Projekt Gemenskaper: Gemeinschaft aus dem Gleichgewicht
Die Ausweitung von Dienstpflichten im Nationalsozialismus
Die Vorstellung nationaler Gemeinschaft ist eine politische Utopie, die die Einbindung
des Einzelnen in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang beschreibt. Zwei
Dimensionen sind für die Art dieser Einbindung zentral: Die Leistungen, die das
Individuum in die Gemeinschaft einzubringen hat, und die gemeinschaftliche Solidarität,
die es erwarten darf.1
Beim Anspruch auf Gemeinschaft geht es somit vor allem auch um
die Frage, welche Möglichkeiten das Individuum einerseits und die Gesellschaft oder der
Staat andererseits haben, einander gegenüber Rechte und Pflichten geltend zu machen.
Die Art und Weise, wie dieser Unterbau der Gemeinschaft politisch und kulturell
konstruiert wird, ist ein wichtiger Faktor für die konkrete Form, die eine Gemeinschaft
annimmt.
Mit dem Verständnis des Staates als eines Sachwalters der Gemeinschaft werden dessen Rechte gegenüber dem Individuum und die Pflichten des Individuums dem Staat gegenüber zentrale Bestandteile einer empirischen Beschreibung der Konstruktion kollektiver Identitäten. Staatlich geförderte oder geforderte Dienste, die Bürgern als Gegenleistung für ihre Staatsbürgerschaft abverlangt werden, sind prototypische Beispiele solcher Verpflichtungen des Individuums auf die staatlich verfaßte Gemeinschaft. Unterschiedliche Gemeinschaftskonzeptionen schlagen sich vor allem auch in unterschiedlicher Art und Umfang der Heranziehung zu halbstaatlichen oder staatlichen Diensten nieder. Rechtliche Regelungen, die auf diese Weise Gemeinschaftsverhältnisse bestimmen, haben entscheidenden Anteil für die Herausbildung kollektiver Identitäten.2
Im folgenden wird die Rolle untersucht, die Wehrdienst, Arbeitsdienst, Dienstpflicht und andere staatlich eingeforderte oder geförderte Arbeitsleistungen, die dem gesellschaftlichen Ganzen verpflichtet waren, für die Konstruktion der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft spielten. Dabei wird deutlich, daß gerade auch in diesem Bereich die expansive Dynamik vorherrschte, die Hans Mommsen auf den Begriff der "kumulativen Radikalisierung" gebracht hat.3
Das Prinzip des Dienstes griff in der nationalsozialistischen Politik im Laufe der Zeit immer mehr um sich. Im Verhältnis von Staat und Individuum wurde kein angemessenes Verhältnis von Rechten und Pflichten gesucht und gefunden, das eine stabile Gemeinschaft hätte begründen können.
Überblick
Es lassen sich für das nationalsozialistische Deutschland grob gesagt drei Stufen der
Expansion des Dienstprinzips unterscheiden:
Die Stufe der freiwilligen Dienste begann als Arbeitsmarktprogramm schon in der
Weimarer Republik. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kam es zu einer
stärkeren ideologischen Aufladung dieser Maßnahmen und es wurde begonnen, Druck
auf den Beitritt auszuüben. Hier sind vor allem der Freiwillige Arbeitsdienst und das
Landhilfe-Programm zu nennen.
Die zweite Stufe ab 1935 war die Stufe der allgemeinen Pflichtdienste, die nicht
mehr arbeitsmarktpolitisch motiviert waren. Zunächst wurden für Männer 1935 die
Wehrpflicht und die Reichsarbeitsdienstpflicht eingeführt; 1938 wurde dann für Frauen
das Pflichtjahr in Land- oder Hauswirtschaft und im darauffolgenden Jahr die Reichsarbeitsdienstpflicht vorgeschrieben. Die Arbeitsdienstpflicht für Frauen wurde später
noch um die Kriegshilfsdienstpflicht ausgeweitet.
Die dritte Stufe, die 1938 begann, war die Stufe der individuellen Dienstpflicht.
Hier wurden Einzelpersonen auf bestimmte Arbeitsplätze verpflichtet, meist innerhalb
des regulären Arbeitsmarktes. Insbesondere sind hier die Dienstpflicht, der Notdienst
und die Meldepflicht zu nennen.
Diese drei Stufen beschreiben den Ausweitungsprozeß im Rahmen der formalen
Dienste selbst. Darüber hinaus gibt es eine doppelte Ausweitung nach außen. Zum
einen wurde das Prinzip des Dienstes zunehmend zum Modell für die
Arbeitsverhältnisse insgesamt. Terminologisch spiegelt sich das in der Verdrängung des
Arbeitsmarktbegriffs durch die Bezeichnung "Arbeitseinsatz".4
Die Freizügigkeit der
Arbeitskräfte wurde nach und nach eingeschränkt, ein Arbeitsbuch, das dem Wehrpaß
nachempfunden war, wurde für Erwerbstätige verbindlich,5
und Arbeitsplatzwechsel
waren seit 1939 grundsätzlich von der Zustimmung der Arbeitsämter abhängig.6
Ludwig
Preller schreibt in einem Aufsatz aus dieser Zeit: "Es ist nicht ganz unrichtig gesehen,
wenn die 'Kölnische Zeitung' (Nr.134/1939) meint, daß fast niemand mehr heute allein
auf Grund seines Arbeits- oder Dienstvertrags in seinem Arbeitsverhältnis steht,
sondern zugleich, weil er vom Arbeitsamt in diesem Verhältnis belassen werde."7
Zum anderen wurden mehr und mehr Ausländer zur Arbeit in das Deutsche Reich
geholt. Die Zwangsarbeit der Ausländer ermöglichte es, bei der Dienstverpflichtung
gegenüber der eigenen Bevölkerung einen letztlich noch gemäßigten Umfang zu
wahren.
