Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

Exkursionen 2010

Mittelalterliches Bergen und norwegische Erinnerungskultur
(14.–18. Mai 2010)

Vom 14. bis zum 18. Mai reisten Jorunn Sem Fure und Lena Rohrbach mit 30 Studierenden des Nordeuropa-Instituts nach Bergen. Die beiden Themenschwerpunkte der Exkursion waren zum einen die mittelalterliche Kultur Bergens, zum anderen praktizierte Erinnerungskultur; Letzterem ging die Gruppe vor allem am Beispiel des norwegischen Nationalfeiertags und der Erinnerung an die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg nach. Die Exkursion begann in Bergen mit einer vom Historiker Egil Ertresvaag geleiteten abendlichen Stadtwanderung. Der zweite Tag stand vollständig unter den Zeichen des mittelalterlichen Bergens: Nach einem Besuch von Bryggens museum zur Geschichte der Bergenser Brügge und seinem Umland führte Professor Odd Einar Haugen (Universitetet i Bergen) die Studierenden in einem Workshop in das mittelalterliche Runenalphabet ein. Nachmittags wurde die Gruppe dann in den Schjøttstuene, einer mittelalterlichen Stube der deutschen Brügge, von Anna Elise Tryti, Mittelalterhistorikerin und Kulturdezernentin von Hordaland, mit Wein und Käse und mittelalterlichem Schwank als Botschafter aus Deutschland in Bergen willkommen geheißen.

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Im Museum von Telavåg setzte sich die Gruppe mit der norwegischen Erinnerung an die vollkommene Zerstörung des als geheime Fährstation zwischen Großbritannien und Norwegen dienenden Küstendorfes durch die deutsche Wehrmacht auseinander. Die männlichen Einwohner des Dorfes wurden in deutsche Konzentrationslager deportiert, Kinder und Frauen in Bergen und Umgebung kaserniert. Die Gruppe hatte Gelegenheit, mit einem Überlebenden des Dorfes über die Geschehnisse zu sprechen.

Im Lygra lyngheisenteret verbrachte die Gruppe eine Nacht in traditionellen norwegischen Bauernhäusern und wurde von Professor Jan Ragnar Myking (Bergen høgskole) bei Wind und Regen in die Besonderheiten und Herausforderungen der norwegischen Heidelandschaft eingeführt.
Der 17. Mai war schließlich dem eigenen Erleben des norwegischen Nationalfeiertags gewidmet. Die Gruppe durfte auf Einladung in der Universitätsabteilung des Bergenser Festumzugs mitlaufen und erlebte die Besonderheiten des Tages hautnah mit. Am Morgen der Heimreise, die aufgrund des isländischen Vulkanausbruches etwas aufregender als geplant war, zeigte Rune Kyrkjebø, der Leiter der Handschriftenabteilung der Universität den Exkursionsteilnehmern noch eindrückliche mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften und Urkunden, die auf die eine oder andere Weise mit der Stadt Bergen in Verbindung gebracht werden können. Die Exkursionsgruppe verbrachte bei ungewöhnlich schönem Wetter fünf ab-wechslungsreiche und intensive Tage in der Bergenser Region und erhielt dabei durch Gespräche mit Zeitzeugen und Experten Einblicke in verschiedene Besonderheiten der (west-)norwegischen Kultur und Geschichte.

 

Das postkoloniale Grönland
(30. Mai – 9. Juni 2010)

► Fotogalerie: Grönland-Exkursion 2010 nach Nuuk und Ilulissat

Vom 30. Mai bis 9. Juni 2010 fand – vorbereitet und organisiert von Lill-Ann Körber, Tomas Milosch und Ebbe Volquardsen – die bisher weiteste Exkursion in der Geschichte des Nordeuropa-Instituts nach Nuuk und Ilulissat in Grönland statt, die für die 17 TeilnehmerInnen ein unvergessliches Erlebnis war und bleiben wird.
Während eines ersten kurzen Aufenthalts in Kopenhagen wurden wir zum Einstieg in die Thematik von einer Studentin der Eskimologie an der Universität Kopenhagen durch die Grönlandabteilung des dänischen Nationalmuseums geführt. Über Island und das grönländische Inlandseis flogen wir in die grönländische Hauptstadt Nuuk, wo wir die einzige Gruppenunterkunft in Nuuk, einen Sporthallentrakt, bezogen. Nachmittags erhielten wir eine Stadtführung von der jungen Architektin Helena Lennert, die uns die unterschiedlichen Phasen der Stadt- und gleichzeitig Kolonialgeschichte erklären konnte.
Am zweiten Tag wurden wir an Ilisimatusarfik, der Universität Grönlands, von einem Großteil der Lehrenden empfangen, darunter der Vizepräsident Uffe Jakobsen und die Leiter aller Fakultäten. Nach Präsentationen der beiden Institutionen, des erst seit 2009 bestehenden Austauschprogramms und der Studierendenvertretung erhielten wir eine Führung durch die Universitätsbibliothek, die mit der Groenlandica-Sammlung die größte Sammlung von Publikationen aus und über Grönland und damit auch die Kolonialgeschichte Dänemarks in Grönland betreffender Veröffentlichungen beherbergt. Bei einem weiteren späteren Besuch an der Universität wurden sowohl die Initiierung eines Dozenten- und Studierendenaustauschprogramms zwischen Humboldt-Universität und Ilisimatusarfik als auch die Forschungszusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern beider Institutionen vereinbart.

