Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Humboldt - Universität zu Berlin

Philosophische Fakultät II

Nordeuropa - Institut

Dr. Stephan Michael Schröder

GK 52 243            Einführung in die skandinavistische Kulturwissenschaft

Åke Daun:

„Svensk mentalitet“

WS 1999/2000

Clemens Räthel

Im. - Nr.: 15 42 94

Studienkombination:

Skandinavistik

Theaterwissenschaft

Politikwissenschaft

  1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Buch von Åke Daun „Svensk mentalitet“. Untersucht werden soll, wie sich Schwerpunkte innerhalb dieses Werkes in den drei unterschiedlichen Auflagen verschoben haben und welche neuen Akzente gesetzt worden sind. Außerdem wird grundsätzlich darüber zu diskutieren sein, wie die wissenschaftliche Annäherungsweise Åke Dauns an das Thema Mentalitätsforschung zu bewerten ist.

Im folgenden möchte ich einen kurzen Abriss der Geschichte der Mentalitätsforschung in Schweden geben, wesentliche Punkte des Buches von Åke Daun darstellen sowohl bezüglich des Inhaltes und der Forschungsergebnisse als auch der wissenschaftlichen Vorgehensweise, Kritikpunkte aufzeigen und daraus resultierende Veränderungen in den nachfolgenden Auflagen untersuchen.

  1. Kurze Geschichte der Mentalitätsforschung in Schweden

Eine herausragende Stellung in der Schwedischen Mentalitätsforschung nimmt Gustav Sunbärg ein. In der Zeit von 1907 bis 1913 leitete er die „Emigrationsudredning“, eine große Untersuchung über die Auswanderung aus Schweden, für die es einen staatlichen Auftrag gab. Unter der Mitarbeit vieler namenhafter Wissenschaftler entstand so ein über 900 Seiten starkes Werk, das nicht nur die Gründe für die Auswanderung untersuchte, sondern sich ebenfalls damit beschäftigte, wie einer weiteren Emigration vorgebeugt werden könne. Ein kleiner, aber vielbeachteter Text dieser Untersuchung war der von Gustav Sundbärg verfasste Beitrag „Det svenska folklynnet“. In diesem Text führt er herausragende Charaktereigenschaften auf, welche die Schweden auszeichnen, jedoch verschweigt er auch Schwachpunkte nicht. Im besonderen geht er auf die hervorragende Bildungssituation in Schweden ein, auf die erfolgreiche Kriegsgeschichte des Landes aber auch die Friedfertigkeit der schwedischen Bevölkerung, auf besonders hervorstechende Charaktereigenschaften wie etwa Schüchternheit, Gastfreundschaft, Pflichtbewusstsein und die große Liebe zur Natur [1] . Sundbärg selbst räumt am Ende seines Textes ein, dass es ein äußerst schwieriges Unterfangen sei, den Charakter eines Volkes zu untersuchen. Jedoch sieht er diese Forschung als dringend notwendig in bezug auf die Auswanderungsfrage an [2] .

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann aber nicht nur in Schweden ein Tabu, von Nationalcharakteren zu reden. Solche Arbeiten wurden als unwissenschaftlich und unsinnig angesehen, was als Folge der Auswirkungen der nationalsozialistischen Rassenlehre auch nicht weiter verwunderlich scheint. In Schweden wurde diese Einstellung durch zwei Umstände wesentlich verstärkt. Zum einen herrschte während einer langen Zeit ein relativer „Mangel“ an Fremden, welche eine offensichtlich abweichende Kultur hatten. Genauso mangelte es an kulturellen Minderheiten – diese gab es natürlich, jedoch wurden sie weitestgehend nicht wahrgenommen – und so kann festgestellt werden, dass nach dem Krieg die schwedische Bevölkerung über einen langen Zeitraum hinweg bemerkenswert homogen war oder zumindest erschien [3] . Da Fremdes im eigenen Land nur bedingt wahrgenommen werden konnte, bestand auch keine Notwendigkeit, sich durch eine Besinnung auf die eigene Kultur abgrenzen zu müssen.

Der andere Umstand hatte seine Quelle darin, dass Schweden sich als ein sehr modernes Land ansah, gekennzeichnet von Vernunft und Gerechtigkeit und später auch von einem bemerkenswerten wirtschaftlichen Fortschritt. Mit diesem Ausgangspunkt war es möglich, die Auffassung zu halten, dass Schweden sich nicht durch eine besondere Kultur oder Mentalität auszeichnete.

