Prof. Beata Agrell, Institut für Literaturwissenschaft, Göteborg Universität
In Search for Legitimacy: Class,
Gender and Moral Discipline in Early Swedish Working-Class literature
c. 1910.
This paper deals with a problematic of early
Swedish working-class literature c. 1910. This literature was an important
part of the political and cultural struggles of the working-class
movement, but of course it was seen as illegitimate by the bourgeois
literary Öffentlichkeit, and for ideological as well as aesthetic
reasons it has never been admitted into the literary canon. Yet many
of these texts are quite complex: on the one hand striving for the
liberation of the working-class on its own terms; on the other hand
striving for the recognition of the bourgeois cultural establishment.
The texts thematize the poor working-class conditions not only politically
and economically, but also as a moral and cultural decay, notably
affecting family life. Thus, this is a literature of alterity, trying
to create a legitimate identity of its own by way of transforming
bourgeois aesthetic and cultural norms. Textual examples will be chosen
from the authors Maria Sandel (debut 1908) and Karl Östman (debut
1909), and focus will be on the ambivalent textual strategies - provoking
and reassuring at the same time.
(Vortrag in englischer Sprache)
Dr. Christiane Barz, Nordeuropa-Institut,
Humboldt-Universität zu Berlin
Gebrochene Herkunft und bewusster
Ausstieg aus der Genealogie in dänischen Bildungsgeschichten.
Familiäre Herkunft spielt in literarischen
Entwürfen von Persönlichkeitsentwicklung und Eingliederungen in die
Weltordnung eine entscheidende Rolle. Dieses integrative Moment ist
nicht zuletzt von Mustern wie Familie und Einreihung in eine Generationenkette
bestimmt. In dänischen Bildungserzählungen von der Mitte des 19. bis
zum Anfang des 20. Jahrhunderts werden Ehe, Elternschaft und Familie
als universelle Lebensmodelle zur Disposition gestellt, indem vermehrt
illegitime oder angenommene Kinder in Erscheinung treten, die sich
- früh aus dem Generationenverbund gefallen - wiederum bewusst von
familiärer Genealogie abwenden. Um diese Solitäre am Ende einer Generationengeschichte
soll es gehen und damit um Konzepte einer in sich erfüllten individuellen
Existenz, die keiner Fortsetzung bedarf.
PD Dr. Wolfgang Behschnitt, Institut für
Vergleichende Germanische Philologie und Skandinavistik, Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg
Ferne Väter, schwache Väter: Abstammungs-
und Autoritätsproblematik bei Lars Ahlin.
Die Problematik illegitimer oder unklarer
Abstammung stellt ein häufiges Motiv in Lars Ahlins umfangreichem
Prosawerk dar. Sie lässt sich zum einen auf der Figurenebene verfolgen:
Ganz zentral ist sie etwa in Ahlins frühem, experimentellem Roman
"Om" (1946), aber auch in "Natt i marknadstältet" (1957). Vater-Sohn-Beziehungen
sind bei Ahlin immer schwierig. Die Auseinandersetzung mit dem abwesenden
idealen Vater (in "Din livsfrukt", 1987) kann für die Identität des
Sohns genauso katastrophale Folgen haben wie der Kampf mit dem anwesenden
schwachen Vater (in "Om"). Der Vater erscheint als eine Alterität
des Sohns, die in beiden Fällen nicht in den eigenen Lebensentwurf
integrierbar ist. Zum anderen aber stellt die Frage der Abstammung,
der Berufung auf oder Ablehnung von Autoritäten einen wichtigen Zug
in Ahlins gesellschaftspolitischer, ethischer und ästhetischer Reflexion
dar. Er spiegelt die Problematik modernen Lebens und modernistischen
Schreibens, die für Ahlins literarische Praxis höchst aktuell war.
Ich lese Ahlins Werk als Entwurf eine Ästhetik und Ethik der Identitätslosigkeit,
deren Relevanz und Problematik zugleich in der Gestaltung der Vaterthematik
anschaulich wird.
Dr. Sylvain Briens, Skandinavistik Institut,
Universität Marc Bloch, Straßburg
Kryptische Wellen. Medien der
Kommunikation und Alterität in der modernen skandinavischen Literatur.
