ich habe gehört, daß sie jetzt auch einen Fernseher im Gefängnis haben. Ist das eine Extrastrafe?
-- Ähm.
-- Papa, warum gibt es Donnerstage - da ist ja nichts im Fernseher?
-- Ähm.
-- Papa, wer hat eigentlich den Fernseher erfunden?
-- Das weiß ich nicht, mein Kind. Ich wünsche mir nur, daß es niemand getan hätte.

Technischer Diskurs

Da die technische Entwicklung eine herausragende Rolle in den Diskursen spielte, müßte man annehmen, daß ebenfalls der technische Diskurs, getragen vom "Amt für Fernsehforschung", diese Position einnahm. Er war jedoch stark abgeschirmt und fand wenig Eingang in die anderen Diskurse. Zunächst ging es um die technische Weiterentwicklung des Fernsehbildes, um den Ausbau der Übertragungstechniken. Da die Versorgung des gesamten schwedischen Territoriums anvisiert worden war, stand die Technikentwicklung vor einer enormen Herausforderung. Die beteiligte Industrie war bei entsprechender Geräteentwicklung an einem schnellen Fernsehstart interessiert. Durch "die Verknappung der sprechenden Subjekte" sollte verhindert werden, daß zum einen Betriebsgeheimnisse preisgegeben und zum anderen damalige ungünstige Entwicklungen für den Radiogeräteabsatz befördert werden. Die Kauflust stagnierte, und das ließ ahnen, daß sich diese Entwicklung in Erwartung eines neuen Mediums weiter fortsetzen würde. Auch sollten keine überhöhten Erwartungen geweckt werden für ein Medium, das noch in den Kinderschuhen steckte. Erst der Verteter von Radiotjänst kritisierte die mangelnde Offenheit des Amtes. Er plädierte für öffentliche Aufführungen, um das Interesse des potentiellen Publikums für das neue Medium zu entfachen.(55) Öffentliches Interesse zeigten zunächst die zahlreichen unterschiedlichen technischen Vereinigungen des Landes, die Vertreter des Amtes und der Industrie zu Vorträgen einladen wollten. Auch das Ansinnen der "Kommission für Verkehrssicherheit", Fernsehsendungen zur Verbesserung der Sicherheit im Verkehr im Rahmen einer Ausstellung zeigen zu dürfen, wurde vom Amt Ende 1951 ausgeschlagen.(56) Die Radioindustrie sowie das Telegrafenamt waren für eine schnelle Geräteentwicklung, versprachen doch internationale Daten einen großen Zuwachs in dieser Branche. Jedoch vollzog sich der technische Diskurs anfänglich hinter verschlossenen Türen, um "unvorhergesehene Dinge" zu bändigen, d.h. nach Foucault den Zufall auszuschalten, der womöglich durch eine Öffentlichkeit hineingetragen werden und Markt-Strategien gefährden könnte. Im Zuge der technischen Ausreifung des neuen Produktes gewann das "Amt für Fernsehforschung" an Zuversicht und beugte sich dem Druck der interessierten Öffentlichkeit nach Transparenz.

Politischer Diskurs

Der politische Diskurs wurde von der herrschenden sozialdemokratischen Partei (SAP) dominiert, die wie schon oben bemerkt die Entscheidung über die Einführung des TV auf die lange Bank zu schieben versuchte. Auf dem bereits erwähnten 19. Parteitag der SAP im Jahre 1952, als schon erste Fernsehversuche die Aufmerksamkeit der Bevölkerung erregten, fand die TV-Frage auch in "der Erklärung zur Kultur des Landes" keine relevante Erwähnung (nur in einem Nebensatz zum Radio), ebenso wenig auf dem 20. Parteitag 1956, als das Fernsehen offiziell eingeführt wurde. Sollte hier etwas ausgesessen werden, was nicht mehr zu verhindern war?

Die SAP hatte offenbar mehrere Gründe, den TV-Start zu verzögern. Neben der sehr kulturkritischen Einstellung spielte auch die damalige Pressesituation eine Rolle. Die Presse galt als ein wesentliches Instrument für die Verbreitung der Ideologie vom schwedischen Volksheim. Das neue Medium hingegen betrachtete man als eine akute Gefahr für die breite Presselandschaft, da die Menschen nur noch vor dem Fernseher hocken und weniger Zeitung lesen würden. Die ohnehin schwache sozialdemokratische Presse drohte damit gänzlich vom Markt zu verschwinden. Hinzu kamen noch ökonomische Gründe. Für den TV-Aufbau wurden hohe finanzielle Ausgaben vermutet und die Einnahmen bei nicht-werbefinanzierten Programmen für längere Zeit als nicht-kostendeckend erachtet.(57) Alles sprach dafür, das neue Medium nicht zuzulassen, jedoch erboten sich bei positiver Beschäftigung mit dem Fernsehfunk neue Möglichkeiten für die Instrumentalisierung im Volksheim. Oppositionelle Auffassungen zur Sozialdemokratie sind zu Beginn der fünfziger Jahre noch schwach, verstärken sich aber zum Ende der sechziger Jahre, als es um die Einführung des 2. Programms ging.

Die bislang disparat voneinander geführten Diskursen fanden ihren Zusammenschluß in der Auseinandersetzung um die zukünftige TV-Struktur, d.h. um eine kommerzielle oder nicht-kommerzielle Organisationsform des Fernsehfunks. Hier traten auch neue Akteure auf, die sich bislang zu den Fernsehfragen nicht geäußert hatten. Wie bereits erwähnt, wurden die gesellschaftlichen Organisationen im Rahmen der seit 1951 einsetzenden staatlichen Untersuchungstätigkeit befragt, wie sie zur Werbung im Fernsehen stehen. Da dazu in der Regel kaum eine breite Diskussion in den Organisationen stattfand und vorher nicht stattgefunden hatte, war die Relevanz einzelner Meinungen, meist von führenden Funktionären, hoch. Einig war man sich jedoch darüber, daß TV wegen seiner kulturellen Aufgabe, in den Händen einer gesellschaftlich und kulturell verantwortungsvollen Führung zu liegen habe und damit Werbefinanzierung als mögliche Finanzierungsquelle ausgeschlossen sei. Diese Position nahm auch die Radioanstalt Radiotjänst ein, die frühzeitig um die Fernsehdienste warb. Radiotjänst führte einen erbitterten Kampf gegen die Reklame-Pläne der Wirtschaft und sandte bereits 1949 ein Schreiben an den König, in dem sie ihn um einen Beschluß - mit Hinweis auf die erforderliche lange Vorbereitungszeit - zur Übernahme der Fernsehprogramme durch Radiotjänst bat und damit das alleinige Monopol für die Ausstrahlung von Fernsehprogrammen einforderte.(58) Unterstützung bekam Radiotjänst sofort von den Zeitungsverlegern, die das Werbemonopol nicht abzugeben gedachten und deshalb werbungsfreies Fernsehen priorisierten. Die Auseinandersetzungen zwischen der vom Staat getragenen Anti-Kommerz-Lobby und der von der Wirtschaft geförderten Kommerz-Lobby kulminierten, als im Oktober 1953 vier private Industriebetriebe aus der Telebranche (Luxor Radio Aktiebolag, Svenska Aktiebolaget Gasaccumulator, Svenska Aktiebolaget Philips und Svenska Radioaktiebolaget) sowie einige Verbände (Kooperativa förbundet, Sveriges köpmannaförbund und Sveriges lantbruksförbund) - der ewigen Debatten leid - die Konzession für Fernsehsendungen im Stockholmer Raum beantragten. Die durch Werbung finanzierten Programme sollten als Versuch, bis sich der Staat zu einem permanenten Fernsehbetrieb entschlossen hat, jedoch mindestens bis zum Jahr 1957, laufen. Die Werbeindustrie zeigte sich begeistert. Das staatliche Telegrafenamt war für jede frühzeitige Fernsehtätigkeit und notfalls auch für Werbung. Radiotjänst reagierte darauf empört, befürchtete man doch das Statuieren eines Exempels. Ebenso wurde die Werbefinanzierung mit Hinweisen auf die dadurch verminderte Programmqualität verworfen.

Die Werbe-Lobby verlor schließlich diesen Kampf, und der Fernsehfunk wurde Radiotjänst zugeordnet, und die gemeinsame Radio- und Fernsehinstitution nannte sich fortan Sveriges Radio. Die Stellung der Kommerz-Anhänger war im Diskurs schwächer als die der staatlichen respektive der sozialdemokratischen Akteure. "Die Regierung hatte den Taktstock in der Hand und konnte die Frage durch den Beschlußprozeß, d.h. durch die Untersuchungstätigkeit dirigieren", konstatiert der Fernsehforscher Karl-Hugo Wirén.(59) Sie kontrollierte und beherrschte den Diskurs - flankiert von ähnlichen Entwicklungen in Westeuropa - und berief sich auf das konsensfähige Argument, daß nur ein gebührenfinanziertes Programm hohe Programmqualität garantieren könne. "Die Dominanz der Sozialdemokratie in der schwedischen Politik ist total und die bürgerlichen Parteien können nur konkurrieren, indem sie die gleiche Politik stärker verfolgen", begründen die Autoren in der Untersuchung Modernisering och välfärd das Erfolgsrezept sozialdemokratischer Wertauffassungen.(60) Schließlich war es nur "natürlich" oder wie Schmidt es formuliert "kultürlich"(61), daß der Fernsehfunk in die Radio-Struktur integriert wurde und damit nationale Monopolstellung errang. Die Versuche der Öffnung für den Markt waren an sozialdemokratischer Politik sowie am gesellschaftlichen Konsens mit dieser Politik gescheitert. Fernsehen wurde als ein zu wichtiger Kultur- und Machtfaktor betrachtet, als daß man ihn dem Markt hätte überlassen wollen.