Für die Durchsetzung und Ausweitung des Dienstprinzips lassen sich ideologische
und pragmatische Gründe ausmachen. Der ideologische Grund ist die Affinität der
nationalsozialistischen Ideologie zum Prinzip des Dienstes. Dieser läßt sich als
Pflichterfüllung und Opfergabe für die Volksgemeinschaft glorifizieren, als
Verwirklichung des militärischen Führerprinzips und als Instrument zur Durchführung
staatlicher Zwecke. Zur Neuorientierung der Arbeitswissenschaft im
Nationalsozialismus heißt es so in einem Aufsatz, Arbeit sei nach dem Umbruch im
Jahre zuvor "zur nationalen, zur völkischen Pflicht" geworden. Und weiter: "Damit ist
der Blickwinkel der arbeitswissenschaftlichen Forschung völlig verschoben. Der
Dienstgedanke der Arbeit steht im Vordergrund. Die Problemstellung lautet nicht mehr:
wie kann die Arbeit für den einzelnen Arbeiter fruchtbar gemacht oder erleichtert
werden? Sie lautet primär: Wie ist es möglich, die Arbeit so zu gestalten, daß auch sie zur
Wirkung der völkischen Gemeinschaft das Ihre beitragen kann?"8
Und der Arbeitsrechtler Wolfgang Siebert schreibt 1942: "Volksgemeinschaft als Grundlage und
Mittelpunkt der Arbeit bedeutet zunächst, daß alle Arbeit auf das Wohl des Volkes
gerichtet, Dienst in der Volksgemeinschaft sein muß."9
Damit läßt sich sowohl die
Übertragung des Dienstprinzips auf die allgemeinen Arbeitsbeziehungen als auch die
Ausweitung formaler Dienste rechtfertigen.
In pragmatischer Hinsicht beruht die zunehmende Ausbreitung des Dienstprinzips
auf der notwendigen Kompensation der Nebenfolgen der nationalsozialistischen
Rüstungs- und Kriegspolitik. Um die Aufrüstungs- und Autarkiepolitik finanzieren und
durchführen zu können, mußten die wirtschaftlichen Mechanismen von Angebot und
Nachfrage und freier Preis- und Lohnbildung außer Kraft gesetzt werden. Dadurch
entstanden Verzerrungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt, die die Ausweitung des Dienstprinzips notwendig machten, wenn der eingeschlagene Kurs beibehalten
werden sollte. Abermals in den Worten von Wolfgang Siebert: "Die gewaltigen
Anforderungen, die die Aufrüstung an die deutsche Wirtschaft stellte, konnten nur
bewältigt werden, wenn die immer knapper werdenden Arbeitskräfte planmäßig verteilt
und gelenkt wurden und wenn zugleich die unbedingte Festigkeit der Löhne und Preise
gesichert wurde."10
Im folgenden werden die drei Stufen der Dienste im engeren Sinne skizziert.
Die Stufe der freiwilligen Dienste ab 1933
Der Freiwillige Arbeitsdienst wurde nach längeren Diskussionen über Arbeitsdienst und
Arbeitsdienstpflicht 1931, also noch in der Weimarer Republik, eingeführt.11
Der
Arbeitsdienst war eine besondere Maßnahme zur Bekämpfung von
Jugendarbeitslosigkeit. Freie Träger, die entsprechende Maßnahmen durchführten,
konnten Zuschüsse der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung erhalten. Es beteiligten sich vor allem Organisationen der
politischen Rechten, aber auch kirchliche und später gewerkschaftliche Organisationen.
Charakteristisch für den Arbeitsdienst waren sozialpädagogische Erziehungsziele, die
Unterbringung in offenen oder geschlossenen Lagern und Beschäftigung im Bereich der
Landschaftspflege und Erdbewegung, zum Beispiel bei Flußbegradigungen.12
Im Laufe des Jahres 1932 sprang die Zahl der Teilnehmer von 14 000 auf 240 000
in die Höhe und hielt 1933 in etwa dieses Niveau. Anschließend begann die Zahl der
sogenannten Arbeitsmänner wieder langsam zu sinken. Den Frauenarbeitsdienst
vertraten 1933 bis 1935 durchschnittlich etwa 10 000 sogenannte Arbeitsmaiden.13
In der NSDAP wurde die Forderung nach einer Arbeitsdienstpflicht seit 1928
vertreten. Seit 1932 verfügte sie über eigene Arbeitsdiensteinrichtungen. Mit Ausnahme
des "Landesarbeitsdienstes" im nationalsozialistisch regierten Anhalt hatten die
nationalsozialistischen Arbeitsdienstorganisationen aber keine größere Bedeutung. Nach
der Machtübertragung wurden die Institutionen des Freiwilligen Arbeitsdienstes
zwischen März und Juli 1933 vom "Beauftragte des Führers für den Arbeitsdienst der
NSDAP", Konstantin Hierl, gleichgeschaltet. Der später unter der Bezeichnung "NS-Arbeitsdienst" firmierende Träger, der sich organisatorisch stark am Vorbild des Militärs
orientierte, wurde damit zum alleinigen Veranstalter der Maßnahmen.14
Bereits am 1. Februar 1933 erklärte der gerade zum Reichskanzler ernannte Adolf
Hitler in seinem "Aufruf an das deutsche Volk" die Arbeitsdienstpflicht neben der
Siedlungspolitik zu einem "Grundpfeiler" des nationalen Regierungsprogramms.15
Am 1.
Mai 1933 kündigte er die Einführung der Arbeitsdienstpflicht noch für 1933 an.16
Dazu
kam es jedoch nicht. Im Juni 1933 wurde auf der Genfer Abrüstungskonferenz ein
Verbot der Arbeitsdienstpflicht beschlossen, und darauf stellten die Nazis entsprechende Pläne vorerst zurück.17
Auch für den freiwilligen Arbeitsdienst begann nun eine
Stagnationsperiode. Zum einen gab sich der Arbeitsdienst durch Mißwirtschaft und
Korruption ständig Blößen, die ihn in finanzpolitischen Diskussionen in die Defensive
brachten,18
zum anderen sank seine arbeitsmarktpolitische Bedeutung mit dem Erfolg der
regulären Arbeitsbeschaffungspolitik.