Die Telekommunikation vermittelt Alterität
und eröffnet zugleich die Perspektive auf neue Kommunikationsformen,
unabhängig von Entfernungen. Dadurch fordert sie auf zu einer neuen
Beschreibung des Anderen und des Fremden. Die skandinavischen Autoren
verwenden die Medien der Kommunikation wie etwa den Telegrafen, das
Telephon und das Radio, um versteckte Dimensionen zwischenmenschlicher
Beziehungen zu entschlüsseln: Oft schwingt ein Spiel verbotener Liebe
unterschwellig in telephonischen Gesprächen mit; dies verleiht den
medialen Beziehungen mitunter den Hauch einer übernatürlichen Dimension:
Die Medien werden zum "Medium". Es entsteht also für den Verfasser
ein Universum von Mystik und Korrespondenz, in dem die Alterität nicht
weiter ist als eine Begegnung mit sich selbst.
(Vortrag in englischer Sprache)
Lektor Pil Dahlerup, Georg Brandes Skolen,
Institut für nordische Studien und Sprachwissenschaft, Universität
Kopenhagen
Negotiating the Other. Strategies of Exclusion and Inclusion in the Writing of
Scandinavian Literary History
wird demnächst
ergänzt!
(Vortrag in englischer Sprache)
Constanze Gestrich, Nordeuropa-Institut,
Humboldt-Universität zu Berlin
Degeneration - über Angst und
Liebe im kolonialen Raum.
Den Ausgangspunkt meiner Fragestellung bildet
die Annahme, dass die Figur der hybriden Liebe im Kolonialismus und
dessen Imaginationen eine Schlüsselfunktion einnimmt. In diesem Zusammenhang
möchte ich mich vor allem mit den Diskursen des frühen dänischen Kinos
beschäftigen. Als hybride Liebe wurde zunächst die Beziehung zweier
Menschen unterschiedlicher "Rasse" bezeichnet. Der Begriff schließt
aber auch andere Grenzüberschreitungen wie die homoerotische Liebe
ein. Es handelt sich also, geht man von einem heteronormativen, weißen
und westlichen Standpunkt aus, um illegitime Beziehungen. Gerade der
koloniale Raum eignet sich für ein solches Austesten und Imaginieren
von Tabubrüchen, da er Gelegenheit bietet für die Befreiung von herrschenden
Normen und Moralwerten, zugleich aber auch für deren Entstehung und
Fortschreibung. Im Zentrum stehen dabei Degenerationsängste, die individuelle
Familien ebenso betreffen wie national oder ethnisch definierte Einheiten.
Im frühen dänischen Kino ist die obsessive Inszenierung illegitimer
Liebesbeziehungen und deren oftmals dramatischen Endungen nicht auf
den kolonialen Raum beschränkt. Vielmehr wird das erotische Melodrama
zum Markenzeichen des dänischen Films und trägt zur Verbreitung, aber
auch zur Legitimierung des neuen Mediums bei. Verfallsgeschichten
und deren Einholung stehen somit in einem ambivalenten Verhältnis
zu einer der Gründungserzählungen des Films.
Dr. Joachim Grage, Skandinavisches Seminar,
Georg-August-Universität Göttingen
Fanter, tatere, vandrefolk. Illegitime
Herkunft im frühen norwegischen Spielfilm.
Norwegische Spielfilme der 20er und 30er
Jahre haben ein auffälliges Lieblingsthema: Sie problematisieren häufig
die Stellung der Nichtsesshaften in der bäuerlich geprägten Bygde-Kultur,
indem die illegitime Herkunft einer jungen Frau oder eines jungen
Mannes die Hochzeit mit Mitgliedern alteingesessener Familien verhindert
oder gefährdet. Der Vortrag beleuchtet den filmischen Diskurs über
'Zigeuner' und 'Landstreicher' vor dem Hintergrund der Nationalisierung
des Films sowie zeitgenössischer juristischer und eugenischer Debatten.
PD Dr. phil. Elisabeth Herrmann, Institut
für Vergleichende Germanische Philologie und Skandinavistik, Albert-Ludwig-Universität
Freiburg
Kindheitstrauma und gespaltene
Jugend als Ausdruck literarischer Alterität in Per Olov Enquist Roman
"Kapten Nemos bibliotek".