Während der letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre hat Schweden, verglichen mit Resteuropa, einen verhältnismäßig großen Teil an Flüchtlingen aufgenommen. Einwanderer machen heute ungefähr 10% der Bevölkerung aus. Dadurch wurde die Debatte über die Eigenarten der schwedischen Kultur und die Bereitschaft, sich mit anderen Traditionen, Gewohnheiten, Lebensvorstellungen und Glaubensrichtungen auseinanderzusetzen, neu entfacht. Auch Schwedens Verhandlungen um die Mitgliedschaft in der EG und die Diskussionen um die Ratifizierung verschiedener Verträge spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle [4] .

  1. Åke Daun: Svensk mentalitet

Auf diesem Hintergrund ist das Buch „Svensk mentalitet“ von Åke Daun zu sehen. Die erste Auflage erschien 1989, jedoch arbeitete Daun schon seit Begin der 80er Jahre an diesem Thema. Auf die Fragen nach besonderen Charaktereigenschaften, typischen Gedankengängen, Verhaltensmustern und Zusammenseinsformen, grundlegenden Wertvorstellungen und Kommunikationsmustern der Schweden wollte Daun mit diesem Buch eine Antwort geben. Interessant erscheint mir hierbei sein Herangehensweise: Daun versucht durch empirische Forschungen diese Fragen zu beantworten. Für ihn ist es wichtig, von der Vielzahl der Unregelmäßigkeiten und Variationen abzusehen, um auf einem Abstraktionsniveau nach Regelmäßigkeiten und Übereinstimmungen zu suchen, zuallererst in einer vergleichenden Perspektive. Er geht davon aus, dass jede Nation etwas gemeinsam hat, was sie dadurch von anderen unterscheidet. Auf diesem Hintergrund will Daun sein Buch verstanden wissen: Nicht als ein vollständiges Portrait der Schweden, vielmehr als Bild der Schweden verglichen mit anderen Völkern.

Natürlich ist Daun sich bewusst, dass die Schweden untereinander sehr verschieden sind, jedoch sieht er zwischen allen gewisse Gemeinsamkeiten. Diese modale schwedische Persönlichkeit („den modala svenska personligheten“) setzt er mit dem Begriff Mentalität gleich. Hierbei geht es nicht darum, dass die Mehrheit der Bevölkerung, also über 50%, eine bestimmte Charaktereigenschaft aufweist, beispielsweise Schüchternheit, es geht hierbei vielmehr um die Häufigkeit, die Frequenz einer Erscheinung [5] .

Um Aussagen über die schwedische Mentalität machen zu können, ist neben der modalen Persönlichkeit vor allem der Vergleich mit anderen Kulturen und Ländern wichtig. Dies möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Daun ist der Meinung, dass die Schweden als schüchtern aufgefasst werden können, da Schüchternheit innerhalb einer Meßmethode 25% der Bevölkerung umfasst. Dies ist ein weit höherer Prozentsatz als bei vielen anderen Nationen, woraus geschlossen wird, dass Schweden als schüchtern zu gelten haben.

Das Material für seine Untersuchungen hat Daun in jahrelanger Arbeit und auf verschieden Art und Weise zusammengetragen. Die empirische Basis bilden zum ersten Daten von quantitativen Untersuchungen, also Studien, die während der siebziger und achtziger Jahre von schwedischen aber auch ausländischen Forschern mit verschiedenen Ausgangspunkten gemacht wurden. Daun bemüht sich darum, Material aus möglichst vielen und unterschiedlichen Disziplinen zu verwenden und mit den Forschern zusammen arbeiten zu können. So führt er neben Ethnologen und Sozialanthropologen auch Linguisten, Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler auf [6] .

Als ein zweites wichtiges Fundament seiner Forschungen sieht er seine privaten Beobachtungen und Erlebnisse: Er betont hierbei seine jahrelangen Aufenthalte im Ausland, sein Zusammenleben mit Einwanderern in Schweden und die Zusammenarbeit mit ausländischen Forschern. Auch dies sieht Daun als empirische Basis für diese Arbeit. Aus diesem gemischten und sehr unterschiedlichen Material glaubt Daun, eine übergreifende schwedische Mentalität, die modale schwedische Persönlichkeit herauskristallisieren zu können. Er selbst bestreitet keineswegs, dass diese modale schwedische Persönlichkeit auf verschiedene Art und Weise variiert, beispielsweise in bezug auf unterschiedliche Gesellschaftsklassen, Generationen und Wohngegenden, jedoch glaubt er trotz dieser Vielzahl von Variationen, ein umfassendes Bild geben zu können, das in allen Milieus wiederzufinden ist, wenn auch in modifizierten Formen.