Um so stärker rückte nun der Erziehungsgedanke im Arbeitsdienst in den
Vordergrund. In einem Rundschreiben des Reichskommissars für den Arbeitsdienst
vom Mai 1933, das offensichtlich unter dem Eindruck von Hitlers Rede zum 1. Mai
steht, den die Nationalsozialisten zum (Feier-)"Tag der nationalen Arbeit" erhoben,
heißt es:
Während früher der freiwillige Arbeitsdienst die Vermehrung der Arbeitsgelegenheiten schlechthin zum Ziele hatte, ist es eine der Hauptaufgaben des staatlichen Arbeitsdienstes, die Idee der Volksgemeinschaft dadurch zu verwirklichen, daß Angehörige aller Berufsschichten, Hand- und Geistesarbeiter, im gemeinsamen Dienst mit Hacke und Schaufel zusammengeführt werden.19
Und der Oberfeldmeister des Arbeitsdienstes Alfred Krüger schreibt zum Thema "Arbeitsdienst und neue Gesellschaftsordnung":
Weil der Arbeitsdienst tätlich die neue Gesinnung des Dienens an der Volksgemeinschaft durch die praktische Tat vorlebt, wird er der stärkste Faktor sein zur Schaffung der neuen deutschen Volksordnung, die deutsche Volksgemeinschaft heißt und die nur noch einen Wertmaßstab kennt: Den deutschen Arbeiter. Wer nicht arbeitet, gehört nicht zur deutschen Volksgemeinschaft. Der Begriff Arbeit und Arbeiter schließt den Nichtstuer aus.20
Im Rahmen des Landhilfe-Programms wurde die Einstellung zusätzlicher jugendlicher
Arbeitskräfte in der Landwirtschaft subventioniert. Auch die Landhilfe hatte neben der
arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen eine pädagogische und ideologische Funktion.
In dem Einführungserlaß vom 3.3.33 ist von der Notwendigkeit die Rede, "die
arbeitslose Jugend in Stadt und Land wieder an die Scholle heranzuführen, um dadurch
den Arbeitslosen nicht nur einen neuen Lebensinhalt zu geben, sondern insbesondere
auch die Siedlungsfrage praktisch voranzubringen".21
An anderer Stelle wird als das
"Endziel der Landhilfe, die Bindung des Landhelfers an Grund und Boden" bezeichnet,
wo dieser "nach besten Kräften Dienst am Volke" leisten könne.22
Um diese Bindung zu erreichen, sollten die Landhelfer und Landhelferinnen in die
bäuerliche Hausgemeinschaft aufgenommen und "Kameraden des Bauern und des
Landarbeiters"23
werden. Da der Kontakt der städtischen Jugendlichen mit den
landwirtschaftlichen Eigentümern in der Praxis jedoch häufig "psychologische
Schwierigkeiten" aufwarf, wurden Außendienstmitarbeiter der Arbeitsämter als
Vermittler eingesetzt. Auch die Eingliederung der Landhelfer in die jeweiligen Ortsgruppen der Hitlerjugend Anfang 1934 sollte neben der weltanschaulich-politischen Erfassung dazu dienen, den offensichtlichen Kulturschock zu mildern.24
Die Zahl der Landhelfer betrug im Jahresdurchschnitt 1933 bis 1935 jeweils etwas
über 100 000 und sank 1936 stark ab, da das Programm zwar weitergeführt, aber mit
wenigen Ausnahmen nicht mehr finanziell gefördert wurde. Nur &188; der Teilnehmer war
weiblich,25
was auch an den Bedenken vieler Eltern lag, ihre Töchter in fremde und fern
gelegene Haushalte zu geben. In einem Bericht an die Exil-SPD heißt es: "Man sagt humoristisch: Die Kinder der Landhilfemädchen haben auf jeder Hand einen Stempel.
Links BdM: Bin da Mutti; rechts: NSV: Nun such Vati."26
Formal war die Landhilfe freiwillig, in der Praxis wurde aber erheblicher Druck oder
sogar Zwang ausgeübt. Ein besonders drastischer, als verbürgt dargestellter Vorfall wird
aus Berlin geschildert:
In einem Arbeitsamt im Berliner Osten haben sich etwa 200 Leute geweigert, zur Landhilfe zu gehen. Sie erhielten Freikarten für das Rose Theater. Als sie dort waren, wurden die Tore geschlossen und ihnen von der Bühne her erklärt, daß vor der Tür Lastkraftwagen stünden und sie eingeladen würden, sie zu besteigen. Sie hätten es selbst in der Hand, wohin diese Wagen fahren sollten. Es wären zwei Richtungen möglich: Konzentrationslager oder Landhilfe, sie hätten nur zu wählen.27
Auch die Durchführungsbestimmungen des Präsidenten der Reichsanstalt für
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung machen den Zwangscharakter des
Landhilfe-Programms deutlich: "Der Grundsatz der Freiwilligkeit bei der Meldung als
Landhelfer schließt es nicht aus, daß bei einem in jeder Hinsicht geeigneten Arbeitslosen
aus einer unbegründeten Ablehnung einer angebotenen Helferstelle geschlossen werden
muß, daß er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht."28
Im Klartext heißt das:
Wer eine Landhelferstelle ausschlägt ist nicht als Arbeitsloser, sondern als
Arbeitsunwilliger zu behandeln und erhält keine Arbeitslosenunterstützung und keine
weiteren Stellenangebote.