In seinem 1991 erschienen Roman Kapten Nemos
bibliotek stellt Per Olov Enquist mit der Gegenüberstellung des Schicksals
zweier Kinder, die nach der Geburt angeblich den falschen Eltern zugesprochen
worden sind und im Alter von sechs Jahren "zurückgetauscht" werden,
nicht nur die Frage nach der Genealogie sowie der biologischen und
sozialen Verwandtschaft in den Mittelpunkt, sondern treibt die Erfahrung
der eigenen Fremdheit und Alterität auf die Spitze: Das tatsächliche
Erleben der Vorstellung, dass man in Wirklichkeit ein anderer sein
könnte als die Außenwelt und man selbst von sich glaubt, bzw. die
Erfahrung, dass ein anderer anstelle seiner selbst das eigene Leben
lebt, wird im Buch zur traumatisierenden Kindheitserfahrung des Ich-Erzählers.
Der abwesende (tote) Vater, der erlebte Verlust derjenigen Bezugsperson,
die für die leibliche Mutter gehalten wurde und schließlich die durch
den Tausch endgültig gebrochene Familienstruktur, werden nicht nur
als psycho-medizinische Ursachen für ein als Schizophrenie zu bezeichnendes
Leiden genannt, sondern beweisen vielmehr die grundsätzliche "Illegitimität"
des Vertrauens in die eigene Identität: Wer kann von sich selbst mit
Gewissheit sagen, dass er Ich ist und nicht doch auch ein anderer?
Wenn Alterität damit nicht als konstitutives Element der Identität,
sondern Identität vielmehr allein aus der Erfahrung von Alterität
definiert werden kann, dann - so lautet Enquists Fazit im Roman -
bleibt dem Einzelnen nur noch ein Ausweg: die eigene Geschichte zusammenzufügen,
indem man sie als Geschichte eines anderen erzählt. Dass der Autor
damit zugleich den Kernpunkt der Poetologie des eigenen Schreibens
formuliert, soll im Vortrag ausführlich gezeigt werden. Denn in Kapten
Nemos bibliotek wird Schreiben stellvertretend für das Verfassen von
Literatur nicht etwa als Entwurf einer Gegenwelt zur individuellen
und gesellschaftlichen Wirklichkeit gesehen, sondern vielmehr als
Artikulation des Fremden in uns selbst. Erst wenn dieses Andere im
Eigenen als Fiktion "erinnert" und "zum Leben erweckt" wird, kann
es - den Umfang einer ganzen Bibliothek umfassend und in einer der
Psychoanalyse entgegengesetzten Fließrichtung - auf dem Boden des
Meeres, d. h. im Unterbewussten konserviert und zu einem Teil der
Identität werden. Die tiefgreifende Verwandtschaft von Literatur und
Leben liegt damit auf der Hand: Literatur erweist sich nicht als ein
autonomes, sondern vielmehr als ein vermittelndes Medium, über das
die psychologische, anthropologische sowie kulturelle Dimension von
Alterität ausgelotet werden kann.
Prof. Dr. Dagmar v. Hoff, Institut für neuere
deutsche Literaturwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Sternenkonstellationen. Die mythische
Dimension des Inzests in Romanen des 20. Jahrhunderts.
Ausgehend von Hesiods Theogonie möchte ich
danach fragen, welche Bedeutung kosmologische Vorstellungswelten bei
der Inszenierung des Inzests in literarischen Texten des 20. Jahrhunderts
haben? Was bedeutet es, wenn die Thematisierung von Mond- oder Sonnenfinsternissen
inzestuöse Figurationen erzählbar machen? Dabei kommt den Ursprungsmythen
und Herkunftserzählungen die Funktion zu, ein spezifisches Spannungsfeld
von Legitimität und Illegitimität zu erzeugen, in dem sich menschliche
Begegnungen und Liebesgeschichten ereignen können. Gerade die Übertretung
des Inzesttabus erscheint dann in diesen Texten nicht nur als verwerflich
und skandalös, sondern sie verweist auf ein Mögliches. In diesem Kontext
möchte ich mich vor allem auf Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften"
beziehen, in dem ja der Möglichkeitssinn eng an die Geschwisterliebe
zwischen Ulrich und Agathe gebunden ist. Dieses Paar bricht Familienstrukturen
und stiftet zugleich Vorstellungen von einer menschlichen Begegnung.
Dass dieser Roman dabei eingebunden ist in mythische Sternenkonstellationen,
ist nur allzu konsequent.
Prof. Dr. Ella Johansson, Mångkulturellt
centrum, Universität Lund
The National Maid. Dalecarlian
Women as a Brand Image of Swedishness.
Dalecarlia is a province that has come to
be seen as the most archaic, authenthic and representative of Sweden.