  1. Gliederung und Inhalt der ersten Auflage

Die Auflage von 1989 ist in acht verschiedene Kapitel gegliedert: kultur, personlighet, relationer (blyghet, oberoende, konfliktundvikande, ärlighet), känslor, förnuft, tungsinne, svenskheten inom oss, svenskhetens historia. Diesen acht Kapiteln, denen eine Einleitung vorangestellt ist und die in verschiedene Unterkapitel aufgeteilt sind, ist eine englische Zusammenfassung nachgestellt. Im ersten Kapitel (kultur) geht es hauptsächlich um die Bedeutung von Erfahrungswerten, um das Weltbild und Wertvorstellungen der Schweden, um bestimmte Kodierungen und deren Deutung. Das zweite Kapitel (personlighet) befasst sich kurz mit der Geschichte der Erforschung von Nationalcharakteren und mit verschiedenen Seiten der menschlichen Persönlichkeit: Schüchternheit, Unabhängigkeit, Konfliktvermeidung und Ehrlichkeit und der Bedeutung dieser Eigenschaften für die schwedische Mentalität. Das vierte Kapitel (känslor) beginnt Åke Daun mit einem Vergleich zwischen Schweden, Finnen, Italienern und Koreanern. Außerdem geht er auf verschiedene Normen ein, welche seiner Meinung nach die Gefühlslage der Schweden beeinflussen. Im nächsten Kapitel geht es um Vernunft, Sachlichkeit und mögliche politische Indoktrination. Im sechsten Kapitel setzt Daun sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Schwermut auseinander. Hierbei werden der Einfluss des Klimas auf die Stimmungslage des Menschen, die Arbeitsmoral und die mögliche Identifikation mit der Arbeit sowie Moralvorstellungen untersucht. Im siebten Kapitel beschäftigt sich Daun mit der Frage, ob es einen besonderen kulturellen Code in Schweden gibt und wie sich dieser sich äußert. Im letzten Kapitel untersucht er, welche historischen Gründe es für die Herausbildung des von ihm skizzierten Schwedentums gibt. Hierbei legt er ein besonderes Augenmerk darauf, wie Veränderungen im Gesellschaftssystem dabei von besonderer Bedeutung waren. Am Ende des Buches findet sich eine englische Zusammenfassung der untersuchten Themengebiete.

  1. Veränderungen in der zweiten Auflage (1994)

In der Auflage von 1994 gab es gewisse kleine Veränderungen in den vorhandenen Texten, und einige neue Abschnitte kamen hinzu. Die ersten drei Kapitel und die Einleitung wurden verkürzt aber auch neue Texte hinzugefügt. Die Texte zu den Themen Wertvorstellungen, kulturelle Zeichen und Geschichte der Erforschung von Nationalcharakteren wurden aus der zweiten Auflage gestrichen. Dafür findet sich im dritten Kapitel ein neuer Text mit dem Titel „Kollektivism kontra individualism“, und auch das fünfte Kapitel ist um einen Aufsatz reicher, der sich mit Fragestellung auseinandersetzt, ob Modernität als ein neues nationales Selbstbild der Schweden gesehen werden kann.

Weitaus wichtiger erscheint mir jedoch, dass Åke Daun auch ein gänzlich neues Kapitel der zweiten Auflage beigefügt hat: „Ordspråk och mentalitet“. Hierbei untersucht er, welche Bedeutung Sprichworte für die Mentalitätsforschung haben und wie sich Werte wie Gerechtigkeit und Wahrheit in Redewendungen wiederfinden. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand ist die Suche nach dem speziell Schwedischen in diesen Redewendungen. Hierbei beschäftigt Daun sich damit, welche universellen Botschaften aus Geflügelten Worten abzulesen sind und welche Redewendungen speziell schwedische Werte und Lebensvorstellungen wiedergeben.