Eine neue Dimension des Zwangs wurde mit der "Anordnung über die Verteilung
von Arbeitskräften" vom August 1934 erreicht.29
Aufgrund dieser Anordnung wurden
binnen eines Jahres 130 000 Jugendliche aus ihren Arbeitsstellen entfernt und durch
ältere Arbeitslose ersetzt. Fast alle betroffenen Jugendlichen wurden in den
Arbeitsdienst oder in die Landhilfe gesteckt.30
Die Reichsleitung des
Reichsarbeitsdienstes bezeichnete den Arbeitsplatztausch folgerichtig als einen
bedeutungsvollen Schritt zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht.31
Die Stufe der allgemeinen Pflichtdienste ab 1935
Mit dem "Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht" und dem "Wehrgesetz" wurde im
Frühjahr 1935 der Versailler Vertrag gebrochen und die allgemeine männliche
Wehrpflicht als ein zunächst zwölfmonatiger, schon bald auf 24 Monate verlängerter
"Ehrendienst am Deutschen Volke" eingeführt.32
Eine Voraussetzung für den aktiven
Wehrdienst war die Erfüllung der Arbeitsdienstpflicht, die wenig später gesetzlich
verankert wurde. Darüber hinaus wurde bestimmt, daß im Kriegsfalle "jeder deutsche
Mann und jede deutsche Frau zur Dienstleistung für das Vaterland verpflichtet" sei. Für
den Bereich des Luftschutzes wurde kurz darauf eine Dienstpflicht bereits für die
Friedenszeit eingeführt. Alle Deutschen wurden der Luftschutzpflicht unterworfen, die
sich auf Dienst- und Sachleistungen sowie sonstige Handlungen, Duldungen und
Unterlassungen erstreckte.33
Die sechsmonatige Arbeitsdienstpflicht wurde mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz
im Juni 1935 eingeführt. Dieser "Ehrendienst" sollte "die deutsche Jugend im Geiste
des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor
allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen".34
Im Prinzip galt die Arbeitsdienstpflicht von Anfang an für beide Geschlechter, in der Praxis wurde zunächst aber
nur der männliche Arbeitsdienst als Pflichtdienst aufgebaut. Die durchschnittliche
Sollstärke des männlichen Reichsarbeitsdienstes wurde durch zwei Führererlasse in
mehreren Schritten von 200 000 für das Jahr 1935/36 auf 300 000 für das Jahr 1938/39
erhöht.35
Bei zwei sechsmonatigen Durchgängen lagen diese Zahlen über den Stärken
der betroffenen Jahrgänge.36
Der Arbeitsdienst wurde vor allem für Aufgaben verwendet, die zur sogenannten
"Brotfreiheit" Deutschlands, also zur Autarkie beitragen sollten. Da der Arbeitsdienst
nicht mit bezahlter Lohnarbeit in Konkurrenz treten sollte,37
wurde er für Arbeiten
verwendet, deren ökonomischer Nutzen nicht unmittelbar gegeben, wohl auch häufig
fragwürdig war &173; zumindest mit den Mitteln des Arbeitsdienstes, der über wenig mehr
als die Muskelkraft seiner Mitglieder verfügte. Großprojekte waren die Trockenlegung
von 200 000 ha Moor im Emsland38
und die Eindeichung und Landgewinnung an der
schleswig-holsteinischen Nordseeküste. An die Stelle der Siedlungsvorbereitung traten
später die Erntehilfe,39
die Mithilfe am Bau des Westwalls und mit Kriegsbeginn
Arbeiten für militärische Zwecke wie die Wiederherstellung von zerstörten Straßen und
Brük-ken oder der Bau von Flughäfen.40
Die Arbeitsdienstler hatten eine "erdbraune" Uniform zu tragen, die sogenannte
"Tracht des Arbeitsdienstes". Zum Grundprogramm der militärischen
Vorschulerziehung des Arbeitsdienstes gehörte das Exerzieren, zum Beispiel durch
"Griffe-Klopfen am Spaten"41. In diesem Sinne bezeichnete Adolf Hitler den Spaten auf
dem "Parteitag der Arbeit" 1937 als "das Gewehr des Friedens", mit dem Generationen
anträten "zum Dienst an unserer Gemeinschaft und damit an unserem Volk".42
Eingerahmt von zwei aufgerichteten Ähren, war der Spaten ein Symbol des Arbeitsdienstes, das zeitweise so glorifiziert wurde, daß in der nationalsozialistischen Presse
von einer "neuen Spatendichtung" die Rede war.43
In einem Bericht an die Exil-SPD wird der Tagesablauf eines Arbeitslagers in
Beiersfeld/Erzgebirge folgendermaßen geschildert:
4.45 Uhr Wecken, 4.50 Frühsport, 5.15 Waschen, Bettenbau, 5.30 Uhr Kaffetrinken, 5.50 Flaggenparade, 6 Uhr Abmarsch zur Baustelle. Anschließend Arbeit auf der Baustelle bis 14.30 Uhr, dazwischen Frühstückspause von 30 Minuten; 15 Uhr Mittagessen, 15.30 bis 18 Uhr Exerzieren (man nennt es Ordnungsdienst), 18.10 bis 18.45 Uhr Unterricht, 18.45 bis 19.15 Uhr Putz- und Flickstunde, 19.15 Uhr Appell, 19.30 Uhr Dienstausgabe, 19.45 Uhr Abendbrot, 20 bis 21.30 Uhr Feierabendgestaltung oder Singstunde, 20 Uhr Zapfenstreich. Der Tag ist also vollständig mit Dienst ausgefüllt. Es bleibt den durch übermäßige körperliche Anstrengung stumpfgemachten jungen Menschen zum Nachdenken, zu noch so schwachen Regungen geistigen Eigenlebens, weder Kraft noch Zeit. Der Lohn beträgt 25 Pfg. pro Tag. Dafür kann der Arbeitsdienstler sich nicht einmal ein Glas Bier leisten, denn er muß dafür mindestens 30 Pfg. bezahlen.44
Zur Erläuterung muß noch angemerkt werden, daß Feierabend in der obigen
Aufzählung nicht mit Freizeit zu verwechseln ist. Auch im Feierabend mußte, wie es
Reichsarbeitsdienstführer Hierl ausdrückte, "Linie liegen".45
Das Ziel der häufig als reine
Schinderei empfundenen Arbeitsdienstzeit46
war es, "neuen Menschen den Durchbruch
zu bahnen".47
Diese sollten den Dienst höher stellen als den Verdienst und die Losung
verinnerlicht haben: "Unser Leben soll ein großer Arbeitsdienst für Deutschland sein!"48
Und mit dem Dienst am deutschen Volke, so lauteten die offiziellen Worte Hierls an
Hitler auf dem Nürnberger Parteitag 1937, "wird uns unser Arbeitsdienst im tiefsten
Sinne auch zum Gottesdienst".49
Noch bevor die Arbeitsdienstpflicht für Frauen umgesetzt wurde, ordnete
Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan ein landwirtschaftliches und
hauswirtschaftliches Pflichtjahr an.50
Das Pflichtjahr war für ledige weibliche
Arbeitskräfte unter 25 Jahren bestimmt, die neu ins Erwerbsleben eintreten wollten.