Later research has critizised this view. This contribution takes this
critical argument further, with special focus on the migrant female
workers from the area.
(Vortrag in englischer Sprache)
Susanne Maerz, Institut für Vergleichende
Germanische Philologie und Skandinavistik, Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg
Stigma deutscher Vater. Die Verhandlung
der Herkunft von norwegischen Kriegskindern in Herbjörg Wassmos "Das
Haus mit der blinden Glasveranda" und Jostein Gaarders "Kartengeheimnis".
Sie galten lange Zeit als Teil des Feindes,
der geblieben ist, nachdem die deutschen Besatzer 1945 aus Norwegen
abgezogen sind: die rund 12000 Nachkommen von Norwegerinnen und deutschen
Soldaten. Bis in die 80er Jahre wurde das Schicksal dieser Kriegskinder
tabuisiert. Die literarische Thematisierung der Umstände, unter denen
sie aufwuchsen und der Probleme, die ihnen ihre Herkunft bereitete,
war der Beginn einer öffentlichen Auseinandersetzung mit "dieser speziellen
Gruppe Norweger", die auch heute noch andauert. Zu denen, die diesen
Prozess eingeläutet haben, gehört Herbjørg Wassmo mit ihrem Roman
"Huset med den blinde glassveranda" (Das Haus mit der blinden Glasveranda),
der 1981 erschienen ist. Ihr Roman ist eine sozialrealistische Schilderung
des Lebens auf einer nordnorwegischen Insel, auf der das Deutschenkind
Tora mit seiner Mutter aufwächst. Die leidvolle Erfahrung des anders
seins, des ausgegrenzt werdens, das ihre Herkunft mit sich bringt,
sowie der sexuelle Missbrauch werden aus der Perspektive des Kriegskindes
geschildert. In Jostein Gaarders "Kabalmysteriet" (Kartengeheimnis),
1990 erschienen, ist es der Sohn Hans Thomas, der von der philosophischen
und tatsächlichen Reise mit seinem Vater nach Griechenland berichtet.
Damit ist es, anders als bei Wassmo, ein Vertreter der nachfolgenden,
der dritten Generation, der ebenfalls für die noch jugendliche dritte
Generation mit der dadurch bedingten größeren Distanz sowohl die "Verfehlung"
seiner Großmutter - die Liebe zu dem deutschen Soldaten - erklärt,
als auch die teils traumatische Erfahrung des Vaters, ein "Deutschenkind"
zu sein, vermittelt. Ich möchte gegenüberstellen, wie bei Wassmo und
Gaarder die Herkunft Kriegskind jeweils unterschiedlich verhandelt
wird und warum dies so ist beziehungsweise wie dies durch die Entstehungszeit
der beiden Romane bedingt ist.
Thomas Mohnike, Institut für Vergleichende
Germanische Philologie und Skandinavistik, Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg
Herkunft und Ursprünglichkeit
in Castréns Nordischen Reisen.
wird demnächst ergänzt!
Dr. Kerstin Palm, Institut
für Kultur- und Kunstwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Von der Blutsverwandtschaft zum
genetischen Partikelstammbaum - der Umschlag der Vererbungsvorstellungen
in der Biologie um 1900.
Nur wenige Biologen gingen im 19. Jahrhundert
davon aus, dass die Vererbungsphänomene auf andere Stoffe als das
Blut zurückführbar seien - die meisten Wissenschaftler sahen das Blut
als Träger individueller und 'rassischer' Eigenschaften an, die bei
der Fortpflanzung weitergegeben würden. Mit der Wiederentdeckung der
Mendelschen Gesetze um 1900 und der Begründung der genetischen Wissenschaft
setzte aber dann eine Suche nach konkreten Erb-Partikeln in den einzelnen
Körperzellen ein, deren veranlasste Eigenschaftsausprägungen in einfachen
quantitativen Verhältnisgesetzen angebbar schienen. In den nationalsozialistischen
Blutschutzgesetzen' wurde dann dieser Partikelmaterialismus erneut
mit der Blutmetaphorik des 19. Jahrhunderts aufgeladen und mit spezifischen
Wertigkeiten und Reinheitsvorstellungen versehen. Ich möchte in meinem
Beitrag diese Veränderungen in der Betrachtungsweise der Vererbungsphänomene
nachzeichnen und sie einordnen in die kontroversen Vererbungsdebatten
der Biologie um Wesenhaftigkeiten und materialistische Ursachenketten
und damit um romantische und modernistische Konzepte von Verwandtschaft.
