"Wie hältst du's mit der Wirklichkeit?"
Kleine Einübung in die konstruktivistischen
Diskussionen
Dank Thomas S. Kuhns1 Einsatz verfügt jeder Wissenschaftstätige über ein magisches Wort,
um sich und anderen das geheime Ziel der eigenen Aspirationen ins Bewußtsein zu rufen:
Einen Paradigmatawechsel möchte man erreichen und damit Revolutionär werden. Das
Kreieren einer Mode ist leider nicht einsbedeutend mit der Erfüllung dieses Wunsches. Wenn
es noch nicht abzusehen ist, ob den Konstruktivisten die wissenschaftliche Revolution
gelingen wird, aber bereits sicher davon gesprochen werden kann, daß sie die zweifelhafte
Ehre des 'En vogue'-Seins genießen, so liegt dies an der zentralen Forderung, die die
unterschiedlichen konstruktivistischen Theorien vereint. Sie verabschieden das
Adäquatheitstheorem und damit die Auffassung, daß die Leistung des Erkennens darin
bestünde, einen von der Wahrnehmung unabhängig seienden Gegenstand objektiv
wiederzugeben. Aber gehen wir nicht alle mit großer Selbstverständlichkeit von diesem in
Frage gestellten Axiom aus und nehmen es als gegeben an, daß da die eine Wirklichkeit
vorhanden ist, die unsere Sinne und unser Verstand uns 'naturgetreu' erschließen? Somit steht
fest: Der konstruktivistische Ansatz ist im hohen Maße kontraintuitiv, was wohl das
(oberflächliche) Interesse erklärt, das ihm von einer größeren Öffentlichkeit zuteil wird.
Mit der Feststellung der Kontraintuitivität ist jedoch nicht viel gesagt: Nicht intuitiv, sondern
rational wird wissenschaftlich argumentiert, und auf diesem Gebiet findet auch der
konstruktivistische Einsatz statt. Konstruktivistische Theorien sind als kritische Fortführung
von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien konzipiert. Dabei ist das Charakteristische am
Methodischen Konstruktivismus (in den Sechzigern präsentiert), dem Konstruktiven
Realismus (seit den Neunzigern im Gespräch) und dem Radikalen Konstruktivismus (seit den
Achtzigern immer vehementer in der Offensive), daß der traditionelle
wissenschaftstheoretische Bereich der mathematisch-physikalischen Naturwissenschaften
überschritten wird: Es findet nicht nur eine Hinwendung zur Biologie statt, was bedeutet, daß
das Konzept der isolierten Entitäten zunehmend durch ein Konzept des Zusammenhangs
ersetzt wird, sondern darüber hinaus werden die Kultur- bzw. Geisteswissenschaften, die von
den Wissenschaftstheorien im allgemeinen übergangen werden, konstitutiv für die
theoretischen Überlegungen.2
Daraus sollte geschlossen werden dürfen, daß konstruktivistische Überlegungen in
wissenschaftlich tätigen Kreisen, die endlich insgesamt zu Adressaten erkenntnis- und
wissenschaftstheoretischen Überlegungen geworden sind, mit großem Interesse aufgegriffen
werden &173; an der Reflexion der Grundlagen, Bedingungen und Legitimierungen ihres Tuns
müßte doch allen Wissenschaftlern gelegen sein. Oder auch nicht: Thomas S. Kuhns äußerst
einflußreiche und populär gewordene Wissenschaftstheorie hat nicht zur Steigerung des
Selbstreflexionsbedürfnisses bei Wissenschaftlern geführt. Die Ausbildung zum
Wissenschaftler bedeutet nach Kuhn das Einleben in die Paradigmata des gewählten Faches,
die Probleme und Lösungen vorzeichnen &173; eine Metareflexion dieser Bedingungen ist für die
erfolgreiche Tätigkeit nicht notwendig und nach Kuhns Vokabular zu schließen auch nicht
erwünscht: Da ein Wechsel der Paradigmata durch einen Wissenschaftler mit einer
Konversion verglichen wird, muß davon ausgegangen werden, daß die Zugehörigkeit zu einer
wissenschaftlichen Gruppe am ehesten der Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft
ähnelt &173; vorsichtig gesprochen wird eine Infragestellung der Paradigmata oder ein Grübeln
über ihre Legitimierbarkeit vom einzelnen Wissenschaftler nicht erwartet.
Obwohl Kuhns Ansatz selbst konstruktivistische Züge aufweist, indem das Aufgehen der
wissenschaftlichen Wahrnehmung in die Paradigmata des Faches eine objektive
Abspiegelung einer unabhängig gedachten Wirklichkeit ausschließt und wissenschaftlicher
Fortschritt somit nicht mehr als eine sukzessiv sich vervollkommnende Übereinstimmung des
Erkannten mit dem Forschungsobjekt definiert werden kann, unterscheiden sich die im
folgenden vorgestellten konstruktivistischen Theorien insofern entscheidend, als sie die
Wissenschaften aus der Selbstgenügsamkeit des dogmatischen Schlummers zu reißen
versuchen, den Kuhn ihnen gönnt, und sie zur Reflexion ihres Bedingtseins und ihrer
Legitimation zu veranlassen versuchen. Dabei wird sich möglicherweise zeigen, daß trotz der
Ablehnung des Theorems von der Übereinstimmung der Erkenntnis mit einer vorgegebenen
Wirklichkeit das sagenhafte Gespenst des postmodernen Relativismus die
konstruktivistischen Theorien nicht mehr heimsucht, als es dem gesunden Menschenverstand
und der wissenschaftlichen Ratio billig erscheint. Und sicher wird deutlich werden, daß
der Konstruktivismus nicht existiert, die unterschiedlichen Theorieansätze aber, die sich diese
Bezeichnung gegeben haben und wenig interessiert bis ablehnend ihren Namensvettern
gegenüberstehen3, mehr Gemeinsamkeiten als die Verneinung des Adäquatheitstheorems
aufweisen. Als Leitfaden durch die konstruktivistischen Theorien kann dabei das
ambivalente Verhältnis zu den antiken Grundlagen von Erkenntnis- und
Wissenschaftstheorie dienen: Klingt im Theorem vom Erkennen im Handeln die antike
Unterscheidung verschiedener Arten des Wissens und ihrer Verbundenheit mit den
Konzepten von 'praxis' und 'gnosis' an, so werden die aristotelischen Grundlagen der
Erkenntnistheorie umgestoßen. Die Ablehnung des Adäquatheits- oder Identitätstheorems
geht teilweise einher mit der Aufhebung des Verdikts wider den unstatthaften Widerspruch.
Intermezzo:
"Ich rekonstruiere! Konstruktion, was willst du mir?"
Das Thema 'Konstruktivismus' könnte einem möglicherweise deswegen irrelevant
erscheinen, weil man davon ausgeht, sich längst für die logische Alternative der
'Konstruktion', die 'Rekonstruktion', entschieden zu haben. Eine kurze Orientierung in der
Begriffsgeschichte4 zwingt jedoch zur Einsicht, daß die beiden Termini kaum voneinander
abzugrenzen sind und in keinem Fall in einem antonymen Bezug zueinander stehen. Die
durch die Konvention der Alltagssprache suggerierte Erwartung, es in Hinblick auf die
'Rekonstruktion' mit einem auf die eine oder andere Art ontologischen Nachvollzug zu tun zu
haben, bedarf der Korrektur. Beide Begriffe, 'Konstruktion' und 'Rekonstruktion',
akzentuieren, daß Erkennen auf einer produktiven Eigenleistung, nicht auf einem passiven
Abbilden beruht, und weisen damit in die Richtung des Konstruktivismus und dessen
Konzepts vom Erkennen als Handeln.
Der Terminus 'Konstruktion' verdankt seine philosophische Karriere Kants definitorischem
Einsatz in einem vom ihm ursprünglich streng begrenzten Bereich, der Mathematik. Im
Rahmen des Idealismus kam es zu einer Ausdehnung der begrifflichen Anwendung und im
selben Zug zum Gebrauch des Rekonstruktionsterminus. Kants Konstruktionsbegriff ist
durch dieselbe Spannung bestimmt, die seine Philosophie grundsätzlich charakterisiert und
die vom Konstruktivismus später ebenfalls als konstitutiv empfunden wird. Die Grundzüge
des Problems sind uns allen in etwa als die des 'Dinges an sich' bekannt: Obwohl es uns als
solches nicht zugänglich ist, bedeutet dies nicht, daß es zu einer kategorischen Entwertung
des phänomenalen Bereiches für die Urteilsbildung kommt. Grob gesagt &173; und damit
vermutlich entstellt &173; beruht Erkenntnis auf einem Zusammenwirken des Erkenntnisapparats
mit seiner eigentümlichen Einrichtung und dem Empfangen von Vorstellungen: Diese gehen
zwar von Dingen aus (solange sie nicht selbst hervorgebracht werden), sind aber wegen der
synthetisch-analysierenden, nicht abbildenden Funktionsweise des Erkenntnisapparats keine
Darstellung derselben. Der Konstruktionsbegriff bei Kant bedeutet "ein (synthetisches)
Verfahren zur Realisierung von Urteilsformen im Raum und in der Zeit der Anschauung"5
Die Vereinigung (Synthesis) von Urteilsformen des Verstandes und Erscheinungen in der Anschauung leistet die Einbildungskraft. Sie ordnet jedoch den Urteilsformen bzw. Begriffen nicht bloß an sich bestehende Sachverhalte oder Objekte zu, die in der Anschauung erscheinen. Vielmehr sind die Sachverhalte und Objekte nach den formalen Regeln des Verstandes erst in der Anschauung zu konstruieren (z.B. bei den reinen Anschauungsformen der Mathematik) bzw. zu rekonstruieren (aus empirischem Datenmaterial z.B. bei Erfahrungsurteilen der Physik).6
Das 'Rekonstruieren' ist also im Kontext der Kantischen Konzeption ein Sonderfall des
'Konstruierens', wenn die Lektüre des eben angeführten Zitates vielleicht auch die
Vermutung nahelegt, daß potentiell die 'Rekonstruktion' sich zu einem selbständigen Begriff
emanzipieren könnte, da sie im Gegensatz zur 'Konstruktion' 'wirklichkeitsbezogen' erscheint.
Liest man jedoch weiter im genannten Text, so erfährt man, daß das innovative Moment von
Kants erkenntnistheoretischem Modell gerade darin bestand, auch für die Konstruktionen der
reinen mathematischen Anschauungsformen ein 'Realisationsverfahren in Zeit und Raum' zu
fordern. In Ablehnung von Leibniz' Auffassung, daß bereits formale Widerspruchsfreiheit bei
mathematischen Urteilen den Nachweis ihrer Existenz bedeutete, blieben für Kant
mathematische Sachverhalte, wenn sie sich nicht realisieren ließen wie z.B. die
nicht-euklidische Geometrie, "transzendentaler Schein"7, von deren Gebrauch abgeraten
wurde.
Angesichts der hohen Spezifikation und Komplexität des Kantischen Begriffs erfreute sich
ohne den generalisierenden Einsatz des Idealismus der (Re-)konstruktionsbegriff sicherlich
nicht seiner heutigen Gängigkeit. Als wichtige Etappe bei der 'Gemeinwerdung' des Begriffs
dürfte Fichtes ebenfalls außerordentlich anspruchsvolle Übertragung des
Konstruktionsterminus von der Mathematik auf die Philosophie betrachtet werden, bei der
'Konstruktion' operational als Handeln definiert wird und es nun die Begriffe selbst sind, die
konstruiert werden &173; selbstverständlich nicht willkürlich, sondern durch ein Subjekt, das
seine Allgemeinheit wie seine Grenzen in seiner wesenhaften Vernunft erfährt. Den großen
Beitrag zum Erfolg des (Re-)konstruktionsbegriffs lieferte jedoch der Idealismus mit seinem
Gebrauch des Terminus im Kontext von Hermeneutik und Historie. Zu einer eigentlichen
definitorischen Trennung von 'Konstruktion' und 'Rekonstruktion' kam es dabei nicht, weil
das bereits durch Fichte wiederaufgenommene Konzept der platonischen Anamnesis auch
weiterhin (z.B. bei Schleiermacher) von großer Bedeutung blieb: Einen Gedanken verstehen,
verlangt, ihn selbst zu produzieren. Durch die begriffliche Engführung von 'Konstruktion' und
'Rekonstruktion' ergibt sich notwendig, daß dort, wo explizit von hermeneutischer oder
historischer 'Rekonstruktion' als einem Nachvollziehen die Rede war, dies nicht im Sinne
eines passiven Aufnehmens oder Abbildens verstanden werden konnte. Im aktuellen
Gebrauch hat sich der Begriff der 'Rekonstruktion' gegen den der 'Konstruktion' durchgesetzt,
doch nicht wegen einer inhaltlichen Emanzipierung und Differenzierung, sondern
möglicherweise wegen seines größeren konnotativen Appeals: In der Vorsilbe schwingt das
trügerische Versprechen der Verisimilitude. Gunther Scholtz stellt, nachdem er darauf
hingewiesen hat, wie uneinheitlich der Begriff der 'Rekonstruktion' heute mit dem kleinsten
gemeinsamen Nenner der Herausarbeitung einer Struktur gebraucht wird, abschließend fest:
"Wegen seiner mathematisch-kühlen Aura bei gleichzeitiger Vieldeutigkeit erfreut sich der
Begriff wachsender Beliebtheit besonders in Buchtiteln."8
Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen könnte es als eine banale, aber plausible
Möglichkeit zur Regelung des Sprachgebrauchs erscheinen, als Wissenschaftler die
Bezeichnung 'Rekonstruktion' für die eigene Arbeit zu verwenden, wenn der
Forschungsgegenstand als 'Konstruktion' aufgefaßt wird. Doch ist selbst bei so einem
trivialen Lösungsvorschlag noch Vorsicht geboten: Wie kann die Metaebene beschrieben
werden, auf der sich rekonstruierend bewegt wird? Für die Kulturwissenschaften scheint kein
prinzipieller Unterschied zwischen der alltäglichen 'Konstruktion' von Gegenständen und
deren wissenschaftlicher '(Re-) Konstruktion' auszumachen zu sein, weil die Sprachlichkeit
der '(Re-) Konstruktionen' auf beiden Ebenen gegeben und unhintergehbar ist: Die Lösungen,
die die konstruktivistischen Theorien für diese Schwierigkeit anbieten, hängen davon ab, ob
sie für das traditionelle Modell der linearen Logik votieren oder ihren Einsatz gerade in der
Propagierung eines zirkulären Ansatzes, der nach den Gesetzen der erstgenannten klassischen
Logik verboten ist, sehen. Der Methodische Konstruktivismus verficht im Gegensatz zum
Radikalen Konstruktivismus und zum Konstruktiven Realismus die traditionelle Linearität.
Der Methodische Konstruktivismus
Im Gegensatz zu den anderen hier zu behandelnden konstruktivistischen Theorien ist der Methodische Konstruktivismus bereits arriviert und in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen, wenn man darunter den Eintrag in die (philosophischen) Lexika verstehen will. Der Methodische Konstruktivismus, dessen Gründungsväter Paul Lorenzen und Wilhelm Kamlah gewesen sind und der in der zweiten Generation nun auf besonders prominente Weise von Peter Janich fortgeführt wird9, verfolgt normative Ansprüche, ein Ziel, das mit der fundamentalen Kritik an traditionellen Wissenschaftstheorien verbunden ist. Den Autoren dieser Theorien wird vorgeworfen, daß sie zum einen das Problem allen Philosophierens ungelöst auf die Metaebene ihrer Reflexion transponiert haben, indem ihre Theorien auf begründungsbedürftigen Prämissen beruhen, und zum anderen, daß sie die Resultate (natur-)wissenschaftlicher Arbeiten als gegebene Voraussetzung ihrer weitergehenden Analysen fraglos akzeptieren, ohne zu prüfen, ob diese auch haltbar sind. Diese Schwachpunkte meint der Methodische Konstruktivismus durch seine Methode der Rekonstruktion wissenschaftlichen Handelns als zweckrational zu meistern. Setzt nach einer Unterscheidung Friedrich Kambartels Wissenschaftstheorie gewöhnlich 'von oben', und zwar bei den neuesten Forschungsresultaten, an, so gibt der Methodische Konstruktivismus, dem 'Ansatz von unten' den Vorzug.10 Das besagt, daß die wissenschaftstheoretischen Rekonstruktionen von den vor- und außerwissenschaftlichen Verhältnissen der Lebenswelt ausgehen und von dieser Grundlage aus die wissenschaftliche Entwicklung bis zum heutigen Stand nachvollziehen. Eine zentrale Vorstellung, mit der der Methodische Konstruktivismus operiert, ist dabei, Wissenschaft nur als 'Hochstilisierung' einer vorwissenschaftlichen Lebenspraxis aufzufassen und somit das Primat des Lebensweltlichen zu betonen.