Zunächst war das Pflichtjahr auf bestimmte Bereiche begrenzt, in denen ein "Überfluß
an jungen Anwärterinnen" herrschte,51
und zwar auf Betriebe des Bekleidungsgewerbes,
der Textilindustrie, der Tabakindustrie und auf den Bereich kaufmännischer oder
Bürotätigkeiten.52
Es wurde dann aber bald auf jegliche Erwerbstätigkeit ausgeweitet.53
Ziel des Pflichtjahrs war zum einen, die von der Volksgemeinschaft benötigten
Hausfrauen heranzuziehen54
und der weiblichen deutschen Jugend die Berufe
nahezubringen, "die ihrer Wesensart angemessen sind".55
Zum anderen sollte der
Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft und Hauswirtschaft, der auf unattraktiven
Arbeitsbedingungen beruhte, behoben werden. Damit wurden die bestehenden
Engpässe der Industrie allerdings noch verschärft. Die Arbeitsämter erhielten aus
diesem Grunde einen weiten Ermessensspielraum, insbesondere für den Rüstungssektor
Ausnahmen zuzulassen.56
Im Rahmen der angestrebten vollständigen Erfassung und Gewinnung der Jugend
für den Nationalsozialismus wurde Anfang 1939 für die 10- bis 18jährigen die
Jugenddienstpflicht in der Hitler-Jugend eingeführt. Auf Antrag konnten Jugendliche
deutscher Staatsangehörigkeit, "bei denen beide Elternteile oder der Vater nach ihrem
Volkstumsbekenntnis zur dänischen oder polnischen Volksgruppe gehören" von
diesem "Ehrendienst am Deutschen Volke" ausgenommen werden.57
Eine Arbeitsdienstpflicht bestand seit Beginn des Nationalsozialismus bereits für
Abiturienten und Abiturientinnen, die ein Studium aufnehmen wollten.58
Die allgemeine
Arbeitsdienstpflicht für Frauen wurde vier Tage nach dem Beginn des Zweiten
Weltkriegs verordnet. Die Sollstärke wurde zunächst auf 100 000 Arbeitsmaiden bei
zwei sechsmonatigen Durchgängen festgelegt und später auf 130 000 erhöht.59
Etwa ein
Viertel bis ein Drittel der betroffenen Jahrgänge wurde so zum weiblichen Arbeitsdienst
eingezogen.60
Anders als beim Pflichtjahr, das nur für Berufseinsteigerinnen verbindlich
war, wurden zum Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend vor allem auch die
sogenannten "Haustöchter" und "Drohnen" herangezogen.61
Der Arbeitsdienst konnte
ebenso wie die Landhilfe und andere soziale Dienste auf das Pflichtjahr angerechnet
werden.
Der weibliche Arbeitsdienst hat ursprünglich &173; wie es in der Zeitschrift NS-Sozialpolitik heißt &173;
unter einem Mangel an sinnentsprechenden Aufgaben gelitten. Man hatte sich in den meisten Fällen damit begnügen müssen, den weiblichen Arbeitsdienst als Wasch- und Flicklager an männliche Arbeitslager anzuschließen oder die weiblichen Arbeitsdienstwilligen hauswirtschaftlich in Lagern auszubilden, die nur für ihren eigenen Bedarf arbeiteten. Diese Einrichtung war für die Mädchen selbst sicher sehr wertvoll und begrüßenswert, aber es fehlte der unmittelbare Dienst am Volksganzen.62
Der Widerspruch zwischen der öffentlichen Volksgemeinschaftsideologie des
Arbeitsdienstes einerseits und einem privat orientierten Ideal der "Mütterlichkeit"
andererseits blieb für den weiblichen Arbeitsdienst weiterhin charakteristisch. Der
weibliche Arbeitsdienst fand sein hauptsächliches Betätigungsfeld dann im individuellen
Hilfsdienst für Siedlerinnen und Bauersfrauen, erst nach der geleisteten Arbeit trafen
sich die Arbeitsmaiden im Lager.