Anna Sandberg, Universität Kopenhagen
Jens Baggesens Selbstdarstellung
in Fiktion und Biographie: die problematische Genealogie.
Der Vortrag nimmt seinen Ausgangpunkt im
Spannungsverhältnis beim zweisprachigen dänisch-deutschen Autor Jens
Baggesen Anfang des 19. Jahrhunderts zwischen zwei entstehenden Nationalliteraturen
und zwischen einer deutschen Majoritätskultur und einer dänischen
Minoritätskultur. Nicht so sehr die Probleme der Zuordnung der doppelsprachigen,
bikulturellen Schriftsteller in (bzw. deren Exklusion aus) der Konstruktion
der nationalen Geschichte innerhalb der Literaturgeschichtsschreibung
des 19. Jahrhunderts sollen hier im Zentrum stehen, sondern eine Klärung
davon, wie Baggesen diese Grenzsituation bewältigt und diese Alterität
literarisch verwertet? In biographischen Texten wie Briefen sowie
in Paratexten wie Vorworten, Epilogen und Widmungen bemüht sich Baggesen
um eine Selbstdarstellung, die seine fremde Herkunft und Position
als Gast in der "deutschen Familie" betont. In seinen literarischen
Texten kehrt das Motiv des elternlosen Sohnes und des künstlerischen
Außenseiters immer wieder auf. Der Vortrag will den möglichen Verbindungen
zwischen soziologischer Autor-rolle und literarischem Motiv nachgehen
und anhand Beispielen in den dänischen und deutschen Texten verschiedene
Fragen zu beantworten suchen, z.B. ob das Motiv einer problematischen
Genealogie als eine bewusste Strategie in einer transitorischen Phase
vom Mäzenatentum zum freien Markt anzusehen ist, welche Funktion die
Fiktionalisierung des Biographischen hat und ob Baggesens Inszenierung
des Privaten auch mit dem Erspielen einer Identität in der performativen
Kunst des 20. Jahrhunderts gemeinsame Züge haben könnte?
Dr. Ulrike Vedder, Zentrum für Literaturforschung,
Berlin
Der Fluch und seine andere Gesetzlichkeit.
Die Kultur- und Literaturgeschichte des Fluchs
weist eine Vielzahl von Diskursen, Figuren und Symbolbildungen auf,
die mit Begriffen bzw. Denkfiguren wie z.B. Gesetz, Familie, Schicksal,
Ursprung, Transmission, Vererbung und Erlösung umgehen. Ein Rachefluch
zerstört die Zukunft von Kleists "Familie Schroffenstein", obwohl
die Kinder ihre Identitäten tauschen; der Fluch der Ahnfrau trifft
bei Grillparzer den fremden Sohn, der erst als Bräutigam der Tochter
auftritt, dann als gesetzloser Räuber und schließlich als ihr Bruder
erkannt wird; die alte Verfluchung der Ahnfrau in Storms "Aquis submersus"
tötet Generationen später ein illegitimes Kind, das die Schuld seines
Vaters bezahlt. Was diese und viele andere Texte des 19. Jahrhunderts
umtreibt, ist die Frage nach der Unausweichlichkeit der Vergangenheit,
die die Form der Zugehörigkeit zu einer Familie, einem Geschlecht,
einer Genealogie annimmt - soll der Fluch doch alle, die zum Hause
x gehören, bis ins soundsovielte Glied treffen. Dabei gewinnt die
Gesetzlichkeit des Fluchs, die zunächst auf seiner Artikulation als
Sprechakt beruht - indem er ausgesprochen wird, funktioniert er und
erweist so wiederum seinen Geltungsanspruch, ja, seine Rechtmäßigkeit
-, im Verlauf des 19. Jahrhunderts an physiologischer Evidenz: In
Familienromanen und -dramen von Zola bis zum Naturalismus z.B. unterziehen
als vererbbar konzipierte Degenerationsphänomene wie Syphilis, Trunksucht
und Schwachsinn ganze (vorzugsweise alte) Geschlechter einem Familienfluch,
der seinerseits den Vererbungsgesetzen gehorcht. Damit ist auch das
Problem von Erbe und Legitimität berührt: Wer dazugehört, wer Verwandter
oder Nachkomme ist, hat unwillkürlich das Erbe des Fluchs anzutreten
und sich dessen machtvollem Gesetz zu unterstellen. So hat die Verantwortung
für früheres Unheil auch derjenige zu tragen, dessen Zugehörigkeit
sich womöglich erst dadurch erweist, dass er den Fluch zu spüren bekommt.