Spannend erscheint mir zu untersuchen, warum Daun diese Veränderungen vorgenommen hat. Erwähnenswert wäre, dass das Buch in Schweden aber auch anderen skandinavischen Ländern großes Aufsehen erregte und durchaus, was die Verkaufszahlen betrifft, als erfolgreich bezeichnet werden kann. Daun selbst nennt im Vorwort der zweiten Auflage einige Gründe für die Veränderungen und Umstrukturierungen. Er weist darauf hin, dass sich seit der Ersterscheinung des Buches in der Welt vieles geändert habe: der Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks, die fortschreitende EG – Integration, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien und das sich auch daraus ergebene wachsende Flüchtlingsproblem. Im Hinblick auf Schweden nennt er hierbei die zunehmende Fremdenfeindlichkeit, aus der bis dahin ungeahnte Gewalttaten gegen Ausländer resultieren, enorme Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit der Umstrukturierung der Wirtschaft im Zuge der Internationalisierung. Daun ist der Meinung, dass diese dramatischen Veränderungen in der Gesellschaft zu Unruhe und Orientierungslosigkeit führen. Dies wiederum habe zur Folge, dass man mehr und mehr darum bemüht sei, sich durch Abgrenzung gegen andere zu definieren. Infolgedessen sei das Interesse an der eigenen Mentalität und der Suche nach einem nationalen Profil gewachsen.

Infolge dieser Gründe, ist Daun darum bemüht, den Schwerpunkt in dieser zweiten Auflage etwas zu verschieben. Die hinzugefügten Texte sollen Antwort auf die Frage geben, wie der spezielle Typ der schwedischen Gesellschaft Einwirkungen auf den einzelnen Menschen hat und wie Kultur und Gesellschaft aneinander gebunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Diese von Åke Daun gegeben Begründung ist für die Texte „Kollektivism kontra individualism“ und „Moderniteten som nationell självbild“ einsichtig. Ich denke, es ist schon aus dem Titel dieser beiden Aufsätze ersichtlich, dass sie sich mit den Fragestellungen beschäftigt, die Åke Daun in dieser veränderten Situation 1994 für wichtig hielt. Jedoch finden sich meiner Meinung nach im neu eingefügten Kapitel „Ordspråk och mentalitet“ keinerlei Antworten auf die aufgeworfenen Fragestellungen.

  1. Veränderungen in der dritten Auflage (1998)

In der dritten Auflage finden sich zwei wesentliche Veränderungen: Das Kapitel „Svenskheten inom oss“ wurde herausgenommen und dafür wurde ein neues Kapitel mit dem Titel „Den mångtydiga svenskheten“ eingefügt. Dieses Kapitel beschäftigt sich vorwiegend mit der Frage nach nationalen Zugehörigkeiten in einer globalisierten Welt. Es geht Åke Daun darum, zu untersuchen, wer heutzutage in Schweden als Schwede bezeichnet werden kann.

Unter fünf Gesichtspunkten stellt er verschiedene Betrachtungsweisen auf die schwedische Kultur dar: 1. Stereotypa uppfattningar om svendk kultur bland främlingar; 2. Stereotypa uppfattningar om svensk kultur bland infödda svenskar; 3. Kulturvetenskapliga modeller av svensk kultur; 4. Kulturellt konstruerade föreställningar bland infödda svenskar om vem som är invandrare respektive svensk; 5. Kulturellt konstruerade föreställningar om vem som är svensk respektive invandrare.

Im ersten Abschnitt stellt Daun die These auf, dass das Bild eines Menschen von einer fremden Kultur ganz wesentlich von den Relationen zwischen der eigenen und der fremden Kultur abhängt. Hierbei spiele ein psychologischer Mechanismus eine wichtige Rolle, auf Unterschiede eher zu achten als auf Gemeinsamkeiten. Man achte also, wenn man sich ein Bild einer anderen Kultur macht, nicht darauf, was gleich oder ähnlich ist sondern auf signifikante Unterschiede. Die Schweden selber sehen sich laut Daun nicht als Träger einer speziellen Kultur. Das hänge damit zusammen, dass man seine alltägliche Umgebung nicht als etwas besonderes wahrnehme. Im Hinblick auf die Menschen im eigenen Umfeld, die sich schon deutlich voneinander unterscheiden, sei es für die Schweden schwer zu akzeptieren, dass es eine schwedische Mentalität geben soll. Im dritten Abschnitt befasst sich Daun vor allem mit den Problemen, die seine Forschungen aufwerfen. Er betont, die Begrenztheit der Möglichkeiten, die schwedische Mentalität zu erforschen. Eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Mentalität erlaube nur eine Beschreibung, die in sich eine Abstraktion ist. Es gebe keinerlei Möglichkeiten, über gewisse Begrenzung, etwa bezüglich des statistischen Materials, hinwegzukommen. Die „wirkliche Wirklichkeit“ könne nicht abgebildet werden. Im vierten Abschnitt beschreibt Daun den Unterschied zwischen der lexikalischen und der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes Einwanderer und dessen negativer Einfärbung. Des weiteren stellt er die Behauptung auf, die Einheimischen würden nur solche Personen als „echt schwedisch“ ansehen, die mindestens einen schwedischen Elternteil hätten und sich darüber hinaus auch im Aussehen nicht wesentlich von der Norm unterschieden. Grundsätzlich andere Standpunkte zu diesen Fragestellungen werden im fünften Teil dargestellt. Hier untersucht Daun, wie Einwanderer diese Probleme sehen. Er beschreibt Probleme der kulturellen Identität von Einwanderern, die sich selber nicht als richtige Schweden sehen aber auch von den Einheimischen ständig an ihre ausländische Herkunft erinnert werden. Sie fühlen sich, so sagt es Daun, sowohl als Schweden aber gleichzeitig auch als Ausländer [7] .

