Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Nordeuropa-Institut

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Einwandererliteratur

   
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Wolfgang Behschnitt / Thomas Mohnike

"Willkommen im Vorort"¹. Einwandererliteratur in den skandinavischen Ländern seit 1970

Fragen kultureller ebenso wie literarischer Alterität treten in den skandinavischen Ländern gegenwärtig kaum irgendwo so deutlich ans Licht der Öffentlichkeit wie in der Auseinandersetzung mit der literarischen Produktion von Autoren, die im öffentlichen Diskurs als Einwanderer rezipiert werden. Einwandererliteratur stellt daher für die Gegenwartskultur einen zentralen Untersuchungsgegenstand dar, in dem sich wesentliche Fragen des Gesamtprojekts "Literatur der Alterität - Alterität der Literatur" bündeln.

Eine Funktion der Literatur von Einwanderern ist die Verhandlung kultureller Identität - und zwar sowohl der Minoritäts- als auch Majoritätskultur, insofern die Präsenz von Minoritäten im Eigenen in die symbolische Konstitution einer Majoritätskultur eingeht. Darüber hinaus stehen die literarischen Texte in einem Spannungsfeld gegenüber den kulturellen Traditionen der Herkunftsländer oder einer eventuell bereits etablierten Exil- oder Einwandererkultur (Generationenkonflikt). Schon diese Konstellation läßt vermuten, daß mit komplexen Verhältnissen von Identitäts- und Alteritätskonstitutionen zu rechnen ist. In der Multikulturalismusforschung und in der postkolonialen Theorie sind verschiedene Modelle hierfür entworfen worden, deren Nutzen für unseren skandinavischen Fall zu prüfen sein wird. Einwandererliteratur ist aber darüberhinaus von eminentem Interesse, weil sie zugleich die im 19. Jahrhundert etablierten Kategorien der Nationalliteratur in Frage stellt, die in Norwegen, Schweden und Dänemark - im Gegensatz etwa zum angloamerikanischen literaturgeschichtlichen Diskurs - nach wie vor weitgehend unhinterfragt Geltung beanspruchen.

Ziel unseres Forschungsprojekts ist nicht eine literaturgeschichtliche Aufarbeitung der Einwandererliteratur in den skandinavischen Ländern. Diese ist von der schwedischen Forschung in Angriff genommen worden (vgl. u.a. Satu Gröndahl (Hg.), Litteraturens gränsland. Invandrar- och minoritetslitteratur i nordiskt perspektiv, Uppsala 2002), und auch in Norwegen finden sich Ansätze zu einer systematischen Aufarbeitung der Einwandererliteratur (u.a. durch Ingeborg Kongslien und Jørgen Magnus Sejersted), während in Dänemark entsprechende Arbeiten noch fehlen. Unser Interesse zielt hingegen auf die exemplarische Untersuchung einzelner Fragestellungen, die im Rahmen des Gesamtprojekts relevant erscheinen.

Die übergeordnete Frage nach der Funktion literarischer Texte für die Darstellung und Vermittlung eines kulturell Anderen erfährt in bezug auf Einwandererliteratur insofern eine wesentliche Verschiebung, als der Fokus auf der Minderheitenperspektive liegt. Das Forschungsprojekt zur Einwandererliteratur bildet so ein direktes Komplement zu Thomas Mohnikes Studie zu Reiseberichten in der schwedischen Gegenwartsliteratur, aber auch zu Stefanie von Schnurbeins Untersuchung zu jüdischen Figuren in der dänischen Literatur des 19. Jahrhunderts. So ergibt sich u.a. die Frage, wie sich die Texte in ihrem kulturellen Spannungsfeld positionieren, inwiefern sie die konventionellen Grenzen von Mehrheits- und Minderheitskultur, von Normalität und Exotischem, von National- und Exilliteratur akzeptieren oder in Frage stellen. Außerdem ist zu fragen, inwiefern in der heutigen, durch Multikulturalität ebenso wie durch Multimedialität geprägten gesellschaftlichen Situation Literatur überhaupt noch einen privilegierten Status und eine spezifische Funktion im Identitäts- und Alteritätsdiskurs beanspruchen kann.

Aus der Themenstellung leitet sich eine Reihe von Fragen ab, die anhand exemplarischer Studien erörtert werden sollen:
  • (Inwiefern) markieren die Texte ihre Zugehörigkeit zur Einwandererliteratur? Oder entziehen sie sich ausdrücklich einer solchen Zuschreibung? Wie zeichnen sich Lektürekonventionen und Leseerwartungen im Text ab?

  • Wie gehen die Texte mit den Konstruktionen von Identität und Alterität, Eigenem und Anderem um? Was für Identitätsmodelle werden angeboten? Was für Strukturen des Verhältnisses von Identität und Alterität zeichnet der Text (polar, komplementär, relational, plural, vernetzt, integrativ etc.)?

  • (Inwiefern) wird Authentizität konstruiert? Und wie werden solche Konstruktionen möglicherweise unterlaufen?

  • In welche Diskurse schreibt sich der Text ein? Welche Genre werden fortgeschrieben? (Wie) legt der Text seine Heteronomien offen?

  • Welchen Effekt haben die Literarizität und der jeweilige Genrekontext auf die Rezeption der Texte? Wie verhält sich die literarische Darstellung zu entsprechenden Thematiken im Film, in der Musik etc.



¹ Der Titel verweist auf die Debüt-CD "Välkommen till förorten" der schwedischsprachigen Band "The Latin Kings" von 1994, die in der schwedischen Musikszene erstmals die Stimme der Einwanderer repräsentieren sollte.

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