An den weiblichen Arbeitsdienst wurde im Sommer 1941 ein sechsmonatiger
"Kriegshilfsdienst" angehängt, der in Büros der Wehrmacht, bei Behörden, in
Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen und bei kinderreichen Familien abgeleistet
werden konnte.63
Der Einsatz verschob sich allerdings schon bald in die
Rüstungsindustrie. Der weibliche Arbeitsdienst selbst wurde ab 1943 zur Unterstützung
der Luftwaffe herangezogen.64
Stufe der individuellen Dienstpflicht ab 1938
Schon im Sommer 1938 hatte mit der berüchtigten "Verordnung zur Sicherstellung des
Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung"
(Kräftebedarfsverordnung) die Stufe individueller Dienstverpflichtung begonnen.65
Bei
diesem Typ der Verpflichtung stand nicht so sehr der ideelle Wert der
Volksgemeinschaft im Vordergrund, als vielmehr pragmatische Anforderungen des
Staates. Der nationalsozialistische Staat wurde aber als der "Hort und Panzer" der Gemeinschaft verstanden.66
Durch die gesetzlich geregelte Einheit von Partei und Staat67
war nach der nationalsozialistischen Ideologie der Staat als ein Instrument des Volkes
anzusehen. Staatliche Interessen wurden letztlich als in den Interessen der
Volksgemeinschaft begründet verstanden, explizit gilt dies auch für die Dienstpflicht.68
Der akute Anlaß für die Dienstpflichtverordnung war der Bau des Westwalls, für
den mehr als 400 000 Arbeitskräfte benötigt wurden. Auch für den Aufbau der
Herrmann-Göring-Werke und für das Volkswagenwerk wurden Arbeitskräfte auf
diesem Wege bereitgestellt. Deutsche Staatsangehörige konnten jetzt von den
Arbeitsämtern &173; so heißt es im &167; 1 der Verordnung &173; "für eine begrenzte Zeit
verpflichtet werden, auf einen ihnen zugewiesenen Arbeitsplatz Dienste zu leisten oder
sich einer bestimmten beruflichen Ausbildung zu unterziehen". Es handelte sich bei den
Verpflichteten meist um Berufstätige, die bei ihrer alten Arbeitsstelle beurlaubt werden
mußten und in ein zweites privatrechtliches Beschäftigungsverhältnis traten.
Im Frühjahr 1939 wurde die Dienstverpflichtung um eine zeitlich unbegrenzte
Variante erweitert, bei der auch das alte Beschäftigungsverhältnis gelöst wurde.69
In den
Jahren 1938 bis 1940 wurden insgesamt 1,75 Mio. Menschen dienstverpflichtet, allein in
den ersten beiden Kriegswochen erhielten 500 000 den sogenannten "wirtschaftlichen
Gestellungsbefehl".70
Vorrangige Zielgruppen der Dienstverpflichtung waren Ledige und
Männer.
"Die Aufnahme dieser Verordnung war", wie der Sicherheitsdienst der SS
vermeldet, "anfänglich nicht gut &173; es wurde ganz offen in der Bevölkerung von der
Einführung der Zwangsarbeit im Dritten Reich gesprochen".71
Mit besseren Löhnen,
organisierten Freizeitangeboten und Verbesserung der Unterkünfte wurde versucht, die
Situation am Westwall zu entspannen. Die Dienstverpflichtung blieb jedoch bis zum
Ende des Krieges eine unpopuläre Maßnahme.72
Insgesamt ist ein Bemühen erkennbar, das Instrument der Dienstverpflichtung
behutsam anzuwenden.73
Dienstverpflichtungen standen auch in einem gewissen
Gegensatz zur Familienpolitik der Nationalsozialisten und waren grundsätzlich mit
Unzufriedenheit, Problemen und einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Die
Ziele, einerseits finanzielle Schlechterstellung von Dienstverpflichteten zu vermeiden,
andererseits die Lohnstruktur am Dienstort nicht zu stören, waren nicht miteinander
vereinbar. Dieses Dilemma kommt in einer Flut von Erlassen zum Thema Trennungszulage, Sonderunterstützung und Treugeld zum Ausdruck. Die Möglichkeit des
Härteausgleichs weckte in den Behörden den Ehrgeiz, mit Analogien über den engeren
Kreis der formal Dienstverpflichteten hinaus Gerechtigkeit herstellen zu wollen.74
Zu
diesem Zweck schufen sie die Figur des "Gleichgestellten": Gleichgestellt war eine
Arbeitskraft, die nicht dienstverpflichtet war, auf ihren Arbeitsplatz aber
dienstverpflichtet werden würde, wenn sie ihn nicht schon hätte. Mit der Anerkennung
als Gleichgestellter war der Anspruch auf die Zulagen der Dienstverpflichtung
verbunden.75
Auch auf Arbeitskräfte, die aus Räumungsgebieten, aus amtlich stillgelegten
Betrieben oder sogenannten "Auskämmungsaktionen" stammten, wurden das
Zuschlagssystem übertragen.
Die Verweigerung der Dienstpflichtleistung, galt nicht nur als Verletzung des
neuen Arbeitsvertrags, sondern auch als strafrechtlicher Tatbestand.76
Allerdings wurde
der Kampf an der inneren Front mit wenig Nachdruck geführt. Das lag zum einen am
nationalsozialistischen Trauma des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution, aus
dem die Lehre gezogen wurde, die deutsche Bevölkerung während des Krieges
möglichst wenig zu belasten. Zum anderen lag es an den widerstreitenden Interessen
verschiedener Instanzen und Regionen. In einem symptomatischen Rundschreiben des
Reichsarbeitsministers vom November 1941 wird deutlich, daß die allzeit
arbeitskraftbedürftigen Arbeitsämter sogar Amtshilfe bei der Dienstflucht leisteten:
Wie mir berichtet wird, mehren sich in letzter Zeit die Fälle, daß Bauarbeiter, die unter Anwendung der Dienstpflichtverordnung bei Dringlichkeitsbauten in anderen Bezirken eingesetzt wurden, ohne Entpflichtung und unter Zurücklassung ihrer Arbeitspapiere in ihre Heimatbezirke zurückkehren. Vielfach erhalten die für die Baustellen zuständigen Arbeitsämter von der unberechtigten Arbeitsniederlegung erst dadurch Kenntnis, daß sich die Dienstverpflichteten von ihrer Heimat aus an ihre Betriebsführer, an die Bauleitungen oder an die für die Baustellen zuständigen Arbeitsämter wegen der Aushändigung der Arbeitspapiere wenden. Zum Teil geben die Dienstverpflichteten dabei an, daß sie bereits in ihrer Heimat andere Arbeit aufgenommen haben. [was ohne Arbeitsbuch gar nicht möglich sein dürfte; NG] Mehrfach haben sich sogar Heimat-Arbeitsämter mit der Bitte um Zusendung der Arbeitspapiere an die für die Baustellen zuständigen Arbeitsämter gewandt, obwohl ihnen bekannt sein mußte, daß eine ordnungsmäßige Entpflichtung der Arbeiter nicht erfolgt war.77
Anschließend wird in nüchternem Tonfall begründet, warum dienstflüchtige
Arbeitskräfte an den Dienstort zurückzuführen seien. Trotz des eindeutigen
Straftatbestands sollte dabei von den Strafbestimmungen nur "gegebenenfalls"
Gebrauch gemacht werden.