Die Veränderungen in der dritten Auflage begründet Daun mit der wiederum veränderten Situation in Schweden. Die Frage danach, wer denn nun als Schwede zu gelten habe oder nicht, wird seiner Meinung nach durch die hohe Einwanderungsquote und den daraus resultierenden Problemen notwendig. Jedoch denke ich, dass auch die an den vorhergegangenen Auflagen geübte Kritik einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Veränderungen hatte.

  1. Rezeption und Kritik

Bereits als Åke Daun erstmals zum Thema schwedische Mentalität sprach („23rd Nordic Congress of Ethnology and Folklore“, Dänemark 1983) gab es vehemente Proteste [8] . Erfahrungen mit Studien zur nationalen Mentalität, besonders in Deutschland, wurden als Warnung  angeführt, wie Studien dieser Art missbraucht werden können. Mit Erscheinen des Buches 1989 verstärkte sich die Kritik noch weiter, und dies wird auch ein Grund für die diversen Änderungen in den unterschiedlichen Auflagen gewesen sein. Als ein sehr scharfer Kritiker erwies sich Anders Linde – Laursen. Zwei Punkte waren ihm besonders wichtig: Im Bezug auf das statistische Material, aus dem sich Dauns Argumentationen hauptsächlich ableiten, bemängelte er, dass Daun voraussetze, dass die Sprache unabhängig von der Kultur sei. In bezug auf Dauns Vergleiche unterschiedlicher Kulturen stellt sich die Frage, ob man die Ergebnisse der in unterschiedlichen Ländern benutzten Fragebögen wirklich als vergleichbar betrachten kann. Wer sagt denn, dass es für einen Schweden, einen Finnen, einen Italiener und einen Koreaner das gleiche bedeutet, beispielsweise eine Situation peinlich zu finden, Selbstbewusstsein zu haben oder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen [9] . Linde – Laursen bezweifelt auch einige der Schlussfolgerungen, die Daun aus seinem statistischen Material gezogen hat. So fragt er sich beispielsweise, ob die Angabe von 6% der befragten Personen, sie hätten Schwierigkeiten damit, Freundschaften aufzubauen, wirklich die Schlussfolgerung zulässt, dies wäre ein Ausdruck extremer Schüchternheit. Diese Kritik war sicherlich nicht unmaßgeblich daran beteiligt, dass in der Auflage von 1998 das Kapitel „Svenskheten inom oss“ fehlt. Denn auch hier muss ein Teil des Materials in Frage gestellt werden. [10]

Jedoch gibt es darüber hinaus weitere Kritikpunkte. Ich halte die wissenschaftliche Herangehensweise Dauns teilweise für durchaus fraglich, beispielsweise wenn es darum geht, dass er seine persönlichen Beobachtungen als empirische Basis bezeichnet und diese auch so verwendet. Auch räumt er selber ein, dass das statistische Material teilweise unausgewogen ist: Die Befragungen beschränken sich häufig auf die Mittelklasse in Stockholm. Daun selbst gibt zu, dass er teilweise sicherlich zu anderen Ergebnissen gekommen wäre, wenn er die Befragungen und Interviews etwa in ländlichen Gegenden, vorwiegend unter Jugendlichen oder in andern Großstädten durchgeführt hätte. Gewiss sind Statistiken nie ohne bestimmte Einschränkungen zu verwenden, jedoch denke ich, dass dies auch mit ein Grund ist, Dauns Buch und sein damit verbundenes Ziel, die modale schwedische Persönlichkeit zu beschreiben, in Frage zu stellen.