Wissen: Aus Bedürftigkeit handelnd erzeugt
Der Begriff der 'Lebenswelt' gibt das Stichwort zur Einordung des Ansatzes: Der Methodische Konstruktivismus greift phänomenologische Optionen auf. Als unhintergehbarer, aber wohl begründeter Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen wird angenommen, daß jeder Mensch bestimmte grundlegende Erfahrungen macht, die er mit anderen teilt. Dieser Ansatz begünstigt eine optimistische Einschätzung der Lösbarkeit menschlicher Probleme: Im Austausch mit dem Neophänomenologen Hermann Schmitz weist Janich11 auf die Übereinstimmung hin, die zwischen ihnen in Hinblick auf den Glauben an das Unbestreitbare einer Reihe von alltäglichen Befunden und die daraus resultierende Klärbarkeit von Schwierigkeiten besteht. Der phänomenologische Ansatz versetzt aber nicht nur allgemein in 'konstruktive' Problemlösungsstimmung, er liefert dem Methodischen Konstruktivismus vor allem das Motiv für jede menschliche Handlung und damit den Ausgangspunkt für alle wissenschaftliche (Re-)konstruktion: die Bedürftigkeit. Die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Hochstilisierung vorwissenschaftlicher Praxis ergibt sich aus der Art, wie Menschen im Namen ihrer Bedürftigkeit Erfahrungen machen: Die Formulierung 'Erfahrungen machen' ist aus konstruktivistischer Perspektive in diesem Kontext falsch verstanden, wenn sie als passives Erleiden aufgefaßt wird &173; Erfahrungen widerfahren einem nicht unprovoziert, sie werden aktiv gemacht, wenn zu Wissen gelangt werden soll. Und Wissen aus seiner Erfahrung erlangt man nur, wenn man zielstrebig unter Aufwendung von Zweckrationalität handelt. Dies sind die Prämissen, auf deren Grundlage der Methodische Konstruktivismus Wissen(-schaft) als Konstruktion im Sinne von einem handelnd Erzeugten definiert. Mit dem Konzept der Bedürftigkeit hat der Methodische Konstruktivismus aus seiner Sicht nicht nur die Anfangsgründe aller wissenschaftlichen Rationalität geklärt, sondern auch die (scheinbaren) Grenzen der Wissenschaft ausgelotet. Die vom Anspruch einer Verisimilitude zwischen Erkanntem und Objekt des Erkennens aus beklagenswerte (theoretische) Voreingenommenheit des somit unobjektiven Wissenschaftlers ist weder Grund zu Ärger, noch zur Resignation, sondern auf grundsätzlichere Weise conditio qua non aller Wissenschaft: Es ist eine widersinnige Erwartung, Wissenschaft von einem archimedischen Standpunkt aus betreiben zu wollen, da sie sich überhaupt erst aus der Lebenspraxis generiert und ihr Ziel Bewirkungswissen und überhaupt keine Abbildungsleistungen sind. Und was die Wahl von wissenschaftlichen Forschungsgegenständen, Theorien und Methoden betrifft, so gibt es aus der Sicht des Methodischen Konstruktivismus keine anderen Grenzen als die, die sich aus dem gesunden Menschenverstand und aus dem Prinzip aller Wissenschaft, der Rationalität, selbst ergeben: Nur aufklärbare Unvernunft im Denken und Handeln trägt die Schuld, wenn eine Wissenschaft von der objektiven Feststellbarkeit des Unerkennbaren zu reden beginnt &173; nicht Gegenstände, sondern Fragen und Beantwortungsstrategien entscheiden über Erkennbares und Unerkennbares.12
Naturwissenschaften als Kulturleistungen
Das Konzept von den Wissenschaften als Konstruktionen im Sinne von handelnd Erzeugtem mit lebensweltlichem Apriori führt zu Neubewertungen der einzelnen Wissenschaften. Naturwissenschaften werden als Kulturleistung redefiniert, was mit einer Kritik der aristotelischen Unterscheidung zwischen dem Begriff der 'Technik' und dem der 'Natur' einhergeht. Stark vereinfacht ausgedrückt wird in der aristotelischen Tradition 'Natur' als das unwandelbar Vorgegebene, dessen festgeschriebene Gesetze nunmehr erschlossen werden können und müssen, und 'Technik' als das artifizielle, erst von menschlicher Tätigkeit Hervorgebrachte, betrachtet. Dem Methodischen Konstruktivismus ist daran gelegen, mit Nachdruck festzuhalten, daß diese begriffliche Trennung unhaltbar ist: Erkannte Natur ist ein technisch erzeugtes oder technisch simuliertes Phänomen, d.h. um Natur zu erkennen, bildet der Mensch sie nicht ab, sondern greift notwendigerweise in sie ein.13 Die (vor-)wissenschaftliche Praxis des zweckrationalen Handelns zum Erlangen von Bewirkungswissen betrifft alle naturwissenschaftlichen Bereiche, doch unterscheiden sich im Einzelfall die speziellen lebensweltlichen Aprioris, die hinzutreten. Während für die Physik das Apriori des poietischen Handelns gilt (vor dem Messen kommt das Herstellen der Geräte &173; Maße sind keine Naturgegebenheiten, sondern begriffliche Leistungen), handelt es sich für das Gebiet der Biologie um ein anderes: Es sind die wertbesetzten Erfahrungsinhalte, die der Wissenschaftler durch etwas, was Janich explizit mit dem, wie er selbst meint, theologischen Begriff 'Sitz im Leben' bezeichnet,14 mit anderen Menschen teilt. Zum wissenschaftlichen Rüstzeug des Biologen gehören nach Janich Lebenserfahrung und allgemein menschliche Bildung, so daß das alltägliche Vorverständnis von Leben konstitutiv für die Anfangsgründe der wissenschaftlichen Beschäftigung wird. Das klassische Adäquatheitstheorem findet somit in diesem Kontext eine Neudefinition: Nicht mehr die Übereinstimmung, die das wissenschaftliche Erkennen mit dem Forschungsgegenstand nach traditioneller Vorstellung erreichen muß, wird anvisiert, sondern die Konformität mit der menschlichen Bedürftigkeit. Die Bedürftigkeit ist es auch, die wiederum zur einer Bestimmung der kulturwissenschaftlichen Aufgaben beiträgt.
Das Problem der 'existenztragenden Wahrheit'
Grundlegend für die Einstellung gegenüber den Kulturwissenschaften ist eine Überlegung, die Kamlah und Lorenzen über das Konzept der sogenannten 'existenztragenden Wahrheit' angestellt haben und die auf einer Reflexion der paradoxen Situation beruht, in die uns unser modernes wissenschaftliches Mehrwissen im Vergleich zu kenntnisärmeren früheren Zeiten gebracht hat. In Feststellung der besonderen Leistungsfähigkeit alten Mythen für die Beantwortung existentieller Fragen konstatieren sie weiter:
Das Wissen früherer Jahrhunderte war [...] dürftig, aber für den Menschen tragfähig. Das moderne Wissen ist äußerst reichhaltig, aber für den Menschen zu dürftig. Inmitten des allgemein anerkannten wissenschaftlichen Wissens gibt es kein ebenso allgemein anerkanntes existenztragendes Wissen mehr. Dabei ist unter 'existenztragendem' Wissen ein solches zu verstehen, das zugleich &173; wie die antike Ethik und die Bibel &173; Antworten gibt auf die Frage, wie wir leben können und wir wie leben sollen (nicht etwa nur auf die Frage nach dem Sollen, die von der philosophischen Ethik seit Kant isoliert wurde).15
Diese Analyse über die Dürftigkeit des wissenschaftlichen Wissens veranlaßt sie jedoch nicht zu dessen Diskreditierung. Nachdrücklich weisen sie Karl Jaspers Lösungsstrategie von sich, eine Unterscheidung zwischen nur 'richtigem' und verallgemeinerbarem wissenschaftlichen Wissen und einer rational nicht zu begründenden existentiellen Wahrheit, die des Glaubens und der Illuminiertheit statt des Aufgeklärtseins bedarf, einzuführen. Ihre Forderung nach einer praktischen Philosophie, die die Fragen nach dem Können und Sollen des menschlichen Lebens zu beantworten hätte, ist verbunden mit der Konstatierung, daß auch diese Philosophie für ihre Operationen nichts anderes als das Prinzip der Richtigkeit von Sätzen und keinesfalls das Kriterium einer höheren Wahrheit benötigte. Auch für die praktische Philosophie bleibt es bei der wissenschaftlichen Aussagenwahrheit, deren Kriterium die intersubjektive Nachprüfbarkeit ist.
Kulturwissenschaften als praktische Philosophie
Unter der Bezeichnung 'praktische Philosophie' rangieren im Methodischen Konstruktivismus
die Kulturwissenschaften. Lorenzen denkt an Ethik, Ökonomie und politische
Wissenschaften, die einer utopischen politischen Aufgabe zu dienen haben: Die notwendig
pluralistischen oberen Zwecke der Bürger sollen im friedlichen Miteinander und nicht nur im
üblichen, oberflächlich befriedeten kriegerischen Nebeneinander gelebt werden können.
Dabei beginnt der Methodische Konstruktivismus im Ansatz dieses Programms wieder mit
der bekannten Bescheidenheit, wenn er das gemeinschaftliche Zusammenleben aus dem
angeblich nicht mehr begründungsbedürftigen Apriori der Bedürftigkeit erklärt. In
Gemeinschaften leben Menschen, weil sie anders viele ihrer Bedürfnisse nicht befriedigen
können. Diese Bedürfnisse der einzelnen begründen aber nicht nur die Notwendigkeit des
Zusammenlebens, sondern gleichzeitig die Schwierigkeiten dieser Existenzform. Dort, wo
die oberen Zwecke der einzelnen sich nicht nur heterogen, sondern antagonistisch zu denen
von anderen verhalten, wird die Herstellung eines Konsenses (im Sinne von Normierungen
und Gesetzgebungen) notwendig, und in der Vorbereitung seines Möglichwerdens ist das
damit durch politische Relevanz begründete Aufgabengebiet der Kulturwissenschaften
angelegt.
Die Methodik der Kulturwissenschaft ist durch die politische Praxis des Verzichtes auf
instrumentelle und autoritative Strategien vorgezeichnet. Es bleibt nur der Appell an die
Vernünftigkeit des Menschen, weil die autoritäre transzendentale Vernunft als 'höhere
Wahrheit' unhaltbar ist und mit Menschen nicht instrumentell umgegangen werden darf:
Jeder Versuch, die Exaktheit der technischen Wissenschaften hier nachzuahmen, verrät vielmehr mangelnde Einsicht in die Aufgabe, freien Konsens zu erreichen. Wer meint, dem Bürger andemonstrieren zu können, was er wollen solle (wo er sich in der Vielfalt der Lebensformen seinen Platz suchen solle), der bemüht sich nicht um freien Konsens, sondern der will Konsens erzwingen &173; so wie man technische Effekte erzwingen kann.16
Den historischen und sozio-politischen Wissenschaften wird in diesem Kontext deswegen
gerade eine 'inexakte' Methodik, die Hermeneutik, angedient. Um politisch Konsens erzielen
zu können, muß Zugang zum Denken und Begehren der einzelnen Bürger gefunden werden.
Dazu ist eine Methode des deutenden Verstehens nötig, wie sie auch bei
kulturgeschichtlichen Lektüren angewandt wird, die betrieben werden, um aus den in der
Vergangenheit gemachten Erfahrungen Rückschlüsse auf aktuelle Probleme vernünftigen
Handelns zu ziehen.
Während der hermeneutische Ansatz in Hinblick auf die Forderung, in Dialog mit dem Text
zu treten und 'alte' Texte aus der Perspektive aktueller Probleme zu lesen, durchaus mit
klassischen hermeneutischen Positionen übereinstimmt, ist der Anspruch einer Übersetzung
in 'Orthosprache' ein neues konstruktivistisches Anliegen. Obwohl ein hermeneutischer
Ansatz eigentlich die hier auch emphatisch betonte Wertschätzung des subjektiven Meinens
und Verstehens impliziert, kann Lorenzen nicht umhin, im Namen des nottuenden Konsenses
eine Eliminierung eben dieses Subjektiven zu verlangen. Die Übersetzung in Orthosprache,
einer nach allen Regeln der logischen Kunst rekonstruierten Bildungs- und Volkssprache,
macht sprachliche Äußerungen, die dieser Methode zum kritischen Verständnis der in ihnen
behandelten Probleme unterworfen werden, zu 'vernünftigen' Texten17: 'Alte' oder literarische
Texte lassen sich wegen mythischer Anteile möglicherweise nur partiell auf diese Weise
übertragen, doch für den alltäglichen Sprachgebrauch ist der erzieherische Nutzen im Namen
einer als wünschenswert erachteten Vereindeutlichung uneingeschränkt groß, wie das
Beispiel der Sozialwissenschaften zeigt: "[...] mit dem hermeneutischen Bemühen, die
Mehrdeutigkeiten im Reden der Bürger zu enträtseln, kann sich immer die pädagogische
Aufgabe verbinden, die Bürger in ihrem Sprachgebrauch aufzuklären."18
Nicht nur im Kontext der Hermeneutik vertritt der Methodische Konstruktivismus
pädagogische Interessen: Da die durch die menschliche Bedürftigkeit diktierte
Notwendigkeit der Konsensherstellung vernünftiges Handeln voraussetzt, muß in diesem
Sinne eine Handlungskompetenz erworben werden. Lorenzen tritt für das antike Verständnis
der Tugendlehre als Tüchtigkeit ein.
Sprache als Konstruktion
Die Ausführungen zur Orthosprache haben möglicherweise den Eindruck erweckt, daß die
Welt der Bildungs- oder Alltagssprache einen 'konstruktionsfreien' lebensweltlichen Bereich
markiert. Dem ist nicht so: Sprache erfüllt bereits in der lebensweltlichen Praxis die
Funktion, die Gegenstände des Erkennens überhaupt zu konstituieren und übernimmt damit
eine vergleichbare Rolle wie das poietische Handeln: "Gegenstände des Erkennnens in
Wissenschaft und Lebenswelt sind 'Konstruktionen' insofern, als erst ein menschlicher
Umgang mit ihnen in Handlungen und Rede sie zu Gegenständen der Erkenntnis macht."19 Ist
eine Definition von Sprache, die diese nicht als direktes Zugriffsmittel auf die in der
Lebenswelt immer schon gegebenen Dinge konzipiert, nicht angesichts des
phänomenologisch propagierten Zutrauens in die Lebenswelt eine unerträgliche
Relativierung im postmodernen Stil? Durchaus nicht: Durch die Konzipierung von Sprache
als Konstruktionsmittel wird es überhaupt erst möglich, einem Relativismus
entgegenzuwirken, der durch den Verzicht auf eine wesenhafte Bestimmung des Menschen
denkbar wird.