Die Dienstpflichtverordnung war ein Instrument der Arbeitsämter zur Arbeitskräftezuteilung an vor allem privatwirtschaftliche Betriebe, die für staatspolitisch
bedeutsam gehalten wurden. Die öffentliche Verwaltung hatte seit Ende 1938 mit der
sogenannten Notdienstverordnung ein eigenes Instrument und konnte Reichsbewohner
zur Bekämpfung von Notständen selbst dienstverpflichten.78
Eine besondere Konstruktion sinngemäßer Anwendung der Kräftebedarfsverordnung wählte der Beauftragte für den Vierjahresplan, Hermann Göring, beim
Erlaß einer speziellen Dienstpflichtverordnung für die Landwirtschaft, der nicht oder
nicht voll beschäftigte Landbewohner unterworfen wurden. Diese konnten nun von den
Arbeitsämtern "auf begrenzte Zeit verpflichtet werden, sich dem für ihren Wohnsitz
zuständigen Ortsbauernführer zum Einsatz in landwirtschaftlicher Arbeit gegen ortsüblichen Lohn zur Verfügung zu halten".79
Durch die Übertragung hoheitlicher Funktionen an lokale NS-Repräsentanten sollte sichergestellt werden, daß es "nicht um
privatwirtschaftliche Interessen einzelner Bauern oder Landwirte, sondern um die
Volksgemeinschaft" und darum ginge, "daß das deutsche Volk auch im weiteren
Kriegsverlauf satt zu essen hat".80
Aufgrund ihrer dehnbaren Zumutbarkeitsklausel
wurde die Verordnung sehr unterschiedlich gehandhabt.81
Grundsätzlich wurde
Freiwilligkeit der Arbeitsleistung angestrebt, Arbeitsverweigerung wurde mit Dienstverpflichtung nach der Kräftebedarfsverordnung, Zwangsgeld, Strafanzeige, Entzug von
Lebensmitteldeputaten und "Einschreiten der Geheimen Staatspolizei" geandet.82
Hitler sträubte sich lange Zeit gegen eine grundsätzliche Dienstverpflichtung von
arbeitsfähigen Personen, da er weder für Frauenerwerbstätigkeit noch für unpopuläre
Maßnahmen etwas übrig hatte. Angesichts des zunehmenden Arbeitskräftemangels sah
er sich im Januar 1943 dann aber doch gezwungen, den Befehl zu einer umfassenden
Mobilisierung brachliegender Arbeitskraftreserven zu geben.83
Nach der darauf gründenden sogenannten Meldepflicht-Verordnung des Generalbevollmächtigten für den
Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, mußten sich alle nichterwerbstätigen Deutschen, die nicht
unter eine der zahlreichen Ausnahmeklauseln fielen, bei den Arbeitsämtern zum
Arbeitseinsatz melden.84
Bis Juni 1943 kamen 3,6 Mio. Meldungen zusammen, die
meisten von Frauen. Insgesamt konnten 1,4 Mio. Arbeitskräfte neu eingesetzt werden,
zu einem nicht geringen Teil jedoch nur halbtags. Bis zum November kam es zu einem
beträchtlichen Schwund unter den neuen Arbeitskräften: 500 000 hatten sich mit
ärztlichen Attesten wieder aus dem Arbeitsleben verabschiedet.85
Die wie erwartet
unpopuläre Aktion war insgesamt ein Fehlschlag. Im Sommer 1944 wurde die
Meldepflichtverordnung zur innerdeutschen Arbeitskräftemobilisierung nochmals in
mehreren Etappen ausgeweitet, allerdings ohne größeren Erfolg.
Zusammenfassung
Es gibt zwei Gründe, Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft zu Diensten zu
verpflichten: ideologische und pragmatische. Bei den Nationalsozialisten spielten beide
eine Rolle.
In den ersten drei Jahren ihrer Herrschaft dienten der Arbeitsdienst und die
Landhilfe auch ideologischen Zielen, in erster Linie aber der Entlastung des
Arbeitsmarktes. Die Freiwilligkeit der Teilnahme wurde in der Praxis häufig durch
Druck oder sogar Zwang in Frage gestellt.
Mit der Verbesserung der Arbeitsmarktlage gewann die ideologische Funktion des
Dienstes an der Volksgemeinschaft an Gewicht. Die Pflichtdienste, die jetzt eingeführt
wurden, konnten in einem bewußten Abstand zum regulären Arbeitsmarkt geschaffen
werden. Die Reichsarbeitsdienstpflicht wurde verbindlich und die zwischenzeitlich
beinahe eingeschlafene Landhilfe wurde in der Form des Haus- oder landwirtschaftlichen Pflichtjahrs für junge Frauen wiederbelebt. Die Pflichtdienste stammen aus
einer Zeit in der es Arbeitskräfte im Überfluß gab und sie hatten eher den Charakter von
Drill und Beschäftigungstherapie &173; die Produktivität spielte eine untergeordnete Rolle.