Die Veränderung der Wahrnehmung - Auswirkungen auf die Kultur

Der wohl am kompliziertesten auszulotende Fragenkomplex konzentriert sich auf die Wahrnehmungsebene und definiert hier das Fernsehen in seiner Einheit als Sozial- und Zeichensystem. Fernsehen hat die Grundbedingungen des menschlichen Wahrnehmens und Handelns verändert.

Die Kopplung zwischen Mensch und Fernsehen wird offensichtlich nicht mehr als Dissonanz zwischen 'natürlicher' und technisierter, verfremdeter Wahrnehmung empfunden, im Gegenteil: Eine bereits perfekt funktionierende Konsonanz des menschlichen Bewußtseins mit dem Fernsehen verhindert die Erfahrbarkeit des Phänomens, daß Kopplung überhaupt stattgefunden hat.(62)

Die Metapher vom "angewachsenen Fernsehers" soll die "harmonische" Kopplung symbolisieren. Der mentale Schock, mit Hilfe des Fernsehers räumliche Grenzen zu überspringen und in Echtzeit dabei zu sein, spiegelt sich in vielen Äußerungen über die erste Begegnung mit dem Fernseher wider. Hier einige Beispiele aus der Befragung des Nordiska Museet über "Die erste Zeit mit dem TV" von 1989:

An eine Episode kann ich mich noch erinneren: Ein Mann sah zum ersten Mal einen Fernseher bei meiner Freundin, und er fragte: Können sie uns wirklich nicht sehen? Oder mein Vater winkte am Anfang immer der Ansagerin bei der Begrüßung zu. 'Diese prachtvollen Mädel kommen direkt in die Stube', sagte er freudig erregt.(63) Ich erinnere mich an eine ältere Dame hier in Vinslöv. Sie war auf dem Weg zu ihren Nachbarn, um im Fernseher eine königliche Hochzeit anzuschauen. Sie hatte ihr langes Abendkleid angezogen und ihren teuren Schmuck angelegt wie zu einer Hochzeit.(64)

Im Unterschied zum Kino galt das Fernsehen als ein Medium, das "unverfälschte" Wirklichkeit wiedergab. Die Kamera war das Auge, das die Wirklichkeit einfing und die Differenz zwischen sehen und fernsehen verwischte.(65) Das Fernsehen hatte es geschafft, die Illusion zu verbreiten, selbst dabei zu sein und es als eine akzeptable Form der Partizipation zu empfinden.

Oder anders ausgedrückt: Das Fernsehen kam mit dem Apparat - sozusagen von außen - in die Gesellschaft und in die Familie. Er galt unter Kulturkritikern als Eindringling oder auch "Teufel" und entwickelte sich mit den Jahren zum akzeptierten Bestandteil der institutionellen Struktur der Gesellschaft sowie auch der Familie. Heute ist der Fernseher gepaart mit den Informationstechnologien der allgemeine Ausweis für moderne Gesellschaften. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Literatur wider.(66) Mit Ausnahme von Marshall McLuhan war die anfängliche Bewertung des neuen Mediums und dessen Auswirkung auf die Kultur in der wissenschaftlichen Literatur von "moralischer Panik" durchsetzt. (Ganz anders war dagegen die Reaktion der potentiellen Zuschauer, die das neue Medium schnell als neues Familienmitglied aufnahmen, aber dazu später.) Die Arbeiten darüber, die fast ausschließlich anglo-amerikanischer Herkunft sind, sprechen vom Eindringen eines Mediums in eine geordnete Gemeinschaft, vom Verdrängen von gewohnten Tätigkeiten (z.B. Hilde T. Himmelweit 1958, Charles A. Siepman 1950, Wilbur Schramm u.a. 1961). Bei Schramm heißt es zum Beispiel:

If any of us were now compelled to find two or three hours every day for a new activity, we should probably resent that requirement as an intolerable intrusion on our scheduled lives. It would require us to make profound and far-reaching changes. And this is precisely what television has done. It has come as an interloper into lives which already seemed full.(67)

Spätere Untersuchungen verlassen diese Position, und behandeln das neue Medium als akzeptierten Bestandteil des sozialen Lebens in einer industrialisierten Welt. Neben kritischen Äußerungen (z.B. Neil Postman 1985, Marie Winn 1977) sind zunehmend Titulierungen wie der Fernseher als "a valued companion" (Grand Noble 1975, Jib Fowles 1992) zu finden. Grant Noble vertritt das Konzept "of para-social interaction" und spricht von einem kathartischen Effekt des Fernsehens.(68) Karl-Erik Rosengren und Sven Windahl gehen sogar soweit, daß "TV seems to encourage interaction with parent and peers".(69)

Der Fernseher im Volksheim

Die schwedische Bevölkerung schien auf das neue Medium gewartet zu haben, denn die Anmeldung von Fernsehapparaten nahm schneller zu als erwartet, und die Kurve angemeldeter Fernsehgeräte suchte ihresgleichen in Europa.(70)

Schon 1951 wurde in einem Leserbrief der Zeitschrift "Populär Radio" nachdrücklich gefragt, "wann sich endlich etwas in der Bildröhre bewege und der Kommunikationsminister aufwache".(71) Der schnelle Durchbruch des Fernsehens (er kam endgültig mit der Fernsehübertragung der Fußballweltmeisterschaften in Schweden 1958) hatte auch zur Folge, daß der Fernsehfunk früher als geplant finanziell auf eigenen Beinen stand. Werbung wurde damit als schwelende potentielle Finanzierungsgrundlage in den Hintergrund gedrängt. In den sechziger Jahren hat sich das Fernsehen im Alltag voll etabliert. Bis Ende der sechziger Jahre sendete die nationale Fernsehanstalt, Sveriges Radio, nur ein Programm, ein zweites folgte 1969. Zu den ersten Fernsehbesitzern gehörten hauptsächlich Vertreter der Mittelklasse und Familien mit Kindern.(72)

Die offiziell unerwartete, schnelle Akzeptanz des Mediums hing scherlich nicht unwesentlich mit der damaligen sozialen und Alltagssituation zusammen. Die fünfziger und sechziger Jahre waren von einer ausgeprägten Hochkonjunktur mit sukzessive ansteigendem Bruttonationalprodukt gekennzeichnet. Das einstige Armenhaus Europas entwickelte sich binnen kurzer Zeit zum reichsten europäischen Land. Das Bruttoinlands-produkt war 1950 schon doppelt so hoch wie der europäische Durchschnitt und 25 Prozent höher als in der Schweiz.(73) Es erhöhte sich der individuelle Lebensstandard durch verbesserten Reallohn, insbesondere bei den Arbeitern in der Industrie. Die Arbeitszeit verkürzte sich in der Regel auf 45 Stunden die Woche, kürzere Arbeitszeit hatten die Angestellten mit 42 und Teile der Bergarbeiterschaft schon mit 40 Stunden. Die Fünf-Tage-Arbeitswoche setzte sich durch. 1951 wurde der gesetzliche Urlaub von drei Wochen eingeführt, und die Freizeit nahm zu. Gleichzeitig hatten die Schweden unter einer Wohnungsnot zu leiden, die durch das sog. Millionenprogramm, d.h. rationell, billig und schnell Wohnungen zu bauen, bekämpft wurde. Es entstanden die "Sechziger-Jahre-Vororte", die später wiederum wegen ihrer fehlenden sozialen Infrastruktur zum Problemfall generierten, da das soziale Netzwerk und Nachbarschaftsgefühl geringer ausgeprägt waren als in den historisch gewachsenen Industrieorten.