Poietisches Handeln kommt ohne Sprache aus &173; der Methodische Konstruktivismus weist
gern daraufhin, daß seine Rekonstruktion der Physik als ein in der Praxis sprachfreies Vor-
und Nachmachen es ermöglicht, die Verkehrungen in der methodischen Ordnung, die
Lehrbücher und Theorien durchziehen, nachzuweisen und aufzuheben.20 Wird jedoch allein
von der Bedürftigkeit des Konstrukteurs und der Methode des poietischen Handeln
ausgegangen, so ist gar nicht einzusehen, warum der Handelnde nicht egoistisch, aber
methodisch einwandfrei seine Bedürfnisse über einen Mißbrauch des Nächsten und dazu
ersonnener Mittel befriedigen sollte. Die für die Rekonstruktion des Bereichs der politischen
Ethik vorausgesetzte Bereitschaft des einzelnen, um des Konsenses willen auf die
Befriedigung persönlicher Bedürfnisse zu verzichten, wäre aufgrund dieser Prämisse kaum
anzunehmen. Wird der Katalog der Fähigkeiten, die den Menschen als solchen unter
kategorischem Verzicht der Anführung höherer Wahrheiten definieren, jedoch neben der
Kompetenz des zielgerichteten Handelns noch um dessen Sprachlichkeit erweitert, so wird es
leichter möglich auszuschließen, daß es sich beim menschlichen Koexistieren nur um
egoistische Zweckgemeinschaften und nicht um Gemeinschaften im emphatischen Sinne
handele. Wer spricht, lebt immer schon in einer menschlichen Gemeinschaft, die sich durch
ihre Sprache eine Lebenswelt konstruiert hat. Als konstitutiv für den Menschen als soziales
Wesen gilt nicht, was er von Natur aus sein mag oder nicht oder was sich metaphysisch über
ihn vermuten läßt, sondern wie er sich und seine Lebenswelt in der Sprache konstruiert
vorfindet und weiterkonstruiert. Und das ist ein Glück, denn so kann der Methodische
Konstruktivismus sich an seinen impliziten Leser, den vernünftigen Menschen, überhaupt nur
sinnvoll richten, weil auch der 'tatsächliche' Leserkreis 'Vernünftigkeit' als ein Kriterium des
Menschseins betrachtet.21
Anders als für den naturwissenschaftlichen Bereich funktioniert die 'lineare' rationale
(Re-)konstruktion für den kulturwissenschaftlichen Bereich nur mit Vorbehalt. Wenn wie im
Methodischen Konstruktivismus die zu lösende kulturelle Aufgabe als wahrhaft friedliches
Miteinander definiert wird, so erscheint diese Setzung durch die Ausschaltung der
Legitimationsinstanzen in der Gestalt aller höheren Wahrheiten inklusive der
transzendentalen Vernunft nur dann plausibel, wenn die Selbstbeschreibungen des
Adressatenkreises darin ebenfalls einen oberen Zweck sehen: Bei der Definition von
Bedürfnissen, die über das Kreatürliche hinausgehen, kann hinter die Konstruktionen der
Sprachgemeinschaft, an die sich gerichtet wird, nicht zurückgegangen werden. Das erklärt
auf der anderen Seite aber auch, warum der Methodische Konstruktivismus das Desiderat
'Vernünftigkeit' und das Bedürfnis des echten Konsenses (noch) selbstverständlich
voraussetzen kann.
Der Konstruktive Realismus
Der Konstruktive Realismus ist vor allem Fritz Wallners Werk. Auch seine wissenschaftstheoretischen Reflexionen sind nicht relativistisch angekränkelt. Ganz im Gegenteil sogar: Fritz Wallner tritt an, das Abendland zu retten. Sein Ansatzpunkt ist die ideelle Wertigkeit des klassischen wissenschaftlichen Selbstverständnisses, das es zu bewahren gilt. Es ist bedroht durch die aktuelle Legitimierungstendenz, Wissenschaften durch ihren praktischen Nutzen zu rechtfertigen.
Verhält man sich so, so treibt man notwendigerweise die Wissenschaft in ihre instrumentalistische Deutung, nämlich dahin, zu meinen, daß man Wissenschaft nur betreibt, um bestimmte Probleme zu lösen, die im weiteren Sinn der Erhaltung des Lebens oder der Gesellschaft, dem Lebensstandard usw. dienen. Würde man Wissenschaft so auffassen, wie es ja in der Praxis sehr oft geschieht, so hat man den Anspruch[,] (sic!) sich im Wissen über die Natur zu erheben, Allgemeingültigkeit, und in gewissem Sinn auch Notwendigkeit etc. zu verlangt (sic!), aufgegeben, und damit eine Perspektive abendländischen Geisteslebens verlassen, ja verspielt worden (sic!).22
Für Wallner hat der "Anspruch der abendländischen Tradition, durch Einsicht in die Welt sein Leben autonom [...] gestalten zu können"23, größte Bedeutung, weil mit der Aufgabe dieses Konzepts nicht nur die Wissenschaften, sondern das verbindliche Menschenbild ins Wanken gerät:
Ich wage die These zu vertreten, daß mit dem Ruinieren des Konzepts der Wissenschaft auch der Gedanke des freien Menschen zerstört wird, weil das ein Schritt in eine automatisierte Welt ist, wie man es sich nicht wünschen kann, wie es teilweise aber schon der Fall ist.24
Wenn das abendländische Selbstverständnis in Gefahr ist, liegt die Schuld aber nicht allein bei einer instrumentalistischen Fehldefinition von Wissenschaft, für die Wallner u.a. auch den Methodischen Konstruktivismus verantwortlich macht, sondern an einem grundlegenden Problem. Wallner geht davon aus, daß ein Theorem des antiken Wissenschaftskonzepts, das es als solches wenigstens partiell zu bewahren gilt, unrettbar obsolet geworden ist: Die Einsehbarkeit der Welt im Sinne einer adäquaten Naturerkenntnis ist als eine metaphysische Prämisse unhaltbar. Wieder klingen phänomenologische Töne an, wenn Wallner konstatiert, daß wir offensichtlich in der Welt leben, und wieder kommt es zu konstruktivistischen Einschränkung dieser Aussage, wenn Wallner feststellt, daß diese Wirklichkeit uns jedoch erkenntnistheoretisch nicht zugänglich ist: Unsere kognitiven Bemühungen gipfeln in der Konstruktion von etwas, das unsere Realität ist und das wir nicht mit der Wirklichkeit gleichsetzen dürfen, weil der Nachweis der Übereinstimmung nicht zu erbringen ist. Aus dem Versagen der klassischen Erkenntnistheorie läßt sich seiner Meinung nach auch das notwendige Scheitern wissenschaftstheoretischer Legitimierungsversuche ableiten. Es ist für die Philosophie einfach unmöglich, die Metaebene einzunehmen, von der aus sie das Verhältnis von Erkanntem und zu Erkennendem propädeutisch als Maßstab für die Wissenschaften festlegen könnte.
Für Metaphysik
Er [der Konstruktive Realismus, AB] versucht weder eine Fortsetzung der metaphysischen Denkweisen in wissenschaftlicher Manier, noch desavouiert er die Ansprüche der abendländischen Metaphysik. Vielmehr werden metaphysische Konstrukte hier so verstanden, daß sie prinzipiell und von vornherein jenseits der Wissenschaft liegen. Sie stellen in diesem Kontext Ansprüche dar, die sich zwar auch auf die Wissenschaft beziehen, von dieser aber niemals eingelöst oder aufgelöst werden können. Trotz dieser Distanz zur Wissenschaft werden metaphysische Sätze nicht in den Bereich der Fiktionen verbannt. Obwohl sie außerhalb der wissenschaftlichen Erkenntnis angesiedelt werden (oder vielleicht gerade deshalb), haben sie für diese eine wesentliche Funktion. Sie formulieren strukturelle Anforderungen, die aus dem abendländischen Konzept der Einsicht resultieren, und zeigen insofern die Defizienz der Wissenschaft, auch solcher, die sich auf das Konstruieren funktionierender Zusammenhänge beschränkt.25
Wallner gedenkt diese metaphysische Gratwanderung dadurch zu bewältigen, daß er zum einen die Zirkelhaftigkeit wissenschaftlicher Selbstbegründung als unhintergehbar hinnimmt (denn die zweckrationale Rekonstruktion des Methodisches Konstruktivismus lehnt er ja ab), diese Befangenheit der Wissenschaftler aber dadurch zu durchbrechen sucht, indem er ihnen ein Verfremdungsverfahren andient. Zirkelhaft verfahren Wissenschaftler nach Wallner notgedrungen deswegen, weil sie ihre Methoden als geschichtlich entstandene vorfinden, ohne sie anders als durch ihre Vorgegebenheit legitimieren zu können, und weil Forschungsgegenstände, auf die man sich für die eigenen Vorhaben objektivierend berufen könnte, erst bei der Forschung selbst entstehen. Wie kann man Wissenschaftlern zur Reflexion ihres Tuns und damit zur gewissen Überwindung dessen Beschränktseins verhelfen?
Verfremdung und Interdisziplinarität26
Fächerübergreifende Kontakte stellen eine Realisierungsmöglichkeit dessen dar, was Wallner
als Verfremdung vorschwebt: Dadurch, daß Wissenschaftler in Kommunikationssituationen
mit Kollegen anderer Fächer treten, sind sie gezwungen, im Austausch mit diesen die ihnen
selbstverständlichen Ansätze und Verfahrensweisen in einem fremden Kontext vorzustellen,
was die Grenzen der eigenen Methodik und Theorie deutlich werden läßt und zu so etwas
wie einer Reaktion in sokratischer Tradition führen soll: Sie wissen dann, was sie
wissenschaftlich nicht wissen. Das klingt wie ein Vorschlag zur Interdisziplinarität und ist es
auf gewisse Weise auch. Herkömmliche Versuche zur Interdisziplinarität allerdings werden
von Wallner einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen. So kommt nach Wallner das
kritische Gespräch zwischen Vertretern unterschiedlicher Fächer meistens deswegen nicht in
ein selbstreflexives Stadium, weil Zweifel eines Außenstehenden an der Nachvollziehbarkeit
des eigenen Forschens als frecher Dilettantismus-Vorwurf aufgefaßt werden. Und was sich
im größeren Stil als Interdisziplinarität ausgibt, erfüllt Wallners Anspruch, die
metaphysischen Dimensionen von Wissenschaft und ihre gleichzeitige Unerfüllbarkeit
erfahrbar zu machen, schon gar nicht: Natürlich ist es richtig und wünschenswert, daß ein
universaler Erkenntnisanspruch, die Einzelwissenschaften mögen durch Kooperation zu
allumfassenden Wissen vorstoßen, wegen der Unhaltbarkeit des Adäquatheitstheorems nicht
angestrebt wird. Aber die Instrumentalisierung von 'Hilfswissenschaften' durch eine
Führungswissenschaft, die diesen einfach ihre Perspektiven oktroyiert, oder die 'verstehende'
Interdisziplinarität, bei der Sozialwissenschaftler das wissenschaftliche Treiben anderer von
so einer allgemeinen Ebene aus betrachten, daß die Erforschten praktisch nicht davon
profitieren können, sind interdisziplinäre Realitäten, die Wallners Intentionen zuwiderlaufen.
Abhilfe scheint Wallner dadurch möglich zu sein, daß Geisteswissenschaftler die
Gesprächsleitung übernehmen: Diese Personen verfügen seiner Meinung nach nämlich
bereits über genügend Erfahrung mit der empfohlenen Verfremdungstechnik, weil sie als
Hermeneutiker die Methode in gewisser Weise schon immer angewandt haben, insofern sie
Verstehen als das Übersetzen von Texten in andere Kontexte praktizieren. Als Philosoph, der
Wissenschaftstheorie zu einem Kooperationsangebot dekonstruiert, darf Wallner sich
natürlich als besonders berufen betrachten, zum Gespräch unter geisteswissenschaftlicher
Anleitung einzuladen und Wissenschaftler dazu zu bewegen, sich die Grenzen und
Widersprüche ihrer Satzsysteme durch deren Anwendung auf sachfremde wissenschaftliche
Bereiche bewußt werden zu lassen.
Noch scheint Wallners Angebot aber nicht auf sehr fruchtbare Weise wahrgenommen
worden zu sein: So denkt z.B. in expliziter Bezugnahme auf Wallner ein Pädagoge27 über die
Mängel des Schulsystems nach, indem er es als wirtschaftlichen Betrieb beschreibt, um auf
dessen Ineffizienz hinzuweisen, und der Naturwissenschaftler Herbert Pietschmann28 erzählt
davon, wie viel ihm Brechts Galileibedeute, was immerhin soviel mit der von Wallner
anvisierten Verfremdung zu tun hat, als der Autor des Stückes wenigstens selbst die
Verfremdungstechnik für sein episches Theater gebrauchte. Hier zeigt sich das Problem des
Konstruktiven Realismus: Wie der Methodische Konstruktivismus will er mit seinen
wissenschaftstheoretischen Überlegungen nicht auf den fertig vorliegenden
wissenschaftlichen Resultaten aufbauen, sondern deren kritische Prüfung bewerkstelligen.
Während der Methodische Konstruktivismus jedoch bei seiner wissenschaftlichen
Rekonstruktionsaufgabe unabhängig vorgehen kann, ist Wallner für die Realisierung seines
Verfahrens ganz von der Mitwirkung anderer Wissenschaftler abhängig. Diese reagieren eher
noch zurückhaltend,29 obwohl Wallner sich nichts weniger vorgenommen hat, als ihre
menschliche Identität hervorzuheben und zu bewahren: Wallner verspricht sich, daß bei
einem wissenschaftlichen Konstrukteur, der die eigenen theoretischen und methodischen
Arbeitsvoraussetzungen verfremdend prüft, der ganze Mensch mit seinen metaphysischen
Annahmen und Ansprüchen zum Vorschein komme &173; Wallner wertet den Konstruktiven
Realismus denn auch als Beitrag zur kritischen Anthropologie.
Sprachspiele30
Abendländischer Zentrismus?
Der Radikale Konstruktivismus
Obwohl der Radikale Konstruktivismus33 weder der einzige, noch der erste ist, der das Adäquatheitstheorem angreift, ist es ihm gelungen, damit eine leidenschaftliche Diskussion in Gang zu setzen, und zwar durch eine gezielte Provokation nicht nur der intellektuellen Art. Eine Theorie, die mit der Flut ihrer Veröffentlichungen die Regale der wissenschaftlichen Buchhandlungen überspült und sich durch diese Form physischer Präsenz eine gewisse Aufmerksamkeit sichert, erregt durch ihre aggressive publizistische Politik verständlicherweise Skepsis. Der Verdacht beginnt sich zu regen, daß Masse schaffen muß, was mangelnde (intellektuelle) Klasse nicht bewirken kann. Dementsprechend vernichtend fällt auch die Kritik aus.