Dabei geht ein Fluch keineswegs immer geradlinig auf ein Verbrechen
zurück, zu dessen gerechter Strafe zu führen der Fluch bestimmt ist,
ist doch der Ursprung des Rachefluchs etwa bei Kleist in Fehldeutungen
und Missverständnissen angelegt. Ebenso wenig geht es darum, eine
Ungerechtigkeit auszugleichen (so die Ökonomie der Strafgesetzgebung);
vielmehr zielt der Fluch auf Überbietung und auf Nichtvergessen. Folglich
bezieht der Fluch seine Gesetzlichkeit gerade nicht aus staatlich
sanktionierten, kodifizierten Gesetzen eines allgemeinen bürgerlichen
Rechts, sondern - und daher rührt seine andere' Gesetzlichkeit -
aus der Macht der Toten. So erzählt Hawthorne in "The House of the
Seven Gables" von der Wiederholungsstruktur über Generationen und
Jahrhunderte hinweg, die den auf dem Haus liegenden Fluch am Leben
erhält und seine Bewohner als Untote erscheinen lässt: "wie sehr wir
Sklaven vergangener Zeiten sind - Sklaven des Todes, um die Sache
beim Namen zu nennen". Das Unheimliche des Fluchs - verdichtet etwa
in der Figur des spiritus familiaris bei Droste-Hülshoff - rührt also
sowohl aus seiner Unausweichlichkeit, die die Protagonisten einem
anderen Gesetz als dem modernen bürgerlichen Recht unterstellt, als
auch aus der "Dominion of the Dead" (Robert P. Harrison, Cambridge
2003), in der sich die umgehenden Gespenster der Vergangenheit mit
den Lebenden und den noch ungeborenen, aber bereits verfluchten Nachkommen
mischen.
Dr. Kirsten Wechsel, Nordeuropa-Institut,
Humboldt-Universität zu Berlin
Herkunftstheater: Zur Legitimierung
der Gattung Vaudeville um 1830.
In den 1820er Jahren wird das Vaudeville
als dramatische Gattung in Dänemark eingeführt. Obgleich sehr bald
überaus populär, ist der Status der neuen Gattung nicht unbestritten.
In seinem 1826 publizierten Beitrag Om Vaudevillen som dramatisk Digtart
og om dens Betydning paa den danske Skueplads. En dramaturgisk Undersøgelse
unternimmt der Vater' des dänischen Vaudevilles, Johan Ludwig Heiberg,
eine umfassende Legitimierung dieser ursprünglich französischen Gattung,
wobei er sich auf zeitgenössische Konzeptionen von Herkunft und Genealogie
bezieht. Über Grenzziehungen zu anderen, v.a. italienischen und deutschen
dramatischen Mischformen' wird das Vaudeville angeeignet und zum
Nachfolger der Holbergschen Komödie und damit zum legitimen Erben
des dänischen Theaters erklärt. In meinem Beitrag möchte ich diese
Adoption' des Vaudeville unter nationalen Vorzeichen auf der Grundlage
von Foucaults Studien zur Gouvernementalität genauer nachgehen. Mein
Ziel wird es sein, die Gattung Vaudeville und das Medium Theaters
um 1830 in den Kontext einer am Modell der Familie orientierten Regierungskonzeption
zu stellen.
Dr. Stefan Willer, Zentrum für Literaturforschung,
Berlin
Aneignung des Eigenen.
Zur Legitimität und Illegitimität des kulturellen Erbes.