Jedoch befand sich die Familie durch den allgemeinen Trend der Modernisierung und Urbanisierung in der Krise. Mit zunehmendem Wohlstand setzte sich die Deinstitutionalisierung der Kleinfamilie fort: höhere Scheidungsraten, Zunahme von außerehelich geborenen Kindern sowie Anstieg von Suiziden. Der Ruf nach staatlicher Unterstützung für die "sterbende" Familie blieb nicht aus, und ehemals traditionelle Familienaufgaben wurden an den Staat abgetreten. Der Staat als Rettungsanker sollte die Familie vor dem Zerfall retten und bot als Kompensation Geld an, denn ein Großteil der schwedischen Wohlfahrtsgesellschaft basierte auf der Überführung von Geld an Familien mit Kindern in der Hoffnung auf Stabilisierung der familiären Gemeinschaft.(74)

Das Volksheim sollte eine neue Ordnung in der modernen Unordnung, die Gemeinschaft in Zeiten schneller sozialer Veränderungen, ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Prozeß auflösender alter Banden und Solidarität wiedererschaffen. Das Volksheim erbot eine Schwedisierung der wilden Kräfte der Moderne und eine Modernisierung des Schwedischen.(75)

Bei der "Modernisierung des Schwedischen" handelte es sich vor allem um "eine Nation, die gemeinsam in die Zukunft geht [. . .]. Nur ein moderner Schwede war ein guter Schwede, einer, der eher vorwärts als rückwärts blickt".(76) Zu den modernen Schweden gehört auch, daß sie sich mit neuen Geräten und Gegenständen umgeben, d.h. mit modernen Haushaltgeräten, die Freizeit, Komfort und ein bißchen Fortschritt anbieten. Der Ausweis für einen modernen Haushalt jener Zeit waren ein Sommerhaus, Auto und auch ein Fernseher. Mit einem Fernsehgerät im Wohnzimmer gehörte man zu den weltoffenen, informierten Menschen, die mitreden können. Allein die Anwesenheit dieses technischen Gerätes verbreite das Gefühl, auf der Modernisierungswelle mitzuschwimmen; wenn man von den Kulturskeptikern absieht. Es verbreite eine Fülle von Anregungen und vermittle Wissen schlechthin, hieß es. In der Tat intensivierten und vergrößerten sich mit dem neuen Medium die Möglichkeiten der Beobachtung. Hier liegt nach Meyrowitz der entscheidende Punkt für kulturelle Veränderung, egal, ob es ich - wie oft beschrieben - um eine Art Schein-Wissen, Schein-Informiertheit handelt, mit der die Kinder beispielsweise ihre Eltern überraschen. In der 1989 durchgeführten Befrgung des Nordiska Museet schreibt ein Taxifahrer über das TV geprägte Allgemeinwissen seiner Kinder bewundernd:

Meine Kinder wurden 1963 und 1966 geboren und haben viel ferngesehen [. . .]. Ich glaube, sie haben eine größere Allgemeinbildung. Ich bin oft verwundert, wieviel sie von der Welt und Politik wissen. Sie erkennen viele Berühmtheiten. Selbst wußte ich nicht viel von der Welt da draußen, als ich Kind war [. . .]. Ich war 7 als der Krieg ausbrach, aber ich wußte nicht viel davon. Hätte es damals TV gegeben, würden wir mehr vom Elend gewußt haben [. . .]. Wir diskutierten oft die Fernsehprogramme und fühlten uns fast ungebildet, wenn man gewisse Programme nicht kannte.(77)

Im Fokus der Vision des von den Sozialdemokraten propagierten modernen Menschen stand das gemeinsame Handeln als Abgrenzung zu den sich verstärkenden Individualisierungstendenzen. In dieses Konzept sollte der Fernseher eingepaßt werden. Da Fernsehen eine private Tätigkeit ist und hauptsächlich im Kreis der Familie stattfindet, war die Ankunft des Apparates in den schwedischen Wohnstuben mit einer stark familienideologischen Komponente, d.h. mit einer Rückbindung in die Intimität der familiären sozialen Beziehungen, versehen. Der Fernsehfunk als Kulturträger "im Dienste der Gesellschaft sowie der Haushalte"(78) sollte die Integration der Familienmitglieder untereinander und der Familie in die Gesellschaft stärken und damit sowohl als eine Art Kitt den Auflösungstendenzen entgegenwirken und als auch eine Renaissance des Familienlebens einleiten. Neue positive Werte, die im Dienst der familiären Gemeinschaft stehen, sollten vermittelt werden, indem "gemeinsame Anknüpfungspunkte für die Interessen der Familienmitglieder" ausgestrahlt werden. Denn "gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen sind eine wichtige Basis für die Stärkung der Familienbande", konstatiert der staatliche Untersuchungsbericht "Television in Schweden".(79) Ein positiver Effekt wäre schon damit erreicht, wenn die Familienmitglieder gemeinsam fernsehen, sie sich also um den Apparat herum versammelten und damit beispielsweise asozialem Verhalten und Alkoholmißbrauch ihrer jugendlichen Angehörigen vorbeugen können, hieß es darin.(80) Ein angeschalteter Fernseher sollte sich zu einer Art Refugium für die gesamte Familie entwickeln. Was einst die Petroleumlampe war, die die Familie um den Tisch herum versammelte, sollte nun das Fernsehgerät werden, ein Ort der "inneren Sammlung" also.(81) Historisch gesehen mag diese Familienorientierung merkwürdig anmuten, da sich bereits das Radio und auch die Schallplatte in den fünfziger Jahren zu Individualmedien entwickelt hatten. Aber der Fernseher war zu Beginn, wie auch damals das Radio, ein Kollektivmedium. Der Fernseher erklomm den Rang eines neuen Familienmitgliedes. Sein Platz war und ist das gemeinsame Zimmer der Familienmitglieder: das Wohnzimmer. Nicht selten wurden bei seiner Ankunft die Möbel umgestellt, um den empfohlenen Idealabstand zum Bildschirm von zwei bis vier Metern beim Fernsehschauen einzuhalten sowie die optimale Bildqualität durch Lichteinflüsse zu gewährleisten. Dem neuen Familienmitglied gefiel besonders ein Standort zwischen zwei Fenstern, da eine Hintergrundbeleuchtung praktischerweise durch die Gardinen reguliert werden kann, eingebunden in eine Sitzgruppe mit einer Couch, einem Couchtisch und Sesseln.(82) Aufgenommen als Familienmitglied schreibt Lynn Spigel in ihrer Untersuchung über die Anfangsjahre des amerikanischen Fernsehens: "Television was the great family minstrel that promised to bring Mom, Dad, and the kids together".(83) Oder wie es Cecelia Tichi formuliert, daß "the new cathode tube hearth brings the family together in a scene of harmony and affection".(84)

Dabei ging es sozialdemokratischer Medienpolitik nicht um ein womöglich "gemeinsames Zeittotschlagen", sondern geeignete Programme sollten das Zusammenleben im Volksheim stimulieren helfen und neben der "nöje" [Unterhaltung] auch "nytta" [Nutzen] schenken. Als eine Art "Volksuniversität" stand die Fernseh-Institution im Dienst der Gesellschaft, denn als "Fenster zur Welt" würde sie hinter den

Horizont schauen; dorthin, wo unser Gesichtskreis endet [. . .] Eine wichtige Aufgabe ist, daß der Apparat als Instrument die unterschiedlichen Milieus und Berufsgruppen zusammenführt. 'Das Fernsehen' - die [. . .] Übersetzung des Wortes 'Television' - soll den schwedischen Familien einen breiteren Gesichtskreis ermöglichen und damit mehr an Mitgefühl und Toleranz hervorbringen.(85)

Eine Absage wurde dem sogenannten passiven Zuschauen erteilt; was aber nur erreicht werden kann, wenn die Programminhalte Debatten und selbständiges Handeln fördern würden. Hier seien die Organisationen und Vereine (folkrörelser) gefragt, die in Zirkeln im Vornherein die Programme diskutierten und die "besonders wertvollen" markieren sowie im Nachhinein den Erfolg der Programme beurteilen sollen, fordern die Autoren des 1955 erschienenen Grundsatzbuches "Svensk Television". Unter der Ägide der folkrörelser würde das Publikum zu einer gesunden Einstellung gegenüber dem Fernsehschauen erzogen werden, so daß die Zuschauer den Apparat nicht als "Herren", sondern als "Diener" betrachteten.(86) Als eine zentrale Kompente in der Programmpolitik entwickelte sich der Bildungsauftrag der schwedischen Äthermedien. So wie einst das Radio(87), ist auch der Fernsehfunk der "Volksbildung und Volksaufklärung" verpflichtet. Dabei ging es nicht in erster Linie um eine Verstärkung der Fachausbildung, sondern um die Verbreitung allgemeiner ethischer Normen wie Gemeinschaftssinn, Selbständigkeit und der Abwehr eines politischen sowie religiösen Fanatismus.(88) Dieser Auftrag wurde noch durch die Tatsache verstärkt, daß die folkrörelser, die traditionell eng mit der Volksbildung verknüpft sind, Miteigentümer von Sveriges Radio wurden. Damit sollte eine eventuelle Konkurrenzsituation gemildert sowie durch geeignete Programme das Bildungsinteresse stimuliert werden, um "wichtige Impulse für die Tätigkeit der Volksbildungs- und Jugendorganisationen" zu liefern.(89) Diese Zielstellung sah man aber nur dann als erfüllbar an, wenn die Qualität der Programme entsprechend hoch ist.