Die Einwände des Methodischen Konstruktivisten Peter Janich gegen den Radikalen Konstruktivismus sind dabei durchaus repräsentativ34: Der Radikale Konstruktivismus sei ein "radikaler Physikalismus und Biologismus", der ebenso naiv-naturwissenschaftsgläubig wie reduktionistisch aus unkritisch aufgegriffenen naturwissenschaftlichen Theorien und Forschungsresultaten eine biologistische Erkenntnistheorie konstruiere. Wenn der Radikale Konstruktivismus sich auf naturwissenschaftliche Beweisführungen beziehe, die die Grenzen des Erkenntnisvermögens nachgewiesen hätten, sei er schon in die Falle gegangen. Es hätte ihm auffallen müssen, daß es sich bei diesen Behauptungen nicht um haltbare wissenschaftliche Aussagen, sondern um eine unzuverlässige Vermischung von Erkenntnisbedingungen und Erkenntnisinhalten handele, die aus dem Versuch resultiere, "mit naturwissenschaftlichen Mitteln die Grenzen der mit naturwissenschaftlichen Mitteln gewonnenen Erkenntnis zu erkennen"35. In offenkundiger Anspielung36 auf den Neurobiologen Humberto R. Maturana, einen der hauptverantwortlichen Urheber des Radikalen Konstruktivismus, mokiert sich Janich über den logischen Fehltritt, der aus der reformeifrigen Mésalliance zwischen Erkenntnistheorie und Biologie auch dann noch folge, wenn der oben genannte Kategorienfehler vermieden werden kann:
Der Biologe setzt eine Erkenntnistheorie voraus, bevor er eine formulieren kann. Nun könnte jemand gewitzt auf den Einfall kommen, dieses Dilemma sei geheilt, wenn die Biologie der Erkenntnis eben jene Erkenntnistheorie liefere, die er zugleich voraussetzt. Dies ist aber ein logischer Zirkel und im logischen Zirkel läßt sich jeder Unsinn begründen &173; oder äquivalent: nichts begründen.37
Hans Jürgen Wendel38 macht vor, daß man dem Radikalen Konstruktivismus bei dessen
Versuch, für die Grenzen der Erkenntnis auch biologisch zu argumentieren, leicht noch
größere Dummheit unterstellen kann: Um behaupten zu können, in der Wahrnehmung fände
keine Reproduktion, sondern eine Konstruktion der Wirklichkeit statt, müsse der Radikale
Konstruktivismus nolens volens die neurophysiologischen und kybernetischen Theorien, auf
denen seine zentrale Annahme basiere, einen realistischen Status einräumen, und führe sich
somit selbst ad absurdum.
Gewitzt oder dumm &173; aber auf jeden Fall absurd und unhaltbar. Hätten die Kritiker des
Radikalen Konstruktivismus recht, er müßte noch ignoranter sein, als sie ihm nachzuweisen
suchen, denn statt seine Unvertretbarkeit einzusehen und sich schamhaft dem Vergessen
anzuempfehlen, läßt er seine Opponenten generös in den eigenen Foren zu Wort kommen
und arbeitet ungeniert weiter am Paradigmatawechsel. Es gilt also, die Vorwürfe zu prüfen.
Ein radikaler Biologismus?
Die Bezeichnung 'Radikaler Konstruktivismus' ergab sich aus einem Streit, in den einer der Hauptbegründer dieser Richtung, Ernst von Glasersfeld, mit anderen Piaget-Exegeten geriet.39 Glasersfelds Meinung nach hatten seine Opponenten durch ein zu physiologisch geprägtes Verständnis eine falsche Auffassung von Piagets Wahrnehmungkonzept40 &173; sie schätzten als eine passive Aufnahme von Informationen aus der Außenwelt ein, was eine aktive Konstruktionsleistung darstelle. Sicherlich bemühte sich Piaget um eine biologische Erklärung des Wissens, was ihm von philosophischer Seite die Kritik des genetischen Fehlschlusses einbrachte, doch der Erklärungsansatz, den er wählte, um Wissen als Adaptionsleistung des Menschen zu erklären, steht nach Glasersfelds Überzeugung der philosophischen Tradition näher als einem kruden Physiologismus. Obwohl Piaget durch die Entscheidung, Erkennen als Kognition zu beschreiben, das altehrwürdige philosophische Konzept einer denkenden Substanz oder universellen Vernunft verabschiedete, blieb es nach Glasersfelds Auffassung bei Piaget doch ein aktives Vermögen, das den Menschen als Menschen definiert: Im Anschluß an Kant gehe Piaget davon aus, daß Wissen durch die Art der Wahrnehmung und des Denkens bestimmt sei, was zu einer Umkehrung des üblicherweise angenommenen biologischen Adaptionsverhältnisses führe. Wahrnehmung setzt die Beteiligung von Handlungsschemata voraus. Um sich seiner Umwelt anzupassen, muß der Mensch sie mental re-präsentieren, d.h.:
In der Sinneswahrnehmung wird das Wahrgenommene so modifiziert, daß es in die Begriffsstrukturen des Organismus paßt, während es doch im biologischen Bereich der Organismus ist, der seine Strukturen so zu verändern hat, daß sie mit den Bedingungen, die er als Umwelt erfährt, nicht in Konflikt kommen.41
Für Glasersfeld stellt diese konstruktivistische Korrektur der physiologischen Positionen anderer Piaget-Exegeten mehr als das Resultat einer divergierenden Lektüre dar: Es ist eine erkenntnistheoretische Grundsatzentscheidung.
Die wichtigste Quelle und der Beweis für unsere Ignoranz liegt in den Sinnesorganen. Alles, was wir wissen, ist fraglos gewußt durch die Fähigkeit des Wissenden; denn da das Urteil abgeleitet wird von der Tätigkeit des Geistes [de l'opération] dessen, der urteilt, ist es richtig, daß er diese Tätigkeit entsprechend seiner Fähigkeiten vollenden muß und kann, nicht gebunden an äußerliche Bedingungen, was nur dann der Fall wäre, wenn wir die Dinge erkennen würden gemäß ihrer Kraft und gemäß dem Gesetz ihres Wesen.42
Mit diesem Montaigne-Zitat gibt Glasersfeld seine erkenntnistheoretische Grundhaltung an:
Es ist die des Skeptizismus, den er auch durch die aufklärerischen Pyrrhonisten vertreten
sieht. Nicht Pessimismus, sondern Selbstbescheidung liegt der Einnahme dieser Position
zugrunde: Der Beobachter erfährt 'Welt', aber das bedeutet nicht, daß er weiß, wie sie vor und
unabhängig von dieser Erfahrung ist. Intuitiv mag er (und wir) gern annehmen, daß
menschliche Erfahrungen die ontischen Weltstrukturen wiedergeben, aber rational
demonstrieren läßt sich dies nicht. Gegenstand unserer kognitiven Bemühungen können
daher nur die Strukturen der Erfahrung, nicht die Strukturen der Welt sein &173; wollte man
letzteres behaupten, so könnte man dies nur auf dogmatische Weise verkünden.
Daraus ergibt sich nicht nur die Unmöglichkeit, den rational begründbaren Anspruch zu
erheben, die Welt 'wie sie ist' erkennen zu können. Auch die erkenntnistheoretische Naivität,
die Gegner des Radikalen Konstruktivismus diesem gern in Hinblick auf seine angebliche
Überzeugung von der wissenschaftlichen Entschlüsselbarkeit des menschlichen 'Geistes'
unterstellen, ist ausgeschlossen:
Das 'transzendentale Unternehmen', der Versuch sich der 'Form des eigenen Bewußtseins' innezuwerden, kann also keine reine Erkenntnis a priori liefern, sofern dieser Ausdruck objektives Wissen bedeuten soll. Hingegen kann man sehr wohl fragen, was in einem hypothetischen Modelldes kognitiven Apparates, der sich eine Erlebenswelt wie die unsere konstruieren kann als 'schlechthin unbedingt' vorausgesetzt werden muß.43
Sowohl für die Umwelt als für das Bewußtsein gilt damit: Modelle können über sie
konstruiert werden, aber es sind solche der menschlichen Erfahrung und damit solche ohne
möglichen Anspruch auf ontische Wirklichkeit.
Reduktionistisch erscheint der Radikale Konstruktivismus seinen Kritiker aber nicht nur
wegen des biologischen Moments, das eine Kognitionstheorie anstelle einer
Erkenntnistheorie impliziert, sondern vor allem auch wegen seines Rückgriffs auf
systemtheoretische Argumentationen.
Reduktionistische Systemtheorie?
Der Begriff 'System' im Kontext von sozio-kulturellen Themenbereichen weckt für
gewöhnlich düstere Assoziationen, denn es scheint kein Platz für das Konzept des frei
agierenden Menschen im Zusammenhang mit einem "von der Umwelt strukturierten, extern
geregelten System" zu geben, das "zentralistisch organisiert" ist und "im statischen
Gleichgewicht" auf eine vorgegebene Hierarchie reagiert. Doch diese Merkmale entsprechen
dem klassischen Systembegriff, der seit den zwanziger Jahren sukzessiv durch ein Konzept
der Selbstorganisation ersetzt wird.44 Systeme werden nunmehr als "polyzentrisch
organisierte, offene Systeme mit selbsterzeugter Hierarchie im dynamischen Gleichgewicht"
definiert, die sich intern durch Strukturierung regeln, statt als determinierte Struktur sich
immer schon im Zustand einer vorgegebenen Ordnung zu befinden. Die Implikationen dieser
Neudefinition des Systembegriffs lassen sich gut an der Kritik verfolgen, die Radikale
Konstruktivisten am Modell der klassischen Evolutionsbiologie üben.
Traditionelle Evolutionsbiologen treten für das Adäquatheitstheorem ein, weil sie davon
ausgehen, daß lebende Systeme gezwungen sind, sich den Gegebenheiten der Umwelt
anzupassen, wenn sie überleben wollen. Radikale Konstruktivisten beschreiben den Bezug
zwischen lebendem System und Umwelt nicht als einen der einseitigen Determinierung,
sondern als einen koevolutiven Prozeß. Dabei wird das lebende System als ein
autopoietisches System beschrieben: In seinem Zustand von selbsterzeugender und
selbsterhaltender Rekursivität kann die Umwelt es durch ihre Einflüsse nicht instruktiv
determinieren, sondern es nur 'pertubieren'. Um sein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten,
verarbeitet das lebende System die Störung im Rahmen seiner Strukturiertheit &173; sein
Überleben hängt also nicht von der Anpassung an Umweltdeterminanten mittels realistischer
Wahrnehmung ab.
Doch wie gelangen die Radikalen Konstruktivisten von der Theorie der Selbstorganisation
autopoietischer Systeme &173; sprich: Individuen &173; zu einem Modell sozialer Systeme? Die
Radikalen Konstruktivisten selbst sind die ersten, die von einem simplen Modelltransfer
warnen. Vor allem Peter M. Hejl, der Soziologe unter den Konstruktivisten, hat sich mit den
Fragwürdigkeiten eines metaphorischen Gebrauchs des Autopoiesis-Begriffs für soziale
Systeme beschäftigt. In einer für Radikale Konstruktivisten typischen Abgrenzung gegenüber
Systemtheoretikern wie z.B. Niklas Luhmann weist er auf die Grenzen einer solchen
Übertragung hin.45 Sehr pauschal zusammengefaßt beruht der Hauptpunkt der Kritik darauf,
daß Individuen, die doch die eigentlichen Konstrukteure von Gemeinschaften sind, nivelliert
werden, wenn ein soziales System als ein selbsterhaltendes und/oder selbstreferentielles
System beschrieben wird. Hejl führt folgende Eigenschaften sozialer Systeme an, die in
einem Modell berücksichtigt sein müssen:
- Soziale Systeme werden durch lebende Systeme konstituiert, die prinzipiell frei sind, an der Konstitution eines spezifischen Systems teilzunehmen oder nicht. Wenn sie teilnehmen, verlieren sie dennoch nicht ihren Charakter als Individuen.
- Menschliche Systeme konstituieren stets eine Mehrzahl sozialer Systeme zur gleichen Zeit.
- Im Gegensatz zu selbsterhaltenden Systemen erzeugen soziale Systeme ihre Komponenten in physischer Hinsicht nicht selber.
- Im Unterschied zu selbstreferentiellen Systemen organisieren soziale Systeme nicht alle Zustände ihrer Komponenten und legen damit nicht die jeweilige systemrelative Realität als einzige Realität fest, die den Komponentenindividuen zugänglich ist.
- Im Gegensatz zu den Komponenten biologischer Systeme haben alle Komponenten sozialer Systeme direkt Zugang zur Umwelt des jeweiligen sozialen Systems.46
Die angeführten Kriterien zeigen, daß Aktivität vom Individuum nicht nur im Rahmen der
Kognition (wie im Kontext von Glasersfeld angesprochen), sondern auch im Rahmen der
Konstruktion von sozialen Systemen notwendig ist: Mitglied eines sozialen Systems ist ein
Individuum nur, wenn es zusammen mit anderen Gruppenmitgliedern "eine gemeinsame
Realität und damit einen Bereich sinnvollen Handelns und Kommunizierens erzeugt (hat)
und auf ihn bezogen interagiert"47
Wie bereits deutlich geworden sein sollte, führen biologische Argumentationsansätze somit
nicht zwangsweise zu organizistischen Positionen, die den Willen der Individuen bei der
Bildung von sozialen Systemen als unbedeutendes oder gar kontraproduktives Faktum
ausschließen. Peter M. Hejl hält den Anschluß an die Tönnies-Durkheim-Tradition für die
Sozialwissenschaften zwar insoweit nötig, als die Annahme, die Gesellschaft sei eine
natürliche Einheit, überhaupt erst die Möglichkeit schaffe, sie wissenschaftlich analysieren
zu können, da man ihr sonst keine "raumzeitlich-kontinuierliche Ursache/Wirkungsketten"48
unterstellen könne. Doch die Art, wie Hejl zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft
differenziert, hebt mehr das Konträre als die Kontinuität zu Tönnies' Positionen hervor.
Gesellschaft ist in Tönnies' Konzeption das Produkt einer Art Sündenfall, eben weil sie
Konstruktion im Sinne von Unnatur, Erfindung eines egoistischen Willens ist. Tönnies setzt
ihr die Gemeinschaft entgegen:
Dagegen hat Gemeinschaft, welche am vollkommensten begriffen wird als metaphysische Verbundenheit der Leiber oder des Blutes, von Natur ihren eigenen Willen und ihre eigene Kraft zum Leben, folglich ihr eigenes Recht in bezug auf die Willen ihrer Glieder, sogar daß diese, insofern als sie solches sind, nur als Modifikationen und Emanationen jener organischen Gesamtsubstanz erscheinen dürfen.49
Da bei Hejl soziale Systeme nicht als autopoietische Systeme klassifiziert sind, sondern erst
durch die Interaktion und die Erzeugung einer synreferentiellen Realität durch lebende
Systeme, Individuen, gebildet werden, braucht man selbstverständlich nicht zu befürchten,
daß er wie Tönnies mit einem Kriterium wie dem metaphysischen Physikalismus arbeitet,
um einen definitorischen Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft
herauszuarbeiten. Und auch das durch Tönnies stigmatisierte Moment des Konstruierens ist
kein exklusives Merkmal der Gesellschaft &173; im Gegenteil: Gemeinschaften und
Gesellschaften als soziale Systeme basieren beide auf dieser Leistung ihrer Komponenten,
den Individuen. Die Folgen, die Differenzierung (in Anlehnung an Durkheim) für das
Resultat des interagierenden Konstruierens, die Synreferentialität, hat, sind es, die zur
Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft führen.
Bei der Frage der Konstruktion von sozialen Systemen gilt das Interesse dem
kognitiven/selbstreferentiellen Subsystem der lebende Systeme, nicht etwa ihren physischen
Bindungen untereinander.50 Vereinfacht kann man es sich so vorstellen: Lebende Systeme
sind Systeme, die mit ihrer Umwelt interagieren. Ziel dieser Interaktionen ist es, zu viablen
Vorstellungen von der Umwelt zu kommen. Wie weiter oben angeführt bedeutet dies nicht
die Abbildung der Umwelt, sondern die Konstruktion von stabilen Objekten, um
Vorhersagen über das Umweltverhalten machen zu können. Spannend für die Frage der
Bildung sozialer Systeme wird es in dem Moment, wenn ein lebendes System auf ein anderes
trifft: Da das andere System ebenfalls ein komplexes Aktivitätszentrum ist, gelingt es dem
System nicht mehr, durch einseitige Veränderung seines Zustandes den angetroffenen
Gegenstand zu trivialisieren und so vorhersagbar zu machen (wir erinnern uns: die Umwelt
kann ein System nicht instruieren, nur pertubieren, wobei das System diese Pertubationen
selbstreferentiell verarbeitet mit dem Ziel der Zustandsstabilisierung &173; eine bestimmte Art
der Interaktion mit der Umwelt führt also solange zu Zustandsveränderungen bis es zu etwas
gekommen ist, daß man in Anlehnung an Piaget Objektpermanenz nennen könnte, zu einer
Konstruktion von Dingen). Um im Kontakt mit anderen nicht trivialisierbaren
Aktivitätszentren zu viablen Vorstellungen zu kommen, ist es notwendig, "in einen Prozeß
wechselseitiger Interaktionen und damit wechselseitiger Veränderungen einzutreten, der zu
einer partiellen 'Parallelisierung' der selbstreferentiellen Subsysteme (der kognitiven
Subsysteme) der interagierenden Systeme führt"51. Diese Parallelisierungen führen zu
vergleichbaren Realitätskonstrukten. Es entsteht ein Sozialsystem, das durch
Synreferentialität charakterisiert ist: Um Mitglied eines Sozialsystems zu werden, muß das
Individuum spezielle Realitätskonstrukte und Handlungsprogramme ausbilden, die
konstitutiv für das Sozialsystem sind.52 In einer Gemeinschaft im Sinne eines wenig
differenzierten Sozialsystems, in dem alle Mitglieder miteinander interagieren, umfaßt dieser
synreferentielle Bereich alle. Brechen diese allumfassenden Interaktionsstrukturen jedoch
z.B. durch Bevölkerungswachstum und Migration auseinander, wird der synreferentielle
Bereich geschwächt.