Damit wurden diese Dienste unter veränderten Bedingungen zu einem Hemmnis für
eine pragmatische Arbeitsmarktlenkung.
Mit dem Kippen des Arbeitsmarktes hin zu einer Mangellage entstand Ende der
dreißiger Jahre eine neue Situation. Den Nationalsozialisten erschien es nun
erforderlich, die vorhandenen Arbeitskraftressourcen stärker auf kriegswichtige Bereiche
zu konzentrieren. Für diese Aufgabe hatten sie seit 1934 ein umfassendes
Instrumentarium aufgebaut, mit dem die Arbeitsämter sämtliche Bewegungen auf dem
Arbeitsmarkt kontrollieren konnten, ohne dabei gänzlich in Dirigismus zu verfallen und
individuelle Leistungen und Perspektiven vollständig zu blockieren. Dieses Instrumentarium &173; das an anderer Stelle eingehender zu behandeln wäre &173; war Teil einer eher
abstrakten Ideologie, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber als "Arbeitsbeauftragte des
Volkes" definierte, wie es Hitler auf dem Nürnberger Parteitag 1936 ausdrückte.
Dahinter stand das Konzept der "Betriebsgemeinschaft", das mit dem sogenannten
Arbeitsordnungsgesetz schon bald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme
kodifiziert worden war.86
Das Verständnis von Arbeit als Dienst an der Volksgemeinschaft und die
geschaffenen Steuerungsmittel reichten in der Praxis nicht immer aus, insbesondere
nicht für große und eilige Sonderprojekt, die als staatspolitisch wichtig angesehen
wurden. Für konkrete Fälle wurde deshalb die Dienstpflicht geschaffen. Die
Dienstpflicht war aber nicht ideologisch begründet, sondern entsprang reinem
Pragmatismus. Aus diesem Grunde blieb der Blick für ihre Problematik erhalten, und sie
wurde mit vergleichsweiser Zurückhaltung angewandt. Möglich war das nur deshalb,
weil die pragmatischen Zwänge, die die Umsetzung der Kriegsideologie der
Nationalsozialisten schuf, zulasten der eroberten Gebiete und Bevölkerungen abgewälzt
wurden.
Das Fazit: Sowohl aus ideologischen als auch aus pragmatischen Gründen kam es
im Nationalsozialismus zu einer zunehmenden Ausbreitung des Dienstprinzips. Das gilt
für die zunehmende Ausbreitung von Diensten im engeren Sinne, wie auch für die
Durchdringung der Gesellschaft mit dem Dienstgedanken und die Expansion von
Diensten nach außen. Rechte leiteten sich grundsätzlich nur aus erfüllten Pflichten ab,
und die Pflichten nahmen einen immer größeren Umfang an. Allenfalls aus
pragmatischen Gründen erlegte sich der Nationalsozialismus Grenzen der
Dienstbarmachung des Individuums für eine falsch verstandene Gemeinschaft auf.
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Fußnoten
1. Norbert Götz: Communication and Instrumentalization: On a Theory of Sustainable Development of Collective Identities. Berlin: Humboldt-Universität, 1997 (= Arbeitspapiere "Gemeinschaften"; 5).
2. Mit dem Zusammenhang von kollektiven Identitäten und Recht beschäftigt sich die internationale Collective Identity Research Group (CIRG) (Oslo, Stockholm, Bergen, Florenz, Berlin).
3. Hans Mommsen: "Der Nationalsozialismus: Kumulative Radikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes." In: Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Bd. 16. Mannheim u.a.: Bibliographisches Institut, 1976, 785&173;790.
4. Vgl. insbesondere das wegweisende "Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes" vom 15.5.1934. In: Reichsgesetzblatt [im folgenden RGBl.] I, 381&173;382, sowie den Runderlaß des Reichsarbeitsministers vom 12.1.1942, in dem die amtliche Verwendung des Begriffs "Arbeitsmarkt" untersagt wird; Reichsarbeitsblatt [im folgenden RABl.] II, 41.
5. "Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuches" vom 26.2.1935. In: RGBl. I, 311.
6. "Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung" vom 13.2.1939. In: RGBl. I, 206&173;207; "Verordnung über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels" vom 1.9.1939. In: RGBl. I, 1685&173;1686.
7. Preller, Ludwig: "Totale Lenkung des Arbeitseinsatzes." In: Soziale Praxis 48 (1939), Sp. 414.
8. Bruno Rauecker. "Arbeitswissenschaft im Dienste der Volksgemeinschaft". In: NS-Sozialpolitik 1 (1933:34), 235.
9. Wolfgang Siebert: Die deutsche Arbeitsverfassung. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1942, 31.
11. "Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" vom 5.6.1931. In: RGBl. I, 295.
12. Für detailliertere Informationen s.: Henning Köhler: Arbeitsdienst in Deutschland: Pläne und Verwirklichungsformen bis zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht im Jahre 1935. Berlin: Duncker & Humblot, 1967.
13. S. die einschlägigen Statistik-Beilagen zum RABl.
15. Wiedergegeben in: Max Domarus (Hg.): Hitler: Reden und Proklamationen 1932&173;1945. München: Süddeutscher Verlag, 1965, 193.
16. Wiedergegeben in: Domarus 1965, 262.
17. Vgl. Konrad Repgen und Hans Booms (Hg.): Akten der Reichskanzlei: Die Regierung Hitler, Teil I: 1933/34. 2 Bde. Boppard: Boldt, 1983, 559, Anm. 7 (im folgenden zitiert als AdR).
18. S. etwa die Schreiben Hierls v. 9.8.1933 und 26.8.1933 in AdR, 709&173;713 und 718&173;721.
20. Alfred Krüger. "Arbeitsdienst und neue Gesellschaftsordnung." In: NS-Sozialpolitik 2 (1934/35), 40.