Sicherlich sind die Änderungen in der zweiten und vor allem der dritten Auflage zu würdigen. Besonders das Kapitel „Den mångtydiga svenskheten“ lässt neue Blickwinkel zu. Ich halte es für durchaus wichtig, hier auf die veränderte Situation in Schweden einzugehen, aber gerade durch dieses Kapitel, in dem dargestellt wie schwierig allein die Frage zu beantwortet ist, wer überhaupt als schwedisch zu gelten habe, erscheinen große Teile des Buches als noch fragwürdiger. Wenn nicht einmal geklärt werden kann, wer Schwede ist, wie soll dann eine schwedische Mentalität beschrieben werden können? Natürlich gibt es in jeder Nation bestimmte Vorstellungen und Statements über Kultur, Gesellschaft und Mentalität. Vielleicht wäre aber die weitaus spannendere Frage, wann, wie, von wem und in wessen Interesse solche Statements formuliert wurden und auf welche Weise sie sich verändert haben.

Soweit ich es überblicken kann, nennt er in keiner der Auflagen einen hinreichenden Grund oder eine Motivation für seine Forschungsarbeit auf diesem Gebiet, und somit bleibt auch die Frage unbeantwortet, was er damit erreichen will. Jedoch denke ich mir, dass wenn die schwedische Mentalität das Thema seiner Forschungen ist, er damit sicherlich ein Ziel verbindet und dieses wird wohl kaum darin bestehen, dass „die Schweden“ sich von seinem Buch und dessen distanzieren. Wenn er aber mit diesem Werk erreichen will, dass die Bevölkerung sich damit identifizieren kann, und diese Vermutung liegt doch sehr nah, dann bleibt auch hier die Frage nach dem Warum unbeantwortet. Ich halte dieses Unterfangen für teilweise riskant: Es ist deutlich erkennbar, dass „Svensk mentalitet“ als eine moderne Fortschreibung von Sundbärgs „Det svenska folklynnet“ bezeichnet werden kann. In vielen Punkten beschreiben beide die Schweden auf sehr ähnliche oder sogar gleiche Art und Weise, auch wenn sie mit verschiedenen Mitteln zu ihren Ergebnissen kommen. Ich halte es daher für durchaus möglich, dass die ständig gleichen oder ähnlichen Beschreibungen der Schweden dazu geführt haben, dass solche permanent präsenten Darstellungen von den Schweden selbst aufgenommen und verinnerlicht und somit natürlich auch in den Interviews und Fragebögen wiedergegeben werden konnten. Und somit drängt sich gewissermaßen die Frage auf, ob diese Art der Forschung nicht erst dazu beiträgt, eine nationale Mentalität zu erschaffen.



[1] Sunbärg, Gustav 1911: Det svenska folklynnet, S. 6ff.

[2] Sunbärg, Gustav 1911: Det svenska folklynnet, S. 10

[3] Daun, Åke 1994: Svensk mentalitet, S. 16f.

[4] Daun, Åke 1998: Svensk mentalitet, S. 14.

[5] Daun, Åke 1994: Svensk mentalitet, S. 18f.

[6] Daun, Åke 1989: Svensk mentalitet, S. 21

[7] Daun, Åke 1998: Svensk mentalitet, S. 219 - 233

[8] Linde – Laursen, Anders 1990: National Mentality and Culture, S. 159

[9] Daun, Åke 1989: Svensk mentalitet, S. 69ff.

[10] Linde – Laursen, Anders 1990: National Mentality and Culture, S. 160

Literaturverzeichnis

Daun, Åke: Svensk mentalitet. Ett jämförande perspektiv. 1. Aufl. 1989, 2., umgearbeitete Aufl. 1994, 3., umgearbeitete Aufl. 1998. Stockholm: Rabén Prisma

Linde – Laursen, Anders: National Mentality ans Culture. In: Ethnologia Scandinavica, Vol. 20, 1990, S. 159 – 162

Manninen, Laura: The Great Identity? In: Ethnologia Scandinavica, Vol. 23, 1993, S. 145 - 147

Sundbärg, Gustav: Det svenska folklynnet. Aforismer. Stockholm: Norstedt, 1911 (=Emigrationsutredningen, bilage XVI)