Wenn die Programmqualität niedrig ist, führt es zur Abstumpfung, Nivellierung und Geschmacksverirrung [. . .] So kann ein gutes Programm eine ausgezeichnete Gegenwartsorientierung vermitteln, direkt aufklärend wirken, die Neugierde und den Wissensdurst der Zuschauer stimulieren sowie das Gefühl für Werte und das Interesse für z.B. Theater, Kunst und Musik wecken.(90)

Jedoch können die Anforderungen an das Programm nur dann erfüllt werden, wenn "die Massenmedien in verantwortungsvollen und qualifizierten Händen liegen"(91), erklärte die sozialdemokratische Medienpolitik ihre letztliche Vereinnahmungsstrategie. Prononciert heißt es weiter, daß nur der Staat die Kontrolle übernehmen könne, da sonst zu befürchten wäre, daß TV in den "falschen Händen" für Interessen, die nicht im Sinne der Gesellschaft und des Staates stehen, mißbraucht werden würde.(92) Gerade das Staatsmonopol sei der Garant für die Berücksichtigung der Interessen der gesamten Bevölkerung, faßte der erste Intendant, Olof Rydbeck, die damalige TV-Politik zusammen.(93) Diese Äußerung ist ein Indiz für die mit der Volksheim-Ideologie - seit der schließlichen Machtübernahme der Sozialdemokraten im Jahre 1932 - praktizierten Politik der Einheit von Staat und Gesellschaft, einer neuartigen Bindung zwischen Staat und Bürger, die eine neue Form kollektiven Handelns, kollektiver Beteiligung schuf. Das Volksheim in diesem Sinne entwickelte sich zu einer neuen Staatsform, in der der Staat mit der Gesellschaft verschmilzt - im Unterschied zur in Deutschland gebräuchlichen Unterscheidung von "Staat" und "Gesellschaft" (u.a. Tönnies 1887). Ein Prozeß der Vergemeinschaftung wurde eingeleitet, dessen Grundlage

Gemeinsamkeit und Mitgefühl [sind]. Das gute Heim kennt keine privilegierten und benachteiligten, keine Lieblings- und Stiefkinder [. . .]. Im guten Heim herrscht Gleichheit, Fürsorge, Zusammenarbeit und Liebenswürdigkeit(94),

um an die klassischen Sätze von Per Albin Hansson im Jahre 1928 zu erinnern. Charakteristisch für die politische schwedische Struktur entwickelte sich im Laufe der Jahre das Zusammenfließen von Staat und Gesellschaft zu einem Netzwerk von lokalen Behörden bis zum Reichstag und König. Dieses Netzwerk bildet das Rückgrat für Institutionen, die zentrale Aspekte des sozialen Lebens wie Bildung und Kultur beaufsichtigen. Es schuf neue Abhängigkeiten und ließ neue Formen der Loyalität, der Verbundenheit zwischen Bürger und Staat sowie neuen Nationalstolz entstehen.(95) Die von Tage Erlander in den fünfziger Jahren eingeführte Politik der "starken Gesellschaft" (det starka samhället), was immer einen "starken Staat" meint(96), und auf die Integration von Markt und Wohlfahrtspolitik zielt, erstreckt sich auch auf den Fernsehfunk. Damit diese Integration auch funktioniert, ist nach sozialdemokratischer Politik die "starke Hand" des Staates in allen Bereichen der Gesellschaft gefordert.(97) In diesem Sinne steht der Rundfunk im Dienst der Untermauerung und Beförderung einer erfolgreichen Wohlfahrtspolitik. Die Integration aller Bewohner im Volksheim war nach gängiger Auffassung nur über die kulturelle Homogenisierung zu erreichen. Ein zentral und staatlich geleiteter Rundfunk galt dafür als eine fundamentale Voraussetzung. Die Gesellschaftsmitglieder wurden nicht selten als eine "ungebildete Masse" verstanden, die noch zu bilden, aufzuklären und zu erziehen sei. John Reith, der erste Intendant der Vorbildeinrichtung für Sveriges Radio, die BBC, beschreibt unverblümt die allgemeinen Programmrichtlinien einer public-service Einrichtung:

It is occasionally indicated to us that we are apparently setting out to give the public what we think they need - and not what they want, but few know what they want and very few what they need.(98)

Ebenso wurde in Schweden verfahren. Allerdings konnte nicht geklärt werden, wie gute Programme auszusehen haben, denn eine Diskussion darüber fand nicht statt. Am Anfang übernahmen die Fernsehredakteure die bewährten Programmformen aus dem Radio, ließen längere Vorlesungen vom Katheder ausstrahlen und hatten den Anspruch, immer eine Stufe höher als das allgemeine Niveau zu sein. Der enorme Wirtschaftsaufschwung in den fünfziger und sechziger Jahren und der damit verknüpfte Massenwohlstand erleichterte sicherlich die Akzeptanz und weitere Ausprägung paternalistischer Strukturen auch im TV-Bereich.

Der Fernseher im Wohnzimmer

Der Fernsehfunk wurde schließlich im Volksheim domestiziert und für dessen Zwecke instrumentalisiert. Wieweit die anvisierte Rolle aufging, soll - gemäß James Halloran - das Augenmerk auf die Zuschauer, auf die "Konsumenten" gerichtet werden: Wie gingen sie mit dem neuen Medium um? Inwieweit hat das Fernsehen eine vereinende und zugleich auch eine entzweiende Rolle in der Gemeinschaft gespielt? Wie hat es den Alltag verändert? Hat das Fernsehen dazu beigetragen, Rollen in der Familie aufzubrechen?(99) Diese Fragen können in meinem Aufsatz nicht hinreichend beantwortet werden, erfordern sie doch weitere Forschungsarbeit. Die nachfolgenden Überlegungen stützen sich vorrangig auf die oben genannte Befragung des Nordiska Museet.

Zunächst müssen die unterschiedlichen Zeitabschnitte der Bekanntschaft mit dem neuen Medium berücksichtigt werden: Bis ca 1958 galt der Fernseher in der Regel als Luxusgegenstand, zum einen aus pekuniären Gründen und zum anderen gab es noch nicht lange ein eigenes schwedisches Fernsehprogramm. In den Grenzgebieten sah man dänisches Programm. Erst mit der Fußballweltmeisterschaft 1958 und dem damit verbundenen Endspiel Schweden gegen Brasilien stieg das Interesse am Fernseher sprunghaft an und verlor zunehmend seine Rolle als Luxus- und Statussymbol. Mitte der sechziger Jahre war er in den einzelnen Haushalten etabliert und als Informations- und Unterhaltungsmedium nicht mehr wegzudenken. Allein in dieser kurzen Zeit lassen sich sehr unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten feststellen.

Das erste Fernsehgerät sahen die Schweden in der Regel in einem Radiogeschäft, in dem der Inhaber die neuen Geräte vorführte und in die Schaufenster stellte. Oft bildete sich vor ihnen eine Menschentraube, die staunend "das Wunderwerk der Technik" begutachtete. Ernsthaft Interessierte bekamen auch ein Gerät zur Probe mit nach Hause, was sich als kluge Verkaufsstrategie erwies, denn bei guten Empfang stand dem Kauf nichts mehr im Wege, der dann bar oder auf Raten getätigt wurde. Wer reiste, brachte die Neuerung auch aus dem Ausland - zumindest verbal - mit. Eine Landwirtin hörte vom Fernseher zum ersten Mal auf einer Feier:

1953 bei der Hochzeit meiner Schwester traf ich einen älteren Verwandten, der der Clou des Abends war. Er war von einer Reise aus den USA zurückgekehrt, von der er viel zu erzählen hatte. Auf die Frage, was ihm am meisten in den USA imponierte, antwortete er: "TV. Und stellt euch vor, mein Sohn stellte noch einen Apparat in mein Zimmer, so daß ich meinen eigenen hatte!"(100)

Für einen anderen Schweden wurde der Fernseher gar zur neuen Einnahmequelle. Er verwandelte ihn in ein Heimkino und popularisierte auf diesem Wege das neue Medium. Eine Besucherin berichtet:

Meine erste Begegnung war am 21. Juli 1953. Ein Radiohändler in Båstad hatte ein Wohnhaus ganz oben auf dem Hallandsåsen gemietet. Auf den Hof setzte er einen TV-Mast so hoch wie eine Fahnenstange. Er richtete den Dachboden mit Bänken ein und montierte auf zwei Böcken einen TV-Apparat. Davon hörten wir und wurden neugierig. Wir luden Nachbarn ein und fuhren hin. Er nahm eine Krone Eintritt pro Person. Wir kletterten auf den Boden und nahmen auf einer Bank hinter einem Schornstein Platz und mußten dadurch ständig den Körper drehen. Das Programm kam aus Dänemark, und wenn ich mich recht erinnere, begann es 20 Uhr. Plötzlich rauschte und knallte es im Apparat, und dann erschien das Bild. Das Publikum begann zu klatschen. Es war ein Programm über Afrika mit tanzenden und kettengeschmückten Schwarzen. Alle waren sehr begeistert, und es war noch lange Gesprächsstoff.(101)

Die am meisten gebräuchliche Art, das neue Medium in seiner "natürlichen" Umgebung kennenzulernen, war bei Nachbarn, Verwandten oder/und Freunden eingeladen zu werden. Die Besitzer führten stolz ihre neue Errungenschaft den Gästen vor. Die abendlichen Besuche bei Fernsehbesitzern entwickelten sich in den Anfangsjahren fast zur Routine.