In dem Maße jedoch, wie die alten Muster der Konstruktion von Wirklichkeit und des Umgangs mit ihr sowohl ihre Verbindlichkeit als auch ihre Anwendbarkeit im Einzelfall verlieren, müssen Entscheidungen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder von ihnen selber übernommen werden. Dabei werden sie sich ihrer Entscheidungen bewußt. Ihre relative Autonomie gegenüber ihren Gemeinschaften wird für sie erfahrbar: Der Prozeß der Erzeugung sozial bedingter Individualität setzt ein.53
Individualität bedeutet jedoch nicht das Ende von Synreferentialität als solcher. Vielmehr
differenziert sich das eine einfache System, das die Gemeinschaft bildete, zu einer
Gesellschaft im Sinne eines Netzes von sozialen Systemen mit ihren je eigenen
synreferentiellen Bereichen aus, die durch die interagierenden Realitätskonstrukte der
Individuen, die nun verschiedenen und auf keinen Fall allen diesen sozialen Systemen
angehören, entstehen.
Diese Differenzierung und Autonomisierung der sozialen Systeme einer Gesellschaft führt
aus politischer Sicht zur Einschränkung ihrer Steuerbarkeit: Die Selbstorganisation der
Systeme macht regelnde Eingriffe von außen zu einem diffizilen Unternehmen, da diese
Eingriffe die Systeme nur pertubieren, nicht instruieren können. Zwar kann man einem
System die Ressourcen entziehen, und es so zur Transformation bewegen, doch auf welche
Weise es dann sein Verhalten ändert, obliegt der Selbstregelung. Nicht nur das Individuum
genießt durch seine Selbstreferentialität im Radikalen Konstruktivismus die Würde des
aktiven Konstrukteurs &173; auch sein in Interaktion mit anderen erzeugtes Sozialsystem ist nicht
mit Macht zu determinieren.
Angesichts dieser Verteidigung der Freiheit scheint der Radikale Konstruktivismus den
Vorwurf des Reduktionismus nicht verdient zu haben. Aber waren alle bisherigen
Ausführungen nicht schon ein impliziter Beweis für die Berechtigung des Vorwurfs, der
Radikale Konstruktivismus zirkele argumentativ?
Befangen im Zirkelschluß?
Maturana definiert 'Autopoiesis' so:
Dieses Wort 'Autopoiese' schlug ich zur Bezeichnung derjenigen Systeme vor, die sich dadurch auszeichnen, daß sie Netzwerke der Produktion ihrer Komponenten sind. Das Netzwerk ist dabei zugleich das Ergebnis der Produktion der Komponenten. So gesehen ist Autopoiesis die Organisationsform von Systemen, die Netzwerke der Produktion von Komponenten sind. Diese bringen durch ihre Interaktionen das Netzwerk hervor, das sie produzierte und dabei seine Grenze festlegte.54
'Autopoeisis' erscheint vielen der kulturwissenschaftlichen Benutzern des Ausdrucks
vermutlich als der (natur-)wissenschaftlich exakteste Terminus in ihrem Vokabular. Dabei ist
'Autopoiesis' eine Wortschöpfung55 des Neurobiologen Maturanas, die diese Bezeichnung des
Neologismus ganz besonders deshalb verdient, weil 'Autopoiesis' eine Erfindung ist, an deren
experimentellen Verifizierung Maturana aus grundsätzlichen Erwägungen nicht interessiert
ist.56
Im Anschluß an ein visuell-kognitives Experiment, dessen Resultate Maturanas damals noch
realistischer Konzeption von Wahrnehmung nicht entsprachen, fragte Maturana sich nicht
länger, was falsch mit dem Experiment oder falsch mit der Hypothese sei, sondern
vermutete, daß das Problem bei der Fragwürdigkeit solcher Experimente in Hinblick auf
ihren Aussagewert lag. Er dachte um und kam zu einem konstruktivistischen Paradigma: Ein
(wissenschaftlich) Wahrnehmender ist ein Beobachter, der sich immer in einer
in-media-res-Situation befindet. Das eigene Bewußtsein ist ihm ebenso unhintergehbar wie
die Sprachlichkeit.57 Eklatant deutlich wird das besonders bei kognitiven Fragestellungen, die
die Unmöglichkeit von biologischen Reduktionismen zeigen, da kein archimedischer Punkt
außerhalb des Bewußtseins einnehmbar ist, von dem aus anderes geschähe, als daß
Bewußtsein sich selbst erklärte: Das Bewußtsein ist somit ein Epiphänomen und der
Beobachter selbst hat einen immateriellen Status. Gleichzeitig wird dieser Beobachter immer
von sich sagen, daß er in der Realität lebt, die ebenfalls untranszendierbar für ihn ist; und das
unabhängig davon, ob er sie als Konstruktion oder unabhängige Wirklichkeit bewertet.
Maturanas ganz eigene Konstruktionsleistung besteht nun darin, diese beiden
(epi-)phänomenalen Bereiche, die 'unvermittelt' nebeneinander stehen und deren
Abhängigkeitsverhältnis zueinander ja nicht empirisch-realistisch nachzuvollziehen ist, durch
eine intellektuelle Konstruktion operativ auf die einzig mögliche Art einer
Wechselbeziehung zu verschränken, wobei Biologie als Wissenschaft über die menschliche
Materialität den Bereich 'Realität' repräsentiert und das Produkt 'Autopoiesis' heißt.
Natürlich ist das Resultat der Operation ein Zirkel, aber keiner, der daraus folgt, daß jemand
eine neue Erkenntnistheorie heimlich voraussetzt, die er dann schnell durch biologisches
Forschen 'belegt', sondern einer, der dadurch zustandekommt, wenn Präsent-Unvermitteltes
'zusammengedacht' wird.58 Dies kann natürlich genauso wenig zum Reduktionismus wie zum
Relativismus führen, denn das Präsente ist noch genauso 'da', wenn es 'nur' konstruierte
Realität und keine ontische Wirklichkeit 'mehr' ist. So schließt z.B. die Art, wie Menschen
Kognition erfahren, aus, daß es durch konstruktivistische Argumentationen zu dem 'Anything
goes' kommt, vor dem sich häufig wegen eines falsch verstandenen
Feyerabend-Statement59gefürchtet wird: Gerade die Einhaltung von Kriterien, die traditionell
zu gesichertem Wissen führen soll (wie z.B. die Beachtung der Konsistenz), wird von
Radikalen Konstruktivisten praktiziert und führt zu ihren Positionen, die nicht dazu genutzt
werden, um, kaum sind sie eingenommen, die Mittel, die zu ihrem Erreichen notwendig
waren, wie eine Wittgensteinische Leiter von sich zu stoßen. Im Gegenteil: Radikale
Konstruktivisten weisen stets daraufhin, daß diese Kriterien Bedingungen für die Erfahrung
von erfolgreicher Kognition für den einzelnen sind und bleiben. Real verbindlich sind
selbstverständlich für den einzelnen auch seine Vorstellungen, die gewöhnlich sprachlich
sein werden und damit in einer Art konstruiert sind, die sich der Interaktionen mit der
Sprachgemeinschaft verdankt.
Typisch für die Art, in der Maturana eine große Zurückhaltung betreffs Aussagen über die
menschliche Natur mit einer selbstverständlichen Hinnahme der menschlichen
Sprachrealitäten verbindet, ist die etwas bizarre, aber theoriekonsistente Manier, über die
Liebe zu sprechen. Sie bezeichnet für ihn die notwendige emotive Voraussetzung zur
Disposition rekurrenter Interaktionen zwischen Menschen, aber als Bedürfnis wird sie nicht
deklariert:
Damit diese rekurrenten Interaktionen überhaupt stattfinden können, muß eine Apriori-Disposition für rekurrente Interaktionen vorhanden sein. Diese Apriori-Disposition zu rekurrenten Interaktionen ist biologischer Natur. Sie ist ein Teil unserer Konstitution als biologisches Wesen. Es ist eine Art von "Klebrigkeit" [stickiness]. Sie treffen einen anderen Menschen und 'haften' an ihm, sie verbleiben in rekurrenter Interaktion. [] Wir Säugetiere haben diese Disposition zu rekurrenten Interaktionen. Für uns Menschen gibt es ein Wort dafür, das ein sehr beladenes Wort ist. Das ist das Wort 'Liebe'. Ich habe dieses Wort 'Liebe' gewählt, weil es zunächst einmal eine Emotion bezeichnet. Es bezeichnet eine Emotion, die Disposition, den anderen zu akzeptieren, der neben einem lebt. Natürlich gibt es auch eine 'romantische' Liebe und viele Adjektive, mit denen man die Liebe näher bestimmen kann. Aber ich denke, diese fundamentale Disposition, den anderen als Menschen in seiner Nähe zu akzeptieren, das ist es, was wir im täglichen Leben mit dem Wort 'Liebe' bezeichnen. Meine Meinung nach wird das Wort in diesem Sinn richtig verwendet. Daß Liebe ein Bedürfnis ist, behaupte ich nicht. ich sage, wenn es Liebe gibt, dann gibt es soziale Phänomene.60
Die sprachliche und die phänomenale Ebene sind nicht unterscheidbar. Das ist ein Beispiel
für Maturanas Zirkel.
Die unmittelbaren Vorteile eines zirkulären Modells in der Art von Maturanas
Autopoeisis-Konzept sind naheliegend. Disziplinen, die durch ihren Gegenstand ohnedies
zum Zirkeln gezwungen sind und die Subjekt/Objekttrennung nicht aufrechterhalten können,
erfahren diese Herangehensweise als Lösung ihrer Probleme.
Peter M. Hejl hat sich Gedanken darüber gemacht: Seiner Meinung nach profitieren nicht nur
Kognitionsforscher, die mit ihrem Gehirn dem Gehirn auf die Spuren zu kommen suchen,
von Maturanas Modell, sondern auch Sozialwissenschaftler, die Teil der Gesellschaft sind,
die sie untersuchen wollen. Günstig am autopoietischen Ansatz für die Sozialwissenschaften
ist zudem, daß er den Funktionalismus überwinden hilft und die Natur/Kulturdichotomie
aufhebt. Definiert man wie in der soziologischen Tradition üblich Gesellschaft als Natur, hat
man sich damit prinzipiell die Möglichkeit geschaffen, sie nach ihrer Eigengesetzlichkeit zu
untersuchen, wie eine Reflexion des Naturbegriffs zeigt: Ob es das antike
Entelechie-Konzept oder Kants Selbstzweck ist &173; die Natur hat die Gesetze ihrer Bewegung
und ihr Ziel in sich selbst. In der Praxis der Sozialwissenschaften geht dieser
Erklärungsansatz jedoch üblicherweise unter, weil man nicht umhin kommt, die
funktionalistische Methode zu verfolgen, und das Wissen über das Wesen der Gesellschaft
vorauszusetzen, um dann an konkreten Fällen nunmehr verfolgen zu können, wie es
umgesetzt worden ist. Wird hingegen ein systemtheoretisches Naturmodell verwandt, das von
der Selbstorganisation ausgeht, kann Gesellschaft in Hinblick auf ihre Eigengesetzlichkeit
und damit unter mechanischen Gesichtspunkten analysiert werden: Das will besagen, daß
nicht länger klandestin mit teleologischen und damit in metaphysischer Tradition stehenden
Erklärungsansätzen operiert werden muß, sondern mit dem simplen Schema gearbeitet
werden kann, daß vor einer Wirkung eine Ursache kommt. Daß der Soziologe in der Lage ist,
die Eigengesetzlichkeit von Gesellschaft zu erkennen, setzt voraus, was in neueren
Systemtheorien selbstverständliche Annahme ist: Er muß dieser Eigengesetzlichkeit selbst
unterliegen und Teil der Gesellschaft sein, wobei die besondere Raffinesse darin besteht, daß
er dieses nicht auf allgemein biologische Weise tut, sondern speziell in seiner Eigenschaft als
kognitives System daran beteiligt ist &173; und zwar nicht nur in seiner Funktion als
Wissenschaftler, sondern eben gerade auch als allgemeines Mitglied die Gesellschaft
kulturell erst konstruiert. Für das System 'Gesellschaft' bedeutet dies, daß die Grenzen
zwischen Natur und Kultur aufgehoben sind. Mit Hejls eigenen Worten:
Indem Gesellschaft jedoch als Natur konstruiert wird, verliert die traditionelle Dichotomie Natur/Kultur ihre Basis, war sie doch begründet über die Frage nach der menschlichen Einwirkung. Gesellschaft wird dabei zu einer Natur, die Kultur erzeugt und gerade damit ihre Natürlichkeit realisiert.61
Außer Frage dürfte somit stehen, daß das Konzept der 'Selbstorganisation' für einzelne
Disziplinen äußerst elegante Lösungsmöglichkeiten für ihre grundlegenden Probleme bietet.
Doch wie steht es mit dem fundamentalen Konflikt zwischen dieser Art zirkulärer
Rationalität und der klassischen Logik, der die Freude über den unmittelbaren Nutzen dieses
Ansatzes gegenstandslos machen könnte?
In diesen Zeiten der Dekonstruktion sehen Jean-Pierre Dupuy und Francisco Varela in den
Zirkelschlüssen der Selbstorganisation einen Garant für den Fortbestand von Ordnung und
Kausalität.62 Mit dem klassisch-metaphysischen Logoskonzept sind Ordnungen, die im
Kontext dieser Art Logik auf exogenen Fixpunkten beruhen, ins Wanken geraten. Doch die
Alternative zum traditionellen Idealismus muß nach Dupuy und Varela nicht der Nihilismus
sein: Was das Logoskonzept dekonstruiere, die heimliche 'Logik der Ergänzung' (die, wie von
Derrida durchgespielt wurde, darauf beruht, daß die Idee des reinen Ursprungs sich selbst
unterlaufen muß, weil sie der Manifestation bedarf, um nicht konsistenzlos zu bleiben) habe,
wie mit systemtheoretischen Blick zu erkennen sei, eine eigene Kausalität und generiere
damit ein neues Ordnungsprinzip. Dupuy und Varela 'entdecken' als ordentliche Kausalität,
die hinter dem von ihr unterminierten linearen Logoskonzept mit seinen exogenen
Fixpunkten hervortritt, ein Ordnungsmodell, das von Systemen mit selbsterzeugten
Interdependenzen ausgeht, die ihre Fixpunkte endogen erzeugen: Der Logos dekonstruiere
sich zwar als reiner Ursprung, weil er zu seiner Manifestation eine Ergänzung brauche, aber
diese Ergänzung verdanke die Möglichkeit ihrer Setzung einzig dem Logos, aus dem sie sich
ableite. So wird bei näherer Betrachtung aus einer hierarchischen Ordnung mit exogenem
Fixpunkt &173; einer linearen Kausalität &173;, eine zirkuläre Kausalität wechselseitig verbundener
Begriffe mit endogenem Fixpunkt. Gerade entsprechend dem Schema, mit dem
Autopoietiker zum Beispiel die Selbstorganisation der Zelle beschreiben: Die Zelle als
Membrane ermöglicht einen Stoffwechsel, der sie selber erzeugt. Ordnung läßt sich so als
immanent und ohne transzendenten Grund erzeugt vorstellen.