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Am Nachmittag besuchten wir das neben der Universität gelegene Natur-Institut, der zentrale und aufgrund des im Zusammenhang mit dem Klimawandel weltweit steigenden Interesses boomende Ort für Forschung über grönländische Flora, Fauna und Klima. Danach erhielten wir von einem Historiker an der Universität und Experten für die Missionsgeschichte in Grönland, Thorkild Kjærgaard, eine Führung durch die ehemalige Missionsstation der Herrnhuter in Nuuk.
Am 2. Juni wurden wir vormittags im Parlament Grönlands, Inatsisartut, begrüßt. Wir konnten den Parlamentssaal besichtigen und erfuhren aus erster Hand viel über Struktur, Befugnisse und Herausforderungen in Bezug auf die grönländische Regierung, insbesondere nach Einführung der Selbstverwaltung und des Grönländischen als offizieller Sprache 2009. Darüber hinaus wurden wir über Rohstoffe und Ressourcenpolitik in Grönland informiert, die im Zusammenhang mit dem die Erschließung begünstigenden Klimawandel und der politischen Entwicklungen, die längerfristig zur Selbständigkeit von Dänemark führen sollen, neue Aktualität gewinnen. Am darauf folgenden Tag konnten wir im Parlamentsgebäude Vertreter der Partei Inuit Ataqatigiit, die derzeit die größte Fraktion stellt, zu ihren Visionen für das selbst verwaltete Grönland befragen.

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Mit KNR und Sermitsiaq/AG besuchten wir das grönländische Fernsehen und die einzige Zeitung Grönlands und diskutierten die besonderen geografischen und infrastrukturellen Gegebenheiten für Medien in Grönland und die Bedeutung der Zweisprachigkeit. Wir trafen die Künstlerin Julie Edel Hardenberg, die zu den prominentesten Gesellschaftskritikerinnen und Kommentatorinnen der postkolonialen Situation gehört. Über die nach wie vor präsente koloniale Logik und deren Folgen für Nationsbildung und Identitätsfindung in Grönland unterhielten wir uns auch mit der So-zialanthropologin Aviâja E. Lynge. Der Leiter des Silamiut-Theaters, Svenn Syrin, informierte uns über die infrastrukturellen Herausforderungen des Theaterbetriebs in Grönland und die Pläne zur Etablierung eines Nationaltheaters. Als Abschluss des Aufenthalts in Nuuk besuchten wir das grönländische Nationalmuseum, dessen Repräsentation Grönlands wir mit der des Kopenhagener Nationalmuseum vergleichen und dabei erhebliche Unterschiede feststellen konnten, die auf das Verhältnis zwischen ehemaliger Kolonie und ehemaliger Kolonialmacht zurückzuführen sind.

Am Abend des 4. Juni legten wir mit dem Schiff – neben dem Flugzeug das einzige Städte verbindende Verkehrsmittel – in Nuuk ab und begaben uns auf eine 36stündige Fahrt, die uns neben den Grenzen unserer Seetüchtigkeit auch die Dimensionen des Landes und die klimatischen Veränderungen beiderseits des Polarkreises erfahren ließ. Beim Anlegen lernten wir die Unterschiede zwischen Stadt (ab 200 Einwohner) und Dorf aus grönländischer Perspektive kennen und konnten Phasen der Kolonisierung und späterer Urbanisierungs-, Modernisierungs- und Zentralisierungsprozesse erkennen lernen. Am 6. Juni trafen wir in Ilulissat in der Diskobucht ein, das für den seit 2004 mit dem UNESCO-Weltnaturerbestatus versehenen Eisfjord bekannt ist, zumindest nach dem Kopenhagener Klimagipfel von 2009 und damit verbundenen Reisen von Spitzenpolitikern nach Grönland. Wir wurden von Elke Meissner empfangen, Touristikunternehmerin und Honorarkonsulin Deutschlands, die seit den 70er Jahren in Grönland lebt. Über sie erfuhren wir von der für den Tourismus an Bedeutung gewinnenden Gruppe der »Klimatouristen« und von ebenso ambivalenten Bestrebungen, von Schließung bedrohte Dörfer durch privates Unternehmertum ausländischer Investoren zu retten. Nicht zuletzt erlebten wir in und um Ilulissat auch atemberaubende Naturspektakel, die wir in ausführlichen Diskussionen über Konzepte des Erhabenen auch für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Grönland produktiv machten. Im Ilulissat-Museum ging es um den Polarforscher Knud Rasmussen und damit um die Frage, wie »grönländisch« oder »westlich« Entdeckungsreisen in Grönland sind und waren. Von Ilulissat aus flogen wir mit drei Zwischenlandungen nach Nuuk, von dort weiter zurück nach Reykjavík und am Tag danach nach Berlin.

Die Nachhaltigkeit der Unternehmung drückt sich vor allem in der vereinbarten Zusammenarbeit mit der Universität Grönland, aber auch in Forschungsinitiativen am Nordeuropa-Institut aus. Die im Sommersemester 2010 etablierte Mathias-Storch-Vorlesungsreihe Das postkoloniale Grönland im Fokus wird seither weitergeführt, ebenso Lehrveranstaltungen zu Grönland- und Arktisthemen. Mehrere Abschlussarbeiten, wissenschaftliche Aufsätze und in Planung befindliche Workshops weisen darauf hin, dass die Grönlandbegeisterung am Nordeuropa-Institut um sich gegriffen hat und weiter ansteckend wirkt.