Wir schauten zum ersten Mal bei meinem Bruder fern. Seine Frau hatte das Ding irgendwo gewonnen [. . .] Und damals, als wir so bei ihm zu Hause saßen, fanden wir es schon merkwürdig: Kino zu Hause! [. . .] Die erste Zeit (ja die ersten Jahre) war der Fernseher immer an, wenn wir bei ihm waren. Es war immer so gedeckt, daß wir alle beim Kaffeetrinken oder Essen den Bildschirm sehen konnten.(102)

Auch in der Presse jener Zeit war von der Begeisterung für das neue Medium, insbesondere ob seiner gemeinschaftsstiftenden Funktion, zu lesen. Es werden Bilder von einträchtig beieinander sitzenden Mittelklasse-Familien - in der Regel mit mehreren Kindern - veröffentlicht, die sich am Fernsehen erfreuen. Der Fernseher, aufgestellt im gemeinsamen Raum der Familienmitglieder, im Wohnzimmer, gleicht einem Altar geschmückt mit einem Deckchen, auf dem eine Blumenvase mit stets frischen Blumen (was sich nach einschlägigen Erfahrungen jedoch als gefährlich erwies und später unterblieb) oder auch Nippes stehen. Eine im Hintergrund leuchtende Lampe verbessert das Fernsehbild und verstärkt zugleich dessen "heilige" Rolle. Oft versammelt sich nicht nur die Familie andachtsvoll vor dem Fernseher, sondern es finden sich Verwandte, Nachbarn und Bekannte ein. Es entstand eine Art Ritual: Die Gastgeberin brüht den Kaffee, den sie in einer eigens dafür entwickelten "TV-Kanne" (Thermoskanne) serviert. "Nun gehört es zu Frau Margits täglicher Routine, daß sie jeden Abend eine Kanne Kaffee kocht, Saft und Kekse dem wechselnden Publikum zur Verfügung stellt", stellt euphorisch die Rundfunkzeitschrift "Röster i Radio" fest.(103) Der Abendkaffee wird nun vor dem Fernseher eingenommen. Es wurden neue Kontakte geschlossen, denn die Fernsehbesitzer wollen zum einen ihre neue Errungenschaft vorführen, zum anderen auch andere daran teilhaben lassen. Es entwickelte sich eine Art karitatives Verhalten, insbesondere bei anstehenden größeren Sportereignissen verwandelt sich ein Wohnzimmer flugs in ein kleines Kino.

Im Frühjahr hatten wir unseren eigenen Fernseher wegen der Fußballweltmeisterschaft gekauft. Bei jedem Spiel hatten wir 15-20 Gäste, die auf Stühlen oder auf dem Fußboden saßen.(104) Das größte Problem war, daß alle Bekannte und Verwandte kamen, um fernzusehen und ich selbst nur einen Stehplatz hatte(105) An die erste TV-Zeit erinnere ich mich gern, weil der Umgang mit anderen freundlich war und wir, die Kinder und auch die Erwachsenen, zusammenkamen. Oft wurde daraus eine Art Fest [. . .] Der Platz, wo der Apparat stand, wurde zum automatischen Sammlungspunkt, egal ob der Fernseher an war oder nicht.(106)

Der Fernseher konnte ebenfalls die kultureigene Scheu der Schweden(107) und die daraus resultierende Kontaktarmut eindämmen helfen. Denn Einladungen zu einem Fernsehabend waren in der damaligen Zeit sehr populär und stießen gewöhnlich auf Gegenliebe. Zudem stellte ein solcher Abend keine großen Ansprüche an die Interaktion der Zuschauer untereinander. Man konnte sich völlig dem Fernsehprogramm anvertrauen und trotz Beieinandersitzens jeder für sich bleiben. Der empfundene soziale Druck, zu sprechen und sich anpassen zu müssen, von dem Åke Daun in seinem Buch über die schwedische Mentalität schreibt, bleibt vergleichsweise gering, übernimmt doch der Fernseher die Funktion des Aktiven. Weder die Gastgeber noch die Gäste müssen sich genötigt fühlen, aufeinander einzugehen. Sie befinden sich beide in der gleichen Position, lediglich Zuschauer sein zu dürfen. Die prononcierte "Gleichheit" in der schwedischen Kultur kann somit ohne größere Schwierigkeiten ausgelebt werden. Folgende Erinnerung eines Landwirtes sei an dieser Stelle eingefügt:

Ein Statussymbol war TV bei uns im Dorf nicht. Der erste, der einen hatte, wohnte in einem verfallenen Haus, dessen Zustand auch innen bezüglich der Sauberkeit sehr zu wünschen übrig ließ. Aber bei ihm versammelten sich die Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten und guckten. Dort gab es keine Sitzplätze, und der Eigentümer verteilte Zeitungen als Unterlage.(108)

Die Besuche bleiben unverbindlich und gleichzeitig verbreitet sich das Gefühl bei den Einladenden, sehr sozial und aufmerksam zu sein:

Ich erinnere mich an ein Ereignis im Jahre 1963. Ein Fernsehprogramm handelte von einer Zigeunerfamilie, die es im Wohlfahrtsstaat Schweden nicht so gut hatte. [. . .] Ich lud eine Zigeunerfamilie, die wir hier in Nybro hatten, zum Fernsehabend ein. Sie selbst hatten ja nicht die Möglichkeit, einen Fernseher zu besitzen bzw. fern zu schauen. Sie hatten ja keine feste Wohnung. Diese Einladung war damals eine große Sensation in der Stadt.(109)

Oberflächlich gesehen schaut ein trautes Beieinandersitzen vor dem Fernseher nach gegenseitigem Verstehen, nach Einstimmigkeit, Konsensus und Freundschaftlichkeit aus - nach Daun vier wichtige Komponenten für ein Treffen unter Schweden(110) -, denn man braucht das Zusammensein nicht aktiv zu strukturieren, und der Erfolg ist so gut wie garantiert. Es gibt ein gemeinsames Interesse, nämlich das Fernsehprogramm zu sehen, und nach einigen "Proben" sind die Regeln dafür bekannt. Zu den Regeln gehört ja gerade, keine Kommunikation untereinander zu pflegen, sonst bliebe vom Fernsehgenuß nicht viel übrig. Zudem wurde in den Anfangsjahren noch der Raum abgedunkelt, so daß die Zuschauer dem Apparat die ungeteilte Aufmerksamkeit entgegenbrachten und seine Autorität nicht durch Handarbeiten oder ähnliches untergraben werden konnte. An solchen Abenden wurde das Gefühl der Gemeinschaft, der Zusammengehörigkeit infolge des gemeinsamen Fernsehschauens befördert, obwohl es eigentlich nur ein äußerliches räumliches Beisammensein ohne wirkliche gemeinsame aktive Handlung ist. Aussagen aus der damaligen Zeit bestärken diese Annahme, daß das Fernsehen die Option gegen aktive Handlungsmöglichkeiten erleichterte. Auf die Frage, wie sich die täglichen Gewohnheiten verändert haben, antwortet der Familienvater, daß sie früher öfter ins Kino gingen und weg waren, aber heute mehr zu Hause seien. "Die Kinder bleiben auch zu Hause, und das hat unseren Familienzusammenhalt gestärkt. Sie bringen ihre Freunde mit, anstatt draußen herumzustreunen."(111) Hauptsächlich erfüllen Unterhaltungs- und Sportprogramme diesen Zweck, da sie einen breiten Geschmack bedienen und damit auf allgemeine Akzeptanz der Anwesenden stoßen. Die angestrebte Gleichheit, die im Schwedischen oft mit dem Wort der "Gemeinschaft" umschrieben wird, kann - sagen die Erfahrungen der Fernsehabende - nicht nur im engen Familienkreis, sondern auch mit Bekannten, gar Fremden auf der Basis gemeinsamen Fernsehschauens erlebt werden. Folgerichtig stieg die Popularität solcher Abende gewaltig an, und im Gegensatz dazu nahmen die Kinobesuche ab.

Jedoch fielen die festgelegten Verhaltensmuster für diese Abende nicht jedem leicht. In der Rückschau beklagen viele die fehlende Interaktion zwischen den Anwesenden. Hier kollidierten die Besuchserwartungen mit den damaligen Regeln des kollektiven Fernsehens, denn das Fernsehen verlangte nun einmal ungeteilte Aufmerksamkeit und entwickelte sich erst später zunehmend zum Hintergrundmedium. Bei laufendem Fernsehgerät verlor der Gast seine Rolle als Mittelpunkt und trat sie dem neuen Medium ab.