Daß sich aus der Perspektive der Selbstorganisation der Dekonstruktion das Konzept einer
neuen Ordnung abgewinnen läßt, könnte bei vielen sicherlich eher die Überzeugung von der
Logikfeindlichkeit dieser Systemtheorie vertiefen. Um die Berechtigung der Annahme einer
zirkulären Kausalität zu begreifen, geht man perspektivisch daher wohl besser von einer
'undekonstruierten' Logik aus, die sich diese Art von Kausalität als Unsinn verbittet. Der
Kybernetiker Heinz von Foerster, der neben Glasersfeld und Maturana Hauptbegründer des
Radikalen Konstruktivismus ist, hat diesen Blickwinkel eingenommen. Das Problem, das
zum Ausschluß des Zirkels im Sinne einer selbstreferentiellen Aussage aus der Logik geführt
hat, ist jedem als Epimenides-Formel bekannt: als das Urteil eines Kreters, daß alle Kreter
lügen. Im Moment, da eine Aussage auf sich selbst angewandt wird, scheint sie zu einem
unlösbaren Widerspruch zu führen. Dieses Problem plagt Philosophen seit der Antike bis in
die Gegenwart.63 Foerster hält dagegen, daß man zwischenzeitlich in Mathematik und Logik
nebst anderen Disziplinen auf Operationen gestoßen ist, die zeigen, daß die
Selbstreferentialität nicht der Anfang aller logischen Unordnung ist, sondern zu stabilen
Lösungen führen kann. Gemeint ist damit das, was z.B. in der Mathematik der Eigenwert
genannt wird und am ehesten an einem Beispiel zu verstehen ist: Man nehme eine beliebige
Zahl und ziehe ihre Wurzel, worauf man das Resultat dieser Operation wieder derselben
Operation unterwerfe usw. &173; und in jedem Fall erzielt man früher oder später als Lösung die
Zahl 1, die ihre eigene Wurzel ist. Diese mathematische Operation zielt also auf einen
bestimmten, ihr sozusagen eigenen Wert und somit auf eine stabile Lösung hin. Die
Autopoiesis ist ein Beispiel für eine Anwendung dieser Logik im Bereich der biologischen
Argumentation. Logisch gesehen sind zirkuläre Operationen, wenn sie zu Eigenwerten
kommen, statthaft &173; und nach Foerster für eine Erkenntnistheorie sogar die einzig denkbare
Lösungsmöglichkeit. Foerster betont, daß epistemologische Ansätze immer selbstreferentiell
sind, indem durch sie 'Verstehen' verstanden werden soll, und schließt daraus, daß ihre
Lösung gerade in dem traditionell ausgeschlossenen Zirkelbeweis liegt:
"Wollen wir nun das Problem einer Theorie des Erkennens lösen, also eine Epistemologie
erzeugen, dann muß sie von einer Art sein, daß sie sich selbst erklärt, oder in Hilberts
Sprache, daß sie eine Eigentheorie ist."64
Ethik und Glauben
Weitaus problematischer als ein offenes Bekenntnis zur positiven Religion durch ein prominentes Mitglied des Kreises ist für das Verständnis der argumentativen Leistungen des Radikalen Konstruktivismus jedoch, wenn er durch andere zu einer Art Heilslehre stilisiert wird, die den Menschen den Sinn ihres Lebens erschließen kann. Erich Jantsch macht vor, wie es nicht gehen kann: Als wäre nicht Anfang und Ende der konstruktivistischen Argumentation, daß alle Theorien inklusive der eigenen Konstruktionen seien, die sich durch nichts mehr auszeichnen könnten, als durch den Verzicht auf den rational nicht begründbaren Anspruch ontologischer Übereinstimmung, spricht er von dem Evolutionsmodell der Selbstorganisations-Theorie wie von der höchsten aller Wahrheiten:
Ist Selbstorganisation von Wissen eine mögliche Beschreibung der Evolution, so können wir nur fragen, ob die zunehmende Komplexität der kognitiven Funktionen des Lebens nicht ein inhärenter Zweck der Evolution sei. In Prozeß-orientierter Sicht ist die Evolution von bestimmten Strukturen nicht vorgegeben. Sind aber dann Funktionen (oder Prozesse, die in vielerlei Strukturen realisiert werden können) vorbestimmt &173; oder führt eine solche Annahme wieder zu einem Fehlschluß, der schon im Prozeßdenken selbst enthalten ist, wie es die Vorbestimmtheit von Strukturen im mechanistischen Strukturdenken war? &173; Handelt es sich bei der Formel der östlichen Mystik, das Universum sei so gemacht, daß es zur Selbstreflexion gelange, nur um einen Ausdruck einer inneren Begrenzung der östlichen Prozeß-Philosophie? Vielleicht ist es aber überhaupt nicht wichtig, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Unsere Suche gilt letzten Endes nicht der genauen Kenntnis des Universums, sondern der Kenntnis der Rolle, die wir in ihm spielen &173; dem Sinn unseres Leben. Das Selbstorganisations-Paradigma, das die Dimensionen der Verbundenheit offenlegt zwischen allen Formen der Entfaltung einer natürlichen Dynamik, unsere eigene mit eingeschlossen, ist im Begriff, die Erkenntnis eines solches Sinnes wesentlich zu vertiefen &173; und damit auch die Wissenschaft wieder näher an das Leben heranzuführen.69
Solche Darlegungen, die mit dem ontologischen Parameter von 'Offenlegung' und mit der großen Frage nach dem Sinn des Lebens das Paradigma der Selbstorganisation als "vertiefende Erkenntnis unserer Rolle im Universum" interpretieren, haben die konstruktivistische Bescheidenheit weit hinter sich gelassen und geradezu in ihr hybrishaftes Gegenteil verkehrt: Wissenschaftlich konstruiertes Wissen bekommt funktionell die Bedeutung einer Offenbarung zugeschrieben &173; was in esoterisch angehauchten Zeiten für viele natürlich kein Sympathiehindernis ist. Trotzdem ist es schwer nachzuvollziehen, warum Siegfried J. Schmidt, der sich wie kein anderer um das radikal-konstruktivistische Paradigma im deutschsprachigen Raum bemüht hat, einen großen Einführungstext zum Thema ausgerechnet mit einem Zitat aus den oben angeführten Jantsch-Passage beschließen muß, um darauf hinzuweisen, daß der Radikale Konstruktivismus ein Beitrag zur Humanisierung sein könne.70 Radikale Konstruktivisten warnen gerne davor, wie sehr Alltagssprache zu falschen ontologischen Vorstellungen verleiten kann &173; aber hier scheinen sie selbst durch verbale Assoziationen verführt worden zu sein. Die 'wissenschaftliche Revolution', um die sie sich bemühen, erlaubt die Assoziation von Krieg, und im Krieg sind alle Mittel erlaubt &173; aber ob machiavellistische Methoden "einen wichtigen Beitrag [...] zur Entwicklung einer friedlicheren Welt leisten"71 können?
Sprache und Affirmation. Ausblick...
Den vorgestellten konstruktivistischen Theorien ist es zu eigen, daß sie im Rahmen der Ablehnung des Adäquatheitstheorems von einem Konstruktionsbegriff ausgehen, bei dem Sprache nicht länger eine wirklichkeitsabbildende Funktion zukommt, sondern als ein Handeln definiert wird. Damit sind sie im Kontext der Sprachtheorien anzusiedeln, denen durch den 'linguistic turn' eine besondere Verbreitung über die Grenzen der Linguistik und der Sprachphilosophie hinaus zuteil wurde.72 Besonders ist dabei an die Sprachphilosophie Wittgensteins zu denken, dessen Name bereits im Zusammenhang dieser verkürzenden Darstellung fiel. Das Bemerkenswerte an dieser Verbindung zur 'ordinary language philosophy' ist in der Präzisierung der Einschränkung zu suchen, die die konstruktivistischen Theorien ohnehin gegenüber dem traditionellen Erkenntnisanspruch, die Wirklichkeit als solche zu erfassen, geltend machen. Wittgensteins spätphilosophischer Einsatz kann als eine Anerkennung der Unhintergehbarkeit von Sprache interpretiert werden: "Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben. Denn sie kann ihn nicht begründen."73 Was bleibt von den konstruktivistischen wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Ambitionen vor dem Hintergrund der Annahme sprachlicher Unhintergehbarkeit übrig? Auffälligerweise überzeugen konstruktivistische Theorien umso mehr, desto weitgehender sie dieses Diktum akzeptieren. Während für den Konstruktiven Realismus dessen Wittgensteinische Adaption schon dargelegt wurde (die Sprachspiele der abendländischen Kultur im allgemeinen und der der Einzelwissenschaften im besonderen sollen durch interdisziplinäre und interkulturelle Begegnungen zu sokratischen Verfremdungserfahrungen führen), folgt nun der abschließende Versuch, das Verhältnis des Methodischen Konstruktivismus und des Radikalen Konstruktivismus zu Positionen der 'ordinary language philosophy' zu bewerten.
Selbst wenn das 'Sprachapriori'74 als solches von Konstruktivisten anerkannt wird, kann es doch Dissens darüber geben, was es meint: Ist es tatsächlich der Sprachgebrauch, in dem nach Wittgenstein handelnd die Bedeutung von Sprache festgelegt wird, oder nur das Sprachvermögen, was als untranszendierbar bewertet werden muß? Methodische Konstruktivisten haben lange nur letztere Position gelten lassen.75 Während formalsprachliche Konstruktionen für den naturwissenschaftlichen Bereich funktionieren, gerät man jedoch im Kontext der praktischen Philosophie an die Grenzen einer orthosprachlichen (Re-)konstruktion. Johannes Friedmann hat auf überzeugende Weise dargelegt, daß die Hypernormen des Vernunfts- und Moralprinzips, auf deren Grundlage ethischer und politischer Konsens erreicht werden soll, sich eben nicht durch wissenschaftssprachliche Konstruktion herstellen lassen, sondern auf dogmatisch-pädagogische Weise introduziert werden müssen, so daß der Methodische Konstruktivismus sich hier in seinem Anspruch, sich keiner anderen Methode als der der Richtigkeit von Sätzen zu bedienen, potentiell selbst untergräbt.76 Friedrich Kambartel als ein dem Methodischen Konstruktivismus nahestehender Denker reagiert auf diese Schwierigkeit, indem er gerade den Ansatz beim Sprachgebrauch als einzigen Ausweg sieht, um an einer "Kultur der Vernunft" festhalten zu können:
Wenn uns die vernünftige Praxis, insbesondere das vernünftige Argumentieren, nicht selbst die Mittel ihrer (inneren) Beurteilung, Begrenzung und Entfaltung an die Hand gibt &173; woher sollen wir sie denn gewinnen! Ist es nicht absurd zu meinen, jemand könnte gewissermaßen privat die Kultur der Vernunft erfinden und dann für ihre Verbreitung sorgen? Wir müssen bereits aus dem Boden der Vernunft stehen, heißt das, wenn wir uns in ihr und mit ihr, bewegen wollen. Wir erkennen also, daß wir insoweit immer auf grammatische Tatsachen des Vernunftgebrauchs angewiesen sind.77
Diese Angewiesenheit auf die tatsächliche 'Grammatik', einen Begriff, mit dem Wittgenstein die Logik und Regeln des 'Sprachspiels' (im Sinne von: "Sprechen der Sprache (als) Teil [...] einer Tätigkeit, oder einer Lebensform"78) bezeichnet hat, schränkt die Möglichkeiten des Methodischen Konstruktivismus ein, ohne daß sein kritisches philosophischen Anliegen als solches verlorenginge: Ausgehend von der konkreten Beurteilungspraxis und der Durchdringung der 'Grammatik', kann er in konkreten Problemsituationen durchaus normativ auftreten, aber nicht durch einen "logischen Aufbau der Handlungswelt" einen Sprachgebrauch abstrakt festlegen, weil er so den Kontakt mit der Lebenswelt und damit mit den tatsächlichen Problemen einbüßte.79 Während in den Anfängen des Methodischen Konstruktivismus wie z.B. von Kamlah und Lorenzen in der Propädeutik mit Lehrer-Schüler-Fiktionen gearbeitet wurde, bei denen in laborhafter Weltferne der Lehrer autoritär dem Schüler durch Vormachen und Bedeutungsfestlegung in Handeln und Sprechen instruierte80, betont Kambartel vor dem Hintergrund der Angewiesenheit auf die 'tatsächliche' 'Grammatik' die Notwendigkeit einer gemeinsamen Lebenswelt für Lehrer und Schüler für die Möglichkeit der philosophischen Problembewältigung: "Die Philosophen, und ihre Schüler, müssen das Leben, die ihnen gemeinsame Grammatik des Lebens, kennen und sich darauf beziehen können."81 Denn Unterweisung und Theorie können Erfahrung und Praxis nicht ersetzen:
Rein "äußerliche" Erklärungen geben uns im allgemeinen nicht die Möglichkeit, uns praktisch in einer Kultur zu bewegen, machen unsere Lebensvollzüge noch nicht zu einem Teil dieser Kultur. Hier sind wir vielmehr darauf angewiesen, daß man uns das Notwendige lehrt, daß wir praktisch teilnehmen (nicht nur auf der Ebene von Beschreibung), daß wir erfahren werden [...].82
Auch im Radikalen Konstruktivismus verschmelzen konkrete Erfahrungspraxis und Sprache, wenn es sich um die Konstituierung von Synreferentialität handelt, wie sich exemplarisch an Siegfried J. Schmidts Aussagen zur Aneignung von sozialen Wirklichkeitsmodellen im Rahmen des kindlichen Sozialisationsprozesses zeigen läßt: "Dabei ist wichtig zu beobachten, daß ein Kind immer in einem Lebenszusammenhang sprechen lernt und spracherwerbend funktionierende Lebenszusammenhänge 'erwirbt'."83 Während der Methodische Konstruktivismus von der 'ordinary language philosophy' im Rahmen seines Einsatzes für Ethik und Vernünftigkeit profitiert, gelingt es im Kontext des Radikalen Konstruktivismus Die gesellschaftliche Konstruktion derWirklichkeit mit einer differenzierteren Einschätzung der konstitutiven Bedeutung von Sprache neu anzugehen und damit erfolgreich zum 'linguistic turn' in den Sozialwissenschaften beizutragen. Helmuth Feilke84 kritisiert an Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns85 bedeutungsvollem wissenssoziologischen Einsatz, daß die Funktion, die Sprache im Kontext des Konzepts vom wirklichkeitskonstruierenden Alltagswissen eingeräumt wird, falsch definiert ist. Sprache ist kein Speicher für 'fertiges' Wissen, sondern konstituiert es86: Die Common-sense-Kompetenz, die für die gleichartige kommunikative Orientierung der Akteure erforderlich ist, setzt implizites sprachliches Wissen voraus, dessen Regeln nicht rational begründbar sind, sondern einer "Typik der sozialen Form" entsprechen, wie Feilke durch eine idiomatische Analyse zeigt.87 Die Untersuchung macht deutlich, daß Common sense keine "natürliche Vernünftigkeit" darstellt, sondern eine Kompetenz im Sinne "einer sozialen Mechanik [ist], d.h. eines sprachlichen Prinzips der sozialen Prägung von Meinen und Verstehen".88 Ist erst erkannt, daß Common sense eine Mechanik und keine an sich 'gute' Naturanlage bedeutet, so drängt sich der Verdacht auf, der im Namen der sozialen Integration nottuende Anschluß an die sozialen Konstruktionen könnte auch die Bezeichnung "Gleichschaltung"89 verdienen. Diese Gefahren, die Feilke im Kontext des Common-sense-Konzepts ausmacht, helfen Dietrich Busses90 Überzeugung zu bewerten, das für den Radikalen Konstruktivismus so zentrale Konzept der Autopoiesis sei im Kontext von linguistisch orientierten Ansätze im Rahmen dieser Theorie(n) irrelevant. Auch wenn der linguistische Ansatz selbst vom autopoietischen Konzept nicht transformiert wird, besitzt es doch entscheidene Bedeutung für die kritischen Implikationen soziologischer Argumentationsstrategien im Kontext des 'linguistic turn', wie ein rascher Verweis auf den anglo-amerikanischen Social Constructionism in der Prägung durch Kenneth Gergen zeigt. Dort gilt "alles Fühlen, Denken und Handeln des einzelnen Menschen () (als) Ergebnis der sozialen Konstruktionen, wie sie im Prozeß der sozialen Verständigung ausgehandelt werden"91. Der Social Constructionism weist starke sozialdeterministische Tendenzen auf, weil das Individuum als Entität nicht mehr existiert, sondern das, was dafür gehalten werden könnte, aus dem sozialen Diskurs resultiert. Im Kontext des Radikalen Konstruktivismus wird genauso von der Konstituierung der Wirklichkeit durch sprachliche Interaktion ausgegangen, doch führt der Ausgang vom einzelnen kognitiven System und dessen Geschlossenheit und Selbstreferentialität dazu, daß eine gewisse Autonomie des Individuums gewahrt bleibt:
Als autonome, informationell geschlossene Systeme sind Personen diesen kulturell vorgegebenen Wirklichkeiten jedoch nicht ausgeliefert, sondern sie haben die Möglichkeit, diese Wirklichkeiten zu reflektieren, umzudefinieren bzw. eine gezielte Auswahl von Mythen und Sprachskripten vorzunehmen. Wir nehmen also an, daß es wirksame gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen geben kann; die Wirksamkeit dieser Konstruktionen ist aber nicht absolut. Sie wird gebrochen durch die kognitive Autonomie des Individuums.92
Somit gibt es im Kontext des Radikalen Konstruktivismus keinen Grund zu sozialdeterministischem Fatalismus &173; gesellschaftlicher Sprachgebrauch kann nicht nur beschrieben, sondern aufgrund der relativen individuellen Autonomie auch wirkungsvoll kritisiert werden: Auf Feilkes Common-sense-Kritik angewandt heißt das z.B., daß der Autor vormacht, was jeder Leser nachmachen kann &173; der Bestimmung durch gesellschaftlich konstruierte Wirklichkeit reflexiv-analytisch zu begegnen. Ebenso richtig bleibt allerdings auch &173; und das gilt nicht weniger für den Methodischen Konstruktivismus und den Konstruktiven Realismus &173;, daß es überhaupt kein Ziel sein kann, diese sprachlich konstruierte Wirklichkeit radikal hintergehen zu wollen. Was sich nämlich überhaupt an Werten kritische gegen diese Wirklichkeit anführen läßt, verdankt sich dieser kulturellen Leistung in nicht minderem Maße. Konstruktivistische Theorien verhalten sich somit affirmativ und in gewisser Weise sogar 'konservativ' gegenüber bestehenden 'Kulturgütern', weil sie nicht verhehlen, daß ihr kritischer Einsatz der sozio-kulturell konstruierten Wirklichkeit immanent und nur durch sie möglich ist. Relativistisch wird man die vorgestellten konstruktivistischen Theorien also nur dann heißen wollen, wenn man von Wissenschaft die Bezugnahme auf von Menschen unabhängige absolute Ordnungen erwartet. Diesen Anspruch zu hintertreiben macht allerdings das zentrale konstruktivistische Anliegen aus.