Für den Zusammenhang von Alterität und Identität
in Konstruktionen von Genealogie kommt Konzepten und Praktiken des
Erbes eine besondere Bedeutung zu. Ob es sich um Übertragungen von
Eigentum oder von biologischen Merkmalen handelt: wenn vom Erbe die
Rede ist, geht es grundsätzlich um Institutionalisierungen und Gesetzmäßigkeiten,
also um Legitimität und Legitimation. Gerade daher eröffnet sich aber
ein Verhandlungsspielraum, in dem die 'Faszination des Illegitimen'
immer mitbedacht werden muss. Besonders groß und schwer regelbar wird
dieser Spielraum im Umgang mit kulturellen Überlieferungen, also bei
der Konstitution eines 'kulturellen Erbes'. Die im Tagungsexposé genannte
Formel von der 'Aneignung des kulturell Anderen' wäre hier ins Paradox
einer 'Aneignung des kulturell Eigenen' zu wenden - in einer klassischen
Formulierung: "Was du ererbt von deinen Vätern hast,/ Erwirb es, um
es zu besitzen." 'Aneignung' ist ein zentraler Begriff der marxistischen
Kulturtheorie, der dartun soll, dass und wie die aktive Rolle im kulturellen
Überlieferungsprozess von den Toten, den Trägern und Stiftern der
Tradition, auf die Lebenden übergehe, also von den Erblassern auf
die Erben. Gegenstand meines Beitrags ist die Problematik dieses Konzepts,
wie sie sich in seiner Entstehung zeigt. Dafür greife ich auf die
Debatte zum Erbrecht zurück, die Karl Marx um 1870 mit den Parteigängern
Bakunins führte und in der er - gegen die Forderung der Anarchisten
nach vollständiger Abschaffung des privaten Erbrechts - das Erbe als
bloßes Epiphänomen eines weit umfassenderen Übertragungsproblems darstellte,
nämlich des Eigentums schlechthin ("vermittelst seines Eigentums die
Früchte fremder Arbeit auf sich zu übertragen"). Hinsichtlich Marx'
und Engels' Überlegungen über philosophische und ästhetische Tradition
verkompliziert sich der Zusammenhang von Eigentum und Erbe. Insgesamt
zeigt sich eine große Zurückhaltung gegenüber radikalen Enteignungsvorstellungen
und ein 'dialektischer' Umgang mit Fragen der Überlieferung, bis hin
zu Engels' später Formulierung: "Die deutsche Arbeiterbewegung ist
die Erbin der deutschen klassischen Philosophie." Zu kontrastieren
wäre diese Festlegung, aus der sich später eine doktrinär ausgerichtete
parteiliche Traditionspolitik ableitete, mit fortgesetzten anarchistischen
Tendenzen zur Delegitimierung des Erbes, sowohl in eigentumsrechtlicher
wie in kulturtheoretischer Hinsicht. Aktueller Anlass und methodisch-theoretischer
Horizont des Beitrags ist die derzeitige Konjunktur des 'kulturellen
Erbes' - der aktuell meistverwendeten Kategorie, wenn es um die Bewahrung
von Dokumenten und Monumenten der Vergangenheit geht. Mit dem Rückgriff
auf die marxistischen Erbedebatten lässt sich der tote Winkel heutiger
Beschwörungen von world heritage ausleuchten: der Zusammenhang von
Eigentum und Tod, mit dem man es in jedem Erbfall zu tun hat, und
die damit einhergehende Kapitalisierung der ver- bzw. ererbten Kulturwerte.
Prof. Dr. Ebba Witt-Brattström, Institut für
Literaturwissenschaft, Södertörn Universität
The rise - and the fall? - of female genealogy at the turn of the
century 1900. Feminist theory and the New Woman fiction: Laura Marholm.
At the turn of the century 1900 intellectual women were busy creating a female/feminist genealogy: in fiction
(New Woman novel) as well as in essays foreboding feminist theory. The baltic-scandinavian cultural critic and
author Laura Marholm (married to the swedish author Ola Hansson) was together with the swedish essayist Ellen Key
and the russian-german author and later psychoanalyst Lou Andreas-Salomé appointed "antifeminists" by Hedwig Dohm
1899, and made responsible for the turn toward maternal essentialism in the gender discourse of the fin de
siècle. However, as I will show, Marholm´s gynocritics Das Frauenbuch and Zur Psychologie der Frau I, 1897,
can be read as a strategic mimesis, an "intervention" to make women subjects of their own epistemology and
thus create a space for feminine specificity at the level of the symbolic. In these books Marholm creates a
collective identity for women in a historical perspective: "representations of a maternal line or genealogy"
(Irigaray). However, Marholm´s mistake to confuse woman and her maternal function eventually recaught women
in the dominant male imaginary of Femmes fatales and/or Madonnas. Only in fiction could women try their own
imaginary, and no doubt Marholm´s bestsellers, translated to among other languages, swedish and english, had
an impact on the New Woman fiction of her time.
(Vortrag in englischer Sprache)
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