Die erste Bekanntschaft mit dem TV war bei einem Verwandten, der uns einlud. Als wir ins Haus kamen, wurden wir kaum begrüßt, sondern aufgefordert uns zu beeilen, da das Programm gleich anfing. Wir mußten vor dem Apparat Platz nehmen und saßen dort den ganzen Abend. Eine Unterhaltung entstand nicht, wir konnten kaum Kaffee trinken.(112) Wir waren bei Bekannten eingeladen, die uns das neue Medium zeigen wollten. Wir mußten gucken, egal ob es das Programm wert war oder nicht. [. . .] Wenn man zu Besuch war, kam es oft vor, daß kaum ein Wort gewechselt wurde.(113) Der Umgang wurde verändert, da alle nur noch fernsehen wollten, auch wenn man bei seinen Freunden war. Für Gespräche war keine Zeit.(114) Bei den Besuchen waren nun nicht mehr die Tagesereignisse eines jeden Gesprächsstoff, sondern das Fernsehen nahm einen völlig gefangen.(115)

Mit zunehmender "Selbstversorgung" nahmen die häufigen Fernsehabende bei und mit Freunden und Bekannten ab. Fast jede Familie hatte nun ihren eigenen Fernseher gekauft und ihr eigenes Gebrauchsritual entwickelt. Es nahmen auch die Anlässe ab, von Bekannten eingeladen zu werden sowie selbst einzuladen.

Wie bereits in den einleitenden theoretischen Bemerkungen betont, wirken Medien kontextabhängig. Wie stark sie auf die Sozialisationsprozesse einwirken, hängt davon ab, wieviel Macht ihnen in den familiären Beziehungen eingeräumt wird. Das heißt einerseits, daß "längst bevor Medienbotschaften und Medienformen 'wirken' können, [. . .] das soziale Umfeld die Art und die Stärke der möglichen Wirkungen im Prozeß der Sozialisation [bestimmt]."(116) Andererseits darf im Sinne von Marshall McLuhan nicht vergessen werden, daß das Fernsehen auch seinerseits familiäre Situationen prägt und den sozialen Alltag beeinflußt. Das gelingt dadurch, indem Fernsehprogramme offeriert werden, die geradezu prädestiniert für die unterschiedlichen Situationen im Familienalltag sind. So wie beispielsweise in Deutschland die "Tagesschau" zum allabendlichen Ritual wurde und es gegen den guten Ton verstieß, während der Sendung z.B. durch Anrufe zu stören, strukturierte und zum Teil habitualisierte in vielen schwedischen Familien das Fernsehprogramm (zunächst nur) den Abend:

Ein normaler Abend sah jetzt so aus: Wir aßen Abendbrot vor 18 Uhr, dann guckten wir fern bis ca. 21 Uhr. Die Nachrichten um 18 Uhr und 19.30 Uhr sind das Wichtigste.(117) Unser Tagesablauf: Wir aßen ein warmes Abendbrot, wenn mein Mann halb sechs nach Hause kam und um acht tranken wir Kaffee, denn da hatte das Programm begonnen und wir deckten im Wohnzimmer. Ich habe früher beim Radiohören immer Handarbeiten gemacht, aber nun war es dunkel und nicht mehr möglich.(118) Es haben sich die Familienroutinen verändert. Mit dem Abendbrot mußte man bis zum Beginn des Abendprogrammes fertig sein.(119)

In der Befragung lassen sich auch Beispiele finden, die von familiären Umständen insbesondere auf dem Lande berichten, die eine abendliche Dominanz des Fernsehers nicht zuließen. Zum Beispiel konnte sich eine Mutter, die neben ihren drei Kindern noch die Landwirtschaft mit zahlreichen Tieren versorgte, kaum ein beschäftigungsloses Sitzen vor der "Kiste" leisten.(120) Damit fehlte ihr überhaupt die Möglichkeit, vor dem Apparat zu entspannen. Im Allgemeinen waren es auch weniger Frauen, die am Abend schauten, da mit zunehmender Berufstätigkeit die Hausarbeiten auf den Abend verlegt werden mußten. Medienkritische Familien, die weiterhin Wert auf die Interaktion untereinander legten, räumten dem Fernsehschauen von vornherein weniger Platz im Alltag ein.

Am fernsehfreien Tag spielten wir Karten, und es war wie früher. An manch anderen Abenden bestimmten wir, nicht TV zu schauen, meistens zu unseren Samstagsfesten. Aber es brauchte bloß einer schauen zu wollen, schon saßen alle davor.(121)

Eine andere Familie ging dagegen konsequenter vor und quartierte das Gerät schlechtweg um:

1960 hatten wir unseren ersten Fernseher. Er stand zunächst im Wohnzimmer, aber bald schafften wir ihn ins Obergeschoß in unseren Lese- und Arbeitsraum. Es gab nämlich Gäste, die rein verrückt nach dem Ding waren und mit denen man keinen normalen Umgang mehr pflegen konnte. Außerdem schauten auch die Kinder gern, so daß sie bei Besuch oben saßen und gucken durften. Manchmal gesellte sich jedoch ein Erwachsener dazu.(122)

Die Macht, die der Apparat in den ersten Jahren ausübte, hing vom sozialen Beziehungsgefüge in der Familie, im Dorf sowie der Gemeinde ab. Es muß aber auch berücksichtigt werden, daß es als neues, noch wenige Jahre altes Medium eine besondere Aufmerksamkeit genoß und in der Regel alles geschaut wurde, was auch über den Äther kam. Bei einer Zunahme des Programmangebotes und sich vergrößernder Auswahl an Medienangeboten, die in Schweden 1969 ihren vorläufigen Höhepunkt mit dem zweiten Fernsehprogramm erreichte, erhöhten sich auch die Wahlmöglichkeiten. Das kann zur Folge haben, daß zum einen flexibler mit der Fernsehzeit, zumindest mit der im Alltag nicht-ritualisierten Fernsehzeit, umgegangen wird. Mit anderen Worten: Es wird der Fernseher bei Besuch in der Regel öfter ausgeschalten sein, denn die Chancen zu anderen Zeitpunkten zu schauen sind ungleich größer. Andererseits kann sich aber auch die Abhängigkeit erhöhen, je nachdem wie der Einzelne dazu bereit und in der Lage ist. Medienwirkung setzt also auch immer Bereitschaft voraus. Mit der Akzeleration der Fernsehangebote durch Kabel und Satellit wird der Fernsehkonsum weniger vom Inhalt abhängig werden, denn es gibt immer irgendetwas Interessantes zu finden, sondern vom kulturellen Umgang mit dem Gerät. Insofern werden die Wirkungen durch den Fernsehkonsum immer mehr vom Kontext als vom Text entschieden.(123)

Jedoch existiert auch der Apparat nicht unbhängig vom Kontext, sondern gehört zu ihm und prägt ihn. Die frühen in den Befragungen geschilderten Fernseherfahrungen zeigen erste Anfänge einer sich neu konstruierenden Sozialwelt. Nach den Auswirkungen auf den damaligen gesellschaftlichen Umgang befragt, ergeben sich fast gleichlaute Antworten:

Die früher mehrfach vorkommenden Besuche bei Nachbarn verringerten sich, ebenfalls die Kinobesuche, jedoch nicht so die Tanzabende bei Jugendlichen, aber dafür das Bücherlesen, die Studienzirkel sowie das Vereinsleben.(124) Man besuchte die Leute nicht mehr spontan, sondern blieb zu Hause und sah seine Lieblingsprogramme.(125) Anfang der 60er Jahre diskutierten wir das Fernsehen auch in den Vereinen. Es gab viele Fürsprecher und gerade die Vereine sollten Fernseher kaufen, um den Mitgliedern die Programme zu zeigen, so als Bestandteil der Treffen. Das tat auch meine Vereinigung in Virserum. Aber die Rechnung ging nicht auf. Die Mitglieder kauften sich bald selbst einen und blieben den Treffen fern. Ein Teil kam und man saß nur da, um fernzusehen.(126) Mit dem Fernseher veränderten sich unsere Kontakte, sie froren ein und auch unser Umgang in der Familie veränderte sich. Alle mußten still sein, nur der Vater durfte kommentieren. Den Kindern wurde aufgetragen bei Nachfragen zu sagen, daß der Vater nicht zu Hause sei, wenn er schaute, denn er durfte beim Fernsehen nicht gestört werden [. . .] 1974 wurde eine neuer Apparat gekauft. 1975 war die Scheidung.(127) Ich glaube, daß viele im Inneren ärmer wurden.(128)

Die aus der Retrospektive scheinbar unkomplizierte Institutionalisierung des Fernsehens im Alltag darf nicht dazu führen, daß dessen komplexe Wirkung übersehen wird. Zum einen mußte das Fernsehen erst "seinen eigenen 'kommunikativen Ort' finden".(129) Zum anderen drängte das neue Medium zur Ablösung vertrauter Umgangsformen, was zunächst als fremd erfahren wurde. In der Regel äußerten sich diejenigen, die damals als Kinder das neue Medium erlebten, weniger befremdet darüber, ja nahmen neue fernsehbeeinflußte Rituale in der Regel nicht wahr, sondern wuchsen in sie hinein.