...und Schluß: "Was ist Wahrheit?"
Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?
Joh. 18:37, 38
Konstruktivistische Theorien bekämpfen das folgenschwerste Mißverständnis der Säkularisation: die Usurpation des Wahrheitsbegriffs durch die Wissenschaften. Es kann nicht ernsthaft beklagt werden, daß im Rahmen der Diskussion, die gemeinhin als 'postmodern' bezeichnet wird, mit der Aufgabe der Überzeugung von der Möglichkeit 'zu wissen wie es ist' auf einen hybrishaften Anspruch verzichtet wurde: Das Konzept der einen Wahrheit, um deren Erkennen die Wissenschaften traditionell gerungen haben, ist aus der Theologie entliehen. Das Spezifische an konstruktivistischen Ansätzen ist, daß sie das grundlegende Bedürfnis nach Wahrheit und deren Unerreichbarkeit durch wissenschaftliche Bemühungen thematisieren: Im Zentrum von konstruktivistischen Theorien steht die Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen &173; nie wird in Zweifel gezogen, daß der Mensch die 'Welt' intuitiv erfährt, aber gleichzeitig wird mit ebensolchem Nachdruck festgestellt, daß er sich ihrer nicht durch den Einsatz seiner wissenschaftlichen Rationalität versichern kann. Obwohl sich konstruktivistische Theorien weigern, wahrheitsverkündend an die Stelle der Religion zu treten, sind sie doch nicht relativistisch im Sinne der Beliebigkeit: Da es wesentlich in Interaktion mit anderen und im Medium der Sprache geschieht, daß Realität konstruiert wird, ist der einzelne, der sich immer in gemeinschaftlicher Einbindung befindet, nicht frei, sich seine arbiträre eigene Realität zu schaffen. Wissenschaftliche Konstruktionen setzen auf bescheidenster Ebene an: Bei der Bedürftigkeit und dem Überleben, für das es nicht nötig ist, als Individuum oder Spezies am stärksten zu sein. Für die Erfüllung dieser Aufgaben besteht kein Bedarf für einen notwendigerweise immer dogmatischen Wahrheitsbegriff, der die conditio sine qua non der menschlichen Existenz überspielte: Wissen kann Glauben nicht ersetzen.
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Schneider, Hans Julius: "Kann und soll die Sprachphilosophie methodisch vorgehen?". In: Peter Janich (Hg.): Entwicklungen der methodischen Philosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1992 (= stw; 979), 17&173;33.
Schneider, Wolfgang Ludwig: "Konvergenzen zwischen Systemtheorie und philosophischer Hermeneutik". In: Zeitschrift für Soziologie 21 (1992:6), 420&173;439.
Scholtz, Gunther: "Rekonstruktion". In: Joachim Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7. (1989), 570&173;576.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. 6. u. 7. Aufl. Berlin: Karl Curtius, 1926.
Wallner, Fritz: Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1990 (= Cognitive Science; 1).
&173;&173;&173;&173;&173;&173;&173;: "Die Auflösung der Philosophie in den Konstruktiven Realismus". In: Ders.: Konstruktion der Realität. Von Wittgenstein zum Konstruktiven Realismus. Wien: WUV&173;Universitätsverlag, 1992 (= Cognitive Science; 3), 104&173;116.
&173;&173;&173;&173;&173;&173;&173;: "Konstruktiver Realismus &173; Konzept und Ziele". In: Ders.: Konstruktion der Realität, 92&173;100.
&173;&173;&173;&173;&173;&173;&173;: "Der Konstruktive Realismus. Theorie eines neuen Paradigmas?". In: Fritz Wallner, Josef Schimmer u. Markus Costazza (Hg.): Grenzziehungen zum Konstruktiven Realismus. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1993 (= Cognitive Science; 4), 11&173;19.
&173;&173;&173;&173;&173;&173;&173;: "Die Multikulturalität als Bedingung des Konstruktiven Realismus". In: Grenzziehungen zum Konstruktiven Realismus, 140&173;147.
&173;&173;&173;&173;&173;&173;&173;: "Der Wandel der Psychologie im Lichte der Philosophie Ludwig Wittgensteins". In: Ders.: Konstruktion der Realität, 33&173;43.
Wendel, Hans Jürgen: "Wie erfunden ist die Wirklichkeit?". In: DELFIN 12 (1989:2), 79&173;89.
Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. In: Ders.: Werkausgabe. 8 Bde. 10. Aufl. Frankfurt a.M: Suhrkamp, 1995, Bd. 1. (= stw; 501).
Zitterbarth, Walter: "Der Erlanger Konstruktivismus in seiner Beziehung zum Konstruktiven Realismus". In: Markus F. Petschl (Hg.): Formen des Konstruktivismus in Diskussion. Materialien zu den 'Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus'. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1991 (= Cognitive Science; 2), 73&173;87.
Endnoten
1. Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen [The Structure of
Scientific Revolutions, 1962]. Übers. v. Kurt Simon. 13. Aufl. nach der zweiten, revidierten
und um das Postskriptum von 1969 ergänzten Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996 (=
stw; 25).
2.
Empfehlenswerte Texte zur Wissenschaftstheorie oder besser -philosophie: Ulrich Charpa: Philosophische Wissenshistorie. Grundsatzfragen, Verlaufsmodelle. Braunschweig, Wiesbaden: Friedr. Vieweg & Sohn, 1995 (= Wissenschaftstheorie. Wissenschaft und Philosophie; 42); Rom Harré: The Philosophies of Science. An Introductory Survey. Zweite, erweiterte Auflage. Oxford, New York: Oxford University Press, 1985 (= Opus); Roland Omnès: Philosophie de la science contemporaine. Paris: Éditions Gallimard, 1994(= Collection Folio/Essais).3.
Radikale Konstruktivisten berücksichtigen die Existenz des Methodischen Konstruktivismus im allgemeinen nicht, weil sie von keinerlei Berührungspunkten ausgehen. (Nach einer Darstellung Zitterbarths ist allerdings soviel konkrete Verbindung auszumachen, daß der Lehrer des Radikalen Konstruktivisten von Glasersfeld, der Operationalist Silvio Ceccato, vom Lehrer des Methodischen Konstruktivisten Lorenzen, dem Mathematiker, Physiker und Philosophen Hugo Dingler, inspiriert gewesen ist.) Der Konstruktive Realist Fritz Wallner räumt dem Radikalen Konstruktivisten Maturana gerade eine gewisse 'private' Bedeutung für die eigene "intellektuellen Autobiographie" ein, betont aber vor allem, daß 'sein' Konstruktiver Realismus sich unabhängig konstituiert. habe Der Methodische Konstruktivist Peter Janich setzt sich mit besonderem Eifer mit den anderen 'Konstruktivismen' auseinander, wobei er Fritz Wallners Instrumentalismus-Vorwurf abweist &173; auf seine Kritik am Radikalen Konstruktivismus wird ausführlich auf Seite 29 eingegangen. Vgl.: Fritz Wallner: "Die Auflösung der Philosophie in den Konstruktiven Realismus". In:Ders.: Konstruktion der Realität. Von Wittgenstein zum Konstruktiven Realismus. Wien: WUV&173;Verlag, 1992 (= Cognitive Science; 3), 105f. Walter Baumüller, 1994, 64f.; Peter Janich: "Die methodische Ordnung von Konstruktionen. Der Radikale Konstruktivismus aus der Sicht des Erlanger Konstruktivismus". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1992 (= stw; 950), 24&173;41, (der Radikale Konstruktivismus pflegt als Streitkultur, seine Opponenten in den eigenen Foren zu Wort kommen zu lassen); Ders.: "Erlanger Schule und Konstruktiver Realismus". In: Ders.: Konstruktivismus und Naturerkenntnis. Auf dem Weg zum Kulturalismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996 (= stw; 1244), 123&173;134; Walter Zitterbarth: "Der Erlanger Konstruktivismus in seiner Beziehung zum Konstruktiven Realismus". In: Markus F. Petschl (Hg.): Formen des Konstruktivismus in Diskussion. Materialien zu den 'Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus'. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1991 (= Cognitive Science; 2), 73&173;87. (Der Titel des Beitrags von Zitterbarth ist etwas irreführend: Er handelt eigentlich von der Beziehung des Erlanger bzw. Methodischen Konstruktivismus zum Radikalen Konstruktivismus, unter welchen Zitterbarth in einem einleitenden Satz den Konstruktiven Realismus einfach subsumiert &173; sicherlich zu Wallners Grauen.)4.
Die Materialbasis für die Argumentation dieses Abschnittes ist denkbar schmal. Sie beruht auf Beiträgen zum Historischen Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter: Karl Mainzer u. Helga König: "Konstruktion". Bd. 4. 1009&173;1019; Gunther Scholtz: "Rekonstruktion". Bd. 7, 570&173;576.5.
Karl Mainzer, 1011.6.
Ibid., 1011.7.
Ibid., 1012.8.
Gunther Scholtz, 576.9.