Die Zeit vor dem Fernseher nahm stetig zu, und dagegen nahmen die möglichen eigenen Primärerfahrung und die gemeinsamen Primärerlebnisse in der sonst sehr üblichen regen Vereinstätigkeit der Schweden ab. Die einsetzende Neu-Habitualisierung war einerseits die Konsequenz des Medienkonsums und andererseits setzte sie auch die Bereitschaft der "Konsumenten" voraus. Verstärkend wirkt der Vereinsamungseffekt in den "Sechziger-Jahre-Vororten", in denen das soziale Netzwerk fehlte und der Apparat mangelnde Interaktion ersetzte. Es war einfacher, mediale Fernsehfamilien in das Wohnzimmer zu lassen und ihnen eine emotionale Bindung entgegenzubringen, als wirkliche Nachbarn in einem Hochhaus zum Kaffee einzuladen. Der Fernseher bildete nicht nur die einst erwähnte Petroleumlampe, die die Familie in Harmonie zu gemeinsamen Aktivitäten um sich herum versammelt, sondern entwickelte sich auch zum "gemeinsamen Fluchtpunkt der Familie"(130). Aber hier ist wieder der Kontext entscheidend, denn von der Art der sozialen Beziehungen hängt der Gebrauch des Mediums ab. Das Fernsehen kann einerseits zur Kollektivierung und andererseits zur Individualisierung seiner Nutzung führen.

Auf der Makroebene, davon ist Orvar Löfgren in seinem Aufsatz "Medierna i nationsbygget. Hur press, radio och TV gjort Sverige svenskt?" [Medien bei der Nationenbildung. Wie haben Presse, Radio und TV Schweden schwedisch gemacht?] überzeugt, zeigt sich, daß die Medien und allen voran das Fernsehen infolge ihrer staatstragenden Funktion zur homogenisierenden Kraft in der schwedischen Kultur wurden. Das Fernsehen lieferte - wie einst das Radio, aber ungleich wirkungsvoller - den gemeinsamen kulturellen Referenzrahmen. Es versorgte die Menschen mit Gesprächsthemen, informierte über Teile des eigenen Landes, die bis dato den Bürgern nicht bekannt waren und ließ die Bewohner über den Tellerand ihres Dorfes blicken. Jedoch waren dem Fernsehfunk infolge seiner Instrumentalisierung die Themen vorgeschrieben, nicht in Form einer Zensur, sondern als konsensuale Politik verstanden, und alternative Öffentlichkeiten fanden keine bzw. nur begrenzte mediale Präsenz. Nach Löfgren gab es offiziell in Schweden eine große Angst vor jeder Art der Segregation -- "die soziale Segregation der Medien, basierend auf Alter, Klasse, Geschlecht oder regionaler Zugehörigkeit".(131) In Zeiten des Monopols konnte Hör- und Fernsehfunk noch gemeinsame mediale Erfahrungen vermitteln und homogenisierend wirken, aber der Abschied von der homogenen Kulturgemeinschaft ließ nicht mehr lange auf sich warten.


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Fußnoten

1. Fernsehen wird in der Literatur sowohl für die Tätigkeit als auch für die Institution verwendet. Um hier klar zu unterscheiden, benutze ich - in Anlehnung an Winterhoff-Spurk - für die Institution "TV" oder auch "Fernsehfunk", für die Tätigkeit "Fernsehen" und für den Apparat "Fernsehgerät" oder "Fernseher".

2. Elsner, Monika/Hans Ulrich Gumbrecht/Thomas Müller/Peter M. Spangenberg: "Zur Kulturgeschichte der Medien". In: Merten, Klaus/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischen-berg: Die Wirklichkeit der Medien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994, 186.

3. Zit. nach: Lazarsfeld, Paul F.: "Bemerkungen über administrative und kritische Kommunikationsforschung". In: Prokop, Dieter (Hg.): Kritische Kommunikationsforschung. Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung. Mit einer Einleitung von Oskar Negt. München: Carl Hanser, 1973, 15.

4. Rundfunk meint immer Hör- und Fernsehfunk.

5. Faulstich, Werner: Medientheorien. Einführung und Überblick. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, 153f.

6. Giddens, Anthony: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung [=The Constitution of Society. Outline of the Theory of Structuration]. Frankfurt a.M., New York: Campus Verlag, 1988, 224 (=Theorie und Gesellschaft; 1, hg.v. Hans Joas und Claus Offe).

7. Ibid., 223.

8. Ibid., 224.

9. Seine Untersuchungen fußen auf den kanadischen Ökonomen Harold Adams Innis (1894-1952), der als Begründer einer technikbasierten Analyse von Medien gilt. Er verweist darauf, daß jede Medientechnik über einen "Bias" unabhängig von den Medieninhalten verfügt (Vgl. Innis 1951).

10. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle [=Understanding media]. Düsseldorf: Econ, 1968, 14.

11. Lazarsfeld, 16.

12. Postman beschreibt in seinem Buch Das Verschwinden der Kindheit, daß sich die Institution der Kindheit mit dem Buchdruck entfaltete. Die Buchkultur schränkte Kinder auf das Bücherwissen ein und grenzte sie aus der Welt des Alltags aus. Schließlich wurden die kulturellen Kenntnisse ein Merkmal der Erwachsenenwelt, aus der man die Kinder bis zu einem gewissen Alter heraushielt. Schritt für Schritt wurden sie in die Geheimnisse der Erwachsenen eingeweiht bis zur sexuellen Aufklärung. (Postman 1983, 61).

13. Meyrowitz, Joshua: Die Fernsehgesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter [= No sense of place]. Weinheim, Basel: Beltz, 1987, 208f.

14. Ibid., 18.

15. Ibid., 158.

16. Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996, 302 (=wissenschaft; 1128).

17. Schmidt, Siegfried J.: "Medien, Kultur, Medienkultur". In: Faulstich, Werner (Hg.): Medien und Kultur. Beiträge zu einem interdisziplinären Symposium der Universität Lüneburg. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, 42.

18. Schmidt, Siegfried J.: "Medien-Kultur-Gesellschaft. Medienforschung braucht Systemorientierung". In: Medien Journal. Salzburg: 1995:4, 34.

19. Schmidt, Siegfried J.: "Die Wirklichkeit des Beobachters". In: Merten, Klaus/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994, 17.

20. Schmidt, Siegfried J.: "Konstruktivismus in der Medienforschung: Konzepte, Kritiken, Konsequenzen". In: Merten, Klaus/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hg.), 601.

21. Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung, 14.

22. Ibid., 275.

23. Zit. nach: Morley, David: "Medienpublika aus der Sicht der Cultural Studies". In: Hasebrink, Uwe/Friedrich Krotz (Hg.): Die Zuschauer als Fernsehregisseure? Zum Verständnis individueller Nutzungs- und Rezeptionsmuster. Baden-Baden, Hamburg: Nomos, 1996, 37 (= Symposien des Hans-Bredow-Instituts; 14).

24. Ibid., 42.

25. Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung, 43.

26. Ibid., 111.

27. Fiske, John/John Hartley: Reading television. London: Methuen, 1978, 17.

28. In Westdeutschland gab es seit 1952 regelmäßige Fernsehsendungen. Ostdeutschland begann 1952 mit dem Abstrahlen regelmäßiger Nachrichtensendungen und eröffnete offiziell 1956 das erste Fernsehprogramm. Dänemark hat seit 1954 regulären Fernsehfunk.

29. Sanfridsson, Arne: Min svenska TV-historia. Stockholm: o. V, 1981, 9.

30. Rundradion i Sverige. Dess aktuella behov och riktlinjer för dess framtida verksamhet. Stockholm, 1946 (= Statens offentliga utredningar, SOU:1946:1). Alle nachfolgenden Übersetzungen aus dem Schwedischen sind von mir.

31. Ibid., 116.

32. Ibid.

33. Televisionen i Sverige. Stockholm: 1954, 33 (= Statens offentliga utredningar; SOU:1954:32).

34. Sanfridsson, 56.

35. Erlander, Tage Zit. in: Röster i Radio. Heft 35, vom 26.7.-1.8.1956, 7.

36. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens [= L'archéologie du savoir]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp: 1992, 171.(= suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 356).

37. Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses [= L'ordre du discours]. Mit einem Essay von Ralf Konersmann, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1996, 11 (= Fischer Wissenschaft).

38. Ibid., 28.

39. Wirén, Karl-Hugo: Kampen om TV. Svensk TV-politik 1946-66. Malmö: Gidlunds, 1986, 62f.

40. Moberg, Vilhelm: "Medborgaren och monopolradion". In: Morgon-Bladet vom 23.2.1957.

41. Henningsen, Bernd/Bo Stråth: "Die Transformation des schwedischen Wohlfahrtsstaates. Ende des 'Modells'?". In: Link, Werner/Eberhard Schütt-Wetschky/Gesine Schwan (Hg.): Jahrbuch für Politik. Baden-Baden: Nomos, 1995, 226f (= Halbband 2; 5. Jahrgang). Siehe auch: Henningsen, Bernd: Der Wohlfahrtsstaat Schweden. Baden-Baden: Nomos, 1986, 367ff (= Nordeuropäische Studien; 2).

42. Ungdomen och nöjeslivet. Ungdomsvårskommitténs betänkande Del III. Stockholm: 1945, 19f (= Statens offentliga utredningar; SOU:1945:22).

43. Ibid., 31.

44. Ibid., 266f.

45. Barn och film. Stockholm, 1952, 21f (= Statens offentliga utredningar; SOU:1952:51).

46. Zit. nach: Löfgren, Orvar: "Medierna i nationsbygget: Hur press, radio och TV gjort Sverige svenskt". In: Hannerz, Ulf (Hg.): Medier och kulturer. Stockholm: Carlsson, 1990, 105f.

47. Martinson, Harry: "Hemmet - 'personlokal'". In: Röster om TV. Stockholm: 1955, 25 (= Aktuellt från TU; 2).

48. Björkquist, Manfred: "TV ökar hemlivets oro". In: Röster om TV. 18.

49. SAP-Protokoll, 19:de kongress, 2.-7. Juni 1952, Stockholm, 56.

50. Löfgren, Orvar: "Medierna i nationsbygget: Hur press, radio och TV gjort Sverige svenskt", 99.

51. Ibid., 100.

52. SAP, 63.

53. Martinson, 25.

54. Aus dem Revyprogramm von Martin Ljung von 1960, abgedruckt in: Folket i Bild - Tidningen som var en folkrörelse Del II, 1950-1962. Stockholm: Tiden, 1984, 196.

55. Wirén, Karl-Hugo: Kampen om TV, 42.

56. Ibid.

57. Wirén, Karl-Hugo: "Kampen om TV 2 i Sverige". In: Pressens Årbog. Nordisk forum. Kopenhagen: 1987, 86.

58. Televisionen i Sverige, 35.

59. Wirén, Karl-Hugo: "Kampen om TV 2 i Sverige", 87.

60. Arvidsson, Håkan/Lennart Berntson/Lars Dencik: Modernisering och välfärd. Stockholm: City University Press, 1994, 159.

61. Schmidt, Siegfried J.: Die Welten der Medien. Grundlagen und Perspektiven der Medienbeobachtung. Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg, 1996, 54.

62. Elsner, Monika/Thomas Müller: "Der angewachsene Fernseher". In: Hans Ulrich Gumbrecht/Karl Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt a.M., 1988, 393.

63. LUF M 20614, Lund: Folklivsarkivet, 1989, 4.

64. LUF M 20650, 1.

65. Elsner, Monika/Thomas Müller: "Der angewachsene Fernseher", 195.

66. Ausführlich auseinandergesetzt in: Broddason, Thorbjörn: The image of television. The development of three research perspectives. Lund 1995 (= Lund research papers in media and communication studies; 14).

67. Schramm, Wilbur/Jack Lyle/Edwin B. Parker: Television in the lives of our children. Stanford: Stanford University Press, 1961, 12.

68. Noble, Grant: Children in front of the small scree. London: Constable, 1975.

69. Rosengren, Karl Erik/Sven Windahl: Media Matter. TV use in childhood and adolescence. Norwood: Ablex Publishing Corporation, 1989, 190.

70. Man rechnete 1959 mit einer Zahl von 72.000 Gebührenzahlern, in Wirklichkeit wurden es 400.000. Eine Million (bei 7 Mio Einwohnern) wurde Ende der sechziger Jahre erreicht. Zu den ersten Fernsehfamilien gehörten solche mit mehreren Kindern. In den ersten Jahren wurde zwei bis drei Stunden am Abend ausgestrahlt. Ein Abend (donnerstags) pro Woche war fernsehfrei als Antwort auf die abrupt vernachlässigte Vereinstätigkeit. In den sechziger Jahren lag das Programmvolumen schon bei sieben Stunden pro Tag (Kleberg 1994, 194f.).

71. Zit. in: Populär Radio. Stockholm, 1951:10, 15.

72. Sjödén, Rune: Etermediernas publik. En analys av Sveriges Radio, Stockholm: Sveriges Radio, 1967, 93.

73. Rojas, Mauricio: Efter folkhemmet. En agenda för Sveriges förnyelse. Stockholm: Timbro, 1996, 55.

74. Gaunt, David: Familjeliv i Norden. Malmö: Gidlunds, 1983, 287f.

75. Rojas, 35.

76. Löfgren, Orvar: "Die Nationalisierung des Alltagslebens: Konstruktion einer nationalen Ästhetik". In: Kaschuba, Wolfgang (Hg.): Kulturen-Identitäten-Diskurse. Perspektiven Europäischer Ethnologie. Berlin: Akademie Verlag, 1995, 117 (= Zeithorizonte: Studien zu Theorien und Perspektiven Europäischer Ethnologie; 1).

77. LUF M 20617, 1.

78. Televisionen i Sverige, 64.

79. Ibid., 52.

80. Ibid.

81. Hickethier, Knut: "'Fließband des Vergnügens' oder Ort 'innerer Sammlung'?". In: Ders. (Hg.): Der Zauberspiegel - Das Fenster zur Welt. Untersuchungen zum Fernsehprogramm der fünfziger Jahre. Siegen: Universität-GH-Siegen, 1990, 4.

82. Reimers, Gerd: "Var skall skåpet stå?". In: Svenska Radioaktiebolaget (Hg.): Information om radio och tv. Stockholm, 1962, 17.

83. Spigel, Lynn: Make room for TV. Television and the family ideal in postwar America. Chicago, London: The University of Chicago Press, 1992, 37.

84. Tichi, Cecelia: Electronic hearth. Creating American television culture. New York: Oxford University Press, 1991, 47.

85. Bodin, Bertil/Olle Svensson: Svensk Television. Stockholm: Tiden, 1955, 89.

86. Ibid., 102f.

87. Die übergeordnete Rolle der Volksbildung spiegelt sich sowohl in der Personalpolitik als auch im Programm wider. Der ehemalige Volkshochschullehrer, Yngve Hugo, war zunächst Abteilungsleiter bei Radiotjänst und schließlich Generalintendant. Die Zahl der gehaltenen Vorträge im Radioprogramm hatte Europarekord; im ersten Jahr (1925) waren 260 Vorträge zu hören, 1930 schon 607 (Elgemyr 1986, 111).

88. Elgemyr, Göran: "Etermedierna som folkbildare". In: Pressens Årbog. Odense, 1986, 105f.

89. Folkbildningsarbete och ungdomsverksamhet. Övervägande och förslag av 1960 års folkbildningsutredning. Stockholm, 1961, 139 (= Statens offentliga utredningar; SOU:1961:44).

90. Ibid.

91. Ibid., 9.

92. Hultén, Olof: "Rundradions organisering i Sverige 1922-1924. Argument för och emot monopolet". In: Statsvetenskaplig Tidskrift. Heft 2, Stockholm, 1980, 131.

93. Nach: Wirmark, David: "Tingsten och radions frihet". In: Morgon-Bladet v. 8.3.1957.

94. Hansson, Per Albin: "Folkhemmet, medborgarhemmet". In: Från fram till folkhemmet. Stockholm: Metodica Press, 1982, 227f.

95. Löfgren, Orvar: "Die Nationalisierung des Alltagslebens: Konstruktion einer nationalen Ästhetik", 117.

96. Henningsen/Stråth.

97. Billing, Peter/Mikael Stigendal: Hegemonins decennier. Lärdomar från Malmö om den svenska modellen. Malmö: Möllevångens Samhällsanalys, 1994, 281.

98. Zit. nach: Briggs, Asa: The BBC. The first fifty years. Oxford: University Press, 1985, 55.

99. Im Gegensatz zu Deutschland beschäftigte sich die Programmsparte "Haus und Familie" bereits zu dieser Zeit mit Themen von Frauen im Arbeitsprozeß, wie "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", "Frauen im Arbeitsprozeß", "Mutter ohne Ring", "Über die Arbeitsbedingungen von Krankenschwestern" (Kleberg 1994, 199).

100. LUF M 20637, 1.

101. LUF M 20640, 1.

102. LUF M 20614, 1.

103. Jonsson, Conny: "Träff med TV-familj". In: Röster i Radio. Stockholm, 1956:52, 17.

104. LUF M 20655, 1.

105. LUF M 20670, 1.

106. LUF M 20621, 1f.

107. Daun, Åke: Svensk mentalitet. En jämförande perspektiv. Stockholm: Rabén Prisma 1994, 55ff (2. überarbeitete Auflage).

108. LUF M 20625, 3.

109. LUF M 20622, 1.

110. Daun, 125.

111. Jonsson.

112. LUF M 20625, 1.

113. LUF M 20646, 1.

114. LUF M 20630, 1.

115. LUF M 20668, 2.

116. Hurrelmann, Bettina: "Kinder und Medien". In: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/ Siegfried Weischenberg (Hg.), 399.

117. LUF M 20630, 2f.

118. LUF M 20647, 2.

119. LUF M 20656, 2.

120. LUF M 20648, 1.

121. LUF M 20644, 5.

122. LUF M 20635, 1.

123. Merten, Klaus: "Wirkungen von Kommunikation". In: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hg.), 327.

124. LUF M 20615, 2.

125. LUF M 20624, 2.

126. LUF M 20646, 1.

127. LUF M 20616, 6.

128. LUF M 20630, 1.

129. Elsner, Monika/Thomas Müller: "Der angewachsene Fernseher", 403.

130. Eurich, Carl/Gerd Würzberg: 30 Jahre Fernsehalltag. Wie das Fernsehen unser Leben verändert hat. Reinbek: Rowohlt, 1980, 41.

131. Löfgren, Orvar: "Medierna i nationsbygget: Hur press, radio och TV gjort Sverige svenskt", 117.