Dies ist die richtige Stelle, um auf das Problematische meiner Darstellung des Methodischen Konstruktivismus hinzuweisen: Der Methodische Konstruktivismus, der ursprünglich unter der Bezeichnung 'Erlanger Schule' firmierte, ist durchaus kein einheitliches Theoriegebäude und hat eine starke Entwicklung durchlaufen &173; Peter Janich beschreibt diese als eine Akzentverschiebung vom Linguistischen zum Handlungstheoretischen und vom allgemein Wissenschaftstheoretischen zum Erkenntnistheoretischen, wobei der 'Lebenswelt' zunehmend an Bedeutung zukäme. (Zur Geschichte des Methodischen Konstruktivismus vgl. Peter Janichs Vorwort "Vom Methodischen Konstruktivimus zum Kulturalismus" (in: Ders: Konstruktivismus und Naturerkenntnis. Auf dem Weg zum Kulturalismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996 (= stw; 1244), 7&173;20) und sein Vorwort in: Peter Janich (Hg.): Entwicklungen dermethodischen Philosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1992 (= stw; 979), 7&173;16.) Auf die darstellerische Herausforderung dieses disparaten und dynamischen Theorienkomplexes habe ich auf bizarre Weise reagiert: Es ist wahrscheinlich nichts daran auszusetzen, daß ich die Grundzüge der Theorie anhand von Janichs Arbeiten entwickele, die für die neueren Entwicklungen des Methodischen Konstruktivismus repräsentativ sind. Problematischer könnte erscheinen, daß ich den eigentlichen kulturwissenschaftlichen Einsatz des Methodischen Konstruktivismus an zwar klassischen Texten von Lorenzen und Kamlah skizziere, die neueren Entwicklungen auf diesem Sektor aber verkürzend präsentiere und mich erst im abschließenden Abschnitt "Ausblick" zu einer Erwähnung des wichtigen Beitrages von Kambartel 'durchringe'.10
. Peter Janich: "Konstitution, Konstruktion, Reflexion. Zum Begriff der 'methodischen Rekonstruktion' in der Wissenschaftstheorie. Für Friedrich Kambartel zum 60. Geburtstag". Ursprüngl. 1995. Nachdruck in: Ders.: Konstruktivismus und Naturerkenntnis. Auf dem Weg zum Kulturalismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996 (= stw; 1244), 53.11
. Peter Janich: "Gestaltung und Sensibilität. Zum Verhältnis von Konstruktivismus und neuer Phänomenologie". Ursprüngl. 1993. Nachdruck in: Ders.: Konstruktivismus und Naturerkenntnis, 157.12
. Vgl. Peter Janich: "Grenzen der Naturerkenntnis". Ursprüngl. 1993. Nachdruck in: Ders.: Konstruktivismus und Naturerkenntnis , 208.13
. Ibid., 211.14
. Peter Janich: "Biologischer versus physikalischer Naturbegriff". Ursprüngl. 1994. Nachdruck in: Ders.: Konstruktivismus und Naturerkenntnis, 219.15
. Wilhelm Kamlah u. Paul Lorenzen: Logische Propädeutik oder die Vorschule des vernünftigen Redens. Mannheim: BI-Hochschultaschenbücher-Verlag, 1967, 145.16
. Paul Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie. Mannheim, Wien, Zürich: BI-Wissenschaftsverlag, 1987, 275.17
. Wie das von Lorenzen entwickelte Konzept der 'Orthosprache' angemessen zu verstehen sei, ist nicht unumstritten. Hans Julius Schneider gibt eine 'klassische' Definition des Konzepts, dessen Bezeichnung in Analogie zum Begriff 'Orthographie' geprägt wurde: "Dies könnte eine Programm-Formulierung für die Orthosprache sein: auch bei ihrem Aufbau werden einfache, klare, gut durchschaute Sprachformen entworfen, die schrittweise und in diesem Sinne methodisch bereichert werden. Man möchte bei diesem Vorgehen erwarten, daß es für die einfachsten Formen charakteristisch sein wird, daß bei ihnen 'Semantik und Syntax zusammenfallen': Es gibt keine 'bloß historisch' zu erklärenden Zufälligkeiten, keinen bloß 'grammatischen' Zwang der Ausdrucksmittel, vielmehr garantiert ihr unmittelbarer Praxisbezug sowohl die Eindeutigkeit der Formen als auch ihre inhaltliche Deutbarkeit, was ihnen einen Status verleiht, der mehr als 'syntaktisch' in Carnaps formorientierten Verständnis von 'Syntax' ist." (Zitiert nach: Hans Julius Schneider: "Kann und soll die Sprachphilosophie methodisch vorgehen?". In: Peter Janich (Hg.): Entwicklungen der methodischen Philosophie, 19.) Schneider möchte jedoch von der Möglichkeit überzeugen, daß das Konzept der 'Orthosprache' auch noch in einem zweiten Sinne verstanden werden könnte: Da Sprache nun einmal keine "rationale Tiefenstruktur" habe, sei 'Orthosprache' vielmehr als ein Konzept zu begreifen, das die "in ihrer Bedeutung unberechenbare sprachliche Komplexbildungen" diagnostiziere und mit ihnen umzugehen versuche (vgl. S.21).18
. Paul Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, 277.19
. Peter Janich: Erkennen als Handeln. Erlangen, Jena: Palm & Enke, 1993 (= Jenaer philosophische Vorträge und Studien; 3), 5.20
. Peter Janich: "Voluntarismus, Operationalismus, Konstruktivismus. Zur pragmatischen Begründung der Naturwissenschaften". Ursprüngl. 1987. Nachdruck in: Ders.: Konstruktivismus und Naturerkenntnis, 38.21
. Dieser Abschnitt ist ein Überflug gewesen: Er gibt zwar die neueren Tendenzen des Methodischen Konstruktivismus wieder (wobei allerdings vernachlässigt wurde, daß Sprechen selbst ein Handeln ist (s. dazu den Abschnitt "Abschluß", 40ff), schildert aber nicht den von Dissens geprägten Weg zu diesem Stadium. Methodische Konstruktivisten befanden sich um die Wende der sechziger zu den siebziger Jahren in einer Art Interessenkoalition mit Habermas, um gerade die rationale Begründbarkeit des Vernunftprinzips zu postulieren. Vgl. hierzu: Friedrich Kambartel (Hg.): Praktische Philosophie und konstruktiveWissenschaftstheorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1974 (= Theorie), vor allem Friedrich Kambartels eigenen Beitrag: "Wie ist praktische Philosophie konstruktiv möglich? Über einige Mißverständnisse eines methodischen Verständnisses praktischer Diskurse", 9&173;34.22
. Fritz Wallner: Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1990 (= Cognitive Science; 1), 25.23
. Ibid., 68.24
. Ibid., 68.25
. Fritz Wallner: "Der Konstruktive Realismus. Theorie eines neuen Paradigmas?". In: Fritz Wallner, Josef Schimmer u. Markus Costazza (Hg.): Grenzziehungen zum Konstruktiven Realismus. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1993 (= Cognitive Science; 4), 16f.26
. Dieser Abschnitt basiert vor allem auf zwei Kapiteln aus Wallners Acht Vorlesungen: Kapitel 2: "Formen der Interdisziplinarität", 18&173;28 u. Kapitel 5: "Wahrheit im Konstruktiven Realismus", 49&173;57.27
. Konrad Krainer: "Schulen als Betriebe &173; ein Beispiel für Verfremdung". In: Markus F. Petschl (Hg.): Formen des Konstruktivismus in Diskussion. Materialien zu den 'Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus'. Wien: WUV-Universitätsverlag, 1991 (= Cognitive Science; 2), 61&173;63.28
. Herbert Pietschmann u. Fritz Wallner: "Eine Aufmunterung zum Konstruktiven Realismus" (Anhang 1). In: Fritz Wallner: Acht Vorlesungen, 89&173;97.29
. Hier mache ich mich möglicherweise einer Übertreibung schuldig. So ist z.B. schon 1991 ein von Wallner und Dijkum herausgegebener Konferenzband erschienen, in dem die Beitragenden auch über die Perspektiven des Konstruktiven Realismus in Hinblick auf seine Anwendbarkeit auf Einzeldisziplinen reflektieren (vgl.: Cor van Dijkum u. Fritz Wallner (Hg.): Constructive Realism in Discussion. Amsterdam: Van Gruyter, 1991). Mein Eindruck ist allerdings, daß die Diskussionen um den Konstruktiven Realismus gewöhnlich noch um eine kritische Würdigung der Theorie kreisen und es noch nicht zur Ausbildung einer eigentlichen Praxis gekommen ist. Möglicherweise sind es auch die erwähnten etwas befremdlichen Beiträge von Krainer und Pietschmann gewesen, durch die ich voreingenommen in der Bewertung geworden bin. Immerhin wurde den beiden die Ehre zuteil, mit ihren Beiträgen unterstützendes Anschauungsmaterial zum Lancieren des Konstruktiven Realismus zu liefern.30
. Wiederum sind vor allem zwei Kapitel aus Wallners Vorlesungen die Grundlage der Darstellung: Kapitel 7: "Wissenschaft &173; zwischen Kontemplation und Widerspruch", 65&173;72 u. Kapitel 8: "Wie kann man die Wirklichkeit durch den Konstruktiven Realismus verändern?", 73&173;91.31
. Wallner selbst schätzt die Bedeutung Wittgensteins für seinen Konstruktiven Realismus denkbar hoch ein: "Freilich gibt es aus der Vielzahl von geistesgeschichtlichen Bezugspunkten eine kleine Gruppe von hauptsächlichen Anregungsinstanzen. Die zwei wichtigsten davon waren zweifellos die Ideen Ludwig Wittgensteins und Erfahrungen, welche ich in der interdisziplinären Praxis gewonnen habe." Zitiert nach: Fritz Wallner: "Konstruktiver Realismus &173; Konzept und Ziele". In: Ders.: Konstruktion der Realität. Von Wittgenstein zum Konstruktiven Realismus. Wien: WUV&173;Universitätsverlag, 1992 (= Cognitive Science; 3), 92. Freilich 'übernimmt' Wallner nicht nur Wittgensteinisches, er differenziert und kritisiert auch &173; ein Einsatz, der im Rahmen dieses Textes jedoch nicht gewürdigt werden kann. Vgl. jedoch z.B.: Fritz Wallner: "Der Wandel der Psychologie im Lichte der Philosophie Ludwig Wittgensteins". In: Ders.: Konstruktion der Realität, 33&173;43.32
. Fritz Wallner: "Die Multikulturalität als Bedingung des Konstruktiven Realismus". In: Grenzziehungen zum Konstruktiven Realismus, 142.33
. Den Radikalen Konstruktivismus gibt es natürlich genauso wenig wie den Methodischen Konstruktivismus im Sinne eines geschlossenen Theoriegebäudes &173; der Generalisierung in dieser einleitenden Passage folgen darum auch Einzeldarstellungen der Beiträge prominenter Vertreter.34
. Peter Janich: "Die methodische Ordnung von Konstruktionen. Der Radikale Konstruktivismus aus der Sicht des Erlanger Konstruktivismus". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1992 (= stw; 950), 24&173;41.35
. Peter Janich: Grenzen der Naturwissenschaft. Erkennen als Handeln. München: Beck, 1992 (= Becksche Reihe; 463), 216.36
. Offenkundig? Maturana ist zwar selbst teilweise Kritiker der 'evolutionären Erkenntnistheorie', die Janich ein Dorn im Auge ist, kann aber doch auf prominente Weise zu denen gerechnet werden, über deren Arbeit Janich gehässig bemerkt: "Hier haben wir ein hochaktuelles Modethema für populär-wissenschaftliche Bestseller vor uns (ibid, 221f)."37
. Ibid., 224.38
. Hans Jürgen Wendel: "Wie erfunden ist die Wirklichkeit?". In: DELFIN 12 (1989:2)., 79&173;89.39
. Zur Namensgebung durch Glasersfeld vgl.: Ernst von Glasersfeld: "Aspekte des Konstruktivismus: Vico, Berkeley, Piaget". Übers. v. Siegfried J. Schmidt. In: Gebhard Rusch u. Siegfried Schmidt (Hg.): Konstruktivismus: Geschichte und Anwendung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1992 (= stw; 1040/DELFIN 1992), 20.40
. Vgl. Ernst von Glasersfeld: "Piagets konstruktivistisches Modell: Wissen und Lernen". In: Gebhard Rusch u. Siegfried J. Schmidt (Hg.): Piaget und der Radikale Konstruktivismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994 (= stw; 1156/DELFIN 1994), 24.41
. Ibid., 29.42
. John Richards u. Ernst von Glasersfeld: "Die Kontrolle von Wahrnehmung und die Konstruktion von Realität. Erkenntnistheoretische Aspekte des Rückkoppelungs-Kontroll-Systems". Übers. v. Siegfried J. Schmidt. Ursprüngl. 1984. Nachdruck in: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. 6. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994 (= stw; 636), 219.43
. Ernst von Glasersfeld: "Wissen ohne Erkenntnis". In: DELFIN 7 (1986:1), 23.44
. Die Informationen zum klassischen Systembegriff und dem der Selbstorganisation sind entnommen: Wolfgang Krohn, Günther Küppers, Rainer Paslack: "Selbstorganisation &173; Zur Genese und Entwickung einer wissenschaftlichen Revolution". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, 459ff.45
. Peter M. Hejl: "Soziale Systeme: Körper ohne Gehirne oder Gehirne ohne Körper? Rezeptionsprobleme der Theorie autopoietischer Systeme in den Sozialwissenschaften". In: Volker Riegas u. Christian Vetter (Hg.): Zur Biologie der Kognition. Ein Gespräch mit Humberto R. Maturana und Beiträge zur Diskussion seines Werkes. Frankfurt a. M: Suhrkamp, 1993 (= stw; 850), 220ff.46
. Peter M. Hejl: "Konstruktion der sozialen Konstruktion: Grundlinien einer konstruktivistischen Sozialtheorie". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus , 326f.47
. Ibid., 320. In Hinblick auf das Merkmal der interaktiven Konstruktion unterscheiden sich soziale Systeme &173; bei Hejl ein Ehrentitel gerade im Hinblick auf das Ideal des Akteurs, das nach allgemeinem Verständnis doch durch den Systembegriff bedroht zu sein scheint &173; von dem, was Hejl soziale Bereiche nennt.48
. Vgl. Peter M. Hejl: "Wie Gesellschaften Erfahrungen machen oder: Was Gesellschaftstheorie zum Verständnis des Gedächtnisproblems beitragen kann". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der interdisziplinären Gedächtnisforschung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996 (= stw; 900), 308.49
. Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. 6. u. 7. Aufl. Berlin: Karl Curtius, 1926, 177.50
. Besonders gut kann dies an der Einordnung von 'Familie' nachvollzogen werden. Sie ist nicht länger unersetzlicher Ursprung des gemeinschaftlichen Lebens, sondern interessiert nur insofern sie die Kriterien zur Bewertung als soziales System erfüllt, was nur in Einzelfällen zutrifft: "Wir haben alle Erfahrungen in Familien, wissen also, was Väter und Mütter sind etc. Trotzdem bilden wir kein soziales System Familie. Dieses entsteht erst, wenn wir uns entsprechend verhalten und die Systemkomponenten, d.h. die die Familie konstituierenden Individuen, die Möglichkeit haben, an der sozialen Konstruktion der Realität mitzuwirken, die für eine spezifische Familie typisch ist." Zitiert nach Peter M. Hejl: "Konstruktion der sozialen Konstruktion. Grundlinien einer konstruktivistischen Sozialtheorie", 320.51
. Ibid., 317.52
. Den Lesenden stellt sich die Frage, was für einen Kulturbegriff Hejls Positionen wohl implizieren: In etwa besteht die Unterscheidung zwischen kultureller und sozialer Ebene, deren schwierige Differenzierbarkeit Hejl thematisiert, darin, daß Kultur allgemeines Wissen, generalisierte soziale Wirklichkeitskonstrukte darstellt. Im Kontext von antropologischen Überlegungen auf der biologischen Ebene des Modells stellt Hejl fest: "Kultur als ein zweites Vererbungssystem funktioniert nicht, indem es an jeder Verzweigung Alternativen eliminiert, wie es in der biologischen Evolution der Fall ist. Statt dessen erlaubt Kultur die Bildung neuer möglicher Wirklichkeiten und im Vergleich zur biologischen Evolutionen schnellere Anpassungen sowohl an sich verändernde soziale und natürliche Umwelten, und, z.T. mit ihnen überlappend, an sozial erzeugte mögliche Welten." Zitiert nach: Peter M. Hejl: "Kultur als sozial konstruierte Wirklichkeiten: zur Analytik der 'dritten Ebene' aus systemtheoretischer Sicht". In: SPIEL 12 (1993:1), 92.53
. Peter M. Hejl: "Die zwei Seiten der Eigengesetzlichkeit. Zur Konstruktion natürlicher Sozialsysteme und zum Problem ihrer Regelung". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Kognition und Gesellschaft, 202.54
. Volker Riegas u. Christian Vetter: "Gespräch mit Humberto R. Maturana". Übers. v. Paul Stanton. In: Volker Riegas u. Christian Vetter (Hg.): Zur Biologie der Kognition, 35f.55
. Ibid., 35.56.
. Dieser Textabschnitt erfordert den relativierenden Hinweis, daß Empirie einen äußerst hohen Stellenwert im Radikalen Konstruktivismus innehat. Schließlich sind ja auch empirische nicht mit realistischen Positionen zu verwechseln.57
. Vgl. Humberto R. Maturana: "Kognition". In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, 89&173;118 und ders: "Wissenschaft und Alltag. Die Ontologie wissenschaftlicher Erklärungen." In: Paul Watzlawick u. Peter Krieg (Hg.): Das Auge des Betrachters. Beiträge zum Konstruktivismus. Festschrift für Heinz von Foerster. München, Zürich: Piper, 1991, 247&173;275.58
. Wie ausgeklügelt Maturanas Zirkel ist, hat nicht weniger kunstvoll Egon Leopold Gennat demonstriert. Egon Leopold Gennat: "Über die Problematik von Zirkelbeweisen. Ein Beitrag zum Erkenntniszirkel H. M. MATURANAs 'Kognitionsbiologie'". In: DELFIN 11 (1988:3), 4&173;12.59
. Feyerabend, Paul: Wider den Methodenzwang [Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge]. Übers. v. Hermann Vetter nach der revidierten und erweiterten Fassung von 1976. 5. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996 (= stw; 597).'Anything goes' bietet sich als Motto für zukünftige wissenschaftliche Unternehmungen an,
weil eine Bestandsaufnahme bisheriger wissenschaftlicher Praxis zeigt, daß klandestin schon
immer nach diesem Grundsatz gehandelt werden mußte, um einem idealtypischen
wissenschaftlichen Selbstbild gerecht werden zu können und dadurch eine Vormachtstellung
zu verteidigen. Da ein Großteil wissenschaftlicher Normen, Konventionen und
Wertvorstellungen sich dem Anschein nach nur dann vertreten lassen, wenn insgeheim gegen
sie verstoßen wird, gilt es, daraus die Konsequenzen zu ziehen &173; wie Feyerabend es auf tief
ironische Weise tut.
60 61 62 63 64
Übers. v. Wolfram Karl Köck. In: Heinz von Foerster: Wissen und Gewissen. Versuch einer
Brücke. Hg. v. Siegfried J. Schmidt. 3.Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996 (= stw 876),
368.